Heinrich Mann
1871 - 1950
Lidice
1943
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Pavel, zwischen den Spiegelwänden, schließt seinen Uniformrock. Er wendet sich um, als die drei Besucher von dem Kammerdiener eingelassen werden.Alle drei: Heil Hitler!“Pavel: Heil Hitler! Pardon die Unordnung.“Oberst Schalk, strafend: Der Kammerdiener kündigte uns an, wir würden Exzellenz noch bei der Toilette finden.“Pavel: Beim Ankleiden, was haben Sie dagegen?“Geheimrat Rumfutsch: Der Kammerdiener, ein geschickter Junge, unterrichtete uns davon, daß Eure Exzellenz den ganzen Tag ein Frauenzimmer hier hatten.“Pavel: Während die Herren in einsamer Zelle saßen. So ist das Leben.“Geheimrat Blumentopf: Ich würde die Schatzova zumindest eine Künstlerin nennen.“Oberst Schalk: Ein kapitales Weib, ist kaum zuviel gesagt. Der Protektor hat weniger gute Einfälle.“Pavel: Erinnern Sie mich an einen weniger guten!“Oberst Schalk, drohend gegen Geheimrat Blumentopf: Daß ich auf seiner Liste stehe.“Geheimrat Blumentopf, weicht nach der Tür zurück: Auf meiner?“Pavel: Einen Cognac, die Herren. Er stärkt die Moral.“Geheimrat Blumentopf, hält sich lieber an die Tür.Oberst Schalk, gießt ein Glas Cognac hinunter.Pavel: Sie, Geheimrat Rumfutsch, kenne ich als einen Mann. Die Frau bleibt nicht immer unser Spielzeug.“Geheimrat Rumfutsch: Wahrhaftig nicht. Ich bin fünfzehn Jahre verheiratet.“Pavel: Ich, mit der Schatzova befreundet erst seit gestern, aber schon erlebe ich mein Schicksal. Von dieser Frau komme ich nicht mehr los.“ Er steigert sich: Protektor von Böhmen-Mähren, und jeden Augenblick in Gefahr, daß die Person meinen Willen beugt! Das ertrage, wer kann.“Geheimrat Blumentopf: Hängen Sie die Schatzova auf!“Oberst Schalk, nach dem zweiten Cognac: Wenn er das fertigbrächte, wäre sie nicht die Schatzova.“Geheimrat Rumfutsch: Ich glaube, man nennt das Hörigkeit. Muß sehr unangenehm sein.“Pavel: Es ist die Leidenschaft und ihre Allgegenwart. Sie wundern sich, meine Herren, daß die Künstlerin nicht hier ist. Weil in Wahrheit ich selbst nicht hier bin, ich sitze im Theater Rococo.“Geheimrat Blumentopf will entweichen.Pavel: Sie da! Wohin?“Geheimrat Blumentopf: Sicherheitsdienst im Theater.“Der Kammerdiener stößt Geheimrat Blumentopf trotz Gegenwehr in das Zimmer zurück und schließt die Tür.Geheimrat Blumentopf, trocknet seine Stirn.Pavel: Seien Sie froh, daß Sie nur Angst schwitzen. Wer weiß, was Ihnen im letzten Vorzimmer zugestoßen wäre.“Geheimrat Blumentopf muß sich setzen.Oberst Schalk und Geheimrat Rumfutsch tauschen ernste Blicke aus.Pavel: Er hat recht, setzen wir uns! Es handelt sich, wie Sie bemerken, um eine lebenswichtige Verständigung.“Geheimrat Rumfutsch: Wenn der Kammerdiener wirklich unterrichtet ist, spricht Fräulein Schatzova sich gegen unsere –.“ Er stockt.Oberst Schalk: Sich gegen unsere Hinrichtung aus.“Pavel: Sie verbietet mir meine Maßnahmen hinsichtlich der ganzen Verschwörung.“ An Geheimrat Blumentopf gerichtet: Wie nannten Sie die Verschwörung?“Geheimrat Blumentopf: Ich weiß von nichts.“Pavel: Padesat – war es das?“Geheimrat Blumentopf, die Hand auf dem Herzen: Nie gehört. Klingt arabisch.“Oberst Schalk: Da Sie es erfunden haben, orientalischer Pferdedieb!“Geheimrat Rumfutsch: Meine Kanzlei will er erben, darum fünfzig Galgen.“Pavel: Wer spricht von fünfzig Galgen. Fünfzig Patienten hängen bequem an fünfzehn, etwas gedrängter sogar schon an zehn Galgen.“Oberst Schalk: Deutsche! Die gelungensten Typen der Herrenrasse an demselben Strick mit hergelaufenen Untermenschen!“Geheimrat Blumentopf: Jedem sein eigener Strick. Wir beschlagnahmten schon den Seilerladen.“Geheimrat Rumfutsch: Er gesteht – und alles, um an meinen Posten aufzurücken.“Pavel, furchtbar: Man schweige! Die Verschwörung ist Tatsache. Aber keine unwichtigen Nachgeordneten sind gemeint, die hängen nur. Der Protektor soll fallen, die Hochverräter halten ihn für sterblich. Es kommt noch schlimmer. Unantastbar ist ein Einziger, an ihm vergreifen sich die Verschwörer.“Schaurige Stille.Oberst Schalk, besinnt sich, steigt steil in die Höhe: Heil Hitler!“Geheimrat Blumentopf, erhebt sich entgegenkommenderweise: Seiner Exzellenz und den anderen Herren kann ich versichern, daß der Führer aus dem Spiel ist.“Pavel: Sie, Geheimrat Blumentopf, sind mit hohem Einsatz im Spiel. Sie werden mir zu guter Letzt den nennen, der es leitet.“Geheimrat Blumentopf: Eure Exzellenz verlangen von einem bis in den Tod Getreuen, daß er das Amtsgeheimnis bricht.“Pavel: Vorher, einen Cognac!“Die drei Gäste nehmen wieder Platz und trinken. Geheimrat Blumentopf scheint es am nötigsten zu haben.Geheimrat Rumfutsch: Mir ahnt allerlei.“Oberst Schalk: Intrigen und Machenschaften sind fremde Begriffe für einen alten Soldaten.“Pavel: Soviel begreifen Sie, ich habe den Protektor von Böhmen-Mähren berühmt gemacht. Gewissen Personen ist er zu groß geworden.“Oberst Schalk: Zweifellos, wer nahm schon mal am Telephon historische Äußerungen des Führers ab – dermaßen historisch, daß unsereinem der Verstand stillsteht.“Geheimrat Blumentopf, begeistert: Keinem seiner Quislinge hat der Allgewaltige sein Recht auf jeden erwünschten Todesfall übertragen, nur unserem deutschstämmigen Protektor!“Geheimrat Rumfutsch, zieht ein Telegramm hervor: Noch mehr. Eine Minute bevor Kommissar Blumentopf mich verhaftete –.“Geheimrat Blumentopf: Damals war ich immer schon Geheimer Oberkommissar.“Geheimrat Rumfutsch: Eine Minute vorher lief diese chiffrierte Drahtmeldung des Feldmarschalls von Brauchitsch bei mir ein. Erst in meiner Haft konnte ich sie entziffern. Geruhen Exzellenz selbst zu lesen.“Pavel, liest: Der Feldmarschall bestätigt sein Telephonat mit Hauptmann Krach. Der Führer hat beschlossen, dem Protektor sein Verhältnis zu der tschechischen Schauspielerin Schatzova in Gnaden zu bewilligen. Er erhebt die Schatzova in den Stand einer Ehrendeutschen.“Jubel der Geretteten, aller drei: Heil Hitler!“Oberst Schalk: Die Schatzova schenkt uns das Leben. Dies Glas der Schatzova!“ Er trinkt aus.Geheimrat Rumfutsch: Da der Protektor bei ihr hörig ist.“ Er trinkt aus.Geheimrat Blumentopf: Auch ich.“ Er trinkt aus.Pavel: Geheimrat Blumentopf, Sie wollen nicht sagen, daß Sie hörig sind. Ein Schwachkopf, wollen Sie sagen.“Geheimrat Blumentopf, reumütig: Spät, sehr spät erkenne ich, daß Padesat mir schlecht bekommen wäre. Der Führer würde entsetzlich leiden, wenn er seinen Lieblingsprotektor verlöre. Wie lange wissen Exzellenz, daß Sie durch Padesat gestürzt werden sollten?“Pavel: Seit ich weiß, daß ich ausersehen bin als Nummer zwei, Nachfolger des verlorengegangenen Heß. Es gibt jemanden, den der Gedanke stört.“Geheimrat Blumentopf, maßlos erstaunt: Aber wer?“Geheimrat Rumfutsch: Ob wir nicht ausfindig machen können, wer selbst die Nummer zwei erstrebt – ?“Pavel: Und sie praktisch besaß, bis ich dazwischenfunkte –?“Geheimrat Blumentopf, schwach: Das werden wir nie herausbringen.“Oberst Schalk, gegen Geheimrat Blumentopf: Wenn Sie jetzt den Namen nicht aussprechen, erwürge ich Sie mit der bloßen Hand.“Geheimrat Blumentopf: Bei bescheidensten Mitteln haben auch Sie ihn endlich erraten. Heinrich Himmler.“Oberst Schalk: Heinrich heißt die Kanaille.“Geheimrat Rumfutsch: Und sein Werkzeug: Blumentopf.“Geheimrat Blumentopf, in Auflösung: Ich verwahre mich.“Pavel: Wozu? Meine Herren, dies Gespräch will immer wieder stürmisch werden. Dabei ist es so natürlich, daß der oberste Chef der Gestapo dem nächsthohen, mir, der ihm gefährlich wird, Fallen stellt. Jeder von Ihnen täte dasselbe.“Oberst Schalk: Nie! Den Führer um seinen besten Protektor betrügen, nie! Am Führerprinzip rütteln – ohne mich!“Geheimrat Blumentopf, die Hand auf dem Herzen: Was ich sonst auch sein mag –.“Pavel, ergänzt: Sind Sie doch der Mann, der noch heute alle fünfzig Galgenvögel fliegen lassen wird. Sonst kenne ich einen, der morgen hängt.“Geheimrat Blumentopf, tief ergeben: Mein Glück, daß auch ich ihn kenne.“Geheimrat Rumfutsch, nach oben, in die Wolken flimmernder Gewebe: Ich sehe alles. Ich sehe Himmler, den einzigen, der jederzeit beim Führer eintritt, ihn betrügen mit dem nichtssagenden Gesicht eines mittleren Postbeamten.“Pavel: Nur die Sterne trügen nicht.“Geheimrat Rumfutsch: Himmler telegrafiert seiner verlorenen Seele Blumentopf ein Wort, nur eines, Padesat, schon erhebt sich die Macht der Finsternis. Der Protektor, im Hochgefühl von Glück und Gunst, wird nicht nur Tschechen, er wird Deutsche in hellen Scharen aufhängen. Den wahnsinnigen Cäsar, so rechnen Himmler–Blumentopf, hetzen alle vereint in den Tod.“Pavel: Wer erschießt mich? Ein feiger Untermensch.“Oberst Schalk: Pardon. Ein deutscher Herrenmensch aus uraltem Bauerngeschlecht.“Geheimrat Blumentopf: Der Protektor hat rechtzeitig Lunte gerochen, ich wagte es nicht zu hoffen.“Pavel: Ihnen bleibt erspart, dem Führer den Schmerz zu bereiten, daß Sie ihm seinen Freund erschießen.“Geheimrat Blumentopf, wieder auf der Höhe: Die Macht des Führers ist die Macht der Gestapo.“Pavel: Danke, meine Herren.“ Er steht auf.Geheimrat Rumfutsch, bei Pavel, vertraulich: An Padesat habe ich nie geglaubt!“Pavel: Aber an die tschechische Geheimarmee, die Mutter der Padesat-Verschwörung.“Geheimrat Rumfutsch: Die tschechische Geheimarmee hatten Eure Exzellenz selbst erfunden. Wer vieles erfinden muß, versieht sich mal.“Pavel: Ihr Leben scheint vorerst gesichert, weil ich auch die Schatzova erfunden habe.“Geheimrat Rumfutsch: Samt Ihrer Hörigkeit bei der Künstlerin. Sie kennen sie gar nicht.“Pavel: Sie haben mich durchschaut.“Geheimrat Rumfutsch: Durchschaut und nahezu vollkommen befunden: Rolle, Spiel und Maske.“Pavel: Ihre eigene wäre verrutscht, zöge ich aus meiner Tasche die Denunziation unseres Freundes Oberst Schalk, dem alle Ränke fremd sind.“Geheimrat Rumfutsch, knickt ein: Zu Befehl, Exzellenz.“Pavel, für Oberst Schalk und Geheimrat Blumentopf, die schon das nächste Zimmer betreten: Die Herren haben wichtigere Gründe, als Sie denken, um sich von mir erst beim Ausgang zu verabschieden.“Oberst Schalk, verhaltene Erbitterung: Verdammt.“Geheimrat Blumentopf: Ich war gewarnt. In der Menge der Gefahren übersieht man immer eine.“Oberst Schalk: Das gefährliche Leben, wie der Deutsche es sich wünscht.“Pavel, nickt dem Sturmbannführer zu.Die drei Besucher verlassen unbeanstandet die Wohnung des Protektors. |