BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Heinrich Mann

1871 - 1950

 

Lidice

 

1943

 

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59

 

Milo Schatzova öffnet die Tür ihrer Wohnung.

Hauptmann Krach: „Den zweiten Schlüssel hat der Protektor.“

Milo Schatzova: „Warum?“

Hauptmann Krach: „Weil er drinnen sitzt.“

Milo Schatzova folgt seinem Blick. Hinter einer Glastür ist Pavel zu sehen, wie er, fertig in Uniform, vor dem Spiegel seine Maske ver­bessert.

Sie wendet sich nach Hauptmann Krach um: „Schnell! Ver­schwinden Sie!“

Hauptmann Krach, ist schon nicht mehr da.

Milo Schatzova, entsetzt: „Er hat es gewußt!“

Pavel, ihr entgegen: „Wer hat was gewußt? Aber Milo, wie siehst du aus.“

Milo Schatzova: „Hauptmann Krach sagte mir gleich unten, daß du oben bist. Er sagte, undurchdringlich wie immer, da sitzt der Protektor.“

Pavel: „Ganz natürlich. Aber du, Milo, du?“

Milo Schatzova: „Ich, ganz natürlich sehe ich aus wie vor der Hinrichtung.“

Pavel: „Wessen?“

Milo Schatzova: „Es sind nur fünfzig.“ Sie wankt und kommt gerade noch auf den Diwan zu sitzen.

Pavel: „Milona! Militschka! Eine so verständige Person, war's denn nicht klar vorherzusehen, daß er Dummheiten machen würde, der arme Kerl?“

Milo Schatzova: „Einen armen Kerl nennst du das Ungeheuer!“

Pavel: „Ein verabscheuenswürdiges Ungeheuer, mir verhaßter mit jedem Tag. Ein Kranker natürlich. Im Pathologischen Institut würde ich ihm kaltblütig das Gehirn herausoperieren.“

Milo Schatzova: „Bravo!“

Pavel: „Aber ich täte es am Lebenden. Er weiß nicht mehr, wer er ist.“

Milo Schatzova: „Bald wirst du mir unheimlich wie Hauptmann Krach.“

Pavel: „Ich bin unheimlicher. Meine Erfolge rächen sich an mir.

Milo Schatzova: „Du schnappst über.“

Pavel: „Begreife nur, ich habe mich zu berühmt gemacht.“

Milo Schatzova: „Ihn vielmehr.“

Pavel: „Uns beide: Der Protektor von Böhmen-Mähren, gleichviel welcher, seit meinen sensationellen Taten steht er zu hoch in der Gunst des Führers.“

Milo Schatzova: „Er? Du? Es ist um den Verstand zu verlieren.“

Pavel: „Wer hatte die historische Unterredung? Wem verlieh der Führer die Gewalt über Leben und Tod?“

Milo Schatzova: „Du bist wahrhaftig übergeschnappt.“

Pavel: „Du sagst es. Mein Erfolg hat mich erstens verrückt gemacht. Zweitens mußte er mir unerbittliche Feindschaften zuziehen.“

Milo Schatzova: „Darum willst du alle hängen.“

Pavel: „Des Glanzes wegen – und in der Notwehr. Mir selbst wird nach dem Leben getrachtet.“

Milo Schatzova: „Von –“

Pavel: „Von meinen Neidern. Mein Sinnen und Trachten ist, wen ich gegen sie ausspielen könnte. Herkömmlicherweise, meine Gestapo.“

Milo Schatzova, hält ihm die Liste vor Augen: „Deine Gestapo taucht dich in Schokolade. Unterschreibe dies und du bist geliefert, sagt Hauptmann Krach.“

Pavel: „Ein wirklich echter Deutscher.“

Milo Schatzova: „Echter als du, der Protektor.“

Pavel: „Echter als du, die Geliebte des Protektors.“

Milo Schatzova: „Aber ich bin es!“ Verzweifelt beißt sie ihre Hand.

Pavel: „Unser erotischer Umgang gipfelt darin, daß du mir die Liste entlockt hast.“

Milo Schatzova: „Nicht einmal so viel. Ich bekam sie von Blumentopf.“

Pavel: „Schau, schau, mein Blumentopf. Daran erkenne ich ihn.“

Milo Schatzova, ängstlich: „Mir kommt vor, du hältst dich tatsächlich für –!“

Pavel: „Ich büße es, daß ich mir das Gehirn eines Unmenschen aneigne. Mir bleibt nur übrig, ihn vor sich selbst zu retten.“

Milo Schatzova: „Anstatt ihn einfach kaltzumachen.“

Pavel: „Wer käme dann? Meinst du, es bliebe bei fünfzig Gehängten?“

Milo Schatzova: „Rette wenigstens die fünfzig auf deiner Mordliste!“ Pavel: „Das auch. Das mit der linken Hand. Du sollst eine Galgenszene erleben!“

Er vertieft sich in die Liste. Zerstreut spricht er: „Kameradin Milo, bei der Bühne sagt ihr wohl: in einer Rolle aufgehen, und versteht euch selbst nicht.“

Milo Schatzova, folgsam: „Dort erwarten sie mein Auftreten, ich habe Verspätung.“

Pavel: „Einer wartet ungeduldig. Ihn hat es zu Haus nicht gelitten: Sitzt längst in meiner Proszeniumsloge.“

Milo Schatzova: „In deiner –. Ah! Der falsche Protektor. An ihn hatt ich vergessen – wie an den Tod.“

Vom Ausgang her ruft sie: „Ich muß deinen Wagen nehmen. In zehn Minuten steht er wieder da unten.“

Als sie fort ist, fällt Pavel mit der Stirn auf die Liste. Er schluchzt trocken: „Keine Tränen! Nicht den Protektor beschädigen!“