BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Heinrich Mann

1871 - 1950

 

Lidice

 

1943

 

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74

 

Die Tür wird aufgerissen, Heydrich steht darin – furchtbar und stumm.

Wokurka schiebt Milo Schatzova von sich: „Es war vorauszusehen, vorn haben sie zugemacht.“ Laute Entrüstung: „Das will eine Direktion sein, und sperrt den Protektor im Theater ein!“

Heydrich, tritt vor, wahrt aber den Abstand.

Hauptmann Krach, zieht hinter sich die Tür an und verläßt sie nicht.

Spannung, was kommen soll.

Heydrich, weiß es selbst noch nicht, er sagt fremd: „Das war wohl nicht für mich bestimmt.“

Milo Schatzova: „Jeder darf zusehen.“

Heydrich: „Nur nicht ich. Denn betrogen werd ich allein – um alles.“ Er will umkehren, erblickt Hauptmann Krach und wendet sich wieder nach innen: „Was gibt es noch, worum ich nicht betrogen bin!“

Wokurka: „Sie sind theaterfremd. Merken Sie sich für alle Fälle, Exzellenz, bei uns wird geküßt, als ob Sie Heil Hitler sagen. Mehr denken wir uns dabei nicht. Es ist eine dumme Sitte.“

Milo Schatzova: „Wirklich nur eine Sitte. Ich küsse, wenn es darauf ankommt, den Vorhangzieher. Mein alter Kamerad hier –.“

Heydrich: „Du hattest ihn, mit Vorbedacht, um zehn Jahre älter gemacht.“

Wokurka: „Was hat sie Ihnen erzählt? Daß ich demnächst mein fünfundzwanzigstes Bühnenjubiläum begehe? Ein ordinäres Künstlerlos!“

Heydrich, immer im Abstand, aber vorgeneigt, und seine Stimme bebt: „Milo! Du hast mich nicht begriffen. Ich wollte dich für mich allein. Auch du hättest mich ganz besessen. Es war schlimm, der Führer konnte auf mich nicht länger bauen.“

Milo Schatzova: „So schlimm?“

Heydrich: „Ich verriet ihn schon, als ich die Padesat-Verschwörung in deinen Armen vergessen und verziehen hatte.“

Wokurka, abgewendet, wirft einen Blick nach der Decke: „Wo bleibt das Stück? Aus seiner Schurkenrolle macht der Mann ein unschuldiges Knäblein, es ist zum Weinen.“ Mit Schwung herum, gegen Heydrich: „Sie! Nehmen Sie sich in acht!“

Heydrich, kalte Wollust: „Nicht mehr nötig. Die fünfzig werden heute nacht noch hängen.“

Hauptmann Krach, lacht trocken auf. Er bedeckt den Mund, als hätte er gehustet. Er geht auf Wokurka zu: „Ihr großer Augenblick ist da, Herr Wokurka. Sie haben nichts mehr zu verlieren.“

Wokurka: „Gut, gestehen wir! Hab ich ihn betrogen.“ Vor Heydrich hin. Schlicht: „Lassen Sie alle leben, Exzellenz! Hängen Sie mich allein!“

Milo Schatzova: „Aber –.“

Wokurka: „Nichts aber. Der Mann leidet. Ich kann keinen Mann, und war es ein Henker, sich aufzehren sehen wegen eines Mädchens, das ihn mit mir betrügt.“

Milo Schatzova: „Aber –.“

Wokurka: „Nichts da. Jetzt wird die Wahrheit eingestanden, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Die Milo hat mich angebetet, nur um meinetwillen ist sie unter das Theater gegangen. Ich hab ihretwegen eine Frau und sechs Kinder schimpflich verlassen.“

Milo Schatzova: „Er lügt!“

Wokurka: „Es ist mein fürchterlicher Ernst.“

Heydrich: „Meiner auch. In einer halben Stunde werden Sie hängen. Kommen Sie!“

Wokurka, willfährig: „Befehlen sonst noch etwas? Ihr wertes Leben retten? Vor wem? Aber es wird gemacht.“

Hauptmann Krach, bei Wokurka: „Es ist ganz einfach, Herr Wokurka, die Mörder des Protektors sitzen zu dieser Stunde im verdunkelten Theater.“

Wokurka: „Erlauben Sie. Das ist gegen die Polizeivorschrift.“

Hauptmann Krach: „Sie betreten durch die Bühnentür das Haus, wo es stockdunkel ist.“

Wokurka: „Volle Beleuchtung verlange ich. Mich muß man sehen!“

Hauptmann Krach: „Nein hören. Sie ahmen die Stimmen deutscher Offiziere nach.“

Milo Schatzova: „Seine Spezialität ist der Führer!“

Wokurka: „Ich sage, daß ich in Moskau bin.“

Hauptmann Krach: „Sie sagen, daß Sie in Prag sind – auch nicht wahrscheinlicher.“

Wokurka: „Und will zusehen, wie ich gehängt werde. Den Wokurka meint der Führer.“

Hauptmann Krach: „Sie befehlen den versammelten Verschwörern, daß sie sich stehenden Fußes zu ihrer eigenen Hinrichtung zu begeben haben. Bei meiner Ungnade, sagen Sie.“

Wokurka: „Das wirkt, von mir gesprochen. Ich garantiere. Jeder bringt seinen Strick gleich mit.“

Milo Schatzova: „Von der ganzen Todesliste wird keiner da sein. Alle haben sich in Sicherheit gebracht.“ Sie tritt stürmisch vor Heydrich hin: „Den einzigen Wokurka wollen Sie Elender ermorden.“

Sie hat die Hand erhoben, um Heydrich zu ohrfeigen.

Hauptmann Krach fängt ihre Hand ab. Gegen Heydrich: „Das Einverständnis Eurer Exzellenz vorausgesetzt, fährt mein Wagen uns nach der Burg.“

Heydrich: „Aber ich komme nicht lebend hin.“

Milo Schatzova, bei Wokurka: „Pavel hat gut gearbeitet. Dieser Mensch fährt nicht zu deiner Hinrichtung und zu niemandes sonst. Er fährt zu seiner.“

Wokurka: „Pavel! Wo ist er? Wenn sie ihn nicht schon geschnappt haben.“

Milo Schatzova: „Unbesorgt!“

Hauptmann Krach läßt Heydrich in seinem Ärmel die Mündung eines Revolvers sehen: „Die volle Beleuchtung des Hauses könnte dennoch angezeigt sein. Es sind fünf Attentäter: ebenso viele Schüsse hab ich.“

Heydrich lacht höhnisch auf: „Der bildet sich ein, er wüßte mehr als ich. Es ist aus, wenn Sie es begreifen können: aus.“

Hauptmann Krach wartet in dienstlicher Haltung.

Heydrich, ernst: „Gemeiner Soldat Krach! Der Pastorensohn Heydrich bittet Sie, erschießen Sie ihn!“

Hauptmann Krach: „Zu Befehl, nein, Eure Exzellenz muß sich gefallen lassen, daß ich Ihr Leben rette.“

Heydrich senkt die Stirn.

Hauptmann Krach, im Abstand zu Wokurka: „Herr Wokurka, Sie werden doch ein Kostüm haben – für Fälle, in denen der Protektor vorzöge, unerkannt zu bleiben.“

Wokurka: „Da hätten wir meinen Schneider Zwirn, eine bewährte Verkleidung.“

Hauptmann Krach: „Schlank genug, daß darüber die Uniform paßt. Her damit! Wir haben keine Minute zu verlieren, bis Sie den Führer machen.“

Wokurka, für Heydrich: „Wollen der gnädige Herr sich weiterbemühen.“

Er hebt den Vorhang von der anliegenden Garderobe. Zusammen entfernen sich Wokurka und Heydrich.