BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Adolf von Düring

1880

 

Die Canterbury-Erzählungen

 

Fragment VIII

 

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Erzählung des Dienstmannes vom Kanonikus.

Vers 720 - 1481

 

 

720

Seit sieben Jahren dien' ich diesem Herrn,

Und bleibe doch der Kunst beständig fern.

Ich büßte, was ich hatte, durch ihn ein,

Und – weiß es Gott – so ging es allgemein.

Vor Zeiten trug ich schöne, frische Kleider

Und andern Schmuck; jetzt aber trag' ich leider

Auf meinem Kopf nur einen Strumpf als Hut.

Einst hatt' ich frische Wangen voller Blut;

Jetzt sind sie welk und bleich und fahl wie Blei;

Denn, wie man's treibt, so fährt man auch dabei.

730

Von vieler Arbeit trieft mein Auge schon.

Den Vortheil – seht! – bringt Multiplication!

Die schlüpferige Wissenschaft entriß

Mir, was ich hatte. Voller Kümmerniß

Muß ich in Armuth meine Wege zieh'n.

Ich schulde mehr an Geld, das mir gelieh'n,

Als – meiner Treu – ich je bezahlen kann.

Nehmt Euch für immer eine Warnung d'ran!

Wer einmal sich befaßt mit diesen Dingen,

Wird, wenn er fortfährt, sich um Alles bringen.

740

Gott helfe mir! dabei ist kein Gewinn,

Es macht den Witz und macht die Börse dünn.

Und wenn ein Mensch durch Thorheit oder Wahn

In diesem Spiel hat all sein Gut verthan,

So kitzelt er in Andern das Verlangen,

Ihr Geld zu lassen, gleich wie's ihm ergangen.

Denn Bösewichten macht es stets Behagen,

Wenn Nebenmenschen Leid und Sorgen tragen;

Das sagten mir Gelehrte schon vor Zeiten.

Genug davon! Laßt uns zur Sache schreiten.

750

Wenn unser Teufelswerk zuerst beginnt,

Denkt Jedermann, wie wunderklug wir sind.

Wir reden so gelehrt und so curios.

Ins Feuer blas' ich, bis ich athemlos

Geworden bin. Was soll ich Euch erzählen,

Wie zum Gemisch die Proportion wir wählen?

Ob wir fünf Unzen Silber oder auch

Sechs oder mehr bedürfen zum Gebrauch?

Soll ich die Namen aller Elemente,

Wie Knochen, Eisenspähne, Opermente,

760

Die zu dem feinsten Pulver wir zerreiben,

Und dann in irdne Töpfe thun, beschreiben?

Was wir an Salz und Pfeffer zu den eben

Von mir erwähnten Pulvern etwa geben?

Wie wir sie durch krystall'ne Glocken schützen,

Und was wir sonst zu unserm Werk benützen?

Wie wir verlöthen Gläser und Geräth,

Damit durch Luftzug kein Atom entgeht?

Was soll ich Euch von all den Feuern sagen,

Den schwachen und den starken; von den Plagen

770

Und allen Sorgen beim Amalgamiren,

Beim Calciniren und beim Sublimiren

Von dem Quecksilber oder Merkurial?

Denn es mißräth am Ende jedesmal.

Und nehmen von Quecksilbersublimat,

Von Bleiglanz, Porphyr, Operment und Spath

Auch diese Zahl und jene wir von Unzen,

Was hilft's? – Wir werden unser Werk verhunzen.

Wie hoch empor der Spiritus auch steigt,

Was sich als Bodenniederschlag auch zeigt,

780

Wir ernten nie die Früchte unsres Strebens,

Und alle Müh' und Arbeit bleibt vergebens.

Auf zwanzig Teufelswegen geht zuletzt

Verloren doch, was wir daran gesetzt.

Wir pflegen auch von manchen andern Sachen

In unserm Handwerk noch Gebrauch zu machen,

Die nach der Ordnung ich nicht nennen kann;

Denn ich bin nur ein ungelehrter Mann.

Doch zählen will ich's, wie mir in den Sinn

Es eben kommt, Euch ohne Ordnung hin:

790

Borax und Grünspan, Ammoniak, Gefäße

Von Glas und Thon und mancherlei Gemäße,

Und unsre Urinalen und Phiolen,

Alembiks, Cucurbiten, Crucibolen,

Sublimatorien, Descensionsretorten,

Und andre, keinen Heller werthe Sorten.

Indeß, was nützt es, die Substanzen alle,

Wie Röthewasser, Schwefel, Bolusgalle,

Arsenik und sal armoniac zu kennen?

Auch manche Kräuter weiß ich noch zu nennen,

800

Wie Mondwurz, Ackermennig, Baldrian;

Und mehr als ich in Kürze sagen kann.

Auch unsre Lampen, welche Tag und Nacht

Hell brennen, damit unser Werk vollbracht;.

Und unsern Flammenherd zum Calciniren,

Und unsre Wasser zum Albisiciren,

Kalk, ungeschwemmte Kreide, Albumin,

Thon, Pulver, Asche, Dünger und Urin,

Salpeter, Vitriol und Trockenseiher,

Von Holz und Kohlen die verschied'nen Feuer,

810

Weinstein, Alkalien und Salzpräparate,

Brennmaterialien und Coagulate,

Lehm mit dem Haar von Menschen und von Pferden,

Tantar, Alaun, Oel, Hefe, Glas und Erden,

Und Rosalgar und Mittel, die verschwinden

Materien machen, oder sie verbinden;

Und unser Silber, das wir citriniren,

Und unser Cementiren, Fermentiren,

Und unsre Formen, Barren und was mehr

Dazu gehört. – Auch zähl' ich ferner her

820

Die sieben Körper Euch und die vier Geister,

Wie mir sie oft hat vorgenannt mein Meister.

Quecksilber nennen wir den ersten Geist,

Den zweiten Operment; den dritten heißt

Man Ammoniak und Schwefel kommt zuletzt.

Und auch die sieben Körper nenn' ich jetzt:

Sol ist das Gold, die Luna Silber nur,

Das Eisen Mars, Quecksilber ist Merkur,

Der Jupiter ist Zinn, Saturnus Blei,

Die Venus Kupfer. – Stehe Gott mir bei!

830

Wer immer der verfluchten Kunst verfällt,

Hat zur Genüge niemals Gut und Geld;

Denn Alles, was er darauf angewendet,

Ist zweifellos verloren und verschwendet.

Doch, wer so thöricht ist und will verlieren,

Erlerne schleunigst das Multipliciren.

Wer seinen Koffer voll hat, komm' heran,

Zum Philosophen reift bald Jedermann.

Seht her! wie leicht ist dies zu unternehmen!

Nein, nein! – weiß Gott! – nicht Mönch noch Priester kämen,

840

Nicht Bettelbruder noch Kanonikus,

Noch and're Leute je damit zum Schluß,

Selbst wenn sie Tag und Nacht studirten. Nie

Erlernen diese Teufelskünste sie;

Noch weniger ein unstudirter Mann.

Pfui! sprich nicht drüber! es geht niemals an!

Ob Jemand in der Wissenschaft zu Haus,

Ob darin fremd ist, kommt auf eins heraus;

Denn Beide bringen es – auf Seligkeit! –

In dieser Multiplication gleich weit.

850

Dabei wird Hab' und Gut verspeculirt,

Das heißt: zum Schluß sind Beide ruinirt.

Vergessen hab' ich und darum erwähne

Ich hinterher: die Eisenhobelspähne,

Die Oele, Scheidewasser, und desgleichen

Die Körper zum Erhärten und Erweichen,

Die Spülungsmittel und die Schmelzmetalle.

Doch würde, davon aufzuzählen alle,

Den Umfang jeder Bibel übersteigen;

Und daher wird es besser sein, zu schweigen.

860

Genug – so denk' ich – sprach ich von den Sachen,

Den grimmsten Teufel dadurch wild zu machen.

Nein, damit abgethan! – Das Elixir,

Den Stein der Philosophen suchen wir;

Denn sein Besitz bringt Ruh' und Sicherheit.

Jedoch – bei Gott im Himmel! einen Eid

Will ich d'rauf schwören – alle Kunst und Müh'

Bleibt stets vergebens. – Zu uns kommt er nie.

Er hat uns schon um vieles Gut gebracht,

Und hätte längst vor Gram uns toll gemacht,

870

Beschliche nicht die Hoffnung stets das Herz,

Wir würden ihn trotz allem bitt'ren Schmerz

Noch später finden und mit Augen schau'n;

Und zäh' und fest bleibt Hoffnung und Vertrau'n.

Seid vorgewarnt: Ihr sucht darnach für immer!

Die Menschen hat der Zukunftshoffnungsschimmer

Von dieser Kunst stets um ihr Gut betrogen;

Und doch wird Jeder wieder angezogen.

Es scheint für ihn so bittersüß zu sein;

Er würde selbst, wenn er ein Hemd allein,

880

Sich zu bedecken Nachts in seinem Bette,

Und für den Tag nur einen Mantel hätte,

Sie doch verkaufen; bis er dann zuletzt

Der Kunst zu Liebe Alles d'ran gesetzt.

An diesen Leuten nimmt man immerdar,

Wohin sie geh'n, Gestank von Schwefel wahr.

Sie stinken ringsumher wie eine Gais;

Ihr Dunst ist stets so böckisch und so heiß;

Man riecht im Voraus eine Meile lang

Von ihnen – glaubt mir – schon den Pestgestank.

890

Seht! da sie stinken und sich schäbig kleiden,

Kann man sehr leicht die Leute unterscheiden.

Doch woll't Ihr im Geheimen sie befragen,

Weßhalb sie sich so fadenscheinig tragen,

So raunen sie Euch allsogleich ins Ohr:

Man überwache sie, man habe vor

Sie zu erschlagen ihres Wissens wegen.

Seht! wie die Einfalt sie zu täuschen pflegen!

Genug davon! Zurück zur Sache jetzt!

Bevor den Topf man auf das Feuer setzt,

900

Thut man Metalle je nach Maß hinein.

– Die Mischung macht mein Herr für sich allein. –

Jetzt ist er fort. – D'rum sprech' ich unverblümt.

Wie man sein Kunstgeschick auch immer rühmt,

Wie sehr mir selbst sein hoher Ruf bekannt,

So hat er sich doch manchesmal verrannt.

Und wißt Ihr, wie? – Nun, es geschah von je,

Daß ein Gefäß zerbricht – und dann Ade

Geht Alles; denn die Kraft von dem Metall

Ist fürchterlich. Ihr widersteht kein Wall,

910

Mag er erbaut auch sein aus Kalk und Stein.

Sie sprengt die Mauern, bricht sie, stürzt sie ein.

Oft fließt auch das Metall uns in den Grund

– Dadurch verloren wir schon manches Pfund –

Oft fliegt es, weithin rollend, durchs Gemach

Und – ungelogen – oftmals bis ans Dach.

Und glaubt mir – zeigt sich auch der Teufel nicht,

Bei uns ist doch der schlaue Bösewicht.

Und in der Hölle, wo er Herrscher ist

Giebt es kaum mehr an Sorge, Neid und Zwist.

920

War uns ein Topf zerbrochen – wie gesagt –

So schimpfte man, und Jeder ward verklagt.

Der eine sprach: „Geschürt ward nicht die Gluth!“

Der rief: „O, nein! geblasen ward nicht gut!“

– Und das war leider mein Officium –

„Stroh!“ – rief der Dritte – „Ihr seid roh und dumm!

Nur an der Mischung lag es sicherlich!“

„Nein!“ – schrie der Vierte – „Still, und hört auf mich!

Man heizte nicht mit Buchenscheiten ein.

– Bei meinem Heil – das war der Grund allein!“

930

Ich kann nicht sagen, was die Ursach' war,

Doch, daß es großen Streit gab, weiß ich klar.

„Was?“ – rief mein Herr – „dabei ist nichts zu thun!

Doch hüten werd' ich vor Gefahr mich nun.

Eins ist gewiß: zerbrochen ist der Topf,

Wie's immer kann. Behaltet hoch den Kopf!

Und reinigt, wie dies Brauch ist, rasch die Flur!

Frisch, Muth gefaßt! seid froh und munter nur!“

Auf einen Haufen ward der Schutt gefegt,

Und auf die Flur ein Segeltuch gelegt;

940

Man warf den Kehricht in ein Sieb, und dann

Fing man zu schütteln und zu suchen an.

„Pardi!“ – rief einer – „vom Metall zurück

Blieb zwar nicht Alles, doch noch manches Stück.

Diesmal mißrieth es, aber Ihr sollt seh'n,

Zum zweiten Male wird es besser geh'n.“

Wir mußten unser Gut von Neuem wagen.

Im höchsten Wohlstand könnte dies ertragen

Fürwahr kein Handelsmann, bei meiner Ehre!

Zwar oft ertrinkt auch ihm sein Gut im Meere,

950

Doch meistens kommt es sicher an das Land.

„Still!“ – rief mein Herr – „ich bring' es noch zu Stand!

Doch ganz verschieden wird es angefaßt

Das nächste Mal, wenn Ihr mich machen laßt.

Nur ein Versehen war es, wie ich weiß.“

Ein And'rer sprach: „Das Feuer war zu heiß!“

Doch ob es heiß, ob kalt ist, zum Beschluß

Mißräth es stets, wie ich bekennen muß.

Erreicht wird nie, was wir bestreben wollen.

Wir rasen nur beständig, wie die Tollen.

960

Doch sind wir alle bei einander, so

Scheint Jedermann ein zweiter Salamo.

Nicht alle Dinge, die wie Gold ausschau'n,

Sind darum Gold. – Man kann dem Spruche trau'n:

Nicht jeder Apfel, welcher lieblich scheint,

Ist darum gut, was man auch sagt und meint.

So geht es auch mit uns. – Bei Jesu Christ!

Wer als der Klügste bei uns gilt, der ist

Der größte Thor, sobald man ihn erprobt,

Und oft zum Dieb wird, wen als treu man lobt.

970

Das sollt Ihr, eh' sich unsre Wege trennen,

Am Schlusse der Geschichte noch erkennen.

Einst schloß sich ein Kanonikus uns an;

Verpesten würde jede Stadt der Mann,

Ob groß wie Alexandrien sie sei,

Rom, Troja, Ninive und andre drei.

Von seinen Schlichen, seiner Falschheit brächte

Kein Mensch ein Buch zu Ende, wie ich dächte,

Und sollt' er tausend Jahre selbst erreichen.

Denn auf der Erde sah man Seinesgleichen

980

An Falschheit nicht. Er wußte sich zu winden

Und höchst geschickt die Worte zu verbinden

Und im Gespräch mit Leuten so zu reden,

Daß es im Kopfe toll ward einem Jeden,

Der nicht ein Teufel gleich ihm selber war.

Und so betrog er Viele Jahr für Jahr

Und wird es thun die ganze Lebenszeit.

Und dennoch geh'n und reiten meilenweit

Ihm Leute nach, die seiner Freundschaft trau'n,

Weil sie sein falsches Wesen nicht durchschau'n.

990

Doch, wollt Ihr gütigst mir Gehör gewähren,

So will ich Euch den Sachverhalt erklären.

Ihr aber, würd'ge Stiftsherr'n müßt nicht denken,

Daß ich, um Euch und Euer Stift zu kränken,

Von einem Herrn Kanonikus berichte.

In jedem Stande giebt es Bösewichte;

Indessen Gott verhüte, daß auf Alle

Sofort die Thorheit eines Mitglieds falle.

Euch zu beschimpfen liegt mir wahrlich fern;

Nur bessern, wo gefehlt ist, möcht' ich gern.

1000

Denn auch für Andre, nicht für Euch allein

Gilt die Geschichte. – Man weiß allgemein,

Daß unter zwölf Aposteln in der Schaar

Des Herrn nur Judas ein Verräther war.

Wie kann deßwegen tadeln man den Rest,

Der schuldlos blieb? Und ganz dasselbe läßt

Von Euch sich sagen. – Aber hört, ich bitte:

Habt einen Judas Ihr in Eurer Mitte,

So rath' ich Euch, entfernt ihn schon bei Zeiten,

Sonst wird er Scham Euch und Verlust bereiten.

1010

Doch seid ersucht, nehmt keinen Anstoß d'ran

Und, was ich Euch erzählen will, hört an.

In London wohnte manches liebe Jahr

Ein Priester und Capitels-Annualar,

Der sich so höflich einer Frau erwies,

In derem Hausstand er sich speisen ließ,

Daß sie ihn niemals um Bezahlung frug

Für Tisch und Zeug, so schön er sich auch trug.

Mit Silbergeld war er vollauf verseh'n;

Doch, das laßt ruh'n; ich will nun weiter geh'n

1020

Und Euch erzählen, wie's der Stiftsherr machte

Daß er den Pfaffen ins Verderben brachte.

Ins Zimmer, wo der Priester hauste, trat

Der falsche Stiftsherr eines Tags und bat,

Daß er ein Darlehn ihm gewähren wolle,

Das er sofort zurück empfangen solle.

„Leih' eine Mark nur auf drei Tage mir,

Mein Wort zum Pfand, ich zahle pünktlich Dir

Die Summe heim; sonst hänge nach Verlauf

Von den drei Tagen mich am nächsten auf.“

1030

Der Priester gab ihm eine Mark sofort.

Und Abschied nahm nach manchem Dankeswort

Der Herr Kanonikus und zog von dannen.

Und eh' zu Ende noch drei Tage rannen,

Trug er das Geld dem Priester wieder hin,

Und diesem war ganz wunderfroh zu Sinn.

„Gewiß“ – sprach er – „es soll mich nicht verdrießen

Ein, zwei, drei Nobel Leuten vorzuschießen,

Und was ich habe sonst an Gut und Geld.

Falls Jemand treu an die Bedingung hält

1040

Und löst sein Wort bestimmt und pünktlich ein,

So sag' ich nie zu solchem Herren: Nein!“

„Was?“ – fragte Jener – „sollt' ich ungetreu

Denn etwa handeln? – Nun, das wäre neu!

Von einem Dinge, wie die Treue, weiche

Ich bis zum Tage, daß ins Grab ich schleiche,

Gewiß nicht ab. Verhüt' es Gott und Christ!

Dies ist so wahr, wie nur Dein Credo ist.

Ich danke Gott und darf es füglich sagen,

Noch hatte Keiner über mich zu klagen,

1050

Der mir an Gold und Silber etwas lieh;

Denn Falschheit wohnte mir im Herzen nie.

Herr“ – rief er – „für Dein edeles Betragen

Möcht' ich zum Dank Dir mein Geheimniß sagen.

Du liehst mir Beistand in Verlegenheit,

Und zum Entgelt für Deine Freundlichkeit

Will ich, hegst Du den Wunsch Dich zu belehren,

In jeder Richtung Einsicht Dir gewähren

In meine Künste der Philosophie.

Darum gieb Acht! Eh' ich von dannen zieh',

1060

Soll noch durch mich ein Meisterstück gescheh'n.“

„Ja?“ – frug der Priester – „soll ich's wirklich seh'n?

Wohlan! so bitt' ich d'rum von ganzer Seele!“

„Mein Herr“ – sprach der Kanonikus – „befehle!

Dir treu gehorsam bin ich bis zum Tod!“

– Seht! wie der Dieb ihm seinen Dienst anbot. –

Jedoch es stinkt – wie alte Weise sagen –

Wird uns ein Dienst zu dringend angetragen;

Und daß dies Wahrheit ist, erseht Ihr später

An dem Kanonikus, dem Erzverräther,

1070

Der Teufelspläne stets im Herzen hegte,

Und den's zu freu'n und zu ergötzen pflegte,

Dem Christenvolk in jeder Art zu schaden.

– Vorm falschen Heuchler schütz' uns Gott in Gnaden! –

Der Priester wußte nicht, mit wem er theilte,

Bis ihn das Unglück ungeahnt ereilte.

O, dummer Priester! o, bethörter Mann!

Daß Dich Begehrlichkeit so blenden kann!

Dein Dünkel, ach! ist dumm und blind genug;

Nicht einen Argwohn hegst Du vom Betrug,

1080

Mit dem der Fuchs beginnt Dich zu umspinnen!

Du wirst nicht seinem schlauen Schlich entrinnen!

Jedoch um fortzufahren in der Sache,

Die schließlich Dein Verderben war, so mache,

Unsel'ger Mann, ich Deinen Unverstand

Und Deine Thorheit unverweilt bekannt,

Und auch die Falschheit, insoweit ich solche

Euch schildern kann, von jenem andern Strolche!

Ihr denkt, mein Herr sei der Kanonikus.

Doch – bei der Himmelskönigin – ich muß

1090

– Herr Wirth–bekennen, dies ist nicht der Fall,

Denn hundertfach geschickter überall

Betrog mein Herr beständig einen Jeden.

Doch es verdrießt mich, viel davon zu reden,

Weil in die Wangen mir die Röthe steigt,

Denk' ich daran, wie falsch er sich bezeigt.

Das heißt, es überläuft mich glühend heiß;

Denn nicht erröthen kann ich, wie ich weiß,

Da die verschied'nen Dünste der Metalle,

Wie solche von mir aufgezählt sind alle,

1100

Mich längst um meine Röthe schon gebracht.

Nun komm' ich auf den Schurkenstreich. – Gebt Acht!

„Den Knecht“ – sprach der Kanonikus – „heiß laufen,

Uns auf der Stelle Merkurial zu kaufen.

Zwei bis drei Unzen muß er mit sich bringen.

Kommt er zurück, sollst Du an Wunderdingen

Erblicken, was Du nie zuvor geseh'n.“

„Herr!“ – sprach der Priester – „das soll gleich gescheh'n.“

Er schickte seinen Diener nach den Sachen,

Und dieser rannte – um es kurz zu machen –

1110

Sofort davon, wie dies sein Herr befahl

Und holte rasch drei Unzen Merkurial.

Fein und behutsam legte sie zurecht

Dann der Kanonikus und hieß den Knecht,

Die nöth'gen Kohlen zu dem Werke bringen,

Damit sie gleich an ihre Arbeit gingen.

Der Diener trug die Kohlen rasch heran,

Und aus dem Busen zog der Stiftsherr dann

Ein Schmelzgefäß, hielt es dem Priester hin:

„Dies Instrument, das Du hier siehst, nimm in

1120

Die Hand“ – sprach er – „und eine Unze thu

An Merkurial hinein. – Und dann bist Du

In Christi Namen bald ein Philosoph.

Nur wenig Leute führt' ich durch den Hof

Der Wissenschaft zu dieser Offenbarung!

Du sollst indeß erschauen durch Erfahrung

Wie – ohne Täuschung – ich sofort verdichte

Dies Merkurial vor Deinem Angesichte,

Um feines, gutes Silber d'raus zu schlagen,

Wie Du und ich es in der Börse tragen

1130

Und anderswo. – Ich mach' es hämmerbar;

Sonst schilt mich falsch und jedes Anspruchs bar,

Mich fernerhin zu zeigen vor der Welt!

Dies Pulver hier, das manches schwere Geld

Mich kostet, ist der Urgrund meiner Kraft,

Das – wie du seh'n sollst – alles Gute schafft.

Den Knecht schick' fort und laß ihn draußen bleiben,

Und schließ' die Thür, indessen wir betreiben

Die Heimlichkeit. Es darf uns Niemand seh'n,

Wenn wir ans Werk der Philosophen geh'n.“

1140

Rasch ausgeführt ward alles, was er sagte,

Auch in der That. – Gleich aus der Thüre jagte

Der Meister seinen Knecht, verschloß sie dann,

Und ohne Zögern fing die Arbeit an.

Der Priester stellte, wie ihm jener hieß,

Die Sachen auf das Feuer, und er blies

Die Flammen an in dienstbefliss'ner Eile.

Und der Kanonikus warf mittlerweile

Ein Pulver in den Tiegel, das aus Glas

Und Kalk gemacht war und, wer weiß, aus was?

1150

Das reine Blendwerk war es, in der That

Nicht eine Fliege werth. Und darauf bat

Den Priester er, mit Kohlen schichtenweise

Den Tiegel zu bedecken. – „Zum Beweise

Wie ich Dich liebe“ – sprach er – „sollst Du nun

Mit eignen Händen alle Sachen thun!“

„Grand merci!“ – sprach der Pfaffe herzensfroh,

Und legte dann die Kohlen grade so,

Wie solches der Kanonikus befohlen.

Doch dieser Schelm – mag ihn der Teufel holen! –

1160

Zog aus dem Busen eine Kohle noch;

Und in ein schlau darin gebohrtes Loch

War eine Unze Silberstaub gestopft,

Und dann mit Wachs so künstlich zugepfropft,

Daß von der Masse nichts daraus entwich.

Jedoch versteht mich: dieser schlaue Schlich

Ward nicht erst jetzt gemacht, nein, schon vorher,

Und späterhin erzähl' ich Euch noch mehr

Von andern Sachen, die er mit sich brachte,

Indem er längst ihn zu betrügen dachte.

1170

Und dies geschah. – Er gab sich nicht zufrieden,

Bis er gerupft den Priester, eh' sie schieden.

Jedoch mich langweilt über ihn zu sprechen

Gern möcht ich mich an seiner Falschheit rächen,

Wüßt ich nur wie? – Jedoch, bald hier, bald dort

Streift er umher; er bleibt an keinem Ort.

Doch nun gebt Acht, ihr Herr'n um Gottes willen!

Er nahm die Kohle – wie gesagt – im Stillen

In seine Hand. Dort hielt er sie verstohlen,

Und währenddem der Priester in die Kohlen

1180

Geschäftig blies – wie ich zuvor erzählt –

Sprach der Kanonikus: „Mein Freund, gefehlt!

So, wie sie sollten, liegen nicht die Schichten;

Doch rasch weiß ich es besser einzurichten,

Wenn ich auch Manches daran ändern muß.

Du dauerst mich bei Sanct Aegidius!

Du schwitzest – seh' ich – und Du bist so heiß;

Nimm hier ein Tuch und trockne Deinen Schweiß!“

So wischte dann der Priester sein Gesicht,

Und der Kanonikus versäumte nicht

1190

Die günstige Gelegenheit und warf

Die Kohle auf den Tiegel und blies scharf

Zu hellen Flammen rasch das Feuer an.

„Gieb uns nunmehr zu trinken!“ – sprach er dann –

„Es wird gerathen. Dafür steh' ich ein.

Nur Platz genommen; laßt uns fröhlich sein!“

Sobald die Kohle glühend war, entfloß

Das Silber aus der Höhlung und ergoß

Sich in den Tiegel, wo es niederschlug,

Wie selbstverständlich ist und klar genug,

1200

Da obendrauf er ja die Kohle legte.

Doch keinen Argwohn unser Priester hegte,

Ach! er verstand, da alle Kohlen sich

An Güte glichen, Nichts von diesem Schlich.

Zur rechten Zeit begann der Alchymist:

„Steh' auf und hilf mir! denn vorhanden ist

– Soviel ich weiß – hier keine Form zum Guß;

Drum geh' und hole Kreide, denn ich muß

Versuchen, ob ich etwas mir vielleicht

D'raus machen kann, das einer Gußform gleicht.

1210

Auch eine Pfanne, oder sonst ein Becken

Voll Wasser hole! Dann wirst Du entdecken

Und seh'n, wie unsre Sache wächst und treibt;

Und damit Dir kein Argwohn übrig bleibt

Und kein Verdacht, gehst Du von meiner Seite,

So geb' ich Dir persönlich das Geleite,

Und gehe fort und kehre heim mit Dir.“

Und kurz gesagt – sie öffneten die Thür

Und schlossen sie, den Schlüssel aber nahmen

Sie mit sich fort, und ohne Zögern kamen

1220

Sie dann zurück. – Soll bis zum Tagesende

Ich drüber schwatzen? – Nein! in seine Hände

Nahm er die Kreide, und nun theil' ich mit,

Wie aus derselben eine Form er schnitt.

Seht! aus dem Aermel zog er ganz verstohlen

Ein Silberplättchen – mag die Pest ihn holen! –

Das ganz genau nur eine Unze wog.

Nun gebet Acht, wie schlau er ihn betrog!

Die Form zum Guß er bald verfertigt hatte

Genau so lang und breit wie jene Platte,

1230

Die rasch zurück er in den Aermel steckte,

So heimlich, daß der Priester nichts entdeckte;

Nahm die Materie darauf aus der Gluth

Und in die Form goß er sie wohlgemuth,

Und warf sie später in das Wasserbecken

Und hieß die Hand den Priester darin stecken,

Und rief: „Sieh hin! was ist dort? Greife zu!

Darin – so hoff' ich – findest Silber Du!“

Wie sollt' es anders sein – zum Teufel, wie?

Ist Silberstaub denn Silber nicht? Pardi!

1240

Der Priester griff ins Wasser mit der Hand,

Wo er ein Plättchen feinen Silbers fand,

Von Herzen froh, daß alles Wahrheit sei.

„Dir stehe Gott und seine Mutter bei

Und alle Heil'gen! – Herr Kanonikus,

Sollt' ich verdammt sein,“ – rief er – „dennoch muß

Ich lernen die geheimnißvolle Kunst,

Und willst Du mir erweisen diese Gunst,

Steh' ich zu Diensten Dir in allen Sachen!“

„Nun, den Versuch“ – sprach Jener – „will ich machen

1250

Zum zweiten Male. – Aber, aufgepaßt!

Damit Du's lernst. Und wenn Du Neigung hast,

Versuchst Du später in der Wissenschaft

Auch ohne meine Hülfe Deine Kraft.

Nimm ohne viele Worte noch einmal

Hier eine Unze von dem Merkurial,

Und mache dann es in derselben Art,

Wie mit der andern, die zu Silber ward.“

Aufs Höchste strengte sich der Priester an,

Alles zu thun, was der verfluchte Mann

1260

Ihm anbefahl, blies in die Gluth mit Macht,

Stets auf das heißersehnte Ziel bedacht.

Doch spielte der Kanonikus sogleich

Dem Priester wieder einen Gaunerstreich.

Des Ansehns halber nahm in seine Hände

Er einen hohlen Stab, in dessem Ende

Von Silberstaub – hört, und vergeßt es nicht! –

Genau nur eine Unze an Gewicht,

Wie früherhin in jener Kohle, steckte,

Und welchen Wachs zur Sicherheit bedeckte.

1270

Als sich der Priester ans Geschäft begab,

Trat der Kanonikus mit seinem Stab

Zu ihm heran, und warf auch jetzt geschwinde

Sein Pulver zu. – Für seine Falschheit schinde

Der Teufel ihn! Das möge Gott mir schenken!

Falsch war er stets im Handeln und im Denken. –

Dann schürte mit dem Stock, der zum Betrug

Den falschen Einguß in der Höhlung trug,

Er überm Tiegel rasch die Kohlen an,

Bis daß im Feuer alles Wachs zerrann;

1280

Und darauf fiel – das ist wohl Jedem klar,

Der nicht ein Thor ist – was im Stocke war

Auch schleunigst in den Tiegel hinterher.

Nun, gute Herren, was verlangt Ihr mehr?

So war der Priester abermals betrogen,

Nichts Böses ahnend; ihm war – ungelogen –

Weit lustiger und fröhlicher zu Sinn,

Als je zu schildern ich im Stande bin;

Und Gut und Leben bot er oft ihm an.

„Ja, lieber Sohn, obwohl ein armer Mann,

1290

Bin ich geschickt“ – sprach der Kanonikus –

„Verlaß Dich drauf, Du siehst noch mehr zum Schluß.

Ist etwas Kupfer“ – frug er – „hier im Haus?“

„Ja, Herr, ich denke“ – rief der Priester aus. –

„Wo nicht, so mußt Du solches für uns holen;

Geh', lieber Herr, und mach' Dich auf die Sohlen!“

Er ging und kam mit Kupfer schnell zurück,

Und eine Unze wog sofort vom Stück

Der Stiftsherr ab und nahm sie dann zur Hand.

Doch meine Lippen sind nicht so gewandt,

1300

Als Diener meines Witzes zu beschreiben

Sein Doppelspiel und sein verfluchtes Treiben.

Wer ihn nicht kennt, mag ihn für freundlich halten;

Doch teuflisch ist sein Sinnen und sein Walten.

So sehr es mich verdrießt, von ihm zu sprechen,

Will ich mein Schweigen aus dem Grunde brechen,

Damit nach solcher Warnung Jedermann

Vor seiner Falschheit auf der Hut sein kann.

Das Kupfer that und Pulver er zusammen,

Und stellte dann den Tiegel auf die Flammen,

1310

Indessen er den Priester blasen ließ

Und wie zuvor sich tief zu bücken hieß.

Es war ein Kniff. Stets macht' er aus dem Pfaffen,

Sobald es ihm behagte, seinen Affen.

Und später that er in die Form den Guß

Und warf ihn in die Pfanne zum Beschluß;

Und in das Wasser taucht' er seine Hand.

Doch in dem Aermel – wie damit bekannt

Ich Euch schon machte – stak die Silberplatte,

Und ohne daß Verdacht der Priester hatte,

1320

Schob so geschickt sie der verdammte Dieb

In das Gefäß, daß sie am Boden blieb,

Und rührte lang' im Wasser und ergriff

Das Kupferstück so heimlich, daß vom Kniff

Der Priester nichts erfuhr, und darauf sackte

Das Kupfer er behutsam ein und packte

Den Priester scherzend vor die Brust und sprach:

„So bück' Dich doch! Beim Himmel, welche Schmach!

Wie ich Dir half, so hilf doch jetzt auch mir!

Tauch' ein die Hand! Was liegt im Wasser hier?“

1330

Der Priester nahm heraus die Silberstange,

Und Jener sprach: „Was zögern wir noch lange?

Laß uns mit den drei Stangen, die wir machten,

Zum Goldschmied geh'n, ob sie für echt zu achten?

Und, meiner Treu, fahr' hin mein Stiftsgewand,

Wird nicht das Silber fein und gut erkannt!

Die Probe wird es bald zu Tage bringen.“

Zu einem Goldschmied mit den Stangen gingen

Sodann die zwei, das Silber zu erproben

Durch Feuer und durch Hammer. Doch zu loben

1340

War Alles nur als durchaus gut beschaffen.

Wer glich nunmehr an Fröhlichkeit dem Pfaffen?

Es sang kein Vogel in der Morgensonne,

Und keine Nachtigall im Mond der Wonne,

Und keine lust'ge Dame jemals so

Vergnügten Sinns, so heiter und so froh.

Und sprechen wir von Frauendienst und Minne,

Begehrte wohl mit thatenlust'germ Sinne

Kein Rittersmann der Heißgeliebten Gunst,

Als dieser Priester den Besitz der Kunst.

1350

Und zum Kanonikus sprach er: „Beim Herrn,

Der für uns Alle starb! und insofern

Ich es gewiß verdienen will um Dich,

Was soll das Mittel kosten? – Rede, sprich!“

„Bei Unsrer Frau! es wird Dir theuer kommen,

Da, einen Bettelbruder ausgenommen,

Nur ich in England es zu machen weiß.“

„Thut nichts! Um Gotteswillen nenn' den Preis!

Was soll ich zahlen?“ – rief er – „bitte, sage!“

„Nun“ – sprach er – „theuer kommt es ohne Frage.

1360

Mit einem Wort, verlangst Du's zu besitzen,

Gieb vierzig Pfund! Und möge Gott mich schützen,

Wenn zwischen uns nicht solche Freundschaft wäre,

Du müßtest mehr bezahlen noch, auf Ehre.“

Rasch schaffte vierzig Pfund der Priester an

Als Preis für das Recept, und zählte dann

In Nobeln dem Kanonikus sie hin;

Und dieser sprach, stets Lug und Trug im Sinn:

„Herr Priester, da ich mir aus Ruhm nichts mache

In meiner Kunst, vielmehr geheim die Sache

1370

Bewahren will, so halte reinen Mund

Mir zu Gefallen. Wird den Leuten kund

All' meine Weisheit und Geschicklichkeit,

So droht mir auch der Tod durch ihren Neid,

Vor dem – bei Gott! – ich keinen Ausweg sehe.“

„Verhüte Gott, daß, was Du sagst, geschehe!“

– Der Priester sprach. – „Ich müßte sinnlos sein,

Setzt' ich nicht Gut und Habe willig ein,

Um solches Unglück von Dir abzuwehren.“

„Nun, Deinen guten Willen muß ich ehren.“

1380

– Sprach der Kanonikus. – „Lebwohl! Merci!“

Fort ging er und der Priester sah ihn nie

Nach diesem Tage wieder. Doch er fand,

So oft er das Recept noch angewandt,

Es hülfe nichts. Fahr' hin! es ging nicht an!

Begaunert und betrogen war der Mann.

So wußte schlau sich Jener einzuführen,

Um hinterher das Volk zu ruiniren.

Seht, werthe Herr'n, wenn Ihr's betrachten wollt,

Führt jeder Mensch beständig mit dem Gold

1390

So lange Streit, bis es in Nichts zerrinnt.

Multipliciren macht so Manche blind!

Und darin liegt – ich halte dies für Wahrheit –

Bei meiner Treu! der Hauptgrund seiner Rarheit.

Die Philosophen reden so verdreht

Und nebelhaft, daß sie kein Mensch versteht,

Trotz allem Witz der gegenwärt'gen Zeit.

Sie gleichen Elstern an Geschwätzigkeit;

Sie spielen stets mit Worten und mit Zeichen;

Doch werden nimmer ihren Zweck erreichen.

1400

Nur eins lernt Jeder beim Multipliciren:

Sein Gut, wenn's ihm gelüstet, zu verlieren.

Was bringt dies lust'ge Spiel uns für Gewinn?

Verkümmert wird des Mannes froher Sinn,

Die größten, schwersten Börsen macht es leer,

Und Fluch erkauft sich Mancher überher

Von Allen, welche Geld ihm dazu lieh'n.

O, pfui der Schande! können sie nicht flieh'n

Das Feuer, das schon einmal sie verbrannt?

Vom Spiele, rath' ich, zieht zurück die Hand

1410

Eh' Alles hin ist! Besser spät, als nimmer.

Wer's zu nichts bringt, verliert die Zeit auf immer.

Wie sehr Ihr jagt, umsonst bleibt Euer Müh'n!

Gleich einem blinden Gaule seid Ihr kühn,

Der vorwärts stolpert, die Gefahr nicht kennt

Und muthig gegen alle Steine rennt,

Anstatt zu bleiben auf dem rechten Pfade.

Seht, so ergeht's Euch Alchymisten grade.

Und falls nicht Eure Sehorgane taugen,

Seht mindestens mit des Verstandes Augen.

1420

Wie sehr Ihr immer glotzt und starrt und stiert,

Kein Heller wird beim Handel profitirt;

Verloren geht, wonach Ihr hascht und rennt.

Drum dämpft das Feuer, eh' zu rasch es brennt.

Ich meine: laßt Euch auf die Kunst nicht ein,

Soll, was Ihr habt, nicht rein verschwendet sein.

Und ebendeßhalb denk' ich vorzutragen,

Was uns darüber Philosophen sagen.

Ich will, was Arnold von der neuen Stadt

In dem Rosarius geschrieben hat,

1430

Euch ohne Lügen wortgetreu berichten:

Man kann – sagt er – kein Merkurial verdichten,

Sobald der Beistand seines Bruders fehlt.

Hört an, was Hermes uns davon erzählt;

Seht, dieser Philosophenvater spricht:

Es stirbt der Drache zweifelsohne nicht,

Wird nicht sein Bruder mit ihm auch erschlagen.

Der Drache will jedoch nichts Andres sagen,

Als Merkurial; und auch gemeint allein

Kann unterm Bruder nur der Schwefel sein,

1440

Den man der Luna und dem Sol entnimmt.

Und deßhalb – sagt er – warn' ich Euch bestimmt:

Der Kunst versuche Niemand nachzugeh'n,

Hat er, die Philosophen zu versteh'n,

Nicht deren Wort und Sinn erlernt zuvor,

Und wer dies dennoch thun will, ist ein Thor;

Da diese Kunst und Wissenschaft – das wißt –

Die Heimlichkeit der Heimlichkeiten ist.

Von einem Schüler wurde – wie man sagt –

Der Meister Plato eines Tags befragt,

1450

Und wie sein Buch Senioris dies enthält,

Ward ihm die Frage wörtlich so gestellt:

„Wie nennt man den geheimnißvollen Stein?“

Und Plato sprach: „Man nennt ihn insgemein

Den Titanos.“ Der Schüler rief: „Nun, ja,

Doch was ist das?“ „Das ist Magnesia!“

– Sprach Plato. – „Nun, wie ich bekennen muß,

Das heißt: ignotum per ignotius!

Was ist Magnesia, lieber Herr? sagt an!“

„Ein Wasser ist es, das man machen kann

1460

Aus den vier Elementen“ – Plato sprach.

„Woraus besteht“ – so forschte Jener nach –

„Denn dieses Wasser? Könnt Ihr mir's beschreiben?“

„Nein, Nein!“ – sprach Plato – „das laß ich wohl bleiben!

Die Philosophen schwuren einen Eid

Der unverbrüchlichsten Verschwiegenheit;

Davon zu schreiben ist sogar verwehrt.

Denn es ist Gott so theuer und so werth,

Daß Er, anstatt es Allen zu entfalten,

Entscheiden will nach seinem eignen Walten,

1470

Ob Er Erleuchtung unserm Geiste spende,

Ob vorenthalte. – Seht, dies ist das Ende.“

Und daher schließ' ich, weil der Gott der Welt

Den Philosophen nicht hat freigestellt,

Zu sagen, wie man diesen Stein erringe,

So ist's am Besten: man läßt ruh'n die Dinge!

Wer Gottes Willen frech zuwider handelt,

Und so in seinen Gegner ihn verwandelt,

Wird nicht gedeih'n; und wenn er auch zeitlebens

Multiplicirt, die Mühe bleibt vergebens.

1480

Und damit Punktum! Möge Trost in Leiden

Gott jedem frommen Menschenkind bescheiden!