BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Heinrich Mann

1871 - 1950

 

Lidice

 

1943

 

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87

 

Der Kaplan bleibt stehen, er sieht Pavel ernst in die Augen.

Pavel: „Das kann nur eins heißen. Dem Protektor ist etwas zugestoßen.“

Der Kaplan, leise: „Tot. Aber das Gerücht allein weiß es.“

Sie ziehen sich hinter eine Biegung des Weges zurück, zwischen ihnen und den übrigen sind Bäume.

Pavel: „Das Gerücht hat noch immer recht gehabt. Nennt es die Stunde? und wo es geschah?“

Der Kaplan hebt die Schultern: „Das ist das Beängstigende, man hat nichts entdeckt.“

Pavel: „Nichts erfunden. Wäre ich in der Nacht zur Stelle gewesen, Prag kennte jetzt die richtige Lesart, es hätte eine Gewißheit, gegen sie wäre nicht mehr aufzukommen. Statt dessen werden die anderen bestimmen, wo die Leiche liegen soll.“

Der Kaplan: „Die Deutschen selbst hätten –?“

Pavel: „Die Gestapo. Den Mörder hatte ich längst vorher zum Geständnis gezwungen, was hilft das jetzt.“

Der Kaplan: „Es ist vergebens. Aber ein Mord bleibt ein Mord.“

Pavel: „Er fühlte, was er verdiente. Er gab sich preis.“

Der Kaplan: „Du, Pavel, hattest ihn dahin gebracht.“

Pavel: „Ehrwürden! Das sind erlaubte Mittel. Ihr alle habt zugestimmt. Von Lidice war ich beauftragt, und war bestätigt von unserem ganzen Land.“

Der Kaplan: „Mit mehr Stolz würdest du sagen, daß du selbst gewählt hast.“

Pavel: „Ich führte gegen die Gewalt den einzigen Krieg, den wir vermochten.“

Der Kaplan: „In Jugoslawien führen sie einen anderen.“

Pavel, erschrickt und schweigt. Dann versucht er: „Soll bei uns so viel Blut fließen wie dort?“

Der Kaplan, leidvoll gepreßt, für niemanden weiterhin hörbar, und kaum für Pavel: „Das Blut wird fließen, hier wie dort.“

Pavel, furchtbare Not, er wehrt sich: „Nicht in Lidice.“

Der Kaplan: „Wo auch immer, den Tod ihres Oberhauptes werden sie rächen.“

Pavel: „An dem Täter. Man muß sie den Täter finden lassen.“

Der Kaplan: „Einer? Sie haben die unbegrenzte Gelegenheit, die sie sich immer wünschten. Alle unseres Volkes sind seit heute gezeichnet, sind, was die Deutschen vogelfrei nennen.“

Pavel: „Als ob die Vögel schon einmal frei wie wir gewesen wären. Ich weiß mir nur den Rat, der Mörder muß ihnen hingelegt, muß unabweislich gekennzeichnet und beglaubigt werden.“

Der Kaplan: „Wenn das anginge, bei ihnen, die es besser wissen.“

Pavel, schüttelt die ganze Entmutigung ab: „Der Mörder ist vorhanden. War schon immer der Mörder, hält sich dafür und will es nicht anders.“

Der Kaplan, setzt heftig an: „Auch den Mörder noch fälschen!“ Über den Zorn siegt sein Erbarmen: „Armer Pavel, denk heute nur an dich, das andere erfährst du über der Grenze früh genug. Mag sein, du erfährst nichts, weil die Deutschen nichts tun.“

Pavel: „Dies ist einer der Fälle, die sie gern vertuschen.“

Der Kaplan: „Wir wollen es hoffen. Nur fort von hier, du und deine Reisegefährten!“

Pavel: „Der erste sind Sie, Ehrwürden. Man hat Sie für den Protektor gehalten und kann es wieder tun.“

Der Kaplan: „Mir geschähe nach Verdienst, ich bin des Falscheides schuldig.“

Pavel: „Eine Schuld war es auch, wenn Sie für sich nur Strenge hätten, für mich Erbarmen.“

Der Kaplan, schweigt.

Pavel: „Gegen Doktor Holar hat man sein Ordinationsbuch mit den falschen Eintragungen, gegen Lyda, daß sie mir offenkundig Beihilfe geleistet hat, gegen meinen Vater das zweitägige Bankett, das geschickteren Verhören schwer standhielte.“

Der Kaplan, unwillkürlich: „Wobei sich herausstellt, gelogen hat das ganze Dorf.“

Pavel: „Kumpeln und Kinder lügen nicht, sie spielen mit.“

Der Kaplan, schnell: „Ich will euch nicht aufhalten, behüte. Du bewährst dich, Pavel, an die ganze vordere Reihe der Bedrohten hast du gedacht. Die beiden Unbekannten werden unter den Wichtigsten sein.“

Pavel: „Milo Schatzova, früher meine Kollegin, jetzt die Kameradin des Komikers Wokurka – edle Menschen, Ehrwürden, Sie haben sich der Gesellschaft nicht zu schämen.“

Der Kaplan: „Ich – keiner Gesellschaft.“

Pavel: „Kommen Sie!“

Der Kaplan: „Zu spät.“

Ein Wagen, tief im Wald, fährt über Zweige, die zerbrechen. Er hält, ohne sichtbar zu werden. Dann nähern sich Schritte.

Hauptmann Krach, unten von Zweigen verdeckt, winkt in einem Ausschnitt des Laubes mit den Armen, er will dringende Mitteilungen machen.

Pavel, für den Kaplan: „Hauptmann Krach ist immer da, und nie zu spät. Vertrösten Sie unsere Gefährten, nur einen Augenblick. Was er mitbringt, ist vielleicht nicht allen bestimmt. Ihnen, Ehrwürden, bericht ich es.“

Der Kaplan: „Ich bin unterrichtet.“ Er biegt um die Waldecke und ist wieder in Sicht der Zurückgelassenen.