BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Heinrich Mann

1871 - 1950

 

Lidice

 

1943

 

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60

 

Pavel, im Fortgehen auf der dunklen Treppe. An einer Wendung tritt Hauptmann Krach hervor.

Hauptmann Krach: „Melde gehorsamst, Wagen soeben vorgefahren.“

Pavel: „Sie kommen mit.“

Hauptmann Krach: „Ganz gehorsamst bitte ich, Exzellenz vor dem Hause des Professors Napil erwarten zu dürfen. Der Fahrer hat die Weisung.“

Pavel: „Woher wissen Sie, daß ich dorthin will? Nun gut, Sie wissen.“

Hauptmann Krach: „Zu Befehl. Auf der Fahrt könnte ich stören. Ihr Wagen wird schärfstens bewacht – vom Oberkommissar Blumentopf persönlich.“

Pause. Das übrige wird weniger gesprochen als angedeutet.

Pavel: „Haben Sie etwas bei sich?“

Hauptmann Krach, gibt ihm einen Revolver, den Pavel im rechten Ärmel verwahrt. Unter der linken Hand läßt er etwas wie einen Bleistift sehen.

Hauptmann Krach: „Sehr wohl.“

Pavel betritt allein die Straße, die Ordonnanz öffnet ihm den Schlag. Bevor der Fahrer auf seinem Platz zurück ist, steigt drüben der Geheime Blumentopf ein. Der Wagen startet.

Der Geheime, neben Pavel: „Mit gnädiger Erlaubnis Eurer Exzellenz ist Ihre Sicherheit bedroht.“

Pavel: „Ich habe Ihre Liste. Im ganzen bin ich einverstanden.“

Der Geheime: „Dann überlassen Sie mir auch diese Kleinigkeit.“

Schneller getan als gesagt, reißt der Geheime dem Protektor das Bärtchen von der Lippe. In demselben Augenblick krümmt er sich schon, die Mündung des Revolvers drückt ihm das Herz.

Pavel: „Sie sind einer alten Versuchung erlegen, Geheimrat Blumentopf.“

Der Geheime: „Geheimrat! Nicht ich verdiene die jähe Rangerhöhung, aber mein treues Herz. Bitte, bitte, nehmen Sie den Druck davon weg!“

Pavel: „Sie vergessen die Fliege, Sie Löwe.“

Geheimrat Blumentopf, beeilt sich, das Bärtchen wieder anzukleben wie vorher: „Sie konnten und konnten nicht in der Wassergasse sein, indessen Sie zu Hause schliefen.“

Pavel: „Ich schlafe nie. Wenn nötig, schieße ich.“

Geheimrat Blumentopf beendet die Toilette Pavels um so schneller. Er begutachtet, was er vollbracht hat: „Den Protektor ganz allein geht es an, wenn er seinem, vielleicht mangelhaften Bartwuchs nachzuhelfen geruht.“

Pavel: „Meinem blonden Bartwuchs.“

Geheimrat Blumentopf: „Ihrem blonden.“

Pavel: „Geheimrat Blumentopf, Sie sind von Ihrem verewigten Freunde Ziegensack erblich belastet in dieser Welt zurückgelassen worden. Die krankhafte Vorstellung von der Existenz eines Doppel-Protektors verfolgt Sie, soviel Sie dagegen anwenden.“

Geheimrat Blumentopf: „Soviel Exzellenz dagegen anwenden. Jetzt haben Sie mich befördert, es hilft alles nichts.“

Pavel, grüßt aus dem Fenster die aufgepflanzten Passanten: „Grüßen Sie mal mit!“

Geheimrat Blumentopf wendet den Hals.

Pavel grüßt. Seine rechte Hand ist immer noch von der Waffe beansprucht. Seine linke sinkt langsam bis zur Höhe des Blumentopfschen Ohres, auf dessen Gehörgang sein Bleistift zielt.

Geheimrat Blumentopf, seufzt einmal auf. Versagende Stimme: „Es gibt nur einen.“

Er sitzt aufrecht angelehnt, die Augen offen und starr, der Mund, als ob er sprechen wollte.

Pavel: „Sie sind auf dem Wege der Besserung, Geheimrat Blumentopf. Hören Sie nicht? Eine leichte Störung – schon vorbei, bis ich wieder unten bin.“

Der Wagen hält, die Ordonnanz öffnet.

Pavel: „Geheimrat Blumentopf beaufsichtigt von hier aus die Straße. Sie haften mit Ihrem Kopf dafür, daß niemand ihn anspricht.“

Die Ordonnanz: „Zu Befehl, Exzellenz.“

Pavel: „Sie decken mit Ihrer Kehrseite den Wagenschlag.“

Ordonnanz: „Melde gehorsamst, dann sieht er nichts.“

Pavel, drohend: „Sie sieht er.“

Die Ordonnanz, erschrocken, „Zu Befehl.“

Pavel stelzt nach dem Haus, wo Professor Napil wohnt. Mehrere Geheime, die darüber wachen, tun, als bemerkten sie den Protektor nicht. Auch Pavel scheint sie nicht zu beachten.

Gegen das offene Haustor spricht er: „Die Verhaftung nehme ich persönlich vor. Ich will kein Aufsehen. Die Kontrolle wird eingestellt – auch hinten.“

Er tritt ein.

Die Geheimen, untereinander, mit Blinzeln, aber ehrfürchtig: „Er kennt das Durchhaus wie ein alter Prager.“

Einer: „Bringen wir ihnen drüben wirklich den Befehl?“

Ein anderer: „Finassieren, mit ihm? Er ist dabei, auch wo er nicht ist.“