BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Schubartgymnasium Aalen

gegründet 1912

 

Abiturjahrgang 1940

 

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Annelore Schreiner

geb. Memminger, Aalen

Abiturjahrgang 1940

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Die Einheitsfront

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Fünf Minuten vor Schuljahrbeginn im Jahr 1935 betraten drei schüchterne Mädchen ein Klassenzimmer des Reformrealgymnasiums, wie man es ihnen befohlen hatte. Doch was sich nun abspielte, ist kaum zu beschreiben. Wie ein Mann machten die 28 Schüler der 4. Klasse ihrem Herzen mit größter Lautstärke Luft: „Raus“, „wir wollen keine Mädchen“, „macht, daß ihr heimkommt“ – das waren noch die zartesten Aufforderungen. Als wir gerade wieder kehrt machen wollten, wurden auch schon voller Schadenfreude die vordersten Bänke geräumt und befohlen: „Die Mädle sollet ganz vorne na sitze!“ Ein bißchen erleichtert nahmen wir Platz – zwar den Feind im Rücken, aber doch glücklich darüber, daß uns nun keiner mehr in das verängstigte Gesicht schauen konnte. Hinter uns tobte die in ihrem männlichen Gefühl verletzte Klasse ungehemmt weiter. Da öffnete sich die Tür und in das Getümmel herein brach Herr Schmid, der neue, forsche, jugendliche Klassenlehrer und mit ihm ein Donnerwetter von nie erlebter Stärke. Schließlich hatte Herr Schmid ja keine Ahnung, welch' „guten Grund“ das Geschrei der Klasse hatte, und da er es für pure Ungezogenheit halten mußte, schrie er eben nun noch lauter. Wir drei zitterten am ganzen Leibe, waren dem Weinen nahe und verwünschten den Ehrgeiz unserer Väter, denen das „Einjährige“ in der Mädchenschule nicht genügte und der uns dem allem aussetzte. Unter den strengen, brillenfunkelnden Augen von Studienassessor Schmid trat absolute Ruhe ein, so daß unsere piepsigen, gehemmten Stimmen bei der Aufnahme der Personalien ganz deutlich zu hören waren. Um so erschreckender klang für mich daher das plötzliche Gejohle und Gelächter, als ich als Vornamen meines Vaters wahrheitsgemäß „Willi“ angab. Das war zuviel für meine strapazierten Nerven! Nun brach ich in Tränen aus. Daß man meinen geliebten Vater wegen seines ehrbaren Vornamens so verspottete, ging einfach über meine Kraft! Wie hätte ich ahnen können, daß es sich diesmal um eine Beifallskundgebung handelte, da der populärste Klassenkamerad ebenfalls Willi hieß und ich damit den ersten Pluspunkt bekommen hatte. Später, als die jungen Männer reifer waren, und es unser größtes Plus in ihren Augen schon war, weiblichen Geschlechts zu sein, als der Kavalier in ihnen erwachte und man uns auf Ausflügen den Rucksack trug, habe ich das dann zufällig erfahren. Aber damals riß sich eben noch „vom Mädchen stolz der Knabe“, und gerade in diesem Stadium hatte man meinen armen Mitschülern uns drei Mädchen aufgezwungen. Aber – tempora mutantur – ich kann mir nicht vorstellen, daß sich heute noch eine so unerhört männliche Front von Dreizehnjährigen gegen drei schüchterne weibliche Hühner bilden könnte!

 

[aus: 50 Jahre Schubart-Gymnasium, Aalen: 1914 – 1964,

Hrsg.: Friedrich Heintzeler, Aalen: Schubart-Gymnasium, 1964, S. 145]