BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Adolf von Düring

1880

 

Die Canterbury-Erzählungen

 

Fragment VIII

 

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Prolog des Dienstmannes vom Kanonikus

Vers 554 - 719

 

Fünf Meilen waren wir geritten eben,

Als bei dem Schluß von St. Cäciliens Leben

Ein Reitersmann bei Boughton an der Heide

Uns überholte. – Unter einem Kleide

Von schwarzem Tuch trug er aus weißem Stoff

Ein Chorhemd. Zum Erstaunen aber troff

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Der Schweiß von seiner apfelgrauen Mähre,

Als ob drei Meilen gloppirt er wäre.

Und auch der Klepper, den sein Diener ritt,

War voller Schweiß und konnte kaum mehr mit.

Hoch war die Brust mit weißem Schaum bedeckt;

Gleich einer Elster schien der Gaul gefleckt.

Ein Sack hing überm Widerriß ihm quer,

Sonst führt' er scheinbar an Gepäck nichts mehr;

Nur Sommerkleider trug der würd'ge Mann.

Ich fing im Stillen mich zu wundern an,

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Was er wohl wäre, bis ich am Gewand

Die Schaube festgenäht am Kragen fand;

So kam nach langen Grübeln ich zum Schluß:

Der Mann wär' irgend ein Kanonikus.

Tief in den Nacken hing sein Hut herab

An einer Schnur, da statt im Schritt und Trab

Er im Galopp wie toll geritten war.

Mit einem Klettenblatte war sein Haar

Bedeckt, um seinen Kopf nicht zu erhitzen.

Man sah mit wahrer Seelenlust ihn schwitzen;

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Wie nämlich eine Regenrinne tropft,

Wenn Hauslauch oder Weg'rich sie verstopft,

Troff seine Stirn, als er, sich nahend, schrie:

„Gott segne diese lust'ge Kompagnie!

Scharf ritt ich zu“ – sprach er – „um Euretwegen.

Euch einzuholen kommt mir sehr gelegen;

In fröhlicher Gesellschaft reit' ich gern.“

Sein Dienstmann glich an Höflichkeit dem Herrn.

„Ich sah Euch“ – sprach er – „morgens schon bei Zeiten,

Verehrte Herr'n, aus Eurem Gasthof reiten;

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Und meinem Herrn und Meister rieth ich dann:

Schließt Euch der lustigen Gesellschaft an!

Denn Scherz und Kurzweil liebt er selber eben.“

„Freund, segne Gott den Rath, den Du gegeben!“

– Sprach unser Wirth. – „Gewiß, es will mir scheinen,

Dein Herr sei klug und stecke – sollt' ich meinen

Und möchte wetten – voller Scherz dabei.

Kann er vielleicht erzählen ein bis zwei

Geschichten unserm Kreise zum Vergnügen?“

„Wer, Herr? – Mein Meister? – Ja, Herr, ohne Lügen,

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Er steckt von Späßen und von Scherzen voll;

Und, Herr, wenn ich die Wahrheit sagen soll,

Ihr würdet Euch, wenn Ihr ihn so genau

Wie ich erst kenntet, wundern, wie höchst schlau

Er seine Kunst treibt auf verschied'ne Weise,

Und Großes unternimmt, das hier im Kreise

Wohl schwerlich ohne meines Meisters Lehre

Zu leisten Irgendwer im Stande wäre.

Mag noch so schlicht er hier zu Pferde sitzen,

Euch würde seine Freundschaft sicher nützen,

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Ihr würdet Euch derselben nicht entschlagen

Für vieles Geld. Die Wette will ich wagen,

Und, was ich habe, setz' ich gern zum Pfand!

Er ist ein Herr von gründlichem Verstand;

Ich sag' es Euch: ein selten großer Mann.“

„Gut!“ – sprach der Wirth – „indessen sag' uns an,

Ist ein Gelehrter, oder was ist er?“

„Nein!“ – rief der Dienstmann – „er ist wahrlich mehr

Als ein Gelehrter, lieber Wirth! und gern

Erzähl' ich kurz die Künste meines Herrn.

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Mein Meister ist so voll Geschicklichkeit

– Zwar bin ich nicht in Alles eingeweiht,

Obschon ich ihm behülflich bin zu Zeiten –

Daß er den Grund, auf welchem wir hier reiten,

So weit, bis wir in Canterbury sind,

Nicht um und um nur kehren, nein, geschwind

Sogar mit Gold und Silber pflastern kann.“

Als er so weit gekommen war, begann

Zu ihm der Wirth: „Ei, benedicite!

Dann nimmt mich Wunder, wie ich frei gesteh',

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Daß Euer Herr, der solcher Weisheit voll,

Daß ihn die Welt darob verehren soll,

So wenig Werth auf seine Würde legt,

Und solchen fadenschein'gen Mantel trägt.

Bei meinem Heil! Wollt Ihr die Wahrheit wissen?

Er ist beschmutzt, ganz werthlos und zerrissen.

Wie ist Dein Herr so schmierig nur? sag' an,

Der bess're Kleider sich doch kaufen kann,

Wenn seine Lage Deinem Wort entspricht.

Ich bitte Dich, gieb mir davon Bericht.“

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„Wie?“ – rief der Dienstmann – „stellt Ihr diese Frage?

Bei meinem Heil! nie kommt er in die Lage!

Doch soll ich sein Geheimniß Euch entfalten,

Muß ich Euch bitten, reinen Mund zu halten.

Der Grund ist, glaub' ich: er weiß allzuviel.

Durch Uebertreibung kommt man nicht ans Ziel.

Sie schadet nur, wie die Gelehrten sagen,

Und daher scheint mir thöricht sein Betragen.

Denn, ist ein Mann gar zu gewitzt und klug,

Mißbraucht er seine Gaben oft genug.

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So thut mein Herr – und das betrübt mich sehr.

Es bess're Gott! Ich sage jetzt nichts mehr.“

„Nun, das laß ruh'n!“ – hub unser Gastwirth an –

„Was thut Dein Herr? Erzähle, lieber Mann.

Du kennst ja seine Künste ganz genau,

Du sagtest uns, er sei verschmitzt und schlau.

Nun, wenn Du darfst, so sprich: wo seid Ihr her?“

„Aus einem Vorort einer Stadt“, – sprach er –

„Woselbst in engen, finstern Gassenecken

Sich Räuber, Diebe dieser Art verstecken

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Und im Geheimen ihre Wohnung nehmen,

Weil sie sich öffentlich zu zeigen schämen.

So geht es uns, soll ich die Wahrheit sagen.“

„Nun“ – sprach der Wirth – „laß mich Dich weiter fragen:

Weßwegen bist so schwarz Du im Gesicht?“

„St. Peter!“ – rief er – „bei des Herrn Gericht!

Wer so, wie ich, ins Feuer blasen muß,

Bekommt – so denk' ich – sein Gesicht voll Ruß!

Im Spiegel zu beseh'n, pfleg' ich mich nie,

Multipliciren lern' ich voller Müh';

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Doch wie wir grübeln und das Feuer schüren,

Das, was wir wünschen, ist nicht auszuführen.

Zum Schluß ist immer dies und das vergessen.

Verschied'ne Leute täuschen wir indessen.

Wir borgen Gold, bald ein Pfund oder zwei,

Bald zehn, bald zwölf, was auch die Summe sei,

Und schwatzen ihnen vor, wir wüßten Wege,

Wie man aus einem Pfunde zweie präge.

Zwar ist es falsch, doch bleibt in uns beständig

Der Vorsatz und die Hoffnung d'rauf lebendig.

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Fern aber vor uns liegt die Wissenschaft;

Ob fest entschlossen, fehlt uns doch die Kraft,

Es auszuführen; es entschlüpft den Händen

Stets rasch und läßt am Bettelstab uns enden.“

Es war, bevor der Dienstmann so weit kam,

Sein Herr ihm längst zur Seite, und vernahm,

Was er erzählte. Denn, wenn Jemand sprach,

War auf der Stelle auch sein Argwohn wach.

Wer – wie uns Cato sagt – sich schuldig fühlt,

Denkt gleich, daß jede Rede auf ihn zielt.

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Damit ihm nicht ein einz'ges Wort entgehe,

Ritt er heran und hielt sich in der Nähe

Des Dieners auf, und sagte: „Halt' sofort

Den Mund, und rede fernerhin kein Wort!

Und wenn Du's thust, so soll's Dir schlimm ergeh'n!

Du wagtest, vor den Leuten mich zu schmäh'n,

Und mein Geheimniß ihnen zu entdecken!“

„Sprich weiter!“ – rief der Wirth – „laß Dich nicht schrecken!

Denn all sein Droh'n ist keinen Heller werth!“

„Bei meiner Treu!“ – sprach jener – „dieses schert

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Mich wenig nur!“ – Doch der Kanonikus,

Der sich von seinem Diener mit Verdruß

Verrathen sah, floh voller Scham von hinnen.

„Jetzt“ – sprach der Dienstmann – „soll der Spaß beginnen!

Gleich will ich Alles, was ich weiß, erzählen!

Jetzt ist er fort! – Mög' ihn der Teufel quälen,

Nie will ich ihn – die Wahrheit zu gesteh'n –

Für Pfund und Pfennig ferner wiederseh'n.

Durch ihn ließ ich mich zu dem Spiel berücken;

Bevor er stirbt, soll Leid und Scham ihn drücken!

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Ich bin im Ernst. – Ihr mögt mir Glauben schenken;

Ich fühl es tief, was auch die Leute denken.

Und dennoch konnt' ich selbst trotz aller Schmach,

Trotz Arbeit, Sorgen, Schmerz und Ungemach

Mich dieser Sache nimmermehr entzieh'n!

Nun, wollte Gott, mir sei der Witz verlieh'n,

Euch diese Kunst vollständig klar zu machen.

Zum Theil indeß erzähl' ich Euch die Sachen.

Mein Herr ist fort, drum werd' ich ihn nicht sparen,

Und was ich weiß, das will ich offenbaren!“