Heinrich Mann
1871 - 1950
Lidice
1943
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Heydrich würde dem Befehl vielleicht folgen, wenn er ihm nicht in die Beine gefahren wäre. Sein Ausdruck ist der eines Überfallenen, Abgestraften.Hauptmann Krach, hinter ihm, ringt die Hände.Der Vorhang der benachbarten Garderobe wird aufgehoben, es erscheint der Komiker Wokurka.Der Komiker Wokurka: Entschuldigen die großmächtigen Herrschaften meine geringe Anwesenheit.“ Verneigung und Kratzfuß vor Heydrich: Ich bin nur der Wokurka.“Heydrich, Versuch sich aufzulehnen, der weinerlich ausfällt: Das genügt. Eine Unverschämtheit.“Wokurka, durchdrungen von dieser Wahrheit, bereit, sie gegen alle und jeden zu verfechten: Das ist das Wort, eine Unverschämtheit, oder es hätte noch nie eine Unverschämtheit gegeben. Ich bitt mir aus, ja ausbitten, dies betone ich, muß ich mir, daß es meine größte Unverschämtheit ist.“Milo Schatzova: Laß deine Spaße, hier ist nicht der Ort.“Wokurka: Mir mußt du das sagen? Eine gefeierte Künstlerin, in ihrer Garderobe sollt ich spaßen? Vor dem Angesicht des höchsten Herrn, der mir je untergekommen ist, sollt ich Spassetln einlegen?“ Den Finger gegen den Fußboden gestreckt, gebieterisch: Ich behaupte, daß ich unverschämt bin. Gespaßig mag sein, wer Lust hat, ich nicht, ich, der Wokurka, justament nicht.“Heydrich fängt an, den Zwischenfall zu begrüßen. Rückwärts nach Hauptmann Krach: Ist er immer so?“Hauptmann Krach: Zu Befehl, ein Komiker privat.“Milo Schatzova, nervös: Wenn wir die Szene abbrächen?“ Gegen Wokurka: Nachdem du sie einmal gestört hast.“Wokurka: Ich störe, dafür bin ich da. Mich hat die Direktion engagiert, auf daß ich dazwischentrete, sobald eine Szene sich auszuwachsen droht – ins Heldenhafte, ins Tragische, in die heulende Unnatur. Da kommt der Wokurka heraus und spielt alle an die Wand.“Heydrich, gehorcht dem diktatorischen Tonfall des Komikers, er lehnt sich tatsächlich an die Wand.Wokurka, in der Mitte, zeigt sich von allen Seiten: Geruhen der gewaltige Herr, mein Kleid zu betrachten, ein französisches Sportkostüm, ich trug es in der Rolle des Topaze, als er aus einem Moralpauker ein Übermensch und Schweinehund wird. Nicht, daß ich an dieser Stelle provozieren und sabotieren wollte mit dem französischen Schweinehund, das sei fern von mir. Es verstieße gegen alle meine Grundsätze. Aber in dem Gewand, wie ich da stehe, bin ich dem Oberst Redl begegnet.“Milo Schatzova: Hör auf. Der war längst vor dir.“Wokurka, unbeirrt: Er läuft mir in die Arme auf der steilen Stiege vom Hotel Klomser, dieselbe Nacht, als er sich erschießen ging. Er vertraut sich mir an, weil ich eh nur der Wokurka bin und er der große Verräter, der die militärischen Geheimnisse der österreichisch-ungarischen Monarchie an den Feind verkauft hat. Eine solche Ehrlosigkeit! Ich stell ihm vor, Herr Oberst, geschehen ist geschehen, Ihr übertriebener Selbstmord rettet die Monarchie nicht mehr. Jetzt alsdann trinken wir ein Pilsner, und mit dem Frühzug verreisen Sie nach dem Ausland.“Hauptmann Krach: Er hat sich doch erschossen.“Wokurka: Aber eine halbe Stunde hat er geschwankt. Die halbe Stunde Leben verdankt der gewissenlose Mensch nur mir; kann ich dafür, daß er kein Reisegeld hatte?“Milo Schatzova: Was hat das mit mir zu tun?“Wokurka: Denke dir, Milo, du wärst die Baroness Vetsera. Der hochselige Kronprinz Rudolf will dich und sich selbst erschießen, ein Liebestod. Rechtzeitig betrete ich die Bühne – aus, der Liebestod; du wärest noch jetzt am Leben.“Milo Schatzova: Und du, achtzig Jahre alt.“Heydrich düster: Er ist keine vierzig.“Milo Schatzova: Der Auftritt meines Kameraden Wokurka hat seinen Zweck erfüllt, ich bin ruhiger.“ Für Wokurka: Du kannst abgehen.“Wokurka, zieht sich bis in den Vorhang zurück, aber nicht weiter. Er macht seinen schmollenden Mund, öffnet angestrengt die blassen Augen und bleibt aufmerksam.Milo Schatzova, kommt in die Mitte: Wir können von etwas anderem reden, wenn Eure Exzellenz vergessen will, was Sie mir am Anfang der Szene zu eröffnen gedachte.“Heydrich, macht sich von der Wand los, betrachtet das Telegramm: Das kann nicht Ihr Ernst sein.“Milo Schatzova: Ich weiß, was ich tue.“Heydrich: Sie haben nicht überlegt, daß Sie einen Gnadenbeweis des Führers erhalten haben, den außerordentlichsten, den er einer Tschechin geben konnte. Sie sind eine Deutsche ehrenhalber.“Milo Schatzova: Unehrenhalber. Ich lehne ab.“Heydrich: Der Führer befiehlt, Milo, dir – und mir.“ Er beschwört sie, verhalten, von Gesicht zu Gesicht.Milo Schatzova: Um so schlimmer für Sie. Ich lehne ab.“Heydrich, kämpft mit dem Ausbruch, der bevorsteht. Er wirft den Arm in die Luft.Hauptmann Krach, mißversteht die Geste und ruft: Heil Hitler!“Wokurka, in die Falte des Vorhanges: Nazdar!“Milo Schatzova, kommt Heydrich zuvor: Machen Sie auch noch den wilden Mann! Ich kenne Ihre Furchtbarkeit – im Schlafzimmer. Die Menschen zwingen, daß sie sich selbst verachten – ist euer ganzes Geheimnis, ihr deutschen Sphinxe. Ich habe mich prostituiert, dem Schänder meines armen Landes. Judith und die anderen sind reine Jungfrauen neben mir. Auf mich wird mit Fingern gewiesen. Wenn ihr nachher abzieht, muß ich mit.“ Sie schreit. Sie beißt sich in den Knöchel ihrer Hand.Wokurka, souffliert ihr im Rücken: Ich ernenne Sie zum Ehrentschechen. Wir schlagen drei Purzelbäume und nehmen das Flugzeug nach dem Mond.“Heydrich, steht nach außen starr, aber sichtlich hat er es innerlich schwer mit sich.Wokurka, heimlich: Milo, dem hast du es gegeben; jetzt halt auf oder du spielst dich in Grund und Boden!“ Schnell macht er sich in dem Vorhang unsichtbar.Heydrich, hat seine metallene Stimme noch einmal zurück. Milo! Wenn du nicht meine Schande bist, wie kann ich deine sein? Erbitte von mir, was du willst!“Milo Schatzova, böse: Zerreiß die Liste deiner fünfzig Opfer!“Heydrich: Die Tschechen, meinst du. Die Deutschen auch?“Milo Schatzova: Alle!“Heydrich: Warum?“Milo Schatzova: Weil ich's will.“Heydrich: Heute nachmittag wolltest du es anders.“Milo Schatzova: Du merkst nicht, Liebling, wenn man deinen Sadismus karikiert und sich lustig macht.“Heydrich, ungläubig, unsicher, die Stimme gebrochen bis zur Tonlosigkeit: Dafür wärest du mir erschienen traumhaft schön?“Milo Schatzova: Was gehn mich deine Träume an.“Heydrich: Du suchtest mich heim und – und –.“Milo Schatzova, kalt: Und haßte dich.“Wokurka, souffliert ihr: Ich werde dich lieben, wenn du, und so weiter.“Milo Schatzova, spricht nach, ihre Spannkraft setzt aus: Zerreiß die Liste, ich werde dein sein.“Heydrich, bittend: Bedenke die Folgen! Das sind meine Feinde, du verlangst ihr Leben und besiegelst meinen Tod. Schlimmer als das, wenn es auf Erden ein Fortleben gibt, ich soll mit Schanden fortleben.“Er besinnt sich: Wir werden belauscht. Gleichviel, ich bin schon weiter, als Stolz und Vorsicht reichen. Ich soll, ob lebend oder tot, die Ungnade meines Führers tragen, und war sein Freund. Er nennt mich Freund.“Milo Schatzova: Dich?“Heydrich: Wen sonst?“Milo Schatzova: Den, der ihm den Sieg am Altmarkt durch das Telephon blies. Bist du das? Meinen Geliebten nennt er Freund, bist du das?“Heydrich, bricht zusammen.Hauptmann Krach schiebt ihm gerade noch einen Stuhl unter. Er stellt sich vor Heydrich, der, um nicht herunterzufallen, seinen Ärmel anpackt.Milo Schatzova, zuckt die Achseln, macht Miene aufzubrechen.Hauptmann Krach, leise und fest: Slecna! Sie lügen und betrügen viel, warum tadeln Sie für dasselbe Unrecht einen anderen? Sie wissen, wer Sie sind. Er – hat seine Identität verloren.“Heydrich, rafft alle Kraft zusammen, kommt steil auf: Man sage mir, wer ich bin!“Hauptmann Krach und Milo Schatzova, Aug in Auge, überlassen einander, den Anfang zu machen.Wokurka, verläßt offen den Vorhang: Ich staune. Demütiges Staunen ergreift meine Seele ob des berühmten Gastes in diesem Schmierentheater.“Heydrich, angstvoll: Nun?“Wokurka, gebieterisch: Sie sind unser Protektor!“Heydrich: Wie lange kennen Sie mich?“Wokurka: Traurig genug, daß wir zwei bald die Letzten im Haus sind. Bleibt nur der hintere Ausgang. Morgen wird vorn eine Ehrenpforte aus Lorbeer aufragen!“Heydrich: Aber gestern?“Wokurka: Die Direktion hatte schon gestern auf die Ehrenpforte vergessen. Swoboda und Niemitz sind heute nicht wiederzuerkennen. Wir zwei – waren gestern dieselben.“Heydrich: Sie sahen auch gestern mich, den Protektor, mich selbst, unverkennbar?“Wokurka, mit Blick in den Spiegel: Da schaut der Wokurka heraus, ich hätt es ihm übelgenommen, wenn er ein anderer wäre. Exzellenz, probieren Sie selbst! Sie sind kein Komiker vom Rococo – trotzdem, einen zweiten Protektor geben, das können Sie nicht, und Ihren Protektor spielt kein zweiter Ihnen nach. Ein Volk, ein Wokurka und ein Protektor.“ Er verschränkt die Arme: Widerspruch dulde ich nicht.“Heydrich, atmet tief auf. Streng gegen Hauptmann Krach: Sie hatten Zweifel.“Hauptmann Krach: Melde gehorsamst, daß ich an nichts und niemandem zweifle. Sonst war ich selbst nicht, der ich bin.“ Er streckt dringend die Hand nach Milo Schatzova aus: Die Künstlerin auch nicht.“Milo Schatzova, ergibt sich: Am Rococo bin ich allein für erstes ernstes Fach verpflichtet, und auf der Burg nur Sie.“Heydrich, mit ihr Brust an Brust: Du verleugnest den anderen?“Milo Schatzova, leiser als er: Ich kenne keinen anderen.“Heydrich: Du liebst ihn nicht?“Milo Schatzova: Ich hätte viel zu tun. Man soll zuerst leben.“ Sehr qualvoll: Fünfzig Menschen sollen leben. Fünfzig!“Heydrich, küßt ihr die Hände, spricht in das Innere ihrer Hand: Sie sind frei.“Milo Schatzova: Hauptmann Krach! Befehl des Protektors, Sie haben gehört.“Hauptmann Krach, mit Betonung: Sie – sind – frei.“Heydrich, ihr ins Ohr: Einmal – vielleicht nie wieder – hast du mich erlöst.“Er geht schnell aus der Tür, durch die er eingetreten war.Hauptmann Krach muß eilen, um nachzukommen. |