BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Heinrich Mann

1871 - 1950

 

Lidice

 

1943

 

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79

 

Heydrich und Pavel, aus einem Mund, mit derselben Stimme: „Da wären wir!“

Heydrich berichtigt sich: „Das ist der Hochstapler. Verhaften!“

Die Soldaten sehen einander nur an.

Heydrich, beginnt die Nerven zu verlieren: „Wo ist euer Kommandant?“

Wokurka: „Hier. Er ist tot und hat mich mit seiner Vertretung betraut.“ Er tritt vor. Seine Autorität ist augenscheinlich, die Soldaten machen ihm Platz. Dem Protektor ins Gesicht spricht er: „Ich bin so gut Sturmbannführer, wie Sie Protektor sind.“

Heydrich versucht, ihn in den Bauch zu treten. Wokurka weicht aus, Heydrich trifft einen Soldaten, der aufschreit und umfällt.

Die Truppe murrt vernehmlich.

Oberst Schalk, zorngerötet, impulsiv: „Festnehmen! Fesseln! Wird's bald? Der Untermensch hat der deutschen Sache genug geschadet.“

Die Soldaten sind grundsätzlich geneigt, sie zögern nur.

Oberst Schalk will reden, um sie anzutreiben: „Deutsche Soldaten!“

Wokurka unterbricht ihn alsbald, er hat die tragende Stimme: „Deutsche Soldaten! Nichts da! Ihr vergreift euch an keinem deutschen Protektor. Ich selbst werde mich nie und nimmer vergreifen, aus Hochachtung vor dem Führer. Wenn der Protektor falsch ist, der Führer ist echt.“

Die Gruppe der Tschechen ist näher gerückt. Allen voraus meldet sich der Unbeteiligte mit aufgerecktem Finger.

Der Unbeteiligte: „Ich bin unbeteiligt. Die beiden Protektoren habe ich mir genau angesehen.“ Er deutet auf Heydrich: „Dieser ist der echte.“

Wokurka, weich: „Sie Esel tun mir leid.“

Der getretene Soldat, der noch am Boden liegt: „Er ist der echte. Das war sein Tritt.“ Er stöhnt und windet sich.

Die Dame mit dem Lachkrampf: „Soll ich mal?“

Ihre beiden Begleiter stürzen sich auf sie.

Die ältere Dame, scharf: „Feine Zeugen, was der echte Protektor hat!“

Sie wird gezwickt.

Die ältere Dame, noch schärfer: „Sie Schlimmer!“

Präsident Labyrinth: „Ausschließlich das Schutzvolk beglaubigt ihn.“

Präsident Meyer: „Auch der getretene Soldat ist fremdstämmig.“

Pavel, auf der oberen Stufe des Portals, hat die Arme verschränkt. Sein unerbittlicher Blick hält Heydrich fest, seit Heydrich unvorsichtig genug war, den Augen Pavels zu begegnen. Er ist unfähig, den Hals nach Beistand umzudrehen, weiß übrigens, daß er keinen fände.

Heydrich verfällt zusehends in Haltung und Ausdruck des schlechten Gewissens. Sein fürchterliches Gesicht von ehedem ist bei seinem Gegner allein. Er fühlt es. Ein langsames, schweres Nicken des anderen bestätigt ihm sein Gefühl.

Pavel wiederholt: „Da wären wir.“

Keine Antwort.

Murmeln bei den Gruppen, die zuerst gehängt, dann erschossen werden sollten: „Es ist beinahe peinlich. Es wird einem schwül.“

Der getretene Soldat ist vom Boden hochgekommen, er drückt sich beschämt aus: „Nein doch, der Tritt war unecht. Der dort oben tritt anders.“

Der Kammerdiener ist hinter Pavel erschienen: „Geruhen Exzellenz, die Dame droben bittet dringend, Ihren Auftritt abzukürzen. Es sei geraten. Sie kenne das Theater.“

Anschwellendes Volksgemurmel.

Auch bei den Arbeitern, die Heydrich verurteilt hatte: „Der Pavel hat seine Freundin droben, verfluchter Kerl.“

Sogar bei den Soldaten: „Klar. Der eine wohnt oben, der ist es. Dieser da hat sich draußen herumgetrieben, und hier will er treten.“

Der Aufgeweckteste gelangt zu einem eigenen Entschluß: „Faßt ihn!“

Aber Heydrich ist nicht zu finden. Von allen unbeachtet hat er den dunkelsten Winkel erreicht, dort trifft er den Sturmbannführer.

Der Sturmbannführer: „Willkommen, Exzellenz. Ich lasse es bei der Exzellenz.“

Heydrich: „Gerade Sie hätte ich besser nicht erschossen.“

Der Sturmbannführer: „Was wollen Sie, jetzt bin ich erschossen. Und Sie?“

Heydrich: „Jellinek, helfen Sie mir aus dem Burghof! Sie machen Ihr Glück.“

Der Sturmbannführer: „Glücklich war ich, als ich an nichts zweifelte. Jetzt frage ich mich: Jellinek willst du heißen und fröhlicher Rheinländer sein?“

Heydrich: „Aber Sie sind Sturmbannführer!“

Der Sturmbannführer: „Gewesen. Ich trat das Kommando ab.“

Heydrich: „Ich übergebe es Ihnen aufs neue.“

Der Sturmbannführer: „Wer? Sie? Oder Sie?“

Heydrich: „Sturmbannführer! Säubern Sie mit Ihrer Mannschaft den Burghof! Ich befehle.“

Der Sturmbannführer: „Wo sind Befehle, wo wird noch gesäubert? Ach! als Exzellenz mir befahlen, hier das Maschinengewehr und die Musik aufzustellen.“

Heydrich: „Hab ich Ihnen niemals befohlen.“

Der Sturmbannführer: „Sie sehen. Ein Märchen aus uralten Zeiten, das will mir nicht aus dem Sinn.“ – Er schluchzt.