BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Heinrich Mann

1871 - 1950

 

Lidice

 

1943

 

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52

 

Heydrich, in seinem Arbeitszimmer noch allein: „Den Hauptmann Krach werde ich nie erleben. Er existiert nicht. Dieses Phantom ist das Kernstück einer Verschwörung gegen meine unantastbare Person. Wer mich verrät, verrät den Führer. Ein Anruf, er wird es einsehen!“

Er legt zwischen sich und den Apparat einen möglichst großen Abstand: „Die Dummheiten, die mein Führer selbst macht, sieht er nicht ein. Auf seinem Schreibtisch hat er die echte Hand des Gottes Wotan. Er glaubt es, ich glaub es, wir glauben es.“ Empört: „Mein Führer! Muß ich mir die Hand abhacken und sie Ihnen einsenden, zur Identifizierung?“

Oberst Schalk, tritt ein.

Heydrich: „Ach, nur Sie, ich hatte Ihre Existenz vergessen.“

Oberst Schalk: „Ihre eigene droht in Vergessenheit zu geraten.“

Heydrich: „Fast hätte ich mich selbst abgesetzt. Ich brauchte nur Ihren tückischen Anregungen zu folgen, dann behielt der verdammte Anschlag recht.“

Oberst Schalk: „Vielleicht hat er recht?“

Heydrich, es verschlägt ihm den Atem: „Sie sind nicht Oberst Schalk!“

Oberst Schalk: „In Brünn war ein Oberst Schalk mit einem Protektor Heydrich. Irrtum beiderseits vorbehalten.“

Heydrich: „Wieso beiderseits?“

Oberst Schalk: „Ich könnte in Wirklichkeit der Hauptmann Krach gewesen sein.“

Heydrich: „Und ich? Sie insinuieren –?“

Oberst Schalk: „Was Sie am besten wissen.“

Heydrich: „Ich höre immer Exzellenz. Sie sagen, was Exzellenz am besten wissen.“

Oberst Schalk: „Seine Exzellenz der Protektor ist bei weitem nicht eingeweiht wie wir.“

Heydrich: „Wo haben Sie ihn versteckt?“

Oberst Schalk: „Sie gestehen, daß Sie ihn erwarten.“

Heydrich: „Was erwarten?“

Oberst Schalk: „Daß er Sie entlarvt.“

Heydrich, zieht seinen Revolver.

Oberst Schalk, hat seinen schon in der Hand.

Heydrich, nach ergebnisloser Spannung: „Auch ohne das Ding sind wir deutlich genug geworden.“

Sie stecken die Waffe wieder ein, keiner entblößt sich von ihr früher als der andere.

Heydrich: „Sie haben nichts dagegen, daß ich telefoniere und Sie verhaften lasse.“

Oberst Schalk: „Telephonieren Sie! Eine Verhaftung nehme ich selbst vor.“

Heydrich: „Mensch! Sind Sie denn im Ernst gepiekt?“ Er nähert sich dem Oberst Schalk, scheinbar, um den Geisteszustand des anderen durch den Augenschein festzustellen. Bei ihm angelangt, versucht er ihn in den Bauch zu treten.

Oberst Schalk war darauf gefaßt, er weicht aus, mit berechneter Verspätung. Heydrich, das Bein erhoben, verliert sein Gleichgewicht, er stürzt rückwärts über den Schreibtisch, strampelt in der Luft, gelangt auf der entgegengesetzten Seite zu Boden.

Oberst Schalk: „Sie haben einen Umweg nach der Schieblade gemacht.“

Heydrich öffnet die Schieblade. Während er sucht: „Allerdings. An meinem Fußtritt sollten Sie mich erkennen. Feldmarschall Rommel würde nicht zweifeln.“

Oberst Schalk: „Unsere großen Männer werden gern nachgeahmt, dieser mit dem Fußtritt, jener mit dem falschen Zungenschlag.“

Heydrich, in die Schieblade: „Heil Hitler!“

Oberst Schalk: „Heil Hitler! Sie suchen vergebens, wie einer, der hier nicht Bescheid weiß.“

Heydrich, findet nichts: „Schon gefunden! Warum sollt ich es Ihnen zeigen, Ihre eigene Handschrift ist Ihnen nicht neu. Was Geheimrat Rumfutsch schreibt, würde Ihnen auffallen.“

Oberst Schalk: „Keine Ahnung, was gemeint ist. Jedenfalls befindet es sich – in einer Tasche, die nicht Ihre ist.“

Heydrich: „Sie scheinen die Tasche und den Mann zu kennen.“

Oberst Schalk: „Ich? Bewahre. Mich hat er meiner Funktionen enthoben.“

Heydrich: „Das bin ich, der Sie abgesetzt hat.“

Oberst Schalk: „Aber nahmen Sie für mich den Hauptmann Krach? Diese Unterlassung ist Ihr Verhängnis.“

Heydrich: „Sprechen wir offen und als anständige Menschen!“

Oberst Schalk: „Das eine ist zu machen.“

Heydrich: „Ich habe gegen Sie nichts mehr in Händen.“

Oberst Schalk: „In Schiebladen.“

Heydrich: „Ich bin in der Lage, so drollig es aussieht, daß Sie mich identifizieren müssen.“

Oberst Schalk: „Ich muß keineswegs, und Ihre Lage fordert zur Heiterkeit kaum heraus. Indessen will ich, der Ordnung wegen, eine Prüfung vornehmen.“

Heydrich: „Ich bin gewappnet.“

Oberst Schalk: „Als der Führer den Protektor ernannt hatte, begleitete ich Seine Exzellenz im Wagen von Berlin nach Prag. Wer steuerte?“

Heydrich, matter Versuch zu scherzen: „Hauptmann Krach.“

Oberst Schalk: „Sie geben seine Existenz zu.“

Heydrich: „Wer zweifelt an Hauptmann Krach?“

Oberst Schalk: „Auf der Reise verließen Sie zehnmal den Wagen. Wo fühlten Sie das vierte Bedürfnis?“

Heydrich, schon sicherer: „In Chicago.“

Beide lachen aufgeräumt.

Oberst Schalk, klopft Heydrich auf die Schulter: „Nummer zwei, Ersatz für Heß: müssen Sie zurückstellen. Bestenfalls können Sie sich halten.“

Heydrich: „Wenn ich Heydrich bin.“

Oberst Schalk: „Das entscheidet nicht. Ein großartiges Beispiel! Feindlicherseits behauptet sich das Gerücht, daß im Radio jetzt ein anderer Hitler redet.“

Heydrich: „Wenn er nur redet.“

Oberst Schalk: „Sehen Sie. Der andere Heydrich erfüllt den Zweck des ersten auch.“

Heydrich: „Aber wird er auftauchen? Ist er schon mal aufgetaucht?“

Oberst Schalk: „Die Frage ist belanglos. Natürlich traue ich Rumfutsch nicht. Gesehen aber, den anderen gesehen haben alle. Was beweist das?“

Heydrich: „Daß er eine tschechische Erfindung ist.“

Oberst Schalk: „Oder eine deutsche. Jeder Deutsche glaubt, was er glauben soll. Daher sind wir das Herrenvolk.“

Heydrich: „Angenommen, ich wäre der Falsche, vergrößert sich meine Aussicht, den Echten vorzustellen.“

Oberst Schalk: „Und anerkannt zu werden von uns Realisten.“