BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Jean Paul

1763 - 1825

 

Grönländische Prozesse,

oder Satirische Skizzen

 

Erstes Bändgen

 

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III.

Ueber den groben Ahnenstolz.

Ein Brief.

 

Hochwohlgeborner Herr,

Gnädiger Herr,

Höchstzuverehrender Gönner.

 

Ew. Hochwohlgeb. Gnaden werden mir eine Kühnheit zu gute halten, zu welcher meine eigne Noth und Dero gnädigen Verdienste mich nöthigen. Unsere nahrlosen Zeiten haben mir über Ihre Wohlthätigkeit die Augen geöfnet und mein nüchterner Unterleib murret mir täglich eine Lobrede auf Ihre Vorzüge, in die Ohren – eine Lobrede, die der besten Zueignungsschrift Ehre machen würde, die des Stempels der Ewigkeit nur von der Presse bedarf, deren Warheit aber auf ihren Beutel ankomt. Doch ohne meine Dürftigkeit Ihren Verdiensten zum weitesten Spielraum ihrer Thätigkeit anbieten zu wollen, ohne von der Besezung der Pfarstelle zu reden, auf die mein Mangel an Geld, und mein Überflus an guten Zeugnissen mir wohl einige Ansprüche verleihen möchten, und zu deren Verwaltung ich mich durch die vorläufige Liebe für Dero unpäsliches Kammermädgen tüchtig fühle, kurz ohne weiter von dem zu reden, was an den Endzwek meines Briefs nur anstreift, komm' ich sogleich auf Ew. Hochwohlgeb. Gnaden selbst, und fang' an, Ihre Bescheidenheit durch Ihre staubichten Verdienste zu beschämen.

Ew. hochwohlgeb. Gnaden kennen den grossen Werth des alten Adels und alten Käses, zu welchem der eine durch viele Ahnen und der andere durch viele Maden erhoben wird. Also: schon da Sie noch ein hochadeliches Nichts waren, oder, nach einem wahrscheinlichern Systeme, noch als der Keim eines Embryons in den vielfachen Lenden Ihrer Ahnen schliefen, (bis Sie sich aus diesen menschlichen Hüllen zum Gegenstande meines Lobs entwikkelten, gleich der leren Nusschale, mit der zehn aus einander gewikkelte Papiere die ämsige Neugier des Affen belohnen,) schon da schlug Ihr kleines Herz für grossen Ruhm. Denn schon da lebten Sie in der Nachbarschaft der ritterlichen Waffen, die an den Lenden Ihrer Ahnen hiengen. Denn schon ungetauft bekehrten Sie mit militärischer Polemik den Ungläubigen zum Christen, und predigten feindlichen Herzen mit spizigen Degen die Liebe Gottes in Christo. Sie siegten in Jerusalem, eh' Sie noch Ihr Schlos bewohnten, und tödeten Sarazenen, eh Sie lebten. Ihre Tapferkeit ist also älter als Sie selbst – daher sie auch vor der Ankunft Ihres jugendlichen Alters verstorben ist- und Ihre lange Kette von Verdiensten misset ganze Jahrhunderte, und reicht bis zu ihrer Konzepzion und vielleicht bis zu Ihrer Geburt. Aber Ihre lezte Heldenthat ist auch Ihre gröste. Denn biet' ich auch alle Farben meiner Einbildung auf, so verschönert sie doch das Gemählde einer Heldenthat nicht, als die Ihrige ist, da Sie Ihre Siege mit dem schönsten Triumphe krönten und, mit fremden Lorbern und eroberten Verdiensten beladen durch keinen andern Leib als den Leib Ihrer gnädigen Mama in die Welt einzogen. Auf dieser Heldenthat beruht die ganze Anerkennung Ihres Werths. Denn sezen Sie nur den Fal, Ihr Herr Vater hätte Sie vor Ihrer Zeugung an irgend eine unstäte Schöne bei irgend einem Anfal von warmer Wohlthätigkeit verschenkt; wo wäre nun Ihr Ruhm? Vielleicht daß Ew. Hochwohlgeb. Gnaden dann Ihr hochadeliches Haupt weniger mit Puder als Ideen geziert, und Ihrer Ahnen nicht eingedenk, zum gesunden Menschenverstand heraberniedrigt hätten; vielleicht daß sie dann durch die Tafeln Mosis zu Tugenden veranlagt worden wären, die Sie nun Ihrer Ahnentafel aufopfern. Aber gewis, und nicht blos wahrscheinlich ist folgendes. Ihr Ruhm wäre an Ihrem Schiksale gescheitert, Ihre Verdienste wären ohne die schmeichelhafte Lobrede der Heraldik geblieben und Sie in den Händen der genanten Schöne aller angeerbten Grösse Ihres grossen Vaters verlustig gegangen – so schlug nach Büffon ein wandernder Komet von der glänzenden Sonne diese finstere Erde ab. Und dies ist auch so ungewöhnlich nicht. Denn glauben Sie, die adeliche Wollust hat vielen Hüten die Federn beschnitten, und in den Bordellen liegen viele Von's begraben. Die Schmeisfliege verwandelt die Wiege ihrer Brut in das Grab derselben, wenn sie ihre Eier einer afrikanischen Blume (Fritillaria) anzuvertrauen, durch die Ähnlichkeit ihres Geruchs mit dem faulen Fleische, dem von der Natur bestimten Nahrungsort jener Brut, sich täuschen läst. Und gewis tödeten hundert adeliche Väter den Ruhm ihrer Kinder in ihrer Erzeugung, wenn sie die Schäze ihrer Lenden in den Schos einer unadelichen auslerten, welche einer Adelichen vorzuziehen, sie durch die adelich scheinende Fehler von jener verleitet wurden. – Ihren Ruhm vergrössert auch die Möglichkeit, daß Ew. Hochwolgeb. Gnaden durch die Wärme von neun Monaten aus einem unadelichen Samenthiergen zu einem adelichen Embryon gereift wären, und durch die Nahrung von adelichem Blute aus einer unverdienstvollen Substanz in eine verdienstvolle veredelt worden wären. Die Tinktur des Alchymisten schenkt dem Blei das Wesen des Goldes und, nach Bleskenius Bericht, sol ein See in Irland, gleich dem Leib einer ehebrecherischen Edelfrau, alles schlechte Holz, was seinen Boden berührt, in Eisen umschaffen. – Und da ein Stambaum bei Einpfropfung fremder Zweige seine Rechnung findet, und durch die angeblichen Werkzeuge seiner Zerstöhrung, wie der Kokosbaum durch eingeschlagene Nägel, nur höher zu treiben fähig wird, so mögen freilich viele Damen in der Erniedrigung zum Pöbel die Vergrösserung ihrer Verdienste finden, und gleich dem Riesen Antäus, auf der Erde neue Kräfte einsaugen. – Doch zurük von einer Digreßion, zu der mich eine adeliche veranlaste.

Wie sehr mus man ferner Ihre Klugheit bewundern, mit der Sie einen Betrug verhinderten, der Sie zum angeblichen Sohne ihrer Amme herabgewürdigt, und Ihre Verdienste dem unverdienten Glükke eines Hurensohnes aufgeopfert hätte. Oder wenn umgekehrt Ihr Adel selbst die Frucht jenes Betrugs wäre, wie erstaunenswürdig sind dan die Kräfte, durch welche Sie sich zu einer solchen Ähnlichkeit mit dem ächten Adel, emporarbeiteten, daß Sie allen Tugenden des Pöbels den Abschied gaben, und nur seine Laster beibehielten, daß Sie nun, gleich den Gewächsen, die ihre Früchte in der Erde verbergen und nichts als einen unnützen Stengel vorzeigen, Ihre Verdienste wie andere Edelleute, in Ihrem Erbbegräbnisse verwesen, und von Ihrer Grösse, nichts als den Auswuchs derselben d. h. Sich selbst sichtbar werden lassen. –

Ihr ganzes Leben übrigens ist Ihre Lobrede und braucht also die meinige nicht. Denn schon im zwanzigsten Jahre schienen Sie einigen Verstand zu haben, und schon im dreißigsten schienen Sie keinen mehr zu haben. Sie schüzten immer die Antikheit Ihres Betragens, gegen seine Verbesserung durch die feinere Welt, und härteten gegen jede Politur Ihre Rauheit ab. Sogar zum Echo gothischer Höflichkeit umgeformt wusten Sie immer noch Ihre erborgte Lebensart durch die Überreste Ihrer adelichen Sitten zu verschönern. Ew. Hochwohlgeb. Gnaden gleichen hierinnen den Tonnen, in welchen das beste Bier durch übrigen sauern Schleim versäuert wird. – Mit welcher Tapferkeit liessen Sie nicht, da Sie zu ** den Frieden mit Ihren Waffen beschüzten, den geringern Soldaten Ihre Dienste thun, und wie schön stachen nicht immer Ihre galanten Grübgen gegen kriegerische Narben ab? Hat wohl jemand damals mit mehr Achtung von Ihnen gesprochen als Sie? oder jemand tiefere Wunden geschlagen als Ihre Zunge fremder Ehre? Doch ja, Ihr Degen dem Muthlosen. Die ganze Welt weis ja, daß Sie mit der Zierde Ihrer Seite die Anfälle spiziger Zungen abgetrieben oder bestraft, wie das Rindvieh sich mit seinem Schwanze an den Zungen hungriger Insekten rächt; und daß Sie mit erstaunlichem Muthe der Wehrlosigkeit so lange trozten, bis sie ihre gefährliche Seite herauskehrte. Freilich stieg nie feindlicher Pulverdampf in das zärtliche Kloak Ihres Kopfes oder in Ihre Nasenlöcher; freilich kanten Sie den Werth Ihrer Tapferkeit zu gut, um das Leben eines so seltnen und zerbrechlichen Vorzugs von dem ungefähren Fluge eines Stükgen Bleies abhängen zu lassen; und Sie wusten ferner wohl, daß sogar der Schal einer Kanone Krieger in seidnem Panzer zu heftig verwunde, wie dem Schmide jenes Panzers, dem Seidenwurme, Donnerschläge schaden; auch wissen andre wohl, daß die Anzeichen eines nahen Feldzuges den Muth Ihres adelichen Geblüts bis zu einem Fieber hinaufgeschraubt, zu dessen Dauer Ihre Menschlichkeit Ihren Feinden Glük wünschte. Aber ich brauche ja kaum die Ursachen einer Grösse an Ihnen selbst zu suchen, die Ihr Grosvater auf Sie zurükgestrahlt. Das war ein Mann; und ein Liebling des vorigen Fürsten, wie er keinen hatte! Er allein war der Affe, der auf diesem Bären ritte, stat daß seine Nebenbuhler – zu Zeiten Krükken des fürstlichen Stolzes – mit der Ehre zufrieden sein musten, ihrem Besizer wie die Bücher manchem Reichen, nur durch schönen Einband und glänzenden Titel zu nüzen und gleich den geschnizten Engeln, die in manchen Kirchen durch ihre Gegenwart den Altar ausschmükken, sich nur durch Gestalt zu empfehlen und nur als Zierrathen des Throns zu gelten. Freilich war auch sein Gesicht der Spiegel der fürstlichen Meinung, und seine Zunge schlug Ja oder Nein, sobald die Miene seines Gönners auf eines davon hinwies, oder seine Miene wies, sobald es schon geschlagen hatte; freilich machte er seinen Absichten den Lieblingsfehler desselben zinsbar, und band den Herrn eines Thrones wie einen Schoshund an das Bette einer Hure an; freilich schminkte er das allgemeine Elend mit einer gekauften Fröhlichkeit, und befriedigte die Menschlichkeit des Fürsten mit glänzenden Freudenfesten. Aber dafür war ein Thron sein Sessel und sein Körper in Verdienste gekleidet, die man beim Schlafengehen an den Nagel hängt, und in Tugenden, mit denen ihn das geschmeichelte Laster belohnte. Dafür war er Vater des Vaterlands. Denn dieses küsset seine Gebeine für die jezigen Folgen seiner vorigen Huld. Damals da galt die politische Tanzkunst, nach der sich Zunge und Rükken bewegten, Hofthiere wurden nach der Aussenseite, wie unesbare Raubthiere nach dem Pelze, geschäzt und adeliches Blut adelte ein schwarzes Herz mehr, als die Tugend den, der keine andre als seine eigene aufweisen konte. – Da mästeten sich mit Gold bedekte Wänste vom Hunger der Menge und geraubte Hütten waren die Quadersteine der Palläste – da wurden die Ämter zu Preisen ausgesezt, die nicht der Flug des Musenpferds, sondern das Schleichen seines langöhrichten Antipoden gewan, der Mangel der Verdienste prahlte mit den schönen Zeichen derselben, doch nicht blos fügten sich lange Hände zu langen Ohren und nicht blos gab die Stimme eines Esels jedem, wie die Stimme eines Pferds dem Darius, die gewünschte Würde, sondern die Dumheit muste ihren Werth, wie Griechen die Hörner der für den Altar bestimten Ochsen, auch vergolden, muste die Geneigtheit mächtiger Hände auch um das Lekken mächtiger Füsse kaufen. – Da lähmte übrigens Gold die freimüthige Zunge mit bleierner Schwere und der Patriot verlernte, wie die Vögel, die nur in der freien Luft singen, im goldenen Käfige seine Vorzüge und der Lorberkranz war der Blumenkranz, der dem Opfer des Neides zum schönen Zeichen seines Unterganges diente. – Da flüchtete man vor dem Donner des Gesezes hinter eine wohlthätige Betgenoßin, wie man mit ausgehängten Federbetten Kanonen trozt, oder Gold versöhnte den Grossen mit der Ungerechtigkeit des Unterbedienten und der Paktolus that die Dienste des Lethe – Da forderte der billige Obere für die Beschüzung der Güter der Unterthanen nichts als die Güter der Unterthanen und sogar der Räuber wurde zum Raube der Gerechtigkeit. – Da endlich warfen die nüzlichen Leute, die weniger von eigner als fremder Dumheit leben und, wie Geier und Raben, die Augen ihrer Klienten zum Vorschmak der übrigen Mahlzeit aushakken, römischen Aktenstaub denen ins Gesicht, deren Taschen sie mit den dürren Händen der Geseze ausleren wolten, 1) und verbreiteten durch Verschwendung ihrer Dinte, wie der Dintenfisch durch Auslassung einer schwarzen Feuchtigkeit, eine Dunkelheit um sich, in welcher sie ihren Raub berükten oder ihren Räubern entgiengen. – – Aber vergeben Sie mir eine Ausschweifung, mit der Ihren Ruhm zu vermehren ich irrig glaubte. Denn wer errieth' ihn nicht schon aus Ihrem Federbusche, den ausser wenigen Thieren und Menschen, niemand weiter tragen darf? Für diesen auch glaub' ich Ihr hochadeliches Haupt geschaffen, da es so wenig zum Denken, als Ihr Degen zum Verwunden gemacht sein kan, ungeachtet nur Ihr Blut und nicht Ihr Gehirn adelich ist. Welche Grösse, die Sie nicht einmal kanten, die Ihren Stolz übertrift. Die Reliquien von berühmten Blut tragen dürfen! o damit verträgt sich kaum die Demuth des Priesters, und gewis der Esel, der Reliquien eines Heiligen trägt, würde durch seinen Stolz ihre Bescheidenheit verscheuchen, wäre er nur mit einer vornehmern Dumheit als seiner eignen ausgestattet. Darum würdigen Sie ja den neuen Adel kaum Ihres Speichels. Denn welcher Unterschied zwischen dem Ihrigen und diesem! Ein neuer Edelmann erwirbt sich erst die Vorzüge, die Ihnen, wie manchem die Zähne, schon angeboren; er prangt mit eigenen Früchten, da Sie hingegen auf die trozen können, die an Ihrem Stambaum hängen; er beglänzt mit seinem Ruhme nur seine Vorfahren, wie die untergehende Sonne den Ort ihres Aufgangs mit dem zweiten Rothe verschönert, da Sie hingegen den Ruhm Ihrer Vorfahren, wie die Mistpfüze das Bild der Sonne, wiederstrahlen. Kurz die ausnehmende Tapferkeit Ihrer Ahnen berechtigt Sie, jeden zu verachten, der nur an Tapferkeit Ihren Ahnen und nicht an Ahnen Ihnen gleicht. – Ich schliesse mit dem Wunsche, daß Ew. Hochwohlgeb. Gnaden Ihren westphälischen Schinken noch lange sowohl zum Besten Ihrer Unterthanen als auch Ihrer Familie schmausen, mit christlichem Trunke noch lange das Beispiel Ihrer Nebenchristen sein, und mit Ihrer Tapferkeit, die in Ihrer Rüstkammer aufgehängt rostet, noch lange den Ruhm Ihrer Nachkommen fester gründen mögen, bis Ihnen endlich ein ruhiges Alter die unruhige Jugend vergütet. Ich würde Ew. Hochwohlgeb. noch mehr wünschen, wenn ich durch Ihre Gnade zur Verwaltung des Orts beruffen wäre, von welchem Sie am neuen Jahrstage eine bessere Weide für Ihre Ohren, zu erwarten berechtigt sind. Bis ich aber da stehe, verharre ich einstweilen etc.

 

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1) Ein Rechtsgelehrter verdient sich sein Brod mit seinen und den gesezlichen Händen. Hiebei fält mir der Beutelschneider ein, der während seine wächserne Hände beteten, mit seinen natürlichen unter dem Mantel Beutel einerntete.