BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Heinrich Mann

1871 - 1950

 

Lidice

 

1943

 

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51

 

Oberst Schalk, ist bei Geheimrat Rumfutsch zurückgelassen: „Was sagen Sie?“

Geheimrat Rumfutsch: „Dasselbe wie Sie.“

Oberst Schalk: „Seien wir vorsichtig!“

Geheimrat Rumfutsch: „Dasselbe wollte ich anheimgeben.“

Oberst Schalk: „Man kann tatsächlich nicht wissen –.“

Geheimrat Rumfutsch: „Ob Hauptmann Krach existiert? Seien Sie darüber beruhigt, der persönliche Adjutant sind Sie gewesen.“

Oberst Schalk: „Und Sie der Chef der persönlichen Kanzlei.“

Geheimrat Rumfutsch: „Nur unter dem Protektor, der soeben das Zimmer verläßt.“

Die Stenotypistin, über den Sekretär geneigt: „Adolf! Aufgepaßt, jetzt redet er sich um den Hals.“

Oberst Schalk: „Ein anderer hätte Sie behalten?“

Geheimrat Rumfutsch: „Wer spricht von einem anderen? Einfach war der Protektor gestern besserer Laune.“

Oberst Schalk: „In Brünn nicht. Es ärgerte ihn, daß den Ingenieuren das Material fehlte, um die Stadt dem Erdboden gleichzumachen.“

Geheimrat Rumfutsch: „In Prag hat er bei restlosem Erfolg gegen den Aufstand kein einziges Haus zerstört.“

Oberst Schalk: „Ein technisches Wunder, das erste der Art in der Geschichte der Belagerungen. Für Sie steht es fest, daß der Protektor gestern in Prag war?“

Geheimrat Rumfutsch: „Sie wissen am besten, daß Sie heute mit einem Protektor aus Brünn gekommen sind.“

Die Stenotypistin: „Aufgepaßt, Adolf!“

Oberst Schalk: „Ein Protektor war es.“

Geheimrat Rumfutsch: „Meiner – schien sogar der gewohnte.“

Oberst Schalk: „Meiner – beinahe auch. Als Blut floß, verschwand er. Merkwürdig, er kam nicht zum Vorschein, als gehängt wurde.“

Geheimrat Rumfutsch: „Das versäumt er sonst nie. Hier war alles in Ordnung, bis auf das verrutschte Bärtchen.“

Der Sekretär: „Ich protestiere mit ganzer Kraft, das Bartchen saß richtig.“

Geheimrat Rumfutsch: „Sie – wollten ihn nicht nach Berlin fliegen lassen. Sie meinten, den hätten wir das erste und letzte Mal gesehen.“

Die Stenotypistin: „Kein Wort wahr!“

Der Sekretär: „Unerhörte Anwürfe!“

Die Stenotypistin: „Und wir sind zwei Zeugen – gegen einen entlassenen Chef.“

Geheimrat Rumfutsch: „Entlassen – sind Sie beide, von mir, der den Platz behauptet.“

Er geht mit Oberst Schalk in das Vorzimmer, er schließt die Tür. Der Sekretär und die Stenotypistin stürzen sich auf die Tür. Er legt das Ohr daran, sie sieht durch das Schlüsselloch.

Im Vorzimmer.

Geheimrat Rumfutsch: „Lieber Freund, hätten Sie etwas dagegen, daß wir unverbindlich aber immerhin, sagen, was wir denken?“

Oberst Schalk: „Lieber Freund, ich atme dieselbe Luft mit dem Mann, der über mich einen Schriftsatz verfaßt hat, und den besitzt der Protektor.“

Geheimrat Rumfutsch: „Ihre Luft ist auch die meine. Aber dieser Protektor besitzt weder Ihren noch meinen Schriftsatz.“

Oberst Schalk bemüht sich zu verstehen. Pause.

In der Kanzlei.

Die Stenotypistin: „O Adolf!“

Der Sekretär: „Wenn ihre goldechten Berichte über einander nicht mehr bei dem heutigen Protektor sind, dann trägt der gestrige sie in seiner Tasche. Um so besser, den haben wir gut bedient. Die pünktliche Verbindung mit dem Führer vergißt er uns nicht.“

Die Stenotypistin, seufzt: „Ob er je wiederkommt? Unser lieber Protektor!“

Im Vorzimmer.

Oberst Schalk, entschließt sich zu verstehen: „Sie, Rumfutsch, stellen die Theorie auf, daß gestern ein zweiter Protektor hier war. Der trüge jetzt in der Tasche die Dokumente, von denen unsere Existenz abhängt.“

Geheimrat Rumfutsch: „Womit allein die seine schon bewiesen wird. Sicher hat er noch andere schriftliche Beweise mitgenommen.“

Oberst Schalk: „Mitgenommen – wohin?“

Geheimrat Rumfutsch: „Müssen wir es durchaus wissen? Hauptsache, er kommt wieder.“

Oberst Schalk: „Das ist im deutschen Interesse zu wünschen. Der gestrige war der, mit dem der Führer sprach. Der Führer irrt nie.“

Geheimrat Rumfutsch: „Darauf ist Verlaß. Irren können allerdings wir. Die Kardinalfrage, sind Sie heute aus Brünn mit dem echten eingetroffen?“

Oberst Schalk: „Alles wohl erwogen, kann die Antwort so oder so heißen. Er muß sich richtig verhalten.“

Geheimrat Rumfutsch: „Uns rausschmeißen geht nicht.“

Oberst Schalk: „Da ist noch mehr. Er legt auf der Burg die ganze Mannschaft krumm, wegen Kegelns, das der andere ihnen erlaubt hat.“

Geheimrat Rumfutsch: „Mit dem anderen läßt sich auskommen. Dieser macht uns unmöglich. Der Schreckensmann spielt mit unserem Leben.“

Oberst Schalk: „Die deutsche Besatzung muckt auf, als ob sie Tschechen wären.“

Geheimrat Rumfutsch: „Und sind nur höchstens Ungarn.“

Oberst Schalk: „Seine Gestapo ist so deutsch wie er.“

Geheimrat Rumfutsch: „Um nicht zu sagen, wie wir.“

In der Kanzlei.

Der Sekretär: „Was da hochkommt von Verrat, und wie schnell!“

Die Stenotypistin: „Du mußt dich beeilen, das Tempo zu halten.“

Surren im Apparat.

Der Sekretär nimmt den Hörer: „Zu Befehl, Exzellenz. Die Beine unter die Arme, zu Befehl. Oberst Schalk läuft schon, daß ihm die Zunge heraushängt.“

Oberst Schalk hat gehört, er öffnet die Tür: „Was erlauben Sie sich, die Zunge hängt meistens nur, wenn man selbst hängt.“

Der Sekretär, krümmt sich: „Pflichte Herrn Oberst ergebenst bei.“

Die Stenotypistin: „Wir sind immer zwei, wenn wir aussagen wollten, was wir alles anhören müssen.“

Oberst Schalk entfernt sich gemessen durch die Verbindungsräume nach den Zimmern des Protektors.