Heinrich Mann
1871 - 1950
Lidice
1943
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Pavel: Sturmbannführer Jellinek, Sie gehören in die Klasse der denkenden Offiziere.“Der Sturmbannführer: Zu Befehl. Wenn Exzellenz erlauben, wer mir zunickt, das seh ich immer.“Pavel: Wirklich?“Der Sturmbannführer: Besonders bei Damen.“Pavel: Sehr gut. Würden Sie scharf beobachten können, ob mein Kammerdiener Ihnen zunickt?“Der Sturmbannführer: Zu Befehl. Mit hundertprozentiger Garantie.“Pavel: Sie fragen nicht, das gefällt mir.“Der Sturmbannführer: Der deutsche Soldat fragt nicht.“Pavel: Ich wünsche Sie aufzuklären.“Der Sturmbannführer: Befehl, Exzellenz.“Pavel: Sie kehren auf Ihren Posten im Burghof zurück. Die Wache tritt ins Gewehr. Aufgestellt ist ein Maschinengewehr und die Musik.“Der Sturmbannführer: Maschinengewehr und Musik, Befehl, Exzellenz.“Pavel: Die drei Herren, die soeben fortgingen, halten sich im Burghof auf.“Der Sturmbannführer: Die Hochverräter! Wehe dem, der sich drücken will, ich hole ihn mit Einsatz militärischer Gewalt.“Pavel: Unnütz. Die Herren interessieren mich nur, insofern sie von selbst dabei sind. Verstanden?“Der Sturmbannführer, innig bemüht: Das Maschinengewehr, die Musik, ein Oberst, zwei Geheimräte, wer fehlt, der fehlt, Befehl, Exzellenz.“Pavel: Keiner wird fehlen. Jetzt äußerst scharf nachdenken, Sturmbannführer Jellinek!“Der Sturmbannführer: Melde gehorsamst, daß mir vor Anstrengung mein rheinisches Blut zu Kopf steigt. Das Leben für den Protektor!“Pavel: Aus dem Portal dort unten wird mein Kammerdiener hervortreten. Mit seiner Livree kann er Ihrem Scharfblick nicht entgehen.“Der Sturmbannführer: Zu Befehl, ich bin Kostümzeichner, mehr Damenmoden, die Gesichter geraten immer konventionell.“Pavel: Seines ist auch nur konventionell, aber die Livree.“Der Sturmbannführer: Vornehm, ich hätte sie entwerfen können.“Pavel: Der Kammerdiener wird einen zweiten Mann mitbringen. Auf ihn kommt nicht viel an.“Der Sturmbannführer: Zweiter Mann unwichtig, Befehl, Exzellenz.“Pavel: Nur das eine, der Mann muß ohne jede Störung seiner Wege gehen.“Der Sturmbannführer: Zu Befehl. Wer wird das arme Luder schon stören.“Pavel: Er ist ein Schneider und hat von mir einen eiligen Auftrag. Der Packen, den er trägt, darf nicht kontrolliert werden.“Der Sturmbannführer: Wie werde ich, der Schneider Eurer Exzellenz ist mir heilig.“Pavel: Denken Sie noch schärfer! Wer könnte ihn anhalten wollen und das Kleiderbündel schnappen?“Der Sturmbannführer: Entsetzlich! Die drei Spione! Die Feinde des Führers! Noch vor fünf Minuten – keine Ahnung, ich wäre in weittragende Staatsaffären verwickelt.“Pavel, läßt ihm Zeit.Der Sturmbannführer: Aber der Schneider braucht einen Wagen.“Pavel: Richtig, ich hätte es vergessen.“Der Sturmbannführer: Mein eigener, er ist unauffällig, auch ein Schneider kann ihn fahren.“Pavel: Sie stellen ihn außerhalb des Burghofes hin.“Der Sturmbannführer: Drinnen würde er auffallen.“Pavel: Das Maschinengewehr befindet sich an dem Weg, den Kammerdiener und Schneider bis zu dem Wagen zurücklegen.“Der Sturmbannführer: Der Kammerdiener fährt auch mit!“Pavel: Nein. Der Kammerdiener hat den Zweck, Ihnen zuzunicken, wenn alles in Ordnung und der Schneider abgefahren ist.“Der Sturmbannführer: Jetzt kommt das Nicken. Daß ich alles zusammenhalte: der Wagen, der Schneider, das Nicken, das Maschinengewehr, die Musik. Wozu die Musik?“Pavel: Wozu das Maschinengewehr?“Der Sturmbannführer, stutzt – und leuchtet auf: Wenn die Spione einen Schritt gegen den Schneider machen, beim ersten Schritt mähe ich sie nieder.“Pavel: Ihre Intelligenz verdient eine Ermutigung. Ich merke Sie mir.“Der Sturmbannführer, ermutigt: Die Musik setzt mit dem Maschinengewehr ein und übertönt sein Geknatter.“Pavel: Jetzt haben Sie alles erfaßt, handeln Sie mit militärischer Pünktlichkeit!“Der Sturmbannführer: Melde Exzellenz gehorsamst, daß ich die Treppe nicht nur laufen werde. Das Geländer werde ich runterrutschen, so sehr freue ich mich auf das Geknatter und die Musik.“Pavel: Schnell, aber nicht vorschnell! Das Nicken ist vorzuziehen, falls der Kammerdiener nickt.“Der Sturmbannführer: Falls der Kammerdiener nickt, zu Befehl!“ Er grüßt: Heil Hitler!“Pavel: Heil Hitler! Nebenbei will ich Geheimrat Blumentopf noch einmal sehen. Schicken Sie ihn herauf.“Der Sturmbannführer: Mit Tritt in den Arm!“Der Kammerdiener hat schon die Tür geöffnet, er entläßt den Sturmbannführer aus der Wohnung des Protektors und kehrt zurück: Exzellenz haben Befehle?“Pavel: Keine anderen, als die Sie hinter der Tür mit angehört haben.“Der Kammerdiener: Ob ich wollte oder nicht, verstand ich jedes Wort.“Pavel: Das genügt.“Pavel, in seinem Vorzimmer, berichtigt Haltung und Maske. Er tilgt die Spuren der aufgeregten Szene.Geheimrat Blumentopf wird vom Kammerdiener eingelassen. Beim Anblick des Protektors erstarrt er. Hilfesuchend an den Kammerdiener geklammert: Mensch! Was haben Sie gemacht? Das ist plötzlich der andere.“Der Kammerdiener schüttelt ihn ab, schließt hinter sich die Tür.Geheimrat Blumentopf, macht Miene, am Boden zu kriechen: Exzellenz! Ich ersterbe.“Pavel, kalte Grausamkeit: Je früher, je besser für Sie. Mich hätten Sie des Vergnügens beraubt, Sie im Morgengrauen baumeln zu sehen.“Geheimrat Blumentopf, empört sich: Das wagen Sie nicht!“Pavel: Wiederholen Sie!“Geheimrat Blumentopf, wird klein wie vorher: Die Gnade Eurer Exzellenz ist meine ganze Hoffnung.“Pavel: Auf meine Gnade ist Verlaß, wie auf Ihre Treue.“Geheimrat Blumentopf, murmelt: Das Mark der Ehre.“Pavel: Keine zehn Minuten, da intrigierten Sie hier mit meinem Nachahmer – dem Sie jedesmal auf den Leim gehen.“Geheimrat Blumentopf, verwirrt: Jedesmal Leim.“Pavel: Kaum daß ich durch die geheime Tür eintrete, berichtet mir mein Kammerdiener erstens, daß ich hörig bin, zweitens, daß ich eine Heidenangst vor meiner Gestapo habe.“Geheimrat Blumentopf, naiv: So ist es.“Pavel: Heinrich Himmler ist auf Befehl des Führers in seiner Badewanne vergast. Mit ihm sein Kanarienvogel.“Geheimrat Blumentopf: An das Vöglein glaub ich nicht. Exzellenz treten an seine Stelle?“Pavel: Das möchten Sie, daß ich ein Vöglein wäre. Ich bin der neue Chef der Gestapo – und Sie ein toter Mann.“Geheimrat Blumentopf: Exzellenz werden mir nicht die Gelegenheit versagen, durch unbändigen Diensteifer meine Irrtümer zu sühnen.“Pavel: Vor Ihrem Hintritt.“Geheimrat Blumentopf: Den ich vorzudatieren gehorsamst möchte bitten dürfen. Das Padesat-Hängen muß nicht bis Morgengrauen warten. Mit hoher Genehmigung des Protektors –.“Pavel: Chef der Gestapo.“Geheimrat Blumentopf: Freund des Führers. Gehängt wird schon um Mitternacht.“Pavel: Fangen Sie die Patienten wieder ein, wenn Sie können! Sie und Ihr Damenimitator haben alle laufenlassen.“Geheimrat Blumentopf: Längst hat der unfehlbare Intellekt Eurer Exzellenz meinen Trick durchschaut.“Pavel: Natürlich, Ihnen zu Gefallen werden die Verschwundenen binnen drei Stunden zu Hause sein und sich abholen lassen. Ich wäre nicht so dumm.“Geheimrat Blumentopf: Auch Sie würden dem Wort des Protektors trauen.“Pavel: Es war der falsche.“Geheimrat Blumentopf: Ein Grund mehr, ihm zu glauben.“Pavel: Ein Grund mehr für den Verdacht, daß dem echten Protektor – mir! – ein Streich gespielt werden soll.“Geheimrat Blumentopf: Ich wage nicht zu verstehen.“Pavel: Um Mitternacht wollt ihr mich killen.“Geheimrat Blumentopf, fällt auf die Knie: Wenn der Gedanke mich von fern gestreift hat – meine Hand möge verdorren!“Pavel: Ist sie schon. Knipsen Sie mal mit den Fingern!“Geheimrat Blumentopf, versucht es und kann es nicht. Er stammelt: Ich bin nicht mehr Blumentopf.“Pavel: Sie sind es gewesen. Ab!“ Fußtritt. Der Getroffene kriecht auf allen vieren zur Tür, an ihr richtet er sich auf.Geheimrat Blumentopf: Es krümmt sich auch der Wurm. Die doppelte Besetzung des Protektors befindet sich noch immer hier. Liefern Exzellenz ihn mir aus!“Pavel: Keine Rede. Ich brauche ihn dringender als Sie.“ |