Adolf von Düring
1880
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Die Canterbury-Erzählungen
Fragment II
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Erzählung des Rechtsgelehrten.Vers 134 - 1162
In Syrien wohnten einstmals Trafikanten,Die reich, doch treu und ehrlich auch dabei,Weit in das Ausland bunte Seide sandtenNebst Goldbrokat und feiner Spezerei;Und da die Waare trefflich war und neu,Trieb auch mit ihnen aus der Näh' und Ferne | |
140 | So Kauf wie Verkauf Jedermann stets gerne.Und es geschah, daß einst auf ihren ZügenDie Handelsleute sich nach Rom gewandt,Bedacht auf Kundschaft, sowie zum Vergnügen.Sie hatten keine Botschaft hingesandt,Nein, nahmen selber das Geschäft in Hand,Und hatten, als in Rom sie angekommen,Dort nach Gefallen ihr Quartier genommen.So lebten diese Kaufherr'n eine ZeitIn jener Stadt nach Neigung und Gefallen, |
150 | Und hörten von Constantias Herrlichkeit,Der Kaiserstochter, aus dem Mund von AllenFast Tag für Tag das höchste Lob erschallen;Denn Jedermann war voll von ihrem Preise,Und alle sprachen in derselben Weise.Denn rings im Volke pflegte man zu sagen:Es hat der Kaiser, welchen Gott behüte,Ein Töchterlein, wie seit den SchöpfungstagenGewiß nicht eine zweite jemals blühteAn Leibesschönheit und an Herzensgüte. |
160 | Ich wollte, Gott blieb' Schirmer ihrer Ehre,Und daß Europas Königin sie wäre.In ihr ist Schönheit ohne Stolz; und JugendGanz ohne Uebermuth und Ziererei,Denn ihres Wandels Führerin ist TugendUnd Demuth Zähmerin der Tyrannei.Von Höflichkeit ist sie das Konterfei,Ihr edles Herz ist eine heil'ge KammerUnd ihre Hand die Trösterin im Jammer.Getreu wie Gott war, was sie hinterbrachten. |
170 | – Doch laßt zur Sache mich zurück jetzt gehn! –Die Kaufherr'n ließen rasch ihr Schiff befrachten,Nachdem dies edle Wesen sie gesehn,Und heim nach Syrien ihre Segel wehn;Und trieben ihr Geschäft dort wie vorherUnd lebten froh – was braucht's der Worte mehr?Nun standen aber diese Handelsherr'nBei Syriens Sultan hoch in Gunst und Gnaden.Zu Lust und Kurzweil hatt' er oft und gernSie, wenn sie heimgekehrt von ihren Pfaden, |
180 | Freundlich und höflich zu sich eingeladen,Um zu erzählen, was in fremden LandenSie Wunderbares und Besondres fanden.So sprachen unter manchen andern DingenAuch von Constantia diese Kaufherr'n dort,In deren Lob sie rühmend sich ergingen.Der Sultan, eifrig lauschend ihrem Wort,Gewann sie lieb und lieber immerfort,Ihr Bild beständig ihm vor Augen schwebte,An sie nur dacht' er, nur für sie er lebte. |
190 | Vielleicht war es im großen Buch geschrieben,Das man den Himmel nennt, bevor zur WeltEr selbst gekommen, daß durch treues LiebenDes Todes Loos ihm in der Zukunft fällt.Denn spiegelklar ist an dem SternenzeltVorausgesagt für den, der lesen kann es,– Bei Gott! – das Schicksal eines jeden Mannes.In Sternenschrift war, ehe sie gewesen,Von Julius und Pompejus demgemäß,Von Hector und Achill der Tod zu lesen, |
200 | Von Simson, Turnus und von Sokrates,Von Thebens Helden und von Herkules.Doch Menschenwitz entbehrt zu sehr der Schlauheit,Und Niemand liest sein Schicksal mit Genauheit.Der Sultan seinen Rath zusammenriefUnd – daß ich's Euch mit kurzen Worten sage –Er machte kund, daß so unendlich tiefEr Lustverlangen nach Constantia trage,Daß ihr Besitz nur, oder Tod die Frage;Gemessene Befehle gab er Allen, |
210 | Rasch auf ein Rettungsmittel zu verfallen.Verschiedne riethen zu verschiednen Dingen,Die Argumente flogen hin und her;Man wußte scharfe Gründe vorzubringen,Der rieth zur List, und zur Magie rieth der.Doch kam man schließlich überein, daß er,Dieweil ein jedes andre Mittel fehle,Am besten thäte, wenn er sich vermähle.Doch sahen sie auch hierin Schwierigkeiten,Und aus verschiednen Rechtsbedenken zwar; |
220 | Denn zwischen beiden gäb's VerschiedenheitenIn ihrem Glauben, machten sie ihm klar.Ein Christenfürst gestatte nicht, fürwahr,Es seinem Kinde, im Gesetz zu leben,Das Mohamed, unser Prophet, gegeben.Er sprach: Eh' ich Constantia verliere,So tret' ich selber in der Christen Bund.Ich traf die Wahl; ich bin und bleib' der Ihre,Mit Gegengründen haltet Euren Mund!Mein Leben rettet, und macht mich gesund! |
230 | Besitz' ich sie, so find' ich auch Genesung,Sonst bringt mein Leid mir Tod noch und Verwesung.“Was braucht es hier noch langer Redewendung?Durch Botschaft und Verhandlung ward gemacht,Daß durch des Papstes eigene VerwendungUnd durch der Kirche und der Ritter Macht– Die stets um Christi willen sind bedacht,Den Mohamedanismus zu zerstören –Man den Vertrag schloß, der sogleich zu hörenDer Sultan, die Barone und wer zähle |
240 | Zu den Vasallen müßten Christen sein,Bevor er mit Constantia sich vermähle;Gewisses Gold – wie viel, fällt mir nicht ein –Sei ihm gewährt durch wohlverbürgten Schein.Das sei Vertrag, so schwur man beiderseitig.– Leb' wohl Constantia! Gottes Hand geleit' Dich!Schon Mancher – glaub' ich – sich im Voraus freute,Zu hören von der Pracht und von dem Glanze,Welche der Kaiser und die EdelleuteErsonnen für sein Töchterlein Constanze. |
250 | Doch unausführbar ist, daß ich das ganzeHierbei ins Werk gesetzte FestgeprängeIn kurze Worte hier zusammendränge.Bischöfe, Ritter und aus höchsten StändenViel Herr'n und Damen ihr zu Seite gehnNebst anderm Volk – und damit laßt mich enden. –Der Stadt gab man zu wissen und verstehn,In größter Andacht solle jeder flehnZu Christ, damit er gnädig sich beweiseDem Ehebund, und segne ihre Reise. |
260 | Es kam für sie der Trennungstag heran.Der Tag des Unheils – sag' ich – war gekommen,Und ohne Zögern hatte JedermannDie Rüstung für die Reise vorgenommen.Constantia, bleich und sorgenvoll beklommen,Stand auf vom Lager, um sich anzukleiden,In das ergeben, was nicht zu vermeiden.Ach! kann es Wunder nehmen, daß sie weinte?Zu fremdem Volk ward sie hinausgesandt,Fern von der Freundschaft, die es zärtlich meinte, |
270 | Und hingegeben in Gewalt und HandVon einem Manne, den sie nie gekannt.– Gut sind und waren Gatten von jeher,Das wissen Frau'n. – Was braucht's der Worte mehr? –Vater,“ – sprach sie – Dein armes Kind Constanze,Dein Töchterlein, das Dir so lieb und werth;Und Mutter, die nach Christ mehr als die ganzeUnd weite Welt ich folgsam stets verehrt,Constantia bittet, Eure Huld gewährtIhr fernerhin! – Nach Syrien muß ich gehen! |
280 | Und nimmer, ach, werd' ich Euch wiedersehen!“Ach! unter den Barbaren soll ich leben!Und ich muß thun, was Euer Wille ist.Wie uns Dein Tod Erlösung hat gegeben,So gieb mir Stärke zur Erfüllung, Christ!Elend bin ich für meines Lebens Frist,Zu Leid und Knechtschaft ist das Weib geboren,Und einem Mann zur Sclavin auserkoren.“Gewiß, als Pyrrhus brach durch Trojas Wall,Als Ilion brannte, Theben man bezwungen, |
290 | Als Rom erzitterte vor Hannibal,Der dreimal Sieg im Römerkampf errungen,Ward nicht soviel und nicht so schmerzdurchdrungenGeweint, als bei dem Abschied in der Kammer;Doch Scheiden galt's. Was half da aller Jammer?O, grause Macht, Bewegerin der Sphären,Die täglich Alles wirbelnd mit sich reißt,Und strebt, von Ost nach Westen zu verkehren,Was die Natur auf andre Wege weist.Im wilden Aufruhr, der am Himmel kreist, |
300 | Verkündete im Voraus schon beim ScheidenDer grimme Mars der Ehe künft'ge Leiden.O, unheilvollste Ascedenz von allen,Wo der Regent, ach, hülflos und entthront,Vom Winkel in das dunkle Haus gefallen!O, Mars! o, Atazir! – Du, bleicher Mond,Von Unglück bleibt nicht Deine Bahn verschont!Wo Du Dich zudrängst, ist für Dich kein Bleiben,Wo Du gern bliebest, mußt Du weiter treiben!Kaiser von Rom! Du handeltest nicht weise. |
310 | War denn kein Philosoph in Deinem Land?Ist jeder Tag denn gleich? Wählt man zur ReiseFür Leute von so hohem Rang und StandDie Zeit nicht aus? War gänzlich unbekanntDie Wurzel der Geburt in diesem Falle?– Ach, dumm und träge sind wir leider Alle! –Zu Schiffe war man feierlich gezogenMit der betrübten, schwermuthsvollen Maid.Nun bleibe Jesus Christus Euch gewogen!“Sprach sie und zwang sich zur Gelassenheit. |
320 | Leb' wohl Constantia!“ – scholl es weit und breit.Und so verlass' ich sie auf MeerespfadenUnd spinne weiter der Geschichte Faden.Längst hatte schon des Sultans lastervolleUnd böse Mutter ausgespäht, daß erDen alten Opferbrauch verlassen wolle,Und ihre Räthe rief sie zu sich her.Ein jeder kam und frug, was ihr Begehr.Und als mit Ehrfurcht Alles stand im Kreise,Ließ sie sich nieder und sprach solcher Weise: |
330 | Ihr wißt es, Herr'n! mein Sohn“ – so hub sie an –Steht auf dem Punkte, in den Staub zu tretenDie heil'gen Satzungen des AlkoranVon Mohamed, dem göttlichen Propheten.Bei Gott beschwör' ich's! Wahrlich, besser thätenSie, aus dem Leibe mir das Herz zu reißen,Als aus der Brust, was Mohamed geheißen!“Für Körperknechtschaft sollten wir und PeinNach diesen neuen christlichen GesetzenUnd für der Hölle Qualen hinterdrein |
340 | Den alten Glauben Mohameds verletzen?!Nein! wollt Ihr, Herr'n, Vertrauen in mich setzen,Und willig sein, zu thun, was ich Euch sage,Befrei' ich Euch für immer aus der Lage!“Und Jeder stimmte bei im ganzen Kreise.Auf Tod und Leben stets ihr beizustehn,Beschworen sie, und in der besten WeiseMit Rath und That ihr an die Hand zu gehn,Um auszuführen, was sie vorgesehn,Und ihren Plan enthüll' ich einem Jeden, |
350 | Denn solcher Weise fuhr sie fort zu reden:Laßt scheinbar uns zum Christenthum bekehren!– Kalt Wasser wird uns wenig drückend sein –Durch Schmauserei'n will ich den Sultan ehren;Doch tränk' ich es ihm hoffentlich noch ein.Denn, mag sein Weib getauft sein noch so rein,Nicht leicht soll sie des Blutes Roth verwaschen,Und hätte sie voll Quellen ihre Taschen!“O, Sultanin! boshaftes Ungeheuer,Semiramis die Zweite! – Mannweib! – gleich |
360 | Der Schlange, die gebannt ins Höllenfeuer,Bist eine Schlange Du im Weiberreich!Heimtückisch Weib! Was immer unschuldsreichUnd tugendhaft nur ist, verfolgst Du wüthend,Stets Bosheit in dem Lasterneste brütend!O, Satan! seit der Zeit, da Du vertriebenAus unserm Erbtheil, ist Dein Neid stets wach;Du lenkst noch stets die Weiber nach Belieben,Du triebst durch Eva uns in Tod und Schmach!Jetzt stellst Du dieser Christenehe nach! |
370 | Wenn Du betrügen willst – beklagt's und merkt's Euch! –Gebrauchst die Weiber immer Du als Werkzeug!Die Sultanin, auf die ich also schmäle,Ließ seines Weges weiterziehn den Rath,Und hatte – daß ich's kurz und gut erzähle –Dem Sultan eines Tages sich genaht,Und sagte: sie bereue in der ThatIhr langes Heidenthum und trüg' Verlangen,Aus Priesters Hand die Taufe zu empfangen.Und bat ihn, daß er ihr die Ehre gönne, |
380 | Für alle Christen eine FestlichkeitIns Werk zu setzen, wie sie bestens könne.– Der Sultan war zu kommen gern bereit,Und, niederknieend voller Dankbarkeit,Konnt' er vor Freude kaum auf Worte sinnen.Sie küßte ihn und ging alsdann von hinnen.In Syrien stieg indeß im FeierzugeDie Christenschaar vom Schiff hinab zum Strand.Zu seiner Mutter ward im raschen FlugeUnd rings durchs Reich des Sultans Wort gesandt: |
390 | Es zöge zweifellos sein Weib ins Land,Und zu des Reiches Ehre ließ er bitten,Daß ihrer Herrin sie entgegenritten.Welch ein Gedränge! welche Augenweide!Als Syrer nun vereint mit Römern sind.Des Sultans Mutter, strahlend von Geschmeide,Erwies sich ihr so liebevoll gesinnt,Wie eine Mutter ihrem liebsten Kind;Und hin zur Stadt, die nahebei gelegen,Sah man den Zug sich feierlich bewegen. |
400 | Selbst der Triumph des Julius, – so dächt' ich –Obschon Lucan viel Lärmens macht davon,War nicht so sehenswerth und nicht so prächtig,Wie die Versammlung dieser Procession.Die Sultanin, die Hexe, der Scorpion,Indessen wetzte, Schmeichelei'n im Munde,Bereits den Stachel für die Todeswunde.Der Sultan selber kam nach kurzer ZeitIn einer Pracht, die schwerlich zu beschreiben,Er grüßte sie mit Lust und Seligkeit; |
410 | Und Beide mögen sich die Zeit vertreiben;Mich aber laßt beim Kern der Sache bleiben.Am Ende meinte Jedermann, er hätteGenug geschwärmt, und Alles ging zu Bette.Bald war die Zeit zu dem erwähnten FesteDer alten Sultanin herangerückt;Und alle Christen hatten sich aufs Beste,So alt wie jung, für dieses Fest geschmückt.Doch nicht den Prunk, der jedes Aug' entzückt,Noch alle Leckerbissen kann ich malen. |
420 | – Nur allzutheuer mußten sie's bezahlen. –O, unverhofftes Leid! vom Glück des LebensDie stete Folgerin, mit BitterkeitVermischst du alle Freudigkeit des Strebens,Als Enderin von unsrer Fröhlichkeit!Hört meinen Rath! – zu eigner SicherheitTragt es im Sinn: – es folgt auf frohe TageStets Leid und Weh und unverhoffte Plage!Mit einem Worte sei es ausgesprochen:Der Sultan und die Christen, Mann für Mann, |
430 | Wurden beim Fest erschlagen und erstochen,Obschon dem Tod Constantia entrann.Die Sultanin, das böse Weib ersannMit ihrer Freunde Hülfe diese Schandthat,Durch die sie jetzt das Reich in ihrer Hand hat.Die Syrer, welche an dem Sultan hingenUnd seinen Glaubenswechsel mitgemacht,Erschlug man gleichfalls. Da galt kein Entspringen!Constantia aber – Gott! wer hätt's gedacht? –Ward in ein steuerloses Schiff gebracht, |
440 | Und man befrug sie: ob den Weg sie wüßteVon Syrien heimwärts nach Italiens Küste?Mit ihren Schätzen, die sie mit sich brachteUnd ihren Kleidern – wie ich zugesteh' –Und Nahrungsmitteln man sie reich bedachte,Und dann ging's in die salz'ge Fluth der See.Constantia, holde, gütereiche Fee,O, Kaiserstochter, mir so lieb und theuer,Es sei der Herr, der Alles lenkt, Dein Steuer!Sich segnend, weinte jammernd sie und schrie: |
450 | Empor zu Christi heil'gem Kreuzesstamme:O heilig Holz! Du Gnadenquelle! wieErbarmungsvoll mit rothem Blut vom LammeDie Welt gereinigt ward vom Sündenschlamme,So aus des Bösen Klauen mich errette,Wird Meerestiefe mir zum Todtenbette!“Siegreicher Baum, der Treue Schutz und Hort!Der Du allein, zu tragen, werth befunden,Das weiße Lamm, vom Speeresstich durchbohrt,Den Himmelskönig mit den frischen Wunden; |
460 | Der Du die Höllenfeinde überwunden,Du Gliederträger ew'ger Lieb' und Treue,Errette mich und gieb mir Zeit zur Reue!“Vom griech'schen Meer bis zu Marokkos ThorSchwamm Jahr und Tag die Creatur indessen,Wie sie das Schicksal dazu auserkor.Mit mancher Thräne netzte sie ihr Essen,Bald todesbang, von Hoffnung bald besessen,Sie triebe durch der Wogen wilde BrandungDem Ufer zu, das ihr bestimmt zur Landung. |
470 | Wie kam's, daß sie entrann? wird Mancher sagen;Wie kam's, daß sie nicht gleichfalls umgebracht?Doch laßt zur Antwort mich dagegen fragen:Wer hat denn Daniel aus der Grube NachtErrettet? Wer den Löwen zahm gemacht,Der außer ihm nicht Herrn noch Knecht verschonte?Niemand als Gott, der ihm im Herzen wohnte!Damit wir sähen seine mächt'gen Werke,Hat Gott an ihr in Wundern sich bewährt.O, Jesus Christus! Theriakstrank voll Stärke! |
480 | Du kennst – das weiß, wer in der Schrift gelehrt –Die Mittel, daß zum guten Ende kehrtEin jedes Ding, ob's noch so dunkel läge.Doch Menschenwitz begreift nicht Deine Wege.Nun, da sie auf dem Feste nicht erschlagen,Wer schützte vorm Ertrinken sie zur See?Wer schützte Jonas in des Fisches Magen,Bis daß er ausgespie'n bei Niniveh?Niemand als Gott! – das wisse, das versteh'! –Er schützte die Hebräer vor den Wogen, |
490 | Als trocknen Fußes sie durchs Meer gezogen!Wer lenkt die Sturmesgeister durch sein Wort,Wenn ihre Macht durch Land und Meere wüthet,Aus Ost und West, aus Süden und aus Nord?Wer hat die See, das Land, den Baum behütet?Gewiß nur Er! denn Er allein gebietet.Und so war Er auch dieses Weibes RetterBei Tag und Nacht in jedem Sturm und Wetter.Ging Trank und Speise denn zu Ende nie,Daß länger als drei Jahr' ihr Vorrath währte? |
500 | Wer speiste die ägyptische MarieIn Wüstenklüften? – Jesus Christ! – Er nährteFünftausend Mann, als wunderbar er mehrteDie beiden Fische und fünf Laibe Brod.Gott gab dem Weibe Füll' in ihrer Noth!So trieb hinein in unsern Ocean,Durch unser weites Meer sie bis zum StrandeVon einem Ort, den ich nicht nennen kann;Doch war es oben im Northumberlande,Wo sich ihr Schiff so festgerannt im Sande, |
510 | Daß es durch keine Fluth mehr loszutreiben.Gott war gewillt, dort sollte sie verbleiben.Der Commandant des nahen Schlosses kamDas Wrack zu untersuchen, zu besehen;Und vor sich fand dies Weibsbild voller GramEr dort inmitten ihrer Schätze stehen.In ihrer Sprache bat sie unter Flehen,Ihn um die Gnade, sie sofort zu tödtenUnd zu befrein aus allen ihren Nöthen.Ein mangelhaft Latein nur sprach sie freilich; |
520 | Jedennoch sie der Commandant verstand.Rasch sein Geschäft beschließend, nahm er eiligDas arme Weibsbild mit sich an das Land.Dem Gottessohne dankte sie am StrandAuf ihren Knie'n. Doch Güte nicht, noch SchreckenBewog sie, ihre Herkunft zu entdecken.Sie sprach: ihr Sinn sei so verwirrt im Meer,Und dunkel sei ihr Alles, was verflossen.Der Commandant war so gerührt, daß er,Sowie sein Weib, in Thränen sich ergossen. |
530 | Stets fleißig, suchte sie, ganz unverdrossen,Jedem zu dienen, Jedem zu gefallen,Und, kaum gesehn, war sie beliebt bei Allen.Der Mann, sein Weib Hermgilde, wie das ganzeGebiet lag noch in Heidenthum und Nacht.Doch zärtlich liebte Hermegild' Constanze,Die in Gebeten ihre Zeit verbracht,Und unter bittren Thränen oft gewacht,Bis Jesus Christ in Gnaden ihr gewährte,Daß sich die Dame Hermegild' bekehrte. |
540 | Doch Christen wurden nicht im Land gelitten.Längst trieben sie aus dieser Gegend fortDie Heiden, als die Herrschaft sie erstrittenZu Land und Meer vom ganzen flachen Nord.Und Wallis wählte sich zum Zufluchtsort,Um mittlerweile dort im Land zu wohnen,Das Volk der alten, christlichen Bretonen.Doch waren sie nicht Mann für Mann vertrieben.Es gab noch einige, die Gott dem HerrnIm Heidenlande heimlich treu geblieben, |
550 | Und dreie wohnten von dem Schloß nicht fern.Blind war der eine. Doch der Augenstern,Der in der Blindheit Nacht noch leuchtend funkelt,Das Licht der Seele war ihm nicht verdunkelt.An einem Sommertag, als hell im GlanzeDie Sonne schien, ergingen sich am MeerDer Commandant, sein Weib, sowie Constanze;Und es begab sich, als sie froh umherDort wanderten, daß sie von ungefährDen armen und vor Alter tief gebückten, |
560 | Stockblinden Mann auf ihrem Weg erblickten.Gieb, Hermegilde!“ – sprach der blinde Britte –In Christi Namen, meinen Augen Licht!“Die Dame fuhr zusammen bei der Bitte;Ihr Gatte wußte, daß sie Christin, nicht;Und sie zu tödten, war vielleicht ihm Pflicht.Doch kühn hieß sie Constanze, Christi WillenAls Tochter seiner Kirche zu erfüllen.Erschrocken sah ihr Werk der CommandantUnd frug: Was hat dies Alles zu bedeuten?“ |
570 | Constanze sprach: Herr! das ist Christi Hand!Er kommt als Retter zu Euch Heidenleuten!“Und sie begann, den Glauben ihm zu deuten,Und, eh' die Sonne niedersank, bekehrteSie diesen Mann, daß Christus er verehrte.Der Commandant, zwar Herr nicht und GebieterVon jenem Platz, wo er Constantia fand,War lange Winter schon der Veste HüterFür König Alla von Northumberland,Den klugen Herrscher, dessen mächt'ge Hand |
580 | Schottland bezwang, wie Mancher wohl vernommen;Doch auf die Sache laßt zurück mich kommen.Satan, stets auf der Lauer zu betrügen,Sah von Constantia die Vortrefflichkeit,Und hatte, um ihr Unheil zuzufügen,In jener Stadt die Saat der LüsternheitIn eines jungen Ritters Herz gestreut,So daß es ihm unmöglich schien, er lebe,Wenn sie ihm nicht zu Willen sich ergäbe.Er warb um sie; doch da er nichts gewann, |
590 | Und sie zu keiner Sünde zu verleiten,Beschloß er sich zu rächen und ersannDen Plan, ihr Tod und Schande zu bereiten.Heimlich bei Nacht wußt' er ins Haus zu gleiten– Der Commandant war fort, erfuhr er sicher –Und in die Kammer Hermegildens schlich er.Ermüdet von Gebeten, schlief indessenConstantia; auch Hermegilde schlief.Der Ritter, der vom Satanas besessen,Schlich an ihr Bett, und dann durchschnitt er tief |
600 | Die Gurgel Hermegildens, und entlief,Das Messer lassend an Constantias Seite,– Ihn möge Gott verdammen! – in das Weite.Es kam, als sich dies eben zugetragen,Mit König Alla heim der Commandant,Und sah sein Weib erbarmungslos erschlagen;Und weinend und die Hände ringend standEr vor dem Bett, als er das Messer fand,Mit Blut besudelt, in Constantias Nähe,Die sprachlos lag und sinnverwirrt vor Wehe. |
610 | Dem König Alla ward darauf der ganzeUmstand erzählt, nebst wo und wie und wannIm Schiff er aufgefunden einst Constanze,Wie ich dies alles Euch schon kund gethan.Der König hörte mitleidsvoll es an,Und war betrübt, daß dieses holde Wesen,Zu solchem herben Mißgeschick erlesen.So wie ein Lamm zur Schlachtbank trat geduldigDie Unschuldsvolle vor den König hin.Der falsche Ritter, selbst der Mordthat schuldig, |
620 | Verklagte sie als Missethäterin.Die Leute murrten; denn nach ihrem SinnWar es unmöglich, daß die Allbeliebte– So sprachen sie – solch schnöde That verübte.Man wußte, sie war immer tugendhaft,Und Niemand liebte Hermegilde besser.Das ganze Haus trug davon Zeugenschaft,Nur der nicht, dessen Hand geführt das Messer.Verdächtig schien dem König dies. Indeß erBeschloß, der Sache auf den Grund zu dringen |
630 | Und so die Wahrheit an das Licht zu bringen.Nicht kämpfen kannst Du, und, o weh', kein Ritter,Arme Constantia, sich für Dich erbot!Nur einer bleibt Dir. – Für die Menschheit litt er,Satanas bindend, den Erlösungstod.Er sei Dein starker Ritter in der Noth!Denn, Unschuldsvolle, hilft Dir Christ nicht heuteMit Wunderhand, bist Du des Todes Beute!Und betend, kniet zu Boden sie und klagt:O, ew'ger Gott! Erretter der Susanna |
640 | Vor falschem Leumund! Gnadenreiche Magd!– Maria, mein' ich, – Tochter von St. Anna,Vor deren Kind die Engel ihr HosiannahGesungen, lasse schuldlos mich nicht sterben!Sei Du mein Schutz; denn sonst muß ich verderben!“Sah't Ihr bisweilen nicht im VolksgewühlEin Angesicht, erblaßt und fahl und bange?Der muß es sein! – Für Jedermanns GefühlVerkündet es die Farbe seiner Wange –Der Hoffnungslose auf dem letzten Gange! |
650 | Und unter den Gesichtern rings im KreiseBlickte Constantia in derselben Weise.O, Königinnen, die Ihr lebt im Glücke,O, Fürstinnen und Damen insgemein,Zeigt etwas Mitleid ihrem Mißgeschicke!Seht! eines Kaisers Tochter steht allein,Und Niemand mag ihr Rath und Hülfe leihn!Ein Königsblut, von Land und Freund geschieden,Bleibt in der Noth verlassen und gemieden!Der König Alla, edel stets und bieder, |
660 | Das tiefste Mitleid in dem Herzen trug;Das Wasser rann ihm aus den Augen nieder.Rasch brachte man auf sein Geheiß ein Buch.Beschwört der Ritter,“ – sprach er – daß erschlugConstantia dieses arme Weib, so will ichMein Urtheil fällen, wie es recht und billig!“Und auf das Buch, gefüllt mit heil'gen Zeichen,Das man gebracht, beschwor der Ritter dannConstantias Schuld. – Doch, Wunder sonder Gleichen!Seht! – eine Hand packt ihn beim Nacken an, |
670 | Und wie ein Stein zu Boden fällt der Mann!Die Augen, berstend, sich im Kopf verdrehenIm Beisein Aller, die im Kreise stehen!Und eine Stimme hört man nah' und fern,Die spricht: Du hast verläumdet durch Dein LügenDer Kirche heil'ge Tochter vor dem Herrn;Das thatest Du! und dies mag Dir genügen!“Rings malt Entsetzen sich in allen Zügen,Vor Furcht und Schrecken weiß sich kaum zu fassenDas Volk, und nur Constantia bleibt gelassen. |
680 | Groß war die Furcht und groß war auch die ReueVon denen, die bereits sie schuldig hießenUnd angezweifelt hatten ihre Treue.Und durch dies Wunder – um es kurz zu schließen –Und durch Vermittlung von Constanze ließenDer König und viel Andre sich bekehren;Wofür wir Christum dankerfüllt verehren.Dann ward, wie König Alla dies geboten,Der falsche Ritter rasch dem Tod geweiht.– Und doch – Constantia weinte um den Todten! – |
690 | Von Alla aber wurde mit der ZeitDurch Christi Gnade feierlich gefreitDies fromme Weib im reinsten Schönheitsglanze.– So machte Christ zur Königin Constanze.Wer war von Zorn und Haß wohl je so wild,Wie – daß ich strenge bei der Wahrheit bleibe –Des Königs böse Mutter Donegild!Ihr brach schier das verruchte Herz im Leibe,Als sie erfuhr, daß sich ihr Sohn zum WeibeEin unbekanntes und wildfremdes Wesen |
700 | Ihr zum Verdruß und Aerger auserlesen.Mich drängt es nicht, von Spreu und Stroh so langenBericht zu machen wie von Kern und Korn.Soll ich erzählen von dem Prunk und PrangenDer Hochzeit? und wer hinten ging, wer vorn?Wer die Trompete blies und wer das Horn?Bleibt der Beschreibung Frucht nicht stets im GanzenNur: Essen, Trinken, Singen, Spielen, Tanzen?Zu Bett sie gingen, wie der Pflicht sie's schuldig.– Wenn's sein muß, fügt trotz aller Heiligkeit |
710 | Ein jedes Weib sich in der Nacht geduldig,Wird das Vergnügen zur Nothwendigkeit. –Für Leute, die mit Ringen sich gefreit,Ist es erlaubt, daß sie der Sache wegenDie Heiligkeit etwas bei Seite legen.Ein männlich Kind empfing sofort ihr Leib.Doch, da in Schottland Krieg und Streit entglommen,Zog Alla vor den Feind, indeß sein Weib,Vom Commandanten in das Haus genommen,In eines Bischofs Schutze, angstbeklommen, |
720 | Doch fromm und gottergeben, so wie immer,Des Kindsbetts harrte still in ihrem Zimmer.Die Zeit war da. – Ein Knabe kam zur Welt,Den in der Taufe sie Mauritius nannte.Die Freudenbotschaft schrieb sogleich ins FeldDem Könige der treue Commandante.Indem er nebenbei ihm Meldung sandte,Wie Alles ginge und wie Alles stände;Und gab den Brief in eines Boten Hände.Der Bote, der auf seinen Vortheil sann, |
730 | Ritt zu des Königs Mutter mit der Kunde.Madam!“ – hub er mit Schmeichelgrüßen an –Gewiß, Ihr segnet tausendmal die Stunde,Und danket Gott mit Herzen und mit Munde!Ein Knäblein wiegt die Königin im Schoß,Und Glück und Jubel sind im Lande groß.“Seht, diesen Brief, in dem von allen DingenDie Meldung wohlversiegelt ist gemacht,Soll ich dem König schleunigst überbringen:Euch treu ergeben bleib' ich Tag und Nacht!“ |
740 | Donilde sprach: So ist's nicht abgemacht!Bis morgen sollst Du hier der Ruhe pflegen,Und mir das Weitre will ich überlegen.“Der Bote trank sich steif in Bier und Wein,Und heimlich ward aus seinem Sack gehobenIhm dieser Brief. – So feste schlief das Schwein! –Ein Konterfei, von Lügen ganz durchwoben,Ward schlau gemacht und schleunigst unterschoben,Und an den König Alla abgesandt;Und hören sollt ihr, was im Briefe stand. |
750 | Es sei – so schrieb man ihm – sein Weib entbundenVon einer solchen Teufelscreatur:Bei ihr zu bleiben, sei im Schloß befundenNicht Einer von so muthiger Natur.Durch Hexerei und Zauberkünste nurSei's möglich, daß ihr dieser Balg beschieden.Sie sei verhaßt und ringsumher gemieden.Der König las den Brief. Jedoch kein WortVerrieth den Kummer, der sein Herz bedrängte,Und eigenhändig schrieb er heim sofort: |
760 | Willkommen sei, was immer Christ mir schenkte!Recht ist gelenkt, was Gottes Hand je lenkte,Für den, der glaubt; denn unser Wunsch und NeigenMuß, Herr und Gott, vor Deinem Willen schweigen!“Sorgt für mein Kind, ob's schön, ob's garstig ist!Sorgt für mein Weib, bis wir nach Hause kehren!Den Erben, der mir mehr gefällt, kann ChristDurch seine Gnade immer noch bescheeren!“Er siegelte dann unter stillen ZährenDen Brief und gab ihn in des Boten Hände. |
770 | – Der Bote ging, und damit war's zu Ende.O, Bote, Jammerbild der Trunkenheit!Dick ist Dein Hauch, es zittern Deine Glieder!Du bist Verräther jeder HeimlichkeitUnd plapperst Alles wie die Elster wieder!Dein Angesicht wird blässer stets und müder,Dein Sinn ist fort und bei Dir, zweifelsohne,Sitzt Trunkenheit als Herrscherin im Throne.O, Donegilde! nicht in Worte fass' ichAll Deine Bosheit, Deine Tyrannei! |
780 | Dem Bösen in der Hölle überlass' ichDich und die Schildrung der Verrätherei!Pfui! Unmensch! Pfui! – bei Gott, ich sag' es frei –Du wallst auf Erden, aber, pfui! Du Hexe,Dein böser Geist ist höllisches Gewächse!Der Bote lenkte wieder auf der ReiseZum Hof der Königsmutter seinen Gang.Und froh gewährte sie in jeder WeiseIhm wiederum den ehrendsten Empfang.Er füllte sich den Bauch mit Speis' und Trank. |
790 | Und schnob und schnarchte, und im Schlaf verbrachteDie ganze Nacht er, bis der Morgen lachte.Und wiederum ward ihm der Brief gestohlen,Und wiederum schrieb man ein Konterfei:Daß es dem Commandanten anbefohlenVom Könige bei Galgenstrafe sei,Es hätte, wenn dahin der Tage dreiUnd noch drei Stunden ohne weit'res SäumenConstantia des Königs Land zu räumen.An Bord des Schiffs, das sie gebracht ans Land, |
800 | Sei sie, ihr Sohn, und was ihr eigen wäre,Ins Meer hinauszustoßen von dem Strand,Und zu bedrohn, daß sie nie wiederkehre. –Constantia, ach! Dich haben sicher schwereUnd trübe Träume jene Nacht umsponnen,Als Donegilde dieses ausgesonnen!Der Bote ging, sobald er Morgens wachte,Zum Commandanten nächsten Wegs aufs Schloß,Dem er den Brief des Königs überbrachte.Er las das Schreiben, und sein Schmerz war groß. |
810 | O, weh' mir!“ – rief er – welches herbe Loos!Wie kann die Welt nur, Herr und Christ, bestehen,Wenn, ach! so Viele sündhaft sich vergehen?“Allmächt'ger Gott! wie kann's Dein Wille sein,Der Du doch Allen ein gerechter Richter,Daß Unschuld leide solche Noth und Pein,Und stets im Glücke sitzen Bösewichter!Gute Constantia! Weh' ist mir!“ – so spricht er –Schmachvoll zu sterben, oder Dich zu quälen,Kein andrer Weg bleibt übrig mir zu wählen!“ |
820 | Im Schlosse weinten Alt und Jung vor Sorgen,Als man des Herrn verfluchten Brief empfing,Zum Schiff indessen an dem dritten MorgenConstantia bleich, doch gottergeben, ging;Und trug, was Christus über sie verhing.Am Strande knie'nd, sprach sie zu Gott gewendet:Willkommen sei, was mir der Herr gesendet!“Als unter Euch ich hier gelebt im LandeWar vor Verläumdung schon mein Retter Er!Er kann mein Retter sein aus Noth und Schande, |
830 | Ist mir das Wie auch unklar, auf dem Meer;Er ist so stark noch heute wie seither!O, Gott und Mutter, Beide mir so theuer,Seid Ihr mein Segel und seid Ihr mein Steuer!“Der kleine Sohn lag weinend ihr im Arm,Und, knieend, sprach sie mitleidsvoll zum Kinde:Still! Söhnchen, stille! – Dir geschieht kein Harm!“Vom Kopf zog sie den Schleier, daß als BindeSie schützend ihn um seine Aeuglein winde,Und lullte wiegend in den Schlaf ihn dann, |
840 | Und warf die Blicke flehend himmelan.Mutter!“ – sprach sie – Maria, keusche Magd!Weil eines Weibes Sünde das VerderbenSo wie den Tod in diese Welt gebracht,Sahst Du am Kreuze Deinen Sohn und ErbenMit eignen Augen hängen, leiden, sterben!Kann alles Weh und alles Leid auf ErdenMit Deinem Schmerze je verglichen werden?“Vor Deinen Augen ward Dein Kind erschlagen!Und meines lebt noch! – Jungfrau, hehr und mild, |
850 | Zu der Betrübte ihren Jammer klagen,Du heller Tagesstern, Du Zufluchtsschild,Du schöner Mai, Du reinster Keuschheit Bild!Beschütz' mein Kind! Du schützest mit ErbarmenDie Schutzbedürft'gen, Leidenden und Armen.“Mein lieber, kleiner Sohn! – O, weh'! was that er,Auf dem doch wahrlich keine Sünde ruht,Daß ihn ins Elend stieß sein harter Vater?Ach, Commandant!“ – sprach sie – sei lieb und gut,Mein Söhnchen nimm zu Dir in Haus und Hut! |
860 | Und darfst Du's nicht, und mußt Du mir's verneinen,Küss' in des Vaters Namen meinen Kleinen!“Leb' wohl, erbarmungsloser Mann!“ – so sagend,Warf sie die Blicke rückwärts in das Land,Sprang auf, und, kosend in den Armen tragendIhr kleines Kind, ging sie zum Schiff am Strand,Wo alles Volk, nachdrängend, sie umstand.Sich fromm bekreuzend, rief ein AbschiedswortSie Allen zu, und stieg sodann an Bord.Nicht an Proviant gebrach es für die Zeit |
870 | Der langen Reise durch die Meerespfade,Und was auch sonst noch von NothwendigkeitEnthielt das Schiff – gedankt sei Gottes Gnade! –Nun, führ' sie heim, allmächt'ger Gott! – Nicht schadeIhr Wind und Wetter! – Diesen Wunsch gewähre,Treibt ihres Wegs sie weiter durch die Meere!Es kam, nachdem sich dieses zugetragen,Zu dem besagten Schloß der König bald.Nach Weib und Kind begann er gleich zu fragen.Den Kommandanten überlief es kalt; |
880 | Er meldete den ganzen Sachverhalt,Mit welchem ich bereits bekannt Euch machte,Und Brief und Siegel er dem König brachte.Und sprach: Mein Herr, wie Ihr es anbefohlenBei Todesstrafe, so hab' ich's gemacht!“Die Folter ließ man für den Boten holen,Und zum Geständniß ward er rasch gebracht,Wo er sich aufgehalten Nacht für Nacht;Und aus der Untersuchung bald erhellte,Wo dieser Born des Mißgeschickes quellte. |
890 | Man wußte, welche Hand den Brief geschrieben,Und wer die giftig böse That ersannZwar ist das Wie mir unbekannt geblieben,Doch lesen kann die Folgen Jedermann:Als Hochverräth'rin ward der Mutter dannVom Könige der Todesstreich gegeben.– So elend schloß Frau Donegildes Leben! –Die Sorge, welche König Alla quälteBei Tag und Nacht um Gattin und um Kind,Wohl keine Zunge je getreu erzählte. |
900 | Drum zu Constanze wend' ich mich geschwind.Die Leidensvolle trieb durchs Meer der WindFünf Jahr' und länger, eh' durch Christi GnadeIhr Nachen sich genähert dem Gestade.Es trieb zu einem heidnischen Kastelle– Von dem mein Text den Namen nicht enthält –Constantia und ihr Kind zuletzt die Welle.Allmächt'ger Gott! Erretter aller Welt!Beschütze sie mit ihrem Kind! sonst fälltSie in der Heiden Hand und büßt ihr Leben |
910 | Vielleicht dort ein. – Doch hört, was sich begeben.Vom Schloß herab stieg Mancher und beschauteDas Schiff, in dem Constantia sich genaht;Und eines Tages, als der Abend graute,Bestieg – Gott strafe seine Missethat! –Des Fürsten Vogt, ein Dieb und Renegat,Das Schiff, damit zu schnöder Lust und MinneEr durch Gewalt und Drohung sie gewinne.Wohl schrie mit ihrem Kind das wehbedrängteUnd arme Weib. Jedoch nicht hülflos blieb |
920 | Sie in der Noth. – Die heil'ge Jungfrau schenkteIhr Kraft und Muth, und, mächtig ringend, triebSie bis zum Rand des Schiffes jenen Dieb,Der über Bord fiel und ertrank im Meere;Und unbefleckt erhielt ihr Christ die Ehre.O, faule Lust der Ueppigkeit, hier endestDu nach Verdienst! Du bringest Schmach und TodDem Leib sowohl, wie Du den Sinn verblendest;Auf blinde Lüste folgen Pein und Noth!Wohl mag der Mensch bedenken, was ihm droht. |
930 | Nicht nur die That, nein, schon die That zu denken,Kann Tod und Elend auf den Schuld'gen lenken!Wer stählte für den Kampf des Weibes Nerven,Als mit ihr rang der falsche Renegat?Wie konnte David je zu Boden werfenDen unermeßlich langen Goliath,Wie er es jung und ungerüstet that?Wie blickte furchtlos er empor zum Riesen?Nun – durch die Gnade, die ihm Gott bewiesen.Wer flößte Judith Muth und Kühnheit ein, |
940 | Als Holofernes sie erschlug im Zelte,Um Gottes Volk vom Elend zu befrein?Die Antwort auf die Fragen, die ich stellte,Bleibt immer die: den Geist der Kraft gesellteZu ihnen Gott, und, wie zu ihrem Werke,Gab auch Constantia Er die Kraft und Stärke!Es trieb ihr Schiff dann durch die MeeresengeVon Jubaltar und Septa weiter fort,Und schwamm umher der Breite nach und LängeManch lieben Tag gen Ost, West, Süd und Nord; |
950 | Bis Christi Mutter, der Bedrängten Hort,Endloser Güte voll, es so gewendet,Daß sich die Zeit naht, wann ihr Leiden endet.Auf kurze Frist sei nunmehr von ConstanzeNach Rom um Kaiser unser Blick gewandt,Dem längst der Christen Mord, sowie das ganzeGeschick der Seinen brieflich schon bekannt;Und was sein Kind durch die VerrätherhandDer alten Mutter Sultanin ertragen,Als auf dem Fest sie allesammt erschlagen. |
960 | Der Kaiser gab dann Vollmacht und befahlEinem der Senatoren, daß als FührerMit manchen Herr'n – Gott weiß, wie groß die Zahl? –Zu Feld' er zög' zur Züchtigung der Syrer.Worauf mit Mord und Brand auch nach Gebühr erDas Land manch lieben langen Tag verheerte,Bis er dann schließlich wieder heimwärts kehrte.So segelte nach Rom in voller GlorieAls Sieger der Senator mit dem Heer,Und traf das Schiff – so meldet die Historie –, |
970 | Worin Constanze, treibend auf dem Meer.Indessen, wer sie sei und wo sie her,Erfuhr er nicht; denn nicht verrathen wollteSie ihren Stand, und wenn sie sterben sollte.Es brachte sie nach Rom zu seinem WeibeMit ihrem Kinde der Senator hin,Daß sie bei ihnen wohne und verbleibe.So zog aus Leid die Himmelskönigin,Wie manche vor ihr, diese Dulderin,Die, heil'gen Werken immer hingegeben, |
980 | Noch lange führte dort ein frommes Leben.Daß des Senators Weib verwandt ihr seiUnd ihre Muhme, konnte sie nicht wähnen;Und ich erzähl' es hier nur nebenbei.Zu König Alla muß ich, der mit ThränenSein Weib bejammert unter stetem Sehnen,Indem Constantia ich in Schutz und HändenVon dem Senator lasse, nun mich wenden.Es fühlte sein Gewissen eines TagesDer König durch den Muttermord bedrängt, |
990 | Und hatte – daß ich kurz und schlicht Euch sag' es –Nach Rom zur Sühne seinen Schritt gelenkt,Um dort zu büßen, was der Papst verhängt,Und um von Christ für das, was er begangen,Durch sein Gebet Verzeihung zu erlangen.Durch Höflinge, die ihm Quartier bereitet,War das Gerücht von Allas PilgerfahrtRasch durch die ganze Stadt hindurch verbreitet;Und der Senator, dem sich beigeschaartViel Edelleute, ritt nach Brauch und Art |
1000 | Dem Könige der Ehr' und Ehrfurcht wegenUnd Pompes halber aus der Stadt entgegen.Geehrt ward König Alla auf das BesteVon dem Senator, ob der König schonDarin nicht nachstand; denn zu einem FesteLud er ihn ein, bevor zwei Tage flohn;Und in Begleitung von Constantias Sohn– Daß ich es kurz Euch nach der Wahrheit sage –Ging der Senator zu dem Festgelage.Zwar ist behauptet worden, daß Constanze |
1010 | Sich vom Senator diese Gunst erbat.Nun, das mag sein, mag nicht sein; denn das GanzeKommt drauf hinaus: zum Fest ging in der ThatConstantias Sohn, und nach der Mutter RathHielt er beim Mahle, wenn ein Gang geendet,Stets auf den König seinen Blick gewendet.Der König sah verwundert auf den Knaben,Und den Senator sprach er also an:Wen mag dies schöne Kind zum Vater haben?“Und jener sprach: Bei Gott und St. Johann! |
1020 | Die Mutter kenn' ich, aber nicht den Mann.“Und dann gab er dem König Alla KundeVon diesem Knaben und von seinem Funde.Bezeug' es Gott!“ – sprach der Senator – nieSah oder fand ich noch in meinem LebenWeib, Wittwe, Mädchen oder Frau, wie sieSo tugendhaft und also Gott ergeben.Weit lieber würde sonder Furcht und BebenSie sich den Dolch in ihren Busen senken,Als einem Manne ihre Gunst je schenken!“ |
1030 | Wohl kaum ein Wesen auf dem ErdenrundeSo seiner Mutter, wie der Knabe, glich.Und Alla, welcher tief im HerzensgrundeConstantias Bild bewahrte, dachte sich,Daß sie des Kindes Mutter; und er schlichVon dem Bankette seufzend dann von hinnen,Um in der Stille weiter nachzusinnen.Fürwahr, Phantome des erhitzten BlutesVerwirren mir“ – so sprach er – den Verstand!Mein Weib ist todt, und in der Salzfluth ruht es.“ |
1040 | Doch Gegengründe lagen auch zur Hand.Wer weiß,“ – sprach er – ob Christus, der gesandtMein Weib mir einst zur See, aus meinem LandeSie nicht geführt hat abermals zu Strande?“Und der Senator ging mit Alla dannDes Abends heim, dies Wunder aufzuklären;Und eilig schickte zu Constantia man,Den König zu empfangen und zu ehren.– Zu tanzen – glaubt mir – trug sie kein Begehren,Die Füße wollten ihr den Dienst versagen, |
1050 | Als diese Botschaft man ihr zugetragen. –Als weinend sich vor diesem Weib verbeugteDer König, blieb kein Auge thränenleer,Der erste Blick auf sie ihn überzeugte,Sie war sein Weib, da galt kein Zweifel mehr.Doch stumm verblieb sie wie ein Baum; denn schwerUnd trüb das Herz ihr die Erinnrung machte,Als sie des unbarmherz'gen Manns gedachte.Bewußtlos sank sie zweimal hin zur Erde;Und, sich entschuld'gend, schrie er jämmerlich: |
1060 | Von Gott und allen seinen Heil'gen werdeNie meiner Seele Gnade, fühle michAn Deinem Harm nicht ganz so schuldlos ich,Wie unser Sohn, das Abbild Deiner Züge!Und hole mich der Böse, wenn ich lüge!“Lang' schluchzten sie, eh' Ruh' in ihre HerzenNach so viel Gram und Leid zurückgekehrt.Groß war das Mitleid; aber ihre SchmerzenDas Klagen und das Jammern nur vermehrt.Mir sei, davon zu schweigen, drum gewährt; |
1070 | Denn überdrüssig bin ich, von den SorgenEuch zu erzählen bis zum nächsten Morgen.Doch als die Wahrheit endlich ihr bewußt,Daß Alla schuldlos war an ihren Leiden,Drückt' sie ihn hundertmal an ihre Brust,Und, abgesehn von ew'gen Himmelsfreuden,Genoß je solche Wonne wie die BeidenGewiß kein Mensch, noch sah, noch wird er sehenEin gleiches Glück, so lang' die Welten stehen.Die Pein zu enden, welche sie erlitten, |
1080 | Ersuchte sie in Demuth den Gemahl,Er möge dringend ihren Vater bitten,Es wolle nächsten Tages, je nach Wahl,In Gnaden ihm zu einem MittagsmahlDie Ehre Seine Majestät erzeigen,Jedoch von ihr, bat sie ihn, streng zu schweigen.Man sagt zwar, daß Mauritius mit der BitteZum Kaiser ging. – Mir aber scheint es klar,Der König Alla wußte wohl, was Sitte.Für solchen hohen Souverain, fürwahr, |
1090 | Die Blüthe der gesammten Christenschaar,Wird doch kein Kind zum Boten auserlesen!Er selbst ging hin. – So, denk' ich, ist's gewesen.Der Kaiser, diese Bitte gern gewährend,Versprach, zum Mahl zu kommen. Doch sein BlickFiel – wie ich las – auf jenes Kind fortwährend,Und an die Tochter dacht' er oft zurück.Und Alla kehrte heim, daß mit Geschick,So weit es möglich, Alles auf das BesteEr ordnend vorbereite zu dem Feste. |
1100 | Der Tag ist da. – Im Festschmuck hoch zu RosseDem Kaiser frohen Sinns entgegenziehnSowohl Constantia wie ihr Eh'genosse.Doch kaum erspäht sie auf der Gasse ihn,Springt sie vom Pferd und ruft auf ihren Knie'n:Ging, Vater, die Erinnrung ganz verlorenDir an die Tochter, die Dein Weib geboren?“Ich bin die Tochter!“ – spricht sie – bin Constanze,Die in das Land der Syrer Du gesandt.Ich bin es, Vater, die im Wellentanze |
1110 | Den Tod, den man mir zugedacht, nicht fand!Reich mir in Gnaden Deine Vaterhand!Du wirst mich nicht zu Heiden wieder senden;Nein! Alla Dank für seine Güte spenden!“Vom Wiedersehn der Drei vermag ich nichtDie Rührung und die Freude mitzutheilen.Zu Ende bringen muß ich den Bericht;Der Tag rückt vor, zum Schlusse will ich eilen!Beim Mittagsmahle lass' ich sie verweilenIn tausendfachem, größerem Entzücken, |
1120 | Als ich vermag in Worten auszudrücken.Doch wie zum Kaiser späterhin im LebenVom Papst das Kind Mauritius gemacht,Wie, Christi Kirche ehrend, fromm ergebenGelebt er hat, das laß ich außer Acht;Allein Constantia kommt hier in Betracht.In alten Römergesten steht indessenMauritius' Leben; doch ich hab's vergessen.Und mittlerweile war der Tag gekommen,An welchem Alla sich zurückgewandt |
1130 | Nach Engeland, wo er mit seinem frommen,Geliebten Weibe Glück und Ruhe fand.Doch, glaubt mir, nur von flüchtigem BestandIst Erdenglück. Es kommt und ist geschwundenWie Meeresfluth im Wechselspiel der Stunden.Wer freut sich dauernd ungetrübter Tage,An denen sein Gewissen ruhig schlägt,Von Zorn und Drang und anverwandter Plage,Von Neid und Stolz und Hitze nicht bewegt?Ich habe die Betrachtung eingelegt, |
1140 | Weil auch für Alla und Constanze FriedenUnd Seligkeit nur kurze Zeit beschieden.Tribut dem Tod muß Hoch und Niedrig geben!Und so schied etwa auch nach JahresfristDer König Alla aus dem Erdenleben,Von seinem Weib betrauert und vermißt.Sei seiner Seele gnädig, Gott und Christ!Von ihr bleibt mir nur schließlich mitzutheilen,Daß sie beschloß, nach Rom zurückzueilen.Hier fand das fromme Wesen alle theuern |
1150 | Und lieben Freunde lebend und gesund.Hier fand sie Ruhe nach den Abenteuern,Sah ihren lieben Vater wieder, undSank in die Kniee nieder auf den Grund,Und dankte hunderttausendmal mit RührungUnd unter Thränen Gott für seine Führung.Es lebten Alle fromm und tugendsam,Beständig heil'gen Werken zugewendet,Bis schließlich sie der Tod von hinnen nahm.Und so lebt wohl! – Denn die Erzählung endet. |
1160 | Nun, Jesus Christus, dessen Hand uns sendetNach Leiden Freuden, schenke Huld und GnadeAuch uns Gefährten auf dem Pilgerpfade! |