Clemens Brentano
1778 - 1842
Gedichte 1797 - 1803
1801Nach Neujahr: «Godwi», Band I erscheint. Januar: In Marburg bei Savigny. 21. Mai: Student der Philosophie in Göttingen. Juni: Freundschaft mit Achim von Arnim. 7. Juli: Sophie Mereau läßt sich scheiden. Ende Juli: Abschluß der Arbeit an «Godwi» II. Mitte September: Schickt «Ponce de Leon» anonym an Goethe. Oktober: Rheinreise mit Savigny. Anfang November: «Godwi» II erscheint.
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Wo ist der GötterrauschDen Psyche sich getrunkenDer Liebe süßer TauschIn Einsamkeit versunken,Mein Tag ist EwigkeitEs pocht mit bangen SchlägenDem Traum der schönsten ZeitDer Nacht mein Herz entgegen.Da will ich dich aus freier WahlWie's Liebe soll, umfassenVom Mondgespenst vom RübezahlMich gar nicht stören lassen.Will kühn des Glückes MaßIn deinen Blicken messenUnd wenn ich Liebe lasIm Kusse es vergessen.Will bei dem GlanzgewühlIn deinem Auge weilenDer süßen Täuschung SpielMit deiner Liebe teilen.
Entstanden vor 1802 (Boëtius 1985)
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Annonciatens Bild
Am Hügel sitzt sie, wo von kühlen RebenEin Dach sich wölbt durchrankt von bunter Wicke,Im Abendhimmel ruhen ihre Blicke,Wo goldne Pfeile durch die Dämmrung schweben.
Orangen sind ihr in den Schoß gegebenZu zeigen, wie die Glut sie nur entzücke,Und länger weilt die Sonne, sieht zurückeZum stillen Kinde in das dunkle Leben.
Der freien Stirne schwarze Locken kränzetIhr goldner Pomeranzen süße Blüte,Zur Seite sitzt ein Pfau, der in den Strahlen
Der Sonne, der er sehnend ruft, erglänzet.Mit solchen Farben wollte das GemüteVon Annonciata fromm ein Künstler malen.
Frühling 1801 (Frühwald 1968)
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Mariens Bild
Im kleinen Stübchen, das von ihrer Seele,An reiner Zierde uns ein Abbild schenket,Sitzt sie und stickt, den holden Blick gesenket,Daß sich ins reine Werk kein Fehler stehle.
Was ihres Busens keuscher Flor verhehleUnd ihre Hand in stillem Fleiße lenket,Die Lilie an ihrer Seite denket,Das Täubchen dir in ihrem Schoß erzähle.
Durchs Fenster sehen linde Sonnenstrahlen,Die Josephs Bild, das eine Wand bedecket,Mit ihrem frohen Glanze heller malen,
Und wär der Schein der Taube zu vereinen,Die sie herabgebückt im Schoß verstecket,Marie würde Mutter Gottes scheinen.
Frühling 1801 (Frühwald 1968)
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Ich wollt' ein Sträußlein binden,Da kam die dunkle Nacht,Kein Blümlein war zu finden,Sonst hätt' ich dir's gebracht.
Da flossen von den WangenMir Tränen in den Klee,Ein Blümlein aufgegangenIch nun im Garten seh'.
Das wollte ich dir brechenWohl in dem dunklen Klee,Doch fing es an zu sprechen:«Ach tue mir nicht weh!
Sei freundlich in dem Herzen,Betracht' dein eigen Leid,Und lasse mich in SchmerzenNicht sterben vor der Zeit.»
Und hätt's nicht so gesprochen,Im Garten ganz allein,So hätt' ich dir's gebrochen,Nun aber darf's nicht sein.
Mein Schatz ist ausgeblieben,Ich bin so ganz allein.Im Lieben wohnt Betrüben,Und kann nicht anders sein.
1801, aus dem Lustspiel «Ponce de Leon» (Frühwald 1968)
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Wenn die Sonne weggegangen,Kömmt die Dunkelheit heran,Abendrot hat goldne Wangen,Und die Nacht hat Trauer an.
Seit die Liebe weggegangen,Bin ich nun ein Mohrenkind,Und die roten, frohen Wangen,Dunkel und verloren sind.
Dunkelheit muß tief verschweigen,Alles Wehe, alle Lust,Aber Mond und Sterne zeigen,Was ihr wohnet in der Brust.
Wenn die Lippen dir verschweigenMeines Herzens stille Glut,Müssen Blick und Tränen zeigen,Wie die Liebe nimmer ruht.
1801, aus dem Lustspiel «Ponce de Leon» (Frühwald 1968)
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Was mag dich nur betrüben?Daß du so traurig denkst.Du mußt wohl Buße üben,Weil du die Blicke senkst.
Wie durch die stillen WiesenDie Bächlein murmelnd gehn,Die Blumen, die dran sprießen,Wie die hinuntersehn,
So seh' ich zu, so horch' ich zu,Bin feundlich mit ihnen auf du und du,Und wollt' daß es mein Liebchen wär',Ei das begreifst du wohl nimmermehr.
Was ist dir nur geschehen?Daß du so ganz alleinIm dunkeln Wald magst gehen,Du mußt wohl närrisch sein.
Wie grüne Büsche lauschen,Und Echo widerklingt,Was leis die Büsche rauschen,Und froh das Vöglein singt.
So horch' ich zu, so ruf' ich zu,Bin freundlich mit ihnen auf du und du,Und wollt', daß es mein Liebchen wär',Ei das begreifst du wohl nimmermehr.
Ich kann es wohl begreifen,Sieh nicht so vor dich hin,So wirst du wohl begreifen,Daß ich dein Liebchen bin.
So laß uns tanzen, springenIm kühlen, grünen Wald,Die Töne laß erklingen,Daß alles freudig schallt,
Tur, lu, tu, tu, tur, lu tu, tu,Wir leben und schweben auf du, und du,Und wenn es nicht mein Liebchen wär'Ei so begriff' ich's wohl nimmermehr.
1801, aus dem Lustspiel «Ponce de Leon» (Frühwald 1968)
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Nach Sevilla, nach Sevilla,Wo die hohen PrachtgebäudeIn den breiten Straßen stehen,Aus den Fenstern reiche Leute,Schön geputzte Frauen sehn,Dahin sehnt mein Herz sich nicht!
Nach Sevilla, nach Sevilla,Wo die letzten Häuser stehen,Sich die Nachbarn freundlich grüßen,Mädchen aus dem Fenster sehn,Ihre Blumen zu begießen,Ach, da sehnt mein Herz sich hin!
In Sevilla, in SevillaWeiß ich wohl ein reines Stübchen,Helle Küche, stille Kammer,In dem Hause wohnt mein Liebchen,Und am Pförtchen glänzt ein Hammer.Poch' ich, macht die Jungfrau auf!
Guten Abend, guten Abend –Lieber Vater, setzt euch nieder,Ei, wo seid ihr dann gewesen?Und dann singt sie schöne Lieder,Kann so hübsch in Büchern lesen,Ach! und ist mein einzig Kind.
1801, aus dem Lustspiel «Ponce de Leon» (Frühwald 1968)
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Als hohe in sich selbst verwandte MächteIn heilger Ordnung bildend sich gereiht,Entzündete im wechslenden GeschlechteDie Liebe lebende Beweglichkeit,Und ward im Beten tiefgeheimer Nächte,Dem Menschen jene Fremde eingeweiht,Ein stilles Heimweh ist mit dir geboren,Hast du gleich früh den Wanderstab verloren.
Die Töne ziehn dich hin, in sanften Wellen,Rauscht leis ihr Strom in Ufern von Kristall,Sirenen buhlen mit der Fahrt Gesellen,Aus Bergestiefen grüßt sie das Metall,Der Donner betet, ihre Segel schwellen,Aus Ferne rufet ernste Widerhall;Die Wimpeln wehn in bunten Melodien,O wolltest du mit in die Fremde ziehen.
Die Farben spannen Netze aus, und winkenDir mit des Aufgangs lebenstrunknem Blick,In ihren Strahlen Brüderschaft zu trinken.Am Berge weilen sie, und sehn zurück –Willst du nicht auch zur Heimat niedersinken?Denn von den Sternen dämmert dein Geschick,Die fremde Heimat, spricht es, zu ergründen,Sollst du des Lichtes Söhnen dich verbünden,
Auch magst du leicht das Vaterland erringen,Hast du der Felsen hartes Herz besiegt,Der Marmor wird in süßem Schmerz erklingen,Der tot und stumm in deinem Wege liegt:Wenn deine Arme glühend ihn umschlingen,Daß er sich deinem Bilde liebend schmiegt;Dann führt dich gern zu jenen fremden Landen,Dein Gott, du selbst, aus ihm und dir erstanden.
Dich schreckt so stiller Gang, so schwer Bemühen,Du sehnest dich in alle Liebe hin,Des Marmors kalte Lippe will nicht glühen,Die Farbe spottet deiner Hände Sinn,Die Töne singen Liebe dir und fliehen,Gewinnst du nicht, so werde selbst Gewinn,Entwickle dich in Form, und Licht, und Tönen,So wird der Heimat Bürgerkranz dich krönen.
O freier Geist, du unerfaßlich Leben,Gesang der Farbe, Formen-Harmonie,Gestalt des Tons, du hell lebendig Weben,In Nacht und Tod, in Stummheit Melodie,In meines Busens Saiten tonlos Beben,Ersteh' in meiner Seele Poesie:Laß mich in ihrer Göttin Wort sie grüßen,Daß sich der Heimat Tore mir erschließen.
Ein guter Bürger will ich Freiheit singen,Der Liebe Freiheit, die in Fremde rang,Will In der Schönheit Grenzen Kränze schlingen,Um meinen Ruf, des Lebens tiefsten Klang,Mir eignen, ihn mit Lied und Lieb erringen,Bis brautlich ganz in Wonne mein Gesang,Gelöst in Lust und Schmerz das Widerstreben,Und eigner Schöpfung Leben niederschweben.
1801, aus dem Roman «Godwi» (Schultz 1995)
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O Tannebaum! o Tannebaum!Du bist mir ein edler Zweig,So treu bist du, man glaubt es kaum,Grünst sommers und winters gleich.
Wenn andere Bäume schneeweiß seinUnd traurig um sich sehen,Sieht man den Tannebaum alleinGanz grün im Walde stehen.
O Tannebaum! o Tannebaum!Du bist mir ein edler Zweig,So treu bist du, man glaubt es kaum,Grünst sommers und winters gleich.
Mein Schätzel ist kein Tannebaum,Ist auch kein edler Zweig,Ich war ihm treu, man glaubt es kaum,Doch blieb er mir nicht gleich.
O Tannebaum! o Tannebaum!Du bist mir ein edler Zweig,So treu bist du, man glaubt es kaum,Grünst sommers und winters gleich.
Er sah die andern schneeweiß seinUnd schimmernd um sich sehn,Und mochte nicht mehr grün alleinBei mir im Walde stehn.
O Tannebaum! o Tannebaum!Du bist mir ein edler Zweig,So treu bist du, man glaubt es kaum,Grünst sommers und winters gleich.
Der andern Bäume dürres ReisSchlägt grün im Frühling aus,Pocht er sein Röckchen, bleibts doch weiß,Schlägt nie das Grün heraus.
O Tannebaum! o Tannebaum!Du bist mir ein edler Zweig,So treu bist du, man glaubt es kaum,Grünst sommers und winters gleich.
Oft hab ich bei mir selbst gedacht,Er kömmt noch einst nach Haus,Spricht: Hab mir selbst was weiß gemacht,Poch mir mein Röcklein aus.
O Tannebaum! o Tannebaum!Du bist mir ein edler Zweig,So treu bist du, man glaubt es kaum,Grünst sommers und winters gleich.
Und klopft ich ihn auch poch, poch, poch,So fliegt nur Staub heraus;Das schöne treue Grün kommt dochNun nimmermehr heraus.
O Tannebaum! o Tannebaum!Du bist mir ein edler Zweig,So treu bist du, man glaubt es kaum,Grünst sommers und winters gleich.
Drum als er mich letzt angelacht,Ich ihm zur Antwort gab:Hast dir und mir was weiß gemacht,Dein Röcklein färbet ab.
O Tannebaum! o Tannebaum!Du bist mir ein edler Zweig,So treu bist du, man glaubt es kaum,Grünst sommers und winters gleich.
O Tannebaum! o Tannebaum!Wie traurig ist dein Zweig,Du bist mir wie ein stiller Traum,Und mein Gedanken gleich.
O Tannebaum! o Tannebaum!Du bist mir ein edler Zweig,So treu bist du, man glaubt es kaum,Grünst sommers und winters gleich.
Du sahst so gar ernsthaftig zu,Als er mir Treu versprach,Sprich, sag mir doch, was denkest du,Daß er mir Treue brach.
O Tannebaum! o Tannebaum!Du bist mir ein edler Zweig,So treu bist du, man glaubt es kaum,Grünst sommers und winters gleich.
1801, aus dem Roman «Godwi» (Schultz 1995)
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Ein Ritter an dem Rheine rittIn dunkler Nacht dahin,Ein Ritterlein, das reitet mitUnd fragt: wohin dein Sinn?
Mein Sinn, der steht nach Minnen,Ich hab mich rumgeschlagen,Und konnt doch nichts gewinnen,Und mußt das Leben wagen.
Ei hast du nicht die Ehr davon?Die Ehr ist hohes Gut –Ich hätt die liebe Zeit davon,Die Ehr ist mir kein Gut. –
Mein Blut ist hingeflossenRot zu der Erde nieder,So warm ich es vergossen,Gibt mir's die Ehr nicht wieder.
Da sprach das kleine Ritterlein:Daß Gott sich dein erbarm!Du mußt ein schlechter Ritter sein,Weil deine Ehr so arm. –
Ich will nun mit dir rechten,Weil du nicht ehrst die Ehre;Mein Ehr will ich verfechten,Setz deine nur zur Wehre.
Des Ritters Unwill war sehr groß,Drum er vom Rosse sprang,Auch machet sich der kleine losUnd sich zur Erde schwang. –
Da fühlt sich der GeselleVon hinten fest umwinden,Es ist die Nacht nicht helle,Sie streiten wie die Blinden.
Und sinken beide in den Klee –Ei sprich! wer hat gesiegt!Der Ritter ohne Ach und WehBei einer Jungfrau liegt.
Ei hast du nicht die Ehr davon?Die Ehr ist hohes Gut –Ich hätt die liebe Zeit davon,Die Ehr ist mir kein Gut. –
1801, aus dem Roman «Godwi» (Schultz 1995)
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Ewig durchdringt sich das Leben und streitet in brennender GärungWechselt das einzige Ziel, suchet und fliehet die BahreFern und nie zu erreichen so nah doch im eigenen BusenWaltet sein brennendes Licht, herrscht der befreiende Zwang.Alle zwar streben hinaus und suchen, doch wenige kränzen(?)Sich und die ruhige Stirn, Lorbeern des eigenen Siegs.So auch klagen die Dichter, mit Recht den Mangel des SchicksalsDas die Unsterblichen einst, Sterblichen strenge verteilt.Denn die Götter, die ewgen unergründlichen brachenSchnöd den richtenden Stab, über das eigne Geschlecht.Ferne fliehen sie frevelnd, entführten im Mißbrauch der FreiheitWas das sorgsame Herz, Sterblicher ihnen vertraut,Wählende Weisheit, schaffende Ruhe, lebendige SchönheitUnd die ewige Kraft, faßte das himmlische Haus,Sich und dem freudigen Leben erbaute der inneren GottheitSelbst sich verehrendes Bild, fromm der erfindende MenschWas sich in tiefer Betrachtung in wechselnder Zeiten Geheimnis,Was auch die heilige Nacht, schaffender Liebe im SchoßLebenden Augen verbarg, sein mächtiger Arm nicht erfaßteWas nicht die eigne Gestalt brüderlich mit ihm geteilt,Hat er ach! selbst sich entzogen, die undankbaren zu schaffenUnd daß der hohe Verkehr, tiefer im Wesen gedeihFührt er die eigne Gestalt euch zu, die Braut seines LebensReich geschmücket, und ihm blieb der gefristete Tod.Ferne sind nun die Götter die unerreichlich entflohnenDenn sie kehrten zurück, wo kaum die Liebe noch wohnt,Einsam sind sie im Busen des Menschen, weit in der FremdeIrrt der Gedanke umher, suchet die göttliche SpurSchon ach ist ja das Opfer der Einigung sühnend gefeiertUnd es webet in uns unerschaffen der Gott. –Kehret Gedanken doch himmelwärts eilet den Tempel zu weihenSchafft mir im Herzen Gebet, eh es in Sehnsucht zerbricht.Vier sind eurer der Teuren, die weit in der Fremde mir weilenZwei dem Tode geweiht, grüße noch einmal mein BlickDaß ich friedlich entsagend sie opfre, denen im OpferFrevelnd das Leben ich bot, wenn sie die Fremde begehrt.Aber zwei auch vermiß ich, ihr kennt mich, Geliebte der SeeleNimmer ach lasse ich euer, näher eilet mir stets –Wohl mir ihr Teuren, die einz'gen, getreu nach dem einsamen LebenDenn ihr kehret mir gern, deiner gedenke ich schon.Kunigundis, du reine, voll unerschöpflicher LiebeReichst du die Worte mir dar, bietest den offenen Sinn,Alles teilend mit Liebe, was kärglich die Fremde verliehen,Opferst du eigene Zier, deinem Geliebten zum Schmuck.Wahrlich mich freuet die Rückkehr. Geliebte! daß ich nun tilge,Die ich so lange dir trug, holder Erwiderung Schuld.
Entstanden wahrscheinlich 1801 (Boëtius 1985) |