BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Clemens Brentano

1778 - 1842

 

Gedichte 1834 - 1842

 

1835

April: Überarbeitung des Märchens von «Fanferlieschen Schönefüßchen».

Brentano-Portrait von Emilie Linder

Jahresende: Beginn der Arbeit am großen Gockelmärchen.

 

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20. Jenner, nach grossem Leid

 

Ich darf wohl von den Sternen singen,

Mich hat die Blume angeblickt,

Und wird mein armes Lied gelingen,

Dann wird vom Stern mir zugenickt.

O Stern und Blume, Geist und Kleid,

Lieb, Leid, und Zeit und Ewigkeit.

 

Im Garten stand die frühe Waise,

Und senkt den Blick zum Blumenfeld

Die Sonne sank im Purpurgleise,

Die Sterne spannen aus ihr Zelt.

O Stern und Blume, Geist und Kleid,

Lieb, Leid, und Zeit und Ewigkeit.

 

Mit euch wohl wagt ein Kind zu sprechen,

Ihr kennet mich und bin ich stumm,

Weil mir das kranke Herz will brechen,

Bringt ihr mich nicht mit Fragen um.

O Stern und Blume, Geist und Kleid,

Lieb, Leid, und Zeit und Ewigkeit.

 

Ihr lieben Blumen still und innig

Ein Tröpfchen Tau, ein Licht, ein Hauch,

Ihr lieben Sterne klar und sinnig

Ein Strahl, ein Blick, ein Blitz, ein Aug'.

O Stern und Blume, Geist und Kleid,

Lieb, Leid, und Zeit und Ewigkeit.

 

Und wie die Sterne heller blinken

Beugt Schatten sich aufs Blumenfeld

Und auch des Kindes Augen sinken,

Der Traum sie in den Armen hält.

O Stern und Blume, Geist und Kleid,

Lieb, Leid, und Zeit und Ewigkeit.

 

Ihr Engel steiget auf und nieder

Bringt Sternenlust, bringt Blumenschmerz,

Und küßt die unerschaffnen Lieder

Und legt sie schlafen auf ihr Herz.

O Stern und Blume, Geist und Kleid,

Lieb, Leid, und Zeit und Ewigkeit.

 

Und wiegt die tauberauschte Rose,

Im Dornenbettchen bald zur Ruh',

Und schließt dem Veilchen in dem Moose,

Die frommen Augen segnend zu.

O Stern und Blume, Geist und Kleid,

Lieb, Leid, und Zeit und Ewigkeit.

 

Die Blumen all, die farbig prangen,

Sie waren bald nicht mehr zu sehn,

Die Nacht nahm ihre Pracht gefangen

Nur eine Schar blieb betend stehn.

O Stern und Blume, Geist und Kleid,

Lieb, Leid, und Zeit und Ewigkeit.

 

Sieh dorten um die süße Linde

Steht eine reine Lilienschar,

Der Engel zeigte sie dem Kinde,

Sie leuchteten ganz wunderbar.

O Stern und Blume, Geist und Kleid,

Lieb, Leid, und Zeit und Ewigkeit.

 

Der Engel sprach: mein Kind, o sehe,

Die Lilie unter Dornen dort,

Das Licht wird Fleisch, horch: «Es geschehe

Der Magd des Herrn nach deinem Wort!»

O Stern und Blume, Geist und Kleid,

Lieb, Leid, und Zeit und Ewigkeit.

 

Die Lilie spinnt nicht, doch es webet

Aus ihr das Wort sich einen Leib,

Zur Jungfrau ist das Licht geschwebet,

Und Mutter Gottes ward das Weib.

O Stern und Blume, Geist und Kleid,

Lieb, Leid, und Zeit und Ewigkeit.

 

Und als der Geist sie überschattet

Deckt rings die Nacht das Blumenfeld,

Der Lilie nur das Licht sich gattet

Das auf den Leuchter wird gestellt.

O Stern und Blume, Geist und Kleid,

Lieb, Leid, und Zeit und Ewigkeit.

 

Die Lilie, die nicht zieht nicht schweifet,

Nicht fallen läßt und wieder sucht

Die sehnend still zum Lichte greifet,

Sie fand das Licht und trug die Frucht.

O Stern und Blume, Geist und Kleid,

Lieb, Leid, und Zeit und Ewigkeit.

 

So sprach der Engel zu dem Kinde

Und führt es zu der Lilie Licht,

Da kniet es nieder an der Linde

Und fand im Traum die Worte nicht.

O Stern und Blume, Geist und Kleid,

Lieb, Leid, und Zeit und Ewigkeit.

 

Da sprach zum Kind die reine Lilie,

Die nie vorher gesprochen hat,

Wach auf, wach auf zu mir Emilie,

Sing mit mir das Magnificat.

O Stern und Blume, Geist und Kleid,

Lieb, Leid, und Zeit und Ewigkeit.

 

Ob sie es sang, ich kann's nicht sagen

Sie hat mich träumend angeblickt,

Es hat ihr Herz bei mir geschlagen,

Es hat ihr Haupt mir zugenickt.

O Stern und Blume, Geist und Kleid,

Lieb, Leid, und Zeit und Ewigkeit.

 

Das kalte Wissen war ermattet,

Das milde Fühlen war erwacht,

Die Blumen waren überschattet

Emilie hat mich angelacht.

O Stern und Blume, Geist und Kleid,

Lieb, Leid, und Zeit und Ewigkeit.

 

Geh armes Lied und sag der Lieben

Es hat ein Herz zum Tode krank

Mich unter Tränen aufgeschrieben,

Und zagt, ich sei dir nicht zu Dank!

O Stern und Blume, Geist und Kleid,

Lieb, Leid, und Zeit und Ewigkeit.

 

Entstanden vermutlich 1835 (Kemp 1978)

 

 

*

 

Weil meine Lieb' zum Grab gegangen,

Und in den starren Blick gesehn,

Und an dem stummen Mund gehangen,

Muß neu mein Schmerz heut auferstehn.

 

Im Osten hat mir's trüb getaget

Das freudige, das neue Licht;

Die lange Nacht lag ich verzaget,

Dein Abschiedswort verstand ich nicht.

 

Ein Wehelaut, du Herz der Güte,

Zwei Augen, die mich angeschaut,

Doch was drin flehte, was drin glühte,

Das ward mir Armen nicht vertraut.

 

Du fühltest wie so krank ich scheide,

Du edles, mitleidtrunknes Herz,

Und gabst erbarmend zum Geleite

Den Ton, den Blick, den eignen Schmerz.

 

Den Blick sah ich wohl vor mir stehen,

Die lange bang durchweinte Nacht,

Bis ich durch deines Wehlauts Flehen

Aus schönem Schlummer früh erwacht.

 

Da ist dein Schmerz mich wecken kommen,

Er legte mir aufs Herz die Hand,

Und sprach, du krankes Herz willkommen,

Weil heut der Heiland auferstand.

 

Willkomm, o Schmerz, so sprach ich wieder,

Mein Herz ist schwer, das Grab ist leer,

Und heiße Tränen sandt ich nieder,

Daß Tau auch in dem Garten wär.

 

Du zeihtest mich, daß viele Freuden

Mit andern ich nicht teilen kann,

So gib mir Leiden, Leiden, Leiden,

So nimm mein Herz zum Mitleid an.

 

Die Tränen, die so stürzend fließen,

Sind nicht auf Felsen aufgesät,

Ich weiß, daß Blumen daraus sprießen,

Und daß mein Lieben aufersteht.

 

Ja aufersteht mit allen Wunden

Nach langen Qualen lichtverklärt,

Wenn alles wieder ist verbunden,

Was zu dem Leib des Herrn gehört.

 

Jetzt da ich hin zum Garten irre,

Und in die Felsentale seh,

Da sproßt mein Schmerz wie bittre Myrrhe,

Da wird mein Herz wie Aloe.

 

Blind tapp ich an den Felsenwänden

Und streue auf dem Grabe aus,

Den ich gepflückt von linden Händen,

Den schmerzenvollen Blumenstrauß.

 

Komm mit, komm mit, schenk eine Träne,

Den Ton, den Blick, zur Spezerei,

Und grüße mit der Magdalene

Den Herrn durch einen Jubelschrei.

 

Alleluja!

 

Entstanden vermutlich Ostern 1835 (Schultz 1995)

 

 

*

 

Am Ufer bin ich gangen,

Sie schifften auf dem See,

Mein Herz war voll Verlangen,

Ich trug ein heimlich Weh;

Ein Weh, ein Wohl zu sein

So ganz allein, allein, allein!

 

Ich hab hinaus getragen

Mein Herz, und der es liebt,

Der muß zu Haus verzagen,

Der ist zum Tod betrübt,

Und hört die Turtel schreien

So ganz allein, allein, allein!

 

So ging ich wohl zwei Stunden,

Und ob ich sein gedacht

Nur wenige Sekunden,

Das hüll ich in die Nacht

Des stummen Herzens ein

So ganz allein, allein, allein!

 

Es stürmt, der See schlägt Wellen,

Unheimlich saust der Wind,

Nie will ich mich gesellen,

Ich wirres, irres Kind,

Dem, der mich liebt mit Pein

So ganz allein, allein, allein!

 

Und sollt er auch erblinden

In seiner Tränen Flut,

Nie will ich mich verbinden,

Dem ich am Herz geruht;

Stirbt er, grabt mir ihn ein

So ganz allein, allein, allein!

 

Schon zittern ihm die Schmerzen

Um das gebrochne Herz

Gleich stillen Totenkerzen;

Ich laß ihn, reißt der Schmerz

Ihm gleich durch Mark und Bein,

So ganz allein, allein, allein!

 

Es war sein ganzes Leben

Im bittern Weh verglüht,

Da hab ich ihn umgeben,

Da ist er neu erblüht;

Mein ist er, ich nicht sein

So ganz allein, allein, allein!

 

Wohin, wohin mich wenden?

Ich armes Waiselein,

Von allen Felsenwänden

Hör ich das Echo schrein,

Arm Kind, o du mußt sein

So ganz allein, allein, allein!

 

Die Wellen sind Gesellen,

Die Vöglein zwei und zwei,

In Ufern gehn die Quellen,

Sein Echo hat mein Schrei,

Und ruft vom Felsenstein

So ganz allein, allein, allein!

 

Viel bin ich umgezogen,

Hab redlich angeblickt,

War liebevoll gewogen,

Hab freundlich zugenickt!

Die Wahrheit ließ der Schein

So ganz allein, allein, allein!

 

Und wem ich bot zu trinken,

Der ward so schwer berauscht,

Er ließ den Becher sinken,

Und hat ihn leicht vertauscht,

Den Zauberbecher mein

So ganz allein, allein, allein!

 

Du einsam Kreuz am Pfade!

Scheu blicke ich hinan,

O süßer Herr der Gnade

Blick doch dein Schäflein an!

Treib treuer Hirt mich ein

Bald ganz allein, allein, allein!

 

Da spricht's: Tu keinem andern,

Was dir nicht soll geschehn,

Willst du nicht einsam wandern,

So laß nicht einsam stehn,

Laß nicht, willst du nicht sein

So ganz allein, allein, allein!

 

Will keiner mir begegnen

Auf diesem öden Pfad,

Soll ich die Welt gesegnen,

Verlassen am Gestad?

Da schallt ein Tritt – es naht

Wer ist's? – sein will ich sein

So ganz allein, allein, allein!

 

Sag liebrer Wandrer, bist du's,

So biete mir gut Zeit.

«Gelobt sei Jesus Christus!»

– In alle Ewigkeit.

Ach ja, wenn es soll sein

So ganz allein, allein, allein!

 

In Trauer begonnen,

In Reue vollendet

Zum Kreuz gewendet

Mit Tränen beronnen.

 

Entstanden vermutlich 1835 (Schultz 1995)

 

 

*

 

Als ich nüchtern dich berauschet,

Taub und schlafend dich belauschet,

Stumm nach dir gelockt, gesungen,

Lahm die Hand' nach dir gerungen,

Blind nach dir mich umgeschaut

Unvertraulich dir vertraut

Schreckte mich der Lichter Funkeln

Und der Töne Schall im Dunkeln,

Denn die Fackeln und Schalmeien

Hört in stiller Nacht ich schreien:

Ohne Opfer geht das süße Wunder,

Gehn die armen Herzen alle unter.

 

Entstanden 1835 (Boëtius 1985)

 

 

*

 

Bitte, bitte,

Wenn du wüßtest,

Was ich litte,

Ach du küßtest,

Meine Schritte,

Durch die Hütte,

Lerne, lerne –

Sieh die Sitte

Und die Sterne

Lauschen draußen,

Gar nicht ferne –

Und wir hausen

Still hier innen,

Selig Stille

Kein Besinnen,

Und kein Wille -

Und wir spinnen

Eine Hülle

Für die arme

Nackte Liebe

Gott erbarme!

Daß sie bliebe

Nicht so frierend –

Nicht so rührend –

 

Entstanden Mitte der dreißiger Jahre (Boëtius 1985)

 

 

*

 

Nie erzielet,

Nie verspielet!

Aufgeräumtes,

Schwer durchträumtes

Lauf gezäumtes

Blutgeschäumtes

Mutgebäumtes

Glutgesäumtes

SitzzuPferdchen

Blitzgebärdchen

Spitzgelehrtchen

Witzbeschwertchen

Treu Gefährtchen

 

Entstanden Mitte der dreißiger Jahre (Boëtius 1985)

 

 

*

 

Dann spannt sies auf die Wiesen

Im Sonnenbrand,

Mit Tränen ichs begieße

Bis sie es bleicher fand.

 

Dann hat sie es zerschnitten,

Die grimme Pein

Mein Gott, was ich erlitten

Das weißt nur du allein

 

Und hat mir angemessen

Ein Totenhemd

Und hat mich dann vergessen,

Und Weh ich war ihr fremd.

 

Und ist zu mir gekommen

In Kerkers Nacht,

Und hat mir Maß genommen

und hat mich angelacht.

 

Da hab ich sie umfangen,

Ans Herz gedrückt,

Und alle Engel sangen,

Doch sie hat stumm geblickt.

 

An sich wollt sie nur messen

Mein Totenhemd

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

 

Dann hat sie es genähet,

So Stich vor Stich –

Und alle Stiche, sehet,

Durchbohren blutig mich.

 

Denn was sie leidet, tuet,

Erleide ich,

Nur wenn sie schlafend ruhet

Da wein und wache ich

 

Dort seht sie bei der Linde,

Ach Gott erbarm!

Mein Totenhemd im Winde

Weht weiß von ihrem Arm.

 

O Jammerzug halt stille,

An diesem Ort,

Des Armen letzter Wille,

Ist auch ein heilig Wort.

 

Süß Lieb schwarzlaubge Linde,

Nun hör mich an

Du Herz so hart, so linde

Nun schau mein Elend an.

 

Das Weib so hingegeben,

Und so erstarrt

Du heiß ergoßnes Leben

Du glühend Eis, so hart.

 

Das Herz so ganz vermauert,

Du stummer Mund,

Du Blick, der starrend lauert,

Du Hand in Hand ohn Bund.

 

Du Seel in Dichter Hülle

Du Schulter blank,

Du Hungers Überfülle

Du Leib so schlank und krank

 

Du fast erstarrtes Hüpfen,

Du flammend Eis

Du schnellerstarrtes Zücken

Du Wünschelrutenreis –

 

Du Stunden Schwindelspule,

Die stets den Faden sucht

Du in der Lehrer Schule

Verblühend ohne Frucht.

 

Streng rechnende Verschwendung

Du Wechseltreu

Umarmende Abwendung

Verwundung ewig neu.

 

Du bettelarme Fülle

Du trunkne Nüchternheit

Du mutternackte Hülle

Tollkühner Schüchternheit

 

Du plauderhaftes Schweigen

Du Rätsel, offenbar,

Noch dir, noch andern eigen –

Noch Opfer am Altar.

 

Du Mandelkern der Liebe

Du bittre Süßigkeit

Du Wandelstern der Triebe

Geschäftger Müßigkeit.

 

Sprich starre Sturmeswelle,

Wo ist mein golden Vlies

Bewegte Felsenschwelle

Vor meinem Paradies?

 

Süß Lieb, schwarzlaubge Linde

Sie führen mich hinaus

Streu säusle in dem Winde

Noch einge Blüten aus.

 

Blüh sinnendes Gestirne

In finsterm Wolkensaum

Und nimm mir von der Stirne

Den armen reichen Traum.

 

Den Traum, daß ich geboren,

Durch dich zu sterben bin

Und das was ich verloren

Durch dich allein gewinn.

 

Den Traum, den ewige Wahrheit

Geb Zeugnis in dem Leib,

Es hab des Lichtes Klarheit

Verkörpert sich im Weib.

 

Der Traum, der sei verfluchet

Der deines Zaubers Bann

Gefunden, ungesuchet

Und ihn verlassen kann.

 

Wahrlich bin ich wohl armselig

Arme Seele, o erbarm

Dir im Arm bin ich so selig

Als die in der Seele arm.

 

Und als ich so gesprochen

Ward ihre Lippe stumm

Es blei . . . . . . . . gebrochen

Da dreht ihr Haupt sich um

 

Zog zuckend mit den Händen

Den Pfeil aus ihrem Haar,

Ich glaubt, sie wollte enden

Und bot mein Herz ihr dar.

 

Da hängt sie hoch im Baume

Den Pfeil wohl an ein Haar,

Aus meines Himmels Räume

Schwebt ewig die Gefahr.

 

Entstanden Mitte der dreißiger Jahre (Boëtius 1985)

 

 

*

 

Traurig aus den Paradiesen

deiner Nähe ausgeschlossen,

fühlt ich mich dahin gewiesen,

wo auch du einst bist entsprossen,

dich du süße zu erreichen,

mußt(e) ich durch die Geschichte

klimmen, klettern, schleichen,

steigen, bis zum heiligen Gedichte,

und ich kam zum Paradiese,

alles war da still verlassen,

ging durch manche Blumenwiese,

und durch viele Blütengassen,

sang, süß Lieb, schwarzlaub'ge Linde!

Dacht' auch hier ist mehr kein Frieden,

der ist bei dem lieben Kinde

auf der Erde dort hinieden.

Aber wo sind all die Tiere,

sieh da hörte ich (ein) Brausen

und nun naht ich dem Reviere,

o welch wunderbares Sausen,

auf dem Kreise hoher Palmen,

wiegten sich der Vögel Scharen,

sangen hoch entzückte Psalmen,

o der süßen wunderklaren,

hohen, tiefen Jubelsstimmen,

wie sie eins und tausendfaltig

auf und ab sie selig klimmen,

wie so leise und gewaltig,

sie sich wiegen, und verschlingen,

Ett *), ich laß dir alle Ehre,

aber so kannst du nicht singen,

wärst in diesem Wohllautsmeere,

einen Karpfen kaum ersetzen,

dem Arion mit der Leier

auf den Buckel wollte setzen,

singend seiner Rettung Feier.

Unten an dem Fuß der Zedern,

war ein anderes Gedränge,

oben sang das Volk der Federn,

unten die vierfüßge Menge,

von dem Löwen bis zum Mäuslein

sangen sie in Wechselchören,

machten auch kein falsches Päuslein,

schlugen Takt mit Schweif und Pfoten,

da ich wollt verwundert fragen,

ei wo sind nur ihre Noten,

fühlte ich mein Herz so schlagen,

und süß Lieb, schwarzlaub'ge Linde,

sang ich fort, sie sangens alle,

sangen all vom Eulenkinde,

wie es fern auf Erden walle,

wie ein Eichhorn flink und putzig,

wie ein Kind bald laut, bald stille,

wie die Eule finster, trutzig,

und so klug wie die Sibylle,

sangen, sehnend, dehnend, h(ü)pfend,

sangen traurig, sangen heiter,

wiegend, schmiegend und entschlüpfend,

wieder knüpfend und so weiter.

Aber mitten zu dem Raume,

meine Blicke sehnend wanden,

sah ich bei bei dem Ebenbaume,

zitternd stehn den Elephanten,

und den Stamm umschlingt sein Rüssel,

reißt und biegt ihn hin und wieder,

und dies war der Tonart Schlüssel,

war der Geist all dieser Lieder.

Und des Elephanten Zähne,

lodern bald wie lichte Flamme,

die aus innrer Glut entbrannten,

zu dem dunklen Ebenstamme,

bald sie ihm mit süßem Streicheln,

daß er sprühet rote Funken,

nahn, als wollten sie ihm schmeicheln,

beide schienen Wonne trunken,

doch ich hab sie gleich verstanden,

nahte mich dem Ebenbaume,

nahte mich dem Elephanten

und half beiden aus dem Traume,

kaum er faßt mir meine Rechte,

faßt den Zahn des Elephanten,

kaum ich meine Linke flechte,

um den Stamm, sie Frieden fanden

und in Mitten meines Herzens,

war der Kampf, ein Feuer flüchtig

zog durch mich mit süßen Schmerzen,

ach ich war so eifersüchtig,

Elfenbein das sie berühret

mit den kleinen süßen Fingern

mich bis in den Ursprung rühret,

und das mit den kleinen Dingern,

mit den Füßen sie betrappelt,

Ebenholz mich heiß durchzappelt,

und ich sang ihr Paradiese,

gebt ein Zeugnis dieser Süßen,

Süß allein allein ist diese,

recht vom Kopf bis zu den Füßen,

und es sangen alle vom süßen Eulenkinde

O süß Lieb, schwarzlaub'ge Linde!

 

Entstanden Mitte der dreißiger Jahre (Boëtius 1985)

 

___________

 

*)

Der Münchener Hoforganist Caspar Ett, der bei Emilie Linder

musikalische Soireen veranstaltete.

 

 

*

 

Wiedergekehrt zu[r] Stellen zwischen den Gärten,

War ich ermüdet und krank und die Muse stützte mich nicht –

Kein Spiel war in den Gärten, aber Verwüstung strömte

Auf reißenden Wogen umher, Wehklagen und Fluten

Aus Wolken und Abgrund fielen und stiegen die Wasser

Und füllten die sichere Ebne mit Same des Jammers,

Spiegel der Not, ein Meer die Wiese, das Ährenfeld

Wallend von Wogen, wie von Halmen sonst,

Der Eilwagen schwimmet, und Estafetten hangen auf Bäumen

Wie Korallenzweige, blasend Tritonen gleich, Fahr auf der Post.

Wie Masten gestrandeter Schiffe ragen die Türme,

Notfeuer tragend, Kähne durchirren schüchtern

Wie ernste Schiffer unbefahrene Fluten.

Der Stier schwimmet tragend die jammernde Hirtin

Einer Europa gleich, doch nicht zur Liebe entführt,

Und das weggeflutete Schwein möchte Arion gern tragen

Könnte Delphi es nur sein, bis Sumpf diese Flut wird.

Sie dort springt von dem wankenden Bau ein Mann,

Wie Arion, weggestoßen vom Bord, kein Mitleid verfolgt ihn

Hebt seine Leier er hoch. Horch! Singt er – nein der Mauthner ists

Den Tarif streckt er empor und möchte sich retten

Auf den grunzenden Sack, der schwimmend die Linie passiert

Alles versöhnt sich, wie in Tränen der Zorn sich lindernd

Liebe wird, löset das Wasser vieles Geschiedene auf,

Schlaff wird die Zollinie, sie schwimmet, war sie ein Damm doch

Dem Wasser jetzt, wie nur dem Wein, war sie ein Zaun doch der Not

Wie sonst dem Brot. Ach ist dann zu Wasser geworden

Alles verheißene Wohl des Landes –Schweig! Freund!

Denke der Sündflut, anders steuert, der Not,

Der die Flut in der Hand trägt, als der Folternde

Arzt mit der Brille die Tropfen fallen läßt der Genesung

Auf die Zirbeldrüse des Kranken, er ihn angrinst,

Anders steuert, der die Arche steuerte, als die Erfinder

Der argen Besteurung, nicht trennt er und bindet,

Allen gemeinsames Weh sendend verhöhnet er alle,

Und möchten sehr viele lieber Aale jetzt sein

Zu schwimmen, und lieber alle, ringend mit Fluten

Der ungebundnen Zerstörung, der sie die Dämme durchstochen

Flüchteten gern mit sehr vielen in die Höhen des Beherrschers.

Aber anders hilft Gott, die Fluten halten Wage –

Und mit den Wogen des Wehs steigen die Wogen des Mitleids,

Die Klage, das Flehen

 

Entstanden Mitte der dreißiger Jahre (Boëtius 1985)

 

 

*

 

Eulenkind

Fräulen Lind

Eingeschneckt

Zugedeckt

Ganz versteckt

Ausgeheckt.

Schwarzgelockt

Leicht gesockt

Heiß geminnt

Gleich gesinnt

Leicht zu Pferd

Reich gelehrt

Schmetterling

Zauberring

Wunderding

Bunt verbrieft

Und vertieft

Schwalbenzug,

Halber klug. –

 

Entstanden Mitte der dreißiger Jahre (Boëtius 1985)

 

 

*

 

Du verstecktes

2   Zugedecktes

3   Eingeschnecktes

4   Ausgehecktes

5   Schwarzgelocktes

6   Leichtgesocktes

7   Heiß geminntes

8   Weis gesinntes

9   Leis, geschwindes

10   Spiel des Windes

11   Sehend blindes

12   Fein geschnürtes

13   Bein geziertes

14   Heiß ersehntes

15    Leis versöhntes

16    Gold verwöhntes

17   Hold verschöntes

18   Huld gekröntes

19   Viel geprüftes

20   Nur (?) verbrieftes

30   Und vertieftes

31   Nie verschieftes

32   All geliebtes

33   Mir betrübtes

34   Und geübtes

35   Viel gereistes

36   Mehl gespeistes

37   Seel umkreistes

38   Nie erzieltes

39   Nie verspieltes

40   Leicht gezäumtes

41   Aufgeräumtes

42   Mut gebäumtes

43   Blut durchschäumtes

44   Glut gesäumtes

45   Leicht zu Pferdchen

46   Tiefgelehrtchen

47   Huldgebärdchen

48   Treugefährtchen

50   Unversehrtchen

51   Harfenistin

52   Scharfe Christin

53   Bunt Palettchen

54   Schlüsselkettchen

 

Entstanden Mitte der dreißiger Jahre (Boëtius 1985)

 

 

*

 

Die Wärme fragt den Schmetterling

Warum er sich so härme

Warum er so die Flügel hing

Und nicht sehr freudig schwärme,

Der Schmetterling zur Wärme sprach

Weil ich die Flamme liebe

Sie zieht mich an, ich zieh ihr nach

Gelegenheit macht Diebe –

Die Flamme hat ein Röckchen an

Das ist weit ausgeschnitten

Da hab ich mir oft weh getan

Hab große Glut erlitten

Es zog mich hin das süße Licht

Das von den Schultern zücket

Da ward ich übel zugericht't

Und bin noch ganz verrücket.

Ich habe mir die Flügel bunt

Am Nacken blank versenget

An mir ist gar nichts mehr gesund

Es ist mein Tod verhänget.

Die Wärme sprach, du armer Wicht

Die Flamme das nicht wußte –

An so was denkt die Flamme nicht,

Daß sie dich ärgern mußte –

Warum hast du ihrs nicht gesagt,

Sie hätt' sich gleich bedecket,

Der Schmetterling sprach, oft geklagt

Hab ich's und nichts erzwecket,

Sie flackerte stets lichterloh

Heraus an allen Ecken

Nur wo Glut war, war's nicht so –

Da könnt sie sich verstecken.

Und endlich war ichs gar gewöhnt,

Fühlt mich heraus gefordert,

Und finde sie jetzt gar verschönt

Je mehr die Schulter lodert. –

Die Wärme sprach, es kann nicht sein

Die Flamme ist unschuldig

Sie weiß das Wort vom Mühlenstein

Vom Ärgernis, das schuldig.

Sie hat mich lieb, mir nur vertrau,

Sie folgt mir ohn Verdrießen,

Sie macht sich jetzt ein Röcklein grau

Das sich am Hals wird schließen.

 

Da dankt der arme Schmetterling

Und glaubt der Wärme treulich

Und als er zu der Flamme ging

Da war's ihm gar erfreulich

Daß sie das graue Zeug ihm zeigt

Und wie gefällt dirs? fragte

Die Asche deckt die Flamme leicht

Er zu der Lieben sagte.

 

(Und hat dem Wort der Wärme fest

Unwandelbar getrauet

Das Röcklein, das sie machen läßt

Wird ohn Gefahr beschauet.

Ich bin zu schlecht, ich wars nicht wert,

Daß sie um mich es tue

Wenns nur der Wärme wird gewährt,

Komm ich doch mehr zur Ruhe!

S' tut freilich weh, mein Leben hab

Ich um die Flamm gegeben.

Sie tut drum keinen Nadelstich

Ich muß in Ängsten schweben.

Der Schmetterling glaubt sicherlich

Tät alle Blumen wecken

Und schwur: der Flamme Schulter sich

Mit grauer Asch' wird decken.)

Und sieh, die Flamme sprach, mein Freund

Die Wärme läßt dich grüßen,

Sie hat es gut mit dir gemeint –

Will dir dein Leid versüßen

Sie bittet mich: Kannst du auch nicht

Den armen Schelmen lieben

Den deine Glut vom Sonnenlicht

Zur Flamme hat getrieben

So ist es doch nur kleine Gunst

Dein Röcklein so zu schneiden,

Daß er in deiner Reize Brunst

Nicht muß den Tod erleiden.

Wenn er dies wen'ge nur begehrt,

Der Alles dir gegeben,

So sei die Laune ihm gewährt,

Für sein mühselig Leben.

So und dergleichen andres viel

Die Flamme ihm erzählte

Er glaubte freudig sich am Ziel

Weil sie dies nicht verhehlte.

Der Schmetterling traut sicherlich

Tät alle Blumen wecken

Und schwur, mit Asche werde sich

Der Flamme Schulter decken.

Und nichts hat er geglaubt so fest,

Und hat sich drauf verschworen

Dem Nord, dem Süd', dem Ost, dem West

Die spitzten all die Ohren

Und trauerten, solln wir nicht mehr

Der Flamme Schulter küssen

Und auf der grauen Asche schwer

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . büßen.

Kommt Zeit, kommt Rat, wir kennen auch

Der Flamme flüchtig Wesen

Die Asche ist wohl gar dem Rauch

Nur so ein Traum gewesen,

Wir dürfen unsern Tummelplatz

Ein wenig an nur kühlen

Weht Asche fort, und überm Schatz

Wird neu die Flamme spielen.

 

Der Schmetterling war unverzagt

Sich alles Heils gewärtig

Und als er einst die Flamme fragt

Ists graue Kleid bald fertig

Sprach sie, ich hab es ja schon an,

Kannst du's denn nicht erkennen,

Der Schmetterling der flog heran

Und seine Flügel brennen –

Es war der Flamme Röckchen weit

Wie früher ausgeschnitten

Am Herzen still hat großes Leid

Der Schmetterling erlitten.

Die Flamme sprach, ich ließ den Rand

Nicht höher auf mir rücken,

Stirbt gleich ein andrer hier verbrannt,

Will drum ich nicht ersticken.

Ich laß mir einen Spenzer noch

Für einen Notfall machen,

So hielte ich mein Wörtchen doch

Gott helfe allen Schwachen!

 

Der Schmetterling, ohn Hoffnung lang

Verlor nun ganz den Glauben,

Doch wird ihm selbst sein Untergang

Niemals die Liebe rauben,

Denn muß die Flamme von Natur

Bedecket gleich ersticken

So kann der Schmetterling auch nur

Hin in die Flamme zücken.

Die Flügel sind ihm schon verbrannt,

Bald wird den Tod er finden

Und mit ihm wird was er empfand

Verwehn in allen Winden.

O Schmetterling, flieh Flamm und Rauch

O schweb doch in die Sonne,

Da ist die liebe Wärme auch,

Da ist viel Licht und Wonne.

O Flamme, die so hell du scheinst,

So fein, so fein gesponnen,

Auch du kommst noch als Asche einst

Verglühet an die Sonnen.

Um deine Asche ewig wird

Sich seine Asche drehen

Und immer (?) wird der treue Hirt

Auf dürre Weide säen.

Und wird die dürre Weide gut

Zum dichten Blumenrasen,

O mögen dann in treuer Hut

Die Lämmer drüber grasen.

Mir träumt, es naht ein treuer Hirt

Zu sammeln seine Schafe,

Der Engel Gruß bald wecken wird

Die Hirten aus dem Schlafe –

Gott in der Höh sei Ehr und Preis,

Und Friede soll erfüllen

Die Menschen auf dem Erdenkreis

So sie von gutem Willen.

 

Entstanden Mitte der dreißiger Jahre (Boëtius 1985)

 

 

*

 

Blätter die ein hold Vertrauen

An mein krankes Herz gelegt

Laßt mit Tränen euch betauen

Denn der Schmerz, der euch bewegt,

Hat das Liebchen meiner Schmerzen

Einst im Liebesleid gehegt,

Sei willkommen meinem Herzen

Schmerz, den liebend sie gepflegt.

Wohl ist es ein tiefes Leiden

So ein armes Kind zu sehn

Wie es irrt auf wilden Weiden

Sich ein Hälmchen zu erspähn

Wie es im Vorüberschreiten,

An dem Dorn sein goldnes Vlies,

Vögeln Nestchen zu bereiten

Hin und wieder hangen ließ.

Daß zerrupft an allen Seiten

Es gar manche Blöße wies

Und wohl tiefe arge Wunden

In das liebe Herz sich stieß.

Und kein Heilkraut doch gefunden,

Wie man dies und jens auch pries

Dran es möchte neu gesunden

Sag, ist eine Liebe dies

Mit dem Wahne traumverbunden

Dem verlornen Paradies

Das im Innern ist verschwunden

Auf der Sandflut hartem Kies

Leid und liebvoll nach zu runden.

 

Entstanden Mitte der dreißiger Jahre (Boëtius 1985)

 

 

*

 

Unter einem Feigenbaume

Auf dem Eselssattel lehnend,

Dich an ein . . . . . . . . . Saume

Sah ich ganz allein sich wähnend,

 

Zweie klug und schwarz wie Raben,

Einen Bettler und sein Mädchen

Beide gleich einander haben

Sie am Fädchen, er am Drähtchen.

 

Während sie den Knaben lauset

Fängt dem Mädchen er die Flöhe,

Wie ein Kätzchen, das gut mauset

Er ein Falke auf der Spähe.

 

Sie guckt starrend weg zur Ferne,

Fühlt und faßt doch was sie suchet,

Er guckt harrend in die Sterne

Ihrer Augen und versuchet

 

Von dem Glanze einer Feige

Die ihr auf dem Schlüsselbeine

Ruht, gefallen von dem Zweige,

Küßt die Schulter er, die Reine,

 

Und ihr Stechblick, der in Züchten

Starret, gleicht der Wespe Pfeilen,

Die nach süßgereiften Früchten

In des Nachbarn Garten eilen

 

Und des klugen Mundes Lippe

Schwillt, und wie die Welle

Die zunächst die heiße Klippe

Küßt mit ihrer lauen Welle.

 

Er gesteht, was beide wissen

Sie verschweigt, was beide fühlen,

Daß er küßt, was sie läßt küssen

Und das Wasser dreht die Mühlen.

 

Endlich spricht die braune Schlange,

Diese flinke Zitterhexe,

Diese Hange und Verlange

Dieses stumme Fühlgewächse:

 

Wahrlich, wahrlich, mich nimmt Wunder

Wie wir sind so sehr verschieden,

Deiner Seele feinsten Zunder

Stahl und Stein kannst aus du bieten,

 

Deine Fehler, deine Schwächen

Deine Schulden, deine Leiden,

Gießt du aus in reichen Bächen

Auf den Schaf- und Rinderweiden,

 

Das ist ein sich selbst zerreißen,

Ach bedecket mich ihr Berge

Brauchts bei dir einst nicht zu heißen,

Denn es wissen jene Zwerge

 

Die in unterirdschen Höhlen

Die geheimen Schätze hüten,

Nichts garnichts erzählen

Gar von dir nichts auszubieten.

 

Gestern hört ich dich vor manchen

Maultiertreibern und Studenten

Und vor Gretchen und vor Hannchen

All dein Innres so umwenden,

 

Wie man eine Tasche fegt,

Was, die eine Hand beschauet

Die Zigeunrin ausgelegt,

Hast du allen da vertrauet.

 

Wie du nur in Einem lebest

Immer nur nach Einem blickest,

Wie dich drücket was du hebest,

Wie du was du hebst erdrückest.

 

Was ich immer muß verstecken

Meiner Seele goldne Vliese

Hängest du an alle Hecken

Wie die Schafe auf der Wiese

 

Die sich drängen zu dem Borne,

Von der Wolle stets das Beste

Hangen lassen an dem Dorne

Vögel tragens dann zu Neste.

 

Drauf der Bursche, der die Augen

Nie von ihrem Mund gewendet:

Kanns ins Nest dem Vogel taugen

Wohl so ist mir nichts verschwendet.

 

Ja verschieden sind wir beide

Ich bin männlich, du bist weiblich

Offen sind in Lust und Leide

Ich so seelisch, als du leiblich.

 

Meine Seel ist unverschlossen,

Vögel tragen draus zu Nest,

Weil dein Leib ist ausgegossen

Schnürst du gleich die Seele fest.

 

Wahrlich mich nahm wunder

Wie wir sind so schön verschieden

Wie du deines Leibes Zunder

Fleisch und Bein so kühn kannst bieten,

 

Deine Schultern, deinen Nacken,

Deine Füllen, deine Schwächen,

Deine Wogen, deine Hacken

Gießt du aus bei allen Zechen

 

Allen stets zur Augenweide

Hört dein Leib nicht auf zu plaudern,

Meine Seele, was sie leide

Kann nicht auszusprechen zaudern

 

Wie dein Leib nur immer locket

Sieh so locket meine Seele

Wie dein Seelchen ist verstocket

Daß es Seel und Leib mir schmähle,

 

Zeig ich meiner Seele Lasten

Zeigst du deines Leibes Nacken

Trunken machst du um zu fasten

Und packst aus um einzusacken.

 

Während er so spricht, da runzelt

Ihre Seele ernst die Stirne

Während so so zürnt, da schmunzelt

Süßer Mund der braunen Dirne.

 

Ach wie oft sah ich, wie jeder

Küster, Meister und Studente

Hinz und Kunz und Paul und Peter,

Sich an deinem Leib entbrennte,

 

Wie dich Gottes Hand gebauet

Hast du stets zu Tag gelegt

Hast der Welt du anvertrauet

. . .

 

Entstanden Mitte der dreißiger Jahre (Boëtius 1985)

 

 

*

 

Singet vor den Kirchentüren

Meine Seele in Romanzen

Und dein Leib läßt auf dem Tiere

Seine Lust die Stadt durchtanzen

 

Läßt mein Leib die Feuerseele

Ruhig wie Vesuve fühlen

Treibt zum Meer dich deine Seele

Deinen Feuerleib zu kühlen

 

Wie sich meine Seele rüstet,

Und gelüstet nach der Liebe

So dein Leib sich offen brüstet

Und gelüstet nach dem Triebe,

 

Meine Seele kann nur lieben

Und mein Leib liebt nur gezwungen

Und dein Leib, er liegt den Trieben

Mit der Seele abgerungen.

 

Als ich deinen Esel kämmte,

Sah ich wie er voller (?) Blut,

Weil der Sattelhammer (?) klemmte,

Ihn gefärbt mit roter Flut,

 

Und ich hab es abgeweichet

Und getrocknet in ein Tuch,

Der Zigeunrin es gereichnet,

Die mir drauf die Karten schlug

 

Und sie sprach: gar viele Briefe,

Schreibt sie, werden ihr geschrieben

Stellt sich oft, als ob sie schliefe,

Läßt sich, ohn zu lieben, lieben.

 

Sie hat keine Leberflecken

Muttermale zu verbergen,

Sie hat wenig zu verstecken

Hält sich selbst doch hinter Bergen.

 

Sie ist schwül wie ein Gewitter,

Fächelt wie ein Sommerlüftchen,

Lächelt süß und blicket bitter,

Hüpft das Herz ihr überm Hüftchen.

 

Sie kann selber ein sich schnüren,

Selbst der Locken Schlingen legen,

Selbst sich vor den andern zieren

Doch allein des Anstands wegen

 

Weil ihr Leib sich überwichtig

Machet, läßt den Kopf sie füllen,

Wird das Gleichgewicht einst richtig,

Wird die Seel sich auch enthüllen.

 

Bis dahin darf sie nur nicken

Darf nur schütteln mit dem Köpfchen

Stumm nur in die Flamme blicken

Umfiel leicht sonst das Geschöpfchen.

 

Daß die zarte wilde Rebe

Nicht erliege ihrer Traube

Daß die Taube ruhig schwebe,

Weint die Rebe, lacht die Taube,

 

Sie ist viel herumgezogen

Mit den Grazien und Musen

Unbestimmter Sehnsucht Wogen

Plätschern in dem Kinderbusen.

 

Fetter ist sie sonst gewesen

Und die Augen waren kleiner,

Doch das späte Zeitung lesen

Zehrt am Fleisch und zeigt die Beiner.

 

Alle Abend ißt sie Pflaumen,

Einen Auflauf auch von Mehle

Daß den Auflauf unterm Daumen

Ihres Leibes hält die Seele.

 

Und mit gutem Appetite

Pflegt sie ziemlich zuzuspeisen,

Ob sie wohl aus Liebe bitte,

Auch den Gast sie essen heiße.

 

Ungern läßt sie zu sich sehen

Wenn sie putzt die Backenzähne

Wenge zu Gebot ihr stehen,

Niemand sah je, daß sie gähne.

 

Wo die Zitronen blühen

Feurig schwillt die blaue Traube

Wo die Goldorangen glühen,

Dahin sehnet sich die Taube,

 

War sie je so schön gewesen

Wie das Läppchen ihrer Ohren,

Fegten ihn aus viele Besen

Alle Herzen, die verloren.

 

Denn sie ist wohl ein Gemische

Von sich geben, von sich nehmen

Und von Fleische und von Fische,

Machet wütend und kann zähmen.

 

Weil die Pferde Leidenschaften

Im prophetschen Traum bedeuten,

Liebt im Sattel sie zu haften,

Was sie zügelt, zuzureiten.

 

Vom prosaischen Verstande

Bricht das Herz ihr Leib poetisch,

Wie der ziegenhaargen Tante

Würgt des Nichtchens Herz am Teetisch.

 

Entstanden Mitte der dreißiger Jahre (Boëtius 1985)