Kurt Tucholsky
1890 - 1935
Mit 5 PS
Seite 336-337 der Erstausgabe
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An die Berlinerin
Mädchen, kein Casanovahätte dir je imponiert.Glaubst du vielleicht, was ein dooferSchwärmer von dir phantasiert?Sänge mit wogenden NüsternRomeo, liebesbesiegt,würdest du leise flüstern:«Woll mit die Pauke jepiekt –?»Willst du romantische Feste,gehst du beis Kino hin . . .Du bist doch Mutterns Beste,du, die Berlinerin –!
Venus der Spree – wie so fleißigliebst du, wie pünktlich dabei!Zieren bis zwölf Uhr dreißig,Küssen bis nachts um zwei.Alles erledigst du fachlich,bleibst noch im Liebesschwurordentlich, sauber und sachlich:Lebende Registratur!Wie dich sein Arm auch preßte:gibst dich nur her und nicht hin.Bist ja doch Mutterns Beste,du, die Berlinerin –!
Wochentags führst du ja gerneNadel und Lineal.Sonntags leuchten die Sternepreußisch-sentimental.Denkst du der Maulwurfstola,die dir dein Freund spendiert?Leuchtendes Vorbild der Pola!Wackle wie sie geziert.Älter wirst du. Die Restegehn mit den Jahren dahin.Laß die mondäne Geste!Bist ja doch Mutterns Beste,du süße Berlinerin –!
Zuerst erschienen in: Die Weltbühne, 23.03.1922, Nr. 12, S. 302, unter dem Pseudonym Theobald Tiger |