Clemens Brentano
1778 - 1842
Gedichte 1797 - 1803
1800Vor Juli: die Kotzebue-Satire «Gustav Wasa» erscheint unter dem Pseudonym «Maria». Juni/Juli: Reise nach Leipzig und Altenburg zu den Schwestern Reichenbach. August: Zerwürfnis mit Sophie Mereau. 19. September: Tod der Schwester Sophie.
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Tief unter mir ist alle Welt geschwundenSeit ich an eines schönen Geistes Hand,Die Binde von den Augen losgebunden,Auf meines Daseins höchster Zinne stand,Ist alle Lust oft rund um mich gewunden,Weil sich die Liebe schaffend um mich wand;Auch wird wohl einst mein krankes Herz gesunden,Hab' ich die Aussicht wieder nur gefunden.
Februar 1800 (Frühwald 1968)
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Es senke sich ein leiser Traum herniederDer ihr der eignen Schönheit Gürtel löstUnd sanften Blicks mit schmeichelndem GefiederDes eignen Herzens Fülle ihr entblößt.Im leichten Spiel küss' sie der eignen LiederGestalten, und der leise Kuß erlöstDie Blume von der Träne die sie drücketDaß sie zum Grabe müd sich bücket.
Februar 1800 (Schultz 1995)
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Der Gottheit hoher Tempel ist zerstöretEs ründen an der heil'gen Kuppel sich die TöneNicht mehr in schöne Worte des Gebetes,Und teilen sich im Takte an den SäulenDen' in den Kronen leichte MelodienIn lieblicher Verirrung schöner LockenAuf ihre ernsten hohen Stirnen wallen.Zertrümmert ist das herrliche GebäudeUnd mit dem Echo ist das Wort gestorben.Vom weiten Himmel hallt kein Lied zurücke,Denn schrecklich ist die Macht des großen LebensUnd unermeßlich ist es hier zu beten.
Ende Februar 1800 (Frühwald 1968)
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Wenn der Sturm das Meer umschlinget,Schwarze Locken ihn umhüllen,Beugt sich kämpfend seinem WillenDie allmächt'ge Braut und ringet,
Küsset ihn mit wilden Wellen,Blitze blicken seine Augen,Donner seine Seufzer hauchen,Und das Schifflein muß zerschellen.
Wenn die Liebe aus den SternenNiederblicket auf die Erde,Und dein Liebstes Lieb begehrte,Muß dein Liebstes sich entfernen.
Denn der Tod kömmt still gegangen,Küsset sie mit Geisterküssen,Ihre Augen dir sich schließen,Sind im Himmel aufgegangen.
Rufe, daß die Felsen beben,Weine tausend bittre Zähren,Ach, sie wird dich nie erhören,Nimmermehr dir Antwort geben.
Frühling darf nur leise hauchen,Stille Tränen niedertauen,Komme, willst dein Lieb' du schauen,Blumen öffnen dir die Augen.
In des Baumes dichten Rinden,In der Blumen Kelch versunken,Schlummern helle Lebensfunken,Werden bald den Wald entzünden.
In uns selbst sind wir verloren,Bange Fesseln uns beengen,Schloß und Riegel muß zersprengen,Nur im Tode wird geboren.
In der Nächte FinsternissenMuß der junge Tag ertrinken,Abend muß herniedersinken,Soll der Morgen dich begrüßen.
Wer rufet in die stumme Nacht?Wer kann mit Geistern sprechen?Wer steiget in den dunkeln Schacht,Des Lichtes Blum' zu brechen?Kein Licht scheint aus der tiefen Gruft,Kein Ton aus stillen Nächten ruft.
An Ufers Ferne wallt ein Licht,Du möchtest jenseits landen;Doch fasse Mut, verzage nicht,Du mußt erst diesseits stranden.Schau still hinab, in Todes SchoßBlüht jedes Ziel, fällt dir dein Los.
So breche dann, du tote Wand,Hinab mit allen Binden;Ein Zweig erblühe meiner Hand,Den Frieden zu verkünden.Ich will kein einzelner mehr sein,Ich bin der Welt, die Welt ist mein.
Vergangen sei vergangen,Und Zukunft ewig fern;In Gegenwart gefangenVerweilt die Liebe gern,
Und reicht nach allen SeitenDie ew'gen Arme hin,Mein Dasein zu erweiten,Bis ich unendlich bin.
So tausendfach gestaltet,Erblüh' ich überall,Und meine Tugend waltetAuf Berges Höh', im Tal.
Mein Wort hallt von den Klippen,Mein Lied vom Himmel weht;Es flüstern tausend LippenIm Haine mein Gebet.
Ich habe allem LebenMit jedem AbendrotDen Abschiedskuß gegeben,Und jeder Schlaf ist Tod.
Es sinkt der Morgen nieder,Mit Fittigen so lind,Weckt mich die Liebe wieder,Ein neugeboren Kind.
Und wenn ich einsam weine,Und wenn das Herz mir bricht,So sieh im SonnenscheineMein lächelnd Angesicht.
Muß ich am Stabe wanken,Schwebt Winter um mein Haupt,Wird nie doch dem GedankenDie Glut und Eil geraubt.
Ich sinke ewig unter,Und steige ewig auf,Und blühe stets gesunderAus Liebes-Schoß herauf.
Das Leben nie verschwindet,Mit Liebesflamm' und LichtHat Gott sich selbst entzündetIn der Natur Gedicht.
Das Licht hat mich durchdrungen,Und reisset mich hervor;Mit tausend FlammenzungenGlüh' ich zur Glut empor.
So kann ich nimmer sterben,Kann nimmer mir entgehn;Denn um mich zu verderben,Müßt' Gott selbst untergehn.
nach Februar 1800 (Frühwald 1968)
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Die Klage, sie wecketDen Toten nicht auf,Die Liebe nur decketDen Vorhang dir auf.
April/Mai 1800 (Schultz 1995)
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Ich eile hin, und ewig flieht dem BlickeDes Lebens Spiegel fort in wilder Flut,Die Sehnsucht in die Ferne nimmer ruht,Und weinend schaut Erinnerung zurückeDa blickt aus einer Blume neu Geschicke.Zwei blaue Kelche voll von Liebes-GlutErwecken in dem Flüchtling neuen Mut,Daß er das Leben wieder jung erblicke.
Es hat der Sinn die Aussicht wiederfunden,Er sieht im klaren Strome abgespiegelt,Des Wechsel-Lebens zwiefach-lieblich Bild,Die Fläche ruht und schwillt in tiefen Stunden,Wenn Leidenschaft die Trunkenheit entzügelt,Und Liebe sich dem Strome nackt enthüllt.
Juli/August 1800 (Frühwald 1968)
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Sonett
Es saß ein Kind ganz still zu meinen Füßen,Und spielte froh mit freundlichen Gedanken,Es blickt mich an, bis ihm die Blicke sanken,Und goldne ferne Lande sich erschließen,
Von allen Seiten dringt ein süßes Grüßen,Das alte Leben muß nun abwärts wanken,Daß neue frohe Zweige grün umrankenUnd rund umher ihm zarte Blumen sprießen.
Das Kind erwacht, und fraget mich mit Bangen,Ob andern wohl ein solcher Traum gelinge,Ob ich's allein mit Zauberei umfangen,
Daß dankbar es die Arme um mich schlinge.Da rötet mir Verwunderung die WangenWoher das Kind die kühne Frag' erschwinge.
Juli/August 1800 (Frühwald 1968)
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Ein Fischer saß im Kahne,Ihm war das Herz so schwer,Sein Liebchen war gestorben,Das glaubt' er nimmermehr.
Und bis die Sternlein blinken,Und bis zum Mondenschein,Harr't er sein Lieb zu fahrenWohl auf dem tiefen Rhein.
Da kömmt sie hergegangenUnd steiget in den Kahn,Sie schwanket in den Knien,Hat nur ein Hemdlein an.
Sie schwimmen auf den WellenHinab in tiefer Ruh,Da zittert sie und wanket,O Liebchen frierest Du?
Dein Hemdlein spielt im Winde,Das Schifflein treibt so schnell;Hüll' dich in meinen Mantel,Die Nacht ist kühl und hell.
Sie strecket nach den BergenDie weißen Arme aus,Und freut sich, wie der VollmondAus Wolken sieht heraus.
Und grüßt die alten Türme,Und will den hellen Schein,Mit ihren zarten Armen,Erfassen in dem Rhein.
O setze dich doch niederHerzallerliebste mein!Das Wasser treibt so schnelleO fall nicht in den Rhein.
Und große Städte fliegenAn ihrem Kahn vorbei,Und in den Städten klingenDer Glocken mancherlei.
Da kniet das Mädchen niederUnd faltet seine Händ'Und seine hellen AugenEs zu dem Himmel wend't.
Lieb Mädchen bete stille,Schwank' nicht so hin und her,Der Kahn, er möchte sinken,Das Wasser treibt so sehr.
In einem Nonnen-KlosterDa singen Stimmen feinUnd in dem KirchenfensterSieht man den Kerzenschein.
Da singt das Mädchen helleDie Metten in dem Kahn,Und sieht dabei mit TränenDen Fischerknaben an.
Der Knabe singt mit TränenDie Metten in dem Kahn,Und sieht dabei sein MädchenMit stummen Blicken an.
So rot und immer röterWird nun die tiefe Flut,Und weiß und immer weißerDas Mädchen werden tut.
Der Mond ist schon zerronnen,Kein Sternlein mehr zu sehn,Und auch dem lieben MädchenDie Augen schon vergehn.
Lieb Mädchen guten Morgen!Lieb Mädchen gute Nacht!Warum willst du nun schlafen?Da schon die Sonn' erwacht.
Die Türme blinken helle,Und froh der grüne WaldVon tausend bunten StimmenIn lautem Sang erschallt.
Da will er sie erwecken,Daß sie die Freude hör',Er sieht zu ihr hinüberUnd findet sie nicht mehr.
Und legt sich in den NachenUnd schlummert weinend ein,Und treibet weiter weiterBis in die See hinein.
Die Meereswellen brausenUnd schleudern ab und aufDen kleinen FischernachenDer Knabe wacht nicht auf.
Doch fahren große SchiffeIn stiller Nacht einher,So sehen sie die beidenIm Kahne auf dem Meer.
Spätsommer 1800 (Frühwald 1968)
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Unter des lebendenGrünenden TempelsFlüsternde HallenKomme ich irrend.
Wie sich die EicheHimmelwärts türmetWie in dem GipfelRuhet des MächtigenJupiters Fuß.
Und in dem HerzenFühl ich die NäheHeiliger Wesen,Die durch die ZweigeZu dem OlymposWandeln empor.
Führt mich ihr friedlichenGeister des Haines,Die mich umschwebenLachend und rufend,Führt mich zurück.
Irrende, flüchtige,Tönende Geister,Die ihr mit schäkerndenLispelnden WortenIrr' mich geführt.
Hier wo in mondlichenNächten ihr rauschet,Und um die wohnsameHerrliche EicheTanzend euch schwingt.
Wo ich im TaueFreudigen GrasesVon euren flüchtigenGoldenen SohlenEhre die Spur. –
Hört mich ihr freundlichen,Die ihr verloreneGötter gepfleget,Die ihr die fliehendeDaphne umarmt.
Frohe, geheime,Lindernde Geister,Die in des WaldesRührigen SchauerWeben den Trost.
Mächtige, lebende,Stärkende Geister,Die in der StämmeAlter und JugendBilden die Kraft.
Wenn ich je frevlendEure geheiligtenStämme verletzet,O! so verdorreWelkend die Hand.
Nimmer auch höhnt' ichEcho die Jungfrau,Die mit euch wohnet,Teilt ihr vertraulichLiebe und Schmerz.
Führet mich heimwärts!Bin nur ein Wandrer,Bin kein Unsterblicher,Der mit ambrosischenBissen sich nährt.
Wisset mich hungert,Führet mich heimwärts,Daß ich dem FreundeVon der DryadenHülfreicher GüteBringe die Mähr'.
Herbst 1800 (Frühwald 1968)
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Ich hab das Lämplein angestecktZum langen Angedenken,Und wenn mich kühle Erde deckt,Mag Kind und Enkel denken:Der Vater ruht im Tale aus,Und kömmt nicht mehr ins stille Haus.
Lischst du o Herr mein stilles Licht,Das tief herab schon brennet,Und werd vor deinem AngesichtIch nur ganz rein erkennet,So geht mit Freude angetanErst recht mein schönstes Leuchten an.
Herbst 1800 (Frühwald 1968)
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An S.
Wie war dein LebenSo voller Glanz,Wie war dein MorgenSo kindlich Lächlen,Wie haben sich alleUm dich geliebt,Wie kam dein AbendSo betend zu dir,Und alle betetenAn deinem Abend.
Wie bist du verstummtIn freundlichen Worten,Und wie dein Aug brachIn sehnenden Tränen,Ach da schwiegen alle WorteUnd alle TränenGingen mit ihr.
Wohl ging ich einsam,Wie ich jetzt gehe,Und dachte deiner,Mit Liebe und Treue –Da warst du noch daUnd sprachst lächlend:Sehne dich nimmer nach mir,Da der Lenz noch so freudig istUnd die Sonne noch scheint –
Am stillen Abend,Wenn die Rosen nicht mehr glühenUnd die Töne stumm werden,Will ich bei dir seinIn traulicher Liebe,Und dir sagen,Wie mir am Tage war.
Aber mich schmerzte tief,Daß ich so einsam sei,Und vieles im Herzen.O warum bist du nicht bei mir!Sprach ich, und siehst michUnd liebst mich,Denn mich haben manche verschmäht,Und ich vergesse nimmer,Wie sie falsch warenUnd ich so treu und ein Kind.
Da lächeltest du des KindesIm einsamen Wege,Und sprachst: harre zum Abend,Da bist du ruhigUnd ich bei dir in Ruhe.
Dein Herz wie war es da,Daß du nicht trautest,Viel Schmerzen waren in dir,Aber du warest größer als Schmerzen,Wie die Liebe, die süßer ist,Als all ihr Schmerz.
Und die Armut, der du gabst,War all dein Trost,Und die Liebe, die du freundlichAnderen pflegtest,War all deine Liebe.
Einsam ging ich nicht mehr,Du warst mir begegnetUnd blicktest mich an –Scherzend war dein AugUnd deine Lippe so tröstend –Dein Herz lag gereiftIn der liebenden Brust.
Freundlich sprachst du:Nun ist bald Abend,Gehe, vollende,Daß wir dann ruhen,Und sprechen vom Tage.
Wie ich mich wendete –Ach der Weg war so schwer!Langsam schritt ich,Und jeder Schritt wollte wurzeln,Ich wollte werden wie ein Baum,All meine Arme,Blüten und Blätter,Sehnend dir neigen.
Oft blickte ich rückwärtsHin, wo du warst,Da lagen noch Strahlen,Da war noch SonneUnd die hohen Bäume glänztenIm ernsten Garten,Wo du gingst.
Ach der Abend wird nicht kommenUnd die Ruhe nicht,Auf Erden ist keine Ruhe.
Nun ist es Abend,Aber wo bist du?Daß ich dir sage,Wie der Tag war.
Warum hörtest du mich nicht,Als du noch da warst?Nun bin ich einsam,Und denke deinerLiebend und treu.
Die Sonne scheint nicht,Und die Rosen glühen nicht,Stumm sind die Töne –O! warum kömmst du nicht,Willst du nicht halten,Was du versprachst?Willst du nicht hören,Soll ich nicht hören,Wie der Tag war?
Wie war dein Leben,So voller Glanz,Wie war dein MorgenSo kindlich Lächlen,Wie habe ich immerUm dich mich geliebt,Wie kömmt dein AbendSo betend zu mir,Und wie bete ichAn deinem Abend.
Am Tage hörtest du mich nicht,Denn du warst der Tag,Du kamst nicht am Abend,Denn du bist der Abend geworden.
Wie ist der Tag verstummtIn freundlichen Worten,Wie ist sein Aug gebrochenIn sehnenden Tränen,Ach da schweigen alle meine Worte,Und meine Sehnsucht zieht mit dir.
nach September 1800 (Frühwald 1968)
*
Auf Dornen oder Rosen hingesunken? –– Ob leiser Atem von den Lippen fließt –– Ob ihr der Krampf den kleinen Mund verschließt –– Kein Öl der Lampe? – oder keinen Funken? –
Der Jüngling – betend – tot – im Schlafe trunken?– Ob er der Jungfrau höchste Gunst genießt –Was ist's? das der gefallne Becher gießt –– Hat Gift, hat Wein, hat Balsam sie getrunken –
Und sieh! des Knaben Arme Flügel werden –– Nein Mantelsfalten, – Leichentuches FaltenUm sie strahlt Heilgenschein – zerraufte Haare –
O deute die undeutlichen Geberden,O laß des Zweifels schmerzliche Gewalten –Enthüll, verhüll das Freudenbett – die Bahre.
Anfang November 1800 (Schultz 1995)
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Sonett
O schwerer heißer Tag, ihr leichtes LebenSchließt müde weinend seine Augenlider,Schon senkt der Schlaf das tauende Gefieder,Um solche Schönheit kühl ein Dach zu weben. –
Von ihren Lippen leise Worte schweben,«Du Liebe süßer Träume, kehre wieder!»Da läßt sich ihr der Traum der Liebe nieder,Um ihres Schlummers kranke Lust zu heben. –
«Du Traum! – ich bin kein Traum, spricht er mit Bangen,O laß uns nicht so holdes Glück versäumen!»Da weckt er sie, und wollte sie umfangen. –
Sprecht! Wessen bin ich? Wer hat mich besessen?Ich lebte nie – war eines Weibes Träumen –Und nimmer starb ich. – Sie hat mein vergessen.
1800, aus dem Roman «Godwi» (Frühwald 1968)
*Zu Bacharach am RheineWohnt eine Zauberin,Sie war so schön und feineUnd riß viel Herzen hin.
Und brachte viel zu schandenDer Männer rings umher,Aus ihren LiebesbandenWar keine Rettung mehr.
Der Bischof ließ sie ladenVor geistliche Gewalt –Und mußte sie begnaden,So schön war ihr Gestalt.
Er sprach zu ihr gerühret:«Du arme Lore Lay!Wer hat dich denn verführetZu böser Zauberei?»
«Herr Bischof laßt mich sterben,Ich bin des Lebens müd,Weil jeder muß verderben,Der meine Augen sieht.
Die Augen sind zwei Flammen,Mein Arm ein Zauberstab –O legt mich in die Flammen!O brechet mir den Stab!»
«Ich kann dich nicht verdammen,Bis du mir erst bekennt,Warum in diesen FlammenMein eigen Herz schon brennt.
Den Stab kann ich nicht brechen,Du schöne Lore Lay!Ich müßte dann zerbrechenMein eigen Herz entzwei.»
«Herr Bischof mit mir ArmenTreibt nicht so bösen Spott,Und bittet um Erbarmen,Für mich den lieben Gott.
Ich darf nicht länger leben,Ich liebe keinen mehr –Den Tod sollt Ihr mir geben,Drum kam ich zu Euch her. –
Mein Schatz hat mich betrogen,Hat sich von mir gewandt,Ist fort von hier gezogen,Fort in ein fremdes Land.
Die Augen sanft und wilde,Die Wangen rot und weiß,Die Worte still und mildeDas ist mein Zauberkreis.
Ich selbst muß drin verderben,Das Herz tut mir so weh,Vor Schmerzen möcht ich sterben,Wenn ich mein Bildnis seh.
Drum laßt mein Recht mich finden,Mich sterben, wie ein Christ,Denn alles muß verschwinden,Weil er nicht bei mir ist.»
Drei Ritter läßt er holen:«Bringt sie ins Kloster hin,Geh Lore! – Gott befohlenSei dein berückter Sinn.
Du sollst ein Nönnchen werden,Ein Nönnchen schwarz und weiß,Bereite dich auf ErdenZu deines Todes Reis'.»
Zum Kloster sie nun ritten,Die Ritter alle drei,Und traurig in der MittenDie schöne Lore Lay.
«O Ritter laßt mich gehen,Auf diesen Felsen groß,Ich will noch einmal sehenNach meines Lieben Schloß.
Ich will noch einmal sehenWohl in den tiefen Rhein,Und dann ins Kloster gehenUnd Gottes Jungfrau sein.»
Der Felsen ist so jähe,So steil ist seine Wand,Doch klimmt sie in die Höhe,Bis daß sie oben stand.
Es binden die drei Ritter,Die Rosse unten an,Und klettern immer weiter,Zum Felsen auch hinan.
Die Jungfrau sprach: «da gehetEin Schifflein auf dem Rhein,Der in dem Schifflein stehet,Der soll mein Liebster sein.
Mein Herz wird mir so munter,Er muß mein Liebster sein!» –Da lehnt sie sich hinunterUnd stürzet in den Rhein.
Die Ritter mußten sterben,Sie konnten nicht hinab,Sie mußten all verderben,Ohn Priester und ohn Grab.
Wer hat dies Lied gesungen?Ein Schiffer auf dem Rhein,Und immer hats geklungenVon dem drei Ritterstein: *)
Lore LayLore LayLore Lay
Als wären es meiner drei.*) Bei Bacharach steht dieser Felsen, Lore Lay genannt, alle vorbeifahrende Schiffer rufen ihn an und freuen sich des vielfachen Echos.
1800, aus dem Roman «Godwi» (Schultz 1995) |