BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Adolf von Düring

1880

 

Die Canterbury-Erzählungen

 

Fragment II

 

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Prolog des Rechtsgelehrten.

Vers 99 - 133

 

O herbes Leid der Armuth! mit den Schmerzen

100

Von Hunger, Durst und Kälte stets verbunden

Betteln zu gehn, beschämt Dich tief im Herzen,

Und thust Du's nicht, wird die verhüllten Wunden

Die Noth entblößen und der Welt bekunden.

Trotz allem Stolz mußt Du Dein Brod mit Sorgen

Erbetteln, stehlen oder Dir erborgen.

Du tadelst Christum und erbittert klagst Du,

Unrecht vertheilt sei alles Gut im Leben.

Sündhaft beneidend Deinen Nachbar, sagst Du:

Ihm sei so viel und Dir sei nichts gegeben.

110

Noch oft – sprichst Du – wird er mit Zähnebeben

Bereuen, wenn ihn Höllenflammen fassen,

Daß er den Dürft'gen in der Noth gelassen.

Von einem Weisen höre die Betrachtung:

Wohl, der zum Tod, Weh', der zur Noth erkoren,

Dein eigner Nachbar straft Dich mit Verachtung,

Dein Ansehn ist, sobald Du arm, verloren!

Dem Spruch des Weisen öffne Deine Ohren:

Betrübt und elend sind der Armuth Tage,

Drum hüte Dich vor solcher scharfen Plage!

120

Den Armen alle seine Brüder hassen,

Und seine Freunde halten sich ihm fern!

O, reiche Kaufherr'n! fröhlich könnt Ihr prassen,

O, kluges Volk! o, hochgelehrte Herr'n!

In Eurem Becher fehlt die Eins; doch gern

Werft Ihr die Sechse, und gewinnt das Ganze,

Und geht an Weihnachtstagen froh zu Tanze.

Nach Land nur sucht und stets strebt nach Gewinn Ihr,

Ihr seid die Väter jeder Neuigkeit,

Regierungen und Fürsten habt im Sinn Ihr,

130

Und sprecht von Frieden und erzählt von Streit.

Ich käme wahrlich in Verlegenheit,

Hätt' ich von einem Kaufmann nicht vor Jahren,

Was ich Euch jetzt erzählen will, erfahren.