BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Heinrich Mann

1871 - 1950

 

Lidice

 

1943

 

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58

 

Die Burgwache tritt ins Gewehr, als Milo Schatzova mit Haupt­mann Krach den bereitgehaltenen Wagen des Protektors besteigt.

Eine Strecke wird schweigend zurückgelegt.

Milo Schatzova: „Es geht wieder. Die Liste!“

Hauptmann Krach, überreicht sie ihr, sieht diskret aus dem Fenster.

Milo Schatzova: „Der Chauffeur soll langsam fahren. Wozu nach Haus? Oder was tu ich im Rococo? Auftreten? Und hier, die fünfzig Menschen!“

Hauptmann Krach, öffnet die gläserne Scheidewand, befiehlt: „Nach der Wassergasse mit höchstens dreißig Kilometer Geschwindigkeit“, und schließt die Scheibe sorgfältig.

Milo Schatzova: „Zu viel, damit werd ich nicht fertig.“

Hauptmann Krach: „Slecna Milo! Machen Sie sich nichts daraus, alles kommt immer entgegengesetzt, wie wir seit gestern wissen.“

Milo Schatzova: „Gestern! Da hielt ich in meiner armen, mitschuldigen Hand noch kein einziges Todesurteil, geschweige fünfzig.“

Hauptmann Krach: „Hatten Sie nicht auch den Eindruck, daß kurz vor uns ein anderer Wagen abgefahren war?“

Milo Schatzova: „Von der Burg, ein anderer Wagen? Was soll das? Ah! der Protektor.“

Hauptmann Krach: „Sie glauben selbst nicht, daß er es allein mit sich noch aushält.“

Milo Schatzova, ihm in die Augen: „Wieviel wissen Sie?“

Hauptmann Krach, hebt die Schultern: „Er bleibt ein Träumer stets und hängt am Weibe.“

Milo Schatzova: „Das scheint ein Vers zu sein. Verse – für Henker Heydrich! So läßt er sich von mir nennen.“

Hauptmann Krach: „Da sehen Sie's.“

Milo Schatzova: „Er will nicht sein wie sein Bekannter, der deutsche Oberst in Norwegen, der unter ständigem Selbstbedauern alle hinrichten läßt.“

Hauptmann Krach: „Ein deutscher Protektor darf sich unter keiner Bedingung leid tun.“

Milo Schatzova: „Sie halten auf deutsche Würde. Die muß ich wahren, ich, die Schatzova. Lesen Sie mit! Die Liste trägt – weniger deutsche Namen als tschechische.“

Hauptmann Krach: „Aber was für deutsche. Ich bin entsetzt. Wenn die Gestapo dem Protektor ans Leben wollte, genau dieses Verzeichnis hätte sie verfaßt.“

Milo Schatzova: „Die tschechischen Namen sagen Ihnen nichts.“

Hauptmann Krach: „Doch. Es sind Ihre Freunde, hier steht Ihr Lehrer.“

Milo Schatzova: „Es ist mein Prag und alles, was mir von ihm übrigblieb.“ Ihr schaudert: „Hauptmann Krach, wer sind Sie?“

Hauptmann Krach: „Das fragte mich heute schon einer. War es der Protektor? Ich bin ein gewöhnlicher Normaler – die jetzt selten werden.“

Milo Schatzova, ruht ihren Kopf an seiner Schulter aus: „Was soll ich tun?“

Hauptmann Krach: „Ihn warnen. Folgt er dieser Liste, die geopferten Tschechen würden ihm gefährlich werden wie die hingemordeten Deutschen. Das Land mitsamt der Besatzung hetzt ihn, bis er fällt.“

Milo Schatzova: „Wer will das?“

Hauptmann Krach: „Wird nie an den Tag kommen. Er ist nicht mehr genehm.“

Milo Schatzova: „Das soll ich ihm sagen? Seine Antwort wird sein, daß er die Liste um einige Namen verlängert.“

Der Wagen hält.

Hauptmann Krach befiehlt dem Chauffeur: „Warten Sie auf den Protektor!“

Milo Schatzova: „Auf wen?“

Hauptmann Krach: „Nur der Vorsicht wegen begleite ich Sie über die dunkle Treppe. Ihnen ist wieder ganz wohl.“