Heinrich Mann
1871 - 1950
Lidice
1943
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Lidice. Im Wald hinter dem Hof Ondracek.Der Tag dämmert. – Zwei Wagen, ein altes Modell im Besitz des Bauern und der Jagdwagen des Hauptmanns Krach, warten auf einem fahrbaren Weg. Es stehen und gehen ungeduldig umher: Milo Schatzova und Lyda, Pavel, sein Vater Jaroslav, Doktor Holar, der Komiker Wokurka.Der Komiker Wokurka: Abgefahren wird! Wer fehlt, der fehlt.“Doktor Holar: Den Kaplan sollen wir im Stich lassen?“Pavel: Und Hauptmann Krach!“Milo Schatzova: Der verspätet sich gewiß unfreiwillig. Ich habe noch keinen Mann von soviel Herz, ich meine Mut, gesehen.“Lyda: Der Kaplan ist für uns gegangen, nachzufragen, ob unsere Feinde schon gemeldet sind.“Wokurka: Er hat die edelste Absicht, er opfert sich, denn wie leicht könnten wir inzwischen abfahren, im Wagen des Hauptmanns Krach, den er der Milo geliehen hatte. Meine Herren und besonders meine Damen! Gedenken wir der Pflichten, die wir gegen uns selbst haben! Fahren wir ab!“Jaroslav: Aber Herr Wokurka! Mit solchen Reden haben Sie die Leute zum Lachen gebracht?“Milo Schatzova: Natürlich. Er redet doch nur, damit wir lachen. Niemals wäre er feig auf Kosten von Hauptmann Krach.“Wokurka: Milo! Von dir zu meinen Gunsten verkannt zu werden! Ein Held bin ich fürs erste gewesen. Ab durch die Mitte, Held! Wollt ich mich hängen lassen oder nicht? Wollt ich Unschuldige retten? Es waren keine da, aber retten wollt ich sie.“Jaroslav: Das möchte man gerne von Ihnen glauben.“Milo Schatzova: Es ist die Wahrheit. Mein Kamerad hat sich dem Heydrich angeboten.“Wokurka: Aus Ehrgeiz, damit er mich allein hängt.“Doktor Holar: Heydrich hängt lieber fünfzig.“Milo Schatzova: Jedenfalls hat mein Kamerad sich angeboten.“Doktor Holar: Wie sind Sie dann hier?“Wokurka: Das ist eines der Rätsel meiner Existenz. Da kann man nichts machen, ich bin hier.“Pavel, der in Nachdenken versunken war: Die Frage wird eher heißen, wo ist Heydrich?“Milo Schatzova: Hauptmann Krach, dem auch ich mich anvertraut hätte, gab acht.“Pavel: Dem Protektor ist etwas zugestoßen. Wie ich den Rücken wende, gibt es keinen Protektor mehr.“Lyda, bei ihm: Pavel, vergiß nicht, du hast jetzt andere Sorgen. Wir reisen nach Jugoslawien.“Jaroslav: Zur Armee, für die Befreiung kämpfen.“Lyda: Vater, das läßt du Jüngere machen.“Jaroslav: Ein Scharfschütze wie ich ist nie zu alt.“Doktor Holar: Wir sind mehrere, die sich für alle Fälle eingeschossen haben.“Wokurka: Meinen Sie mich, Doktor? Ich habe mich nicht eingeschossen, ich habe mich begeistert. Hier bei uns wird bislang nur gehängt, da mach ich den Helden nicht zweimal.“Jaroslav: In Jugoslawien ist man nicht nur begeistert, man fällt auch.“Wokurka: Herr! Halten Sie mich für einen Trottel? Der Deutsche soll fallen.“Jaroslav, reicht ihm die Hand: Jetzt haben Sie mich überzeugt.“Wokurka: Hätt es im Rococo auch so lange gedauert, bis ich überzeuge, die Direktion Svoboda und Niemitz wäre längst pleite. Jetzt ist sie es.“Lyda, in merklicher Unruhe: Ganz sicher gelangen wir über die Grenze, ist doch Professor Napil mit allen den Seinen gereist, und niemand hat ihn aufgehalten.“Milo Schatzova, der nichts anzumerken ist: Sie halten uns nicht auf.“Doktor Holar: Wir haben echte Pässe.“Wokurka: Noch echtere kann niemand ausstellen als der Protektor.“ Grüßt Pavel mit dem vorgereckten Arm: Nazdar!“Jaroslav: Wenn nicht ein – anderer Protektor unsere Pässe widerruft, bis wir an der Grenze sind.“Wokurka: Herr! Sie wollen zweifeln, wo sogar ich mich schämen würde?“Pavel: Der – andere Protektor kann nicht mehr widerrufen.“Früher als alle hat er zwischen den Bäumen den Kaplan erblickt und geht ihm entgegen. |