BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Heinrich Mann

1871 - 1950

 

Lidice

 

1943

 

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71

 

Auf der dunklen Bühne. Schwaches, bläuliches Licht einer einzelnen Lampe streift den Weg, den Heydrich geht. Hauptmann Krach bleibt ihm auf den Fersen.

Hauptmann Krach, flüstert ihm in den Nacken: „Nicht weiter, Exzellenz!“

Heydrich: „Nicht weiter, warum?“

Aber auch er, einmal aufmerksam gemacht, vernimmt die Stimmen im Haus.

Beide haben angehalten, sie sind nahe der Tür, durch die sie vordem die Proszeniumsloge verließen. Die Tür ist angelehnt.

Heydrich: „Wer hat die Tür geöffnet?“

Hauptmann Krach: „Ich ließ sie offen – eben für diesen Fall.“

Auf leisen Sohlen erreichen sie den Spalt. Dahinter führen zwei, drei Stufen hinauf, man meint die Brüstung der Loge zu unterscheiden. Was sie weiterhin sehen, ist bestimmt nur eine Einbildung ihres Gedächtnisses. Der Schatten bedeckt alles gleichmäßig. Wie tief müßten gewisse Schatten sein, um als Gestalten hervorzutreten. Übrigens vermutet man sie bald hier, bald dort, nicht anders als die Stimmen, die, unterdrückt wie sie sind, dennoch auf allen Seiten des leeren Hauses wiederholt werden und hölzern nachklappen.

Irgendwo spricht Geheimrat Blumentopf: „Ohne Sorge, meine Herren! Hier soll ihm nichts zustoßen. Ich weiß, daß ich die Nerven der Herren und ihren guten Ruf zu schonen habe.“

Oberst Schalk: „Ich bin kein Polizist, ich habe bis jetzt nicht herausgebracht, was vorgeht.“

Geheimrat Blumentopf: „Wir fangen ihn bei seiner Geliebten. Das war unser Plan.“

Geheimrat Rumfutsch: „Ihrer?“

Eine noch unbekannte Stimme: „Meine Hochachtung, aber die tschechische Freundin ist ihm doch wohl von – einem anderen untergeschoben?“

Eine ebenso unbekannte Stimme: „Von – nun, von dem anderen.“

Geheimrat Rumfutsch: „Nicht so übel – der andere.“

Oberst Schalk: „Ich bin Soldat und brav, die Ehrlichkeit kann hier im Dunkeln nicht schaden. Der – andere –.“

Geheimrat Rumfutsch, Anfall von Mut: „Pavel Ondracek.“

Oberst Schalk: „Der andere hat den armen Heydrich bis zur Vernichtung geschlagen. Die Ernennung des Protektors zum Freund –.“

Eine der unbekannten Stimmen: „Des Führers.“

Oberst Schalk: „Die Ernennung seiner Tschechin zur Ehrendeutschen.“

Geheimrat Rumfutsch: „So ziemlich der Gipfel, das Telegramm ließ mich vor Scham erröten, als ich es empfing, und noch jetzt werde ich rot.“

Geheimrat Blumentopf: „Hier macht das keinen Unterschied.“

Unbekannte Stimme: „Immerfort lassen die Herren die Hauptsache aus. Vier von uns, und sechsundvierzig andere, hätten morgen oder übermorgen hängen sollen.“

Oberst Schalk: „Ondracek hat uns das Leben geschenkt.“

Geheimrat Blumentopf: „Heydrich will uns kaltmachen. Ich hatte mit ihm ein historisches Gespräch.“

Geheimrat Rumfutsch: „Mit dem wirklichen Heydrich?“

Oberst Schalk: „Der existiert nicht mehr.“

Geheimrat Blumentopf: „Die beiden sind nicht zu verwechseln. Wer, wie ich, im Augenblick vorher den einen in voller Tätigkeit gesehen hatte, und jählings bekommt man es mit dem anderen zu tun –.“

Unbekannte Stimme: „Was will er? Uns doch wieder hängen? Übermorgen?“

Geheimrat Blumentopf: „Irrtum. Weder übermorgen, noch morgen früh: gleich jetzt um Mitternacht.“

Unbekannte Stimme: „Das las ich in seinem Sträflingsgesicht. Ich, Präsident Labyrinth –.“

Zweite Stimme: „Ich, Präsident Meyer.“

Präsident Labyrinth: „Wir beiden Präsidenten Labyrinth und Meyer verspäteten uns absichtlich heut abend nach der Vorstellung.“

Präsident Meyer: „Auch der falsche, früher echte Protektor blieb sitzen. Aus unserer schon verdunkelten Loge erblickten wir in seiner noch beleuchteten das Sträflingsgesicht, das damit umging, deutsche – deutsche Männer hinzurichten.“

Präsident Labyrinth: „Ein zartes Wort für morden. Das deutsche Brauchtum kennt keine Morde.“

Geheimrat Blumentopf: „Wie wahr! Der Protektor muß hier im Theater verunglücken, vor Mitternacht. Ich habe Ihre Zustimmung, obwohl ich sie nicht brauche.“

Eine Pause.

Ein Präsident, um endlich das Schweigen zu brechen: „Wir sind schon lange im Theater.“

Der Zweite: „Wenn er uns entwischt wäre?“

Geheimrat Blumentopf: „Das kann er nicht. Vorn bei dem versperrten Eingang, auf welchem Wege er auch hingelangt, empfängt ihn der Portier, in der Livree steckt einer meiner Leute. Andere sind in der Nähe.“

Oberst Schalk: „Er ist verloren. Aus meiner militärischen Erfahrung kann ich Ihnen etwas mitteilen. Man hat sie immer erst, wenn sie sich selbst schon verloren geben.“