Heinrich Mann
1871 - 1950
Lidice
1943
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Der Kaplan, auf dem Waldweg nach der Kapelle. Sein Gang ist ungleich, die Hände umfassen entweder das verstörte Gesicht, oder sie greifen gespreizt in überhängende Zweige. Er schwankt, blickt umher, und redet sich zu: Falle gefälligst nicht, mein zweifelhafter Freund! Das geht dir noch ab, mit deiner seelischen Bedrängnis großtun, vor den Leuten als Gewissenskämpfer glänzen. Hier sehen keine Leute zu, und auf dein Gewissen pfeifen sie sich etwas. Bilde dir nicht ein, daß Gott selbst sich aus deinen Versuchungen viel macht. Nicht er hat dich versucht, und wer auf die Bibel falsch schwört, wird ihm unendlich gleichgültig. Alles bei ihm ist unendlich.“Ein anderer Fußpfad zweigt ab. Der Kaplan beschließt kurzweg, seinen Weg zu verlassen: In der Kapelle beten, wär aufgelegter Schwindel. Geschehen ist geschehen, übrigens gab man mir zum Schwören das Exerzierreglement, das gilt nicht.“Er ist geeilt, im vollen Lauf hält er an: Aber gemeint war die Bibel, und ich dachte, als ich schwur, sehr wohl des Gottes, der mich Wort für Wort vernahm. Vernommen wurde ich höheren Ortes, nicht für den Polizisten erfand ich, daß ich gestern gepredigt habe: Du sollst nicht falsch Zeugnis ablegen. Ich machte meinen Fall noch schwerer, so schwer, wie er vor Ihm ist.“Der Kaplan dreht sich im Kreise, bevor er plötzlich in das ungebahnte Dickicht eindringt, um die Kapelle dennoch zu erreichen. Diesmal stürzt er wirklich. Er spricht mit gebrochener Stimme: Das Natürliche war, daß der Polizist meine falschen Zeugen fragte, worüber ich gestern gepredigt habe. Sofort kam alles an den Tag. Ich bin bei der Allmacht so wertlos, daß sie mich des natürlichen Verlaufes meiner Schuld nicht würdigt!“Er betritt die Kapelle, er kniet vor den segnenden Christus hin. Er spricht klingend: Ich tat es für mein Volk, und auch aus menschlicher Schwäche.“Der Christus senkt die segnende Hand, er führt die Fingerspitzen über die Stirn des Kaplans. |