BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Heinrich Mann

1871 - 1950

 

Lidice

 

1943

 

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Theater Rococo.

Hauptmann Krach fährt seinen Jagdwagen vor den Eingang.

Ein Verkehrspolizist: „Parken verboten, melde gehorsamst, Herr Hauptmann.“

Hauptmann Krach: „Befehl des Protektors.“

Der Portier, stürzt heraus: „Seine Exzellenz fragten mehrfach nach Herrn Hauptmann.“ Er geleitet Hauptmann Krach bis an den Fuß der Treppe: „Herr Hauptmann befehlen die Herren Direktoren.“

Hauptmann Krach: „Ohne Umstände, ich kenne den Weg.“ Er durchschreitet ein Spalier von Dienern und Pagen.

Der Portier ruft ihm nach: „Die Direktion hätt ihren Frack angehabt zum Empfang, aber wer denkt gleich, Protektor kommt alle Abend.“

Hauptmann Krach ist schon oben.

Der Portier, überstürzt: „Gleich wird Vorstellung aus sein. Nur bis Herren Swoboda und Niemitz Frack anhaben!“

Hauptmann Krach, betritt den Vorraum der Proszeniumsloge, trotz Räuspern wird er nicht beachtet.

Heydrich, sitzt und starrt auf die Bühne mit allen Anzeichen der Angst.

Hinter der Wand der nächsten Loge spricht jemand, und Hauptmann Krach versteht: „Der schaut darein, als hätt er sich selbst zum Hängen verurteilt.“

Heydrich, wirft sich nach Hauptmann Krach herum: „Ach! nur Sie. Auf Sie warte ich – eine Weile.“

Hauptmann Krach: „Melde Eurer Exzellenz gehorsamst –.“

Heydrich: „Melden Sie mir, wie alt der Wokurka ist!“

Hauptmann Krach, sucht Zeit zu gewinnen: „Exzellenz meinen den Weihnachtsengel, der Fräulein Schatzova segnet.“

Heydrich: „Allerdings. Jetzt hat er schon Flügel. Vorher als Zuhälter hatte er ein Messer, als Millionär eine Schere, als Schneider auch. Jedesmal verjüngt er sich unheimlich.“

Hauptmann Krach, entschieden: „Der Komiker Wokurka ist ein guter Fünfziger.“

Heydrich, schroff abgewendet: „Der lügt auch. Alle verschworen, ärger als Padesat.“

Milo Schatzova, auf der Höhe einer strahlenden Schlußapotheose, unter Blütenregen und Harfenklang, versucht Heydrich anzulächeln. Sie singt ihm wonnevoll in das nahe Angesicht.

Sein Gesicht bringt es fertig, sie noch zu erschrecken. Sie sieht ihn leiden, was sonst zu seiner Furchtbarkeit gefehlt hatte.

Milo Schatzova, ohne die Stimme zu dämpfen, für ihren Partner Wokurka: „Der böse Narr, an fünfzig Morden hat er nicht genug, wen trägt er jetzt im Sinn?“

Der Komiker Wokurka: „Gern betrachtete er dich zärtlich. Hat es nie gelernt, armer Hund. Ich werde ihm Privatunterricht geben im Mienenspiel.“

Beide beteiligen sich von neuem an dem Finale, Stimmen und Instrumente rauschen glänzend auf.

Der Vorhang beginnt zu fallen. Bevor die Gardine zu weit herunter ist, kann Heydrich feststellen, daß Milo Schatzova ihren nackten Rücken an die Hand Wokurkas stützt.

Beifall, der Vorhang hebt sich, da steht Milo Schatzova wieder auf eigenen Füßen, nicht von Wokurka getragen, sondern durch die Macht der Schönheit über diese Welt erhöht.

Heydrich windet sich unter dem Anblick, er stöhnt: „Ich hasse die Person.“

Hauptmann Krach, versucht es mit ihm: „Melde Exzellenz gehorsamst –.“

Heydrich: „Schnauze!“ Er will in seine Qual versunken bleiben.

Hauptmann Krach horcht auf die Reden der nächsten Loge, während das unstillbare Verlangen des Publikums den Vorhang nötigt, die Apotheose noch und noch zu entblößen.

Jemand hinter der Wand der Loge: „Sie klatschen nur, um zu sehen, wie lange er es aushält.“

Eine ältere Frauenstimme: „Gestern hat er mir besser gefallen.“

Ein dritter: „Besonders, da es ein anderer war.“

Der erste: „Pst. Weiß eh ein jeder im ganzen Haus.“

Die Dame: „Nur er selbst merkt davon nichts, daß man weiß. Ich bin eigens wieder hergekommen, das war heut an der Kasse ein Geraufe.“

Der dritte: „Ein schöner Mut, fünfzig zum Strang verurteilen, dann ins Rococo.“

Der erste: „Das Verhalten des Publikums ist demgemäß ein kühles zu nennen.“

Der dritte: „Kühl, aber würde sich erwärmen, wenn einer seinen Revolver mitgebracht hätte.“

Hauptmann Krach, biegt Kopf und Schultern um den äußeren Rand der Loge: „Sie haben Ihre verbotene Waffe vorsichtig zu Haus gelassen.“ Er zieht sich zurück.

Die ältere Frauenstimme kreischt auf. Im allgemeinen Lärmen geht der Schrei mit hin.

Hauptmann Krach, hört nebenan eiliges Stühlerücken: „Gute Heimfahrt, die werden nicht mehr durch Lokale bummeln.“

Gleich vor ihm, im Parkett, wird zwischen zwei Beifallsstürmen eine Bemerkung vernehmlich:

„Wollen sehen, wer's länger aushält, wir oder er.“

Eine weniger schöne Dame: „Er doch. Der beschaut sich die Schatzova bis morgen früh.“

Jemand, der sich einmischt: „Sie macht, hör ich, mit ihm, was sie will.“

Ein ganz Unbeteiligter: „Soll sie einen anständigen Menschen aus ihm machen! Statt dessen –“ Geflüstert: „Padesat.“

Der den Austausch angefangen hatte: „In demselben Augenblick, wo sie seine Geliebte wird.“

Die weniger schöne Dame: „Eine Schande für uns Tschechinnen, seine Geliebte!“

Der Eingemischte: „Ist sie's denn aber? Gestern soll man hier den – anderen gehabt haben.“

Die Dame: „Ihr machen auch zwei nichts aus.“

Der angefangen hatte: „Der – andere ist ein Spaßvogel.“

Der Eingemischte: „Ein Volksheld ist er.“

Der Vorige: „Ein Volksheld. Aber spaßig ist gerade der brave Soldat Schwejk. Vielleicht war auch der Žižka spaßig, später verliert sich das.“

Die Dame: „Der oben rührt sich nicht. War er gar schon tot?“

Der Eingemischte: „Dann kommt die Stunde des anderen.“

Der Vorhang will nicht mehr aufgehen. Die eifrigsten Rufer, die sich vorn gestaut haben, werden von den Dienern abgedrängt, der Saal wird geräumt.

Die beiden Direktoren persönlich führen die Aufsicht. Beinahe allein geblieben, stecken sie die Köpfe zusammen, spähen aus gedeckter Stellung hinauf.

Direktor Swoboda: „Den hat's.“

Direktor Niemitz: „Er ist verrückt nach ihr. Unser Geschäft.“

Direktor Swoboda: „Vier Wochen vorausverkauft. Aber dauert es vier Wochen, mit ihm und der Schatzova?“

Direktor Niemitz: „Das muß nicht unsere Sorge sein, bezahlte Plätze werden niemals zurückgenommen. Wir sollten hinauf zu dem Mann.“

Direktor Swoboda: „Damit er uns hängen läßt. Wie er schon dasitzt!“

Direktor Niemitz: „Er wartet nur, daß wir ihn zu ihr bringen. Wozu haben wir unsere Fräcke an.“

Direktor Swoboda: „Den Weg findet er allein, hat ihn schon einmal gefunden.“

Direktor Niemitz: „Das war nicht derselbe.“

Direktor Swoboda: „Sein Hauptmann Krach ist noch derselbe.“

Gedeckter Rückzug der Direktoren.

Zwei deutsche Herren sind im Hintergrund einer verdunkelten Loge übriggeblieben.

Der eine: „Auf seiner Liste stehen deutsche Herren, Herren wie wir. Deutsche wie wir.“

Der andere, sagt ihm einen Namen ins Ohr.

Der erste: „Der auch? Von den Skodawerken. Ich gehe nicht nach Hause, er ließe mich verhaften.“

Der andere: „Er muß fort. Begriffen?“

Der erste: „Begriffen. Er muß fort.“ – Sie verschwinden.

In der Proszeniumsloge.

Heydrich, fährt aus seiner düsteren Erstarrung auf: „Ich will gehen.“

Hauptmann Krach: „Wie Exzellenz befehlen.“

Heydrich, kann sich nicht entschließen, aufzustehen: „Sie hatten eine Meldung?“

Hauptmann Krach: „Melde gehorsamst, Telegramm des Feldmarschalls von Brauchitsch. Der Führer ernennt die Künstlerin Fräulein Schatzova für besondere Verdienste zur Deutschen ehrenhalber.“ Er überreicht das Telegramm.

Heydrich, liest es: „Mensch! Das sagen Sie mir erst jetzt.“

Hauptmann Krach: „Zu Befehl, Exzellenz wünschten nicht gestört zu sein. Mein unfreiwilliger Zeitverlust erklärt sich aus der Schwierigkeit, in den Besitz des Telegramms zu gelangen.“

Heydrich: „Halten Sie mich nicht mit überflüssigen Erklärungen auf! Meine unmittelbare Pflicht verlangt, daß ich die Künstlerin von dem unerhörten Gnadenbeweis in Kenntnis setze. Wohin?“ Er stürzt nach dem Ausgang im Vorraum der Loge.

Hauptmann Krach: „Eure Exzellenz verwechseln die Türen. Die andere, wenn ich bitten darf, führte schon gestern auf die Bühne.“ Er öffnet und tritt zurück.

Heydrich, geht hindurch: „Seit gestern – verwechsele ich.“