Heinrich Mann
1871 - 1950
Lidice
1943
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Der erste Geheime nähert sich, auf halbem Wege ruft er: Der Kaplan!“Der Kaplan, bleibt, wo er ist: Hier bin ich.“Der Geheime: Nur aus Gefälligkeit machen Sie sich nicht unsichtbar. Trab! Wird's bald?“Der Kaplan, ohne Eile, die Augen gesenkt, geht er in Richtung des Geheimen. Früher als erwartet, hält er an.Der Geheime: Sehen Sie mir in die Augen! Es wird Ihnen schwer.“Der Kaplan: Nein. Ich sehe Ihresgleichen in die Augen. Mein priesterliches Amt will, daß ich Mörder vorbereite, gut zu sterben.“Der Geheime, fährt auf: Hören Sie mal!“ Geringschätzig: Das lassen Sie nur, und bleiben bei Ihrem Ressort. Ich soll nicht hängen, aber eventuell Sie.“Der Kaplan: Vor Gott ist niemand ohne Schuld.“Der Geheime: Vor mir auch nicht. Sie sind der Mann, der gestern den Protektor gespielt hat.“Der Kaplan, wirklich erstaunt: Gespielt hätte ich?“Der Geheime: Den Protektor.“Der Kaplan, setzt sein Erstaunen künstlich fort: Der Protektor sollte nicht echt sein?“Der Geheime: Gestern nicht.“Der Kaplan: Hüten Sie sich, es zu behaupten!“Der Geheime, in Unruhe: Ich sage auch nur –.“ Er geht zur List über, versucht, feierlich zu reden: Es ist das Vermächtnis eines teuren Toten. Mein Freund, den ich leider hinrichten mußte, hat es mir sterbend anvertraut.“Der Kaplan: Sie zu bestrafen, hinterließ er Ihnen eine Lüge.“Der Geheime: Jetzt steht er vor dem himmlischen Richter, den kann er nicht anlügen. Sie kennen die Aussage, die er dort oben macht.“Der Kaplan: Gar keine macht er.“Der Geheime: Sieh da! Ehrwürden glaubt nicht an das Jenseits.“Der Kaplan: Ihresgleichen muß hoffen, daß mit diesem kurzen Lebens- und Todeskampf alles schon geschehen ist.“Der Geheime, verlegt sich auf Bitten: Seien Sie nett, Kaplan!Wenn Sie nicht glauben, daß der Tote Sie hört, dann sagen Sie die Wahrheit mir zuliebe!“Der Kaplan: Aber es ist nicht die Wahrheit.“Der Geheime, lauernd: Können Sie auf die Bibel schwören, daß Sie nicht der Protektor sind?“Der Kaplan, aufatmend: Ich kann es!“Der Geheime: Fein. Mal her mit Ihrem Neuen Testament!“Der Kaplan, hebt die Schultern.Der Geheime: Sie sind mir ein schöner Christ. Als ob ich meinen Revolver zu Haus vergäße.“ Er ruft einen SS-Mann: Den Hof nach einer Heiligen Schrift durchsuchen!“Pavel, fängt den SS-Mann unterwegs ab: Herr Soldat! Machen Sie sich keine unnütze Mühe, hier ist bittschön das Buch!“Der SS-Mann übergibt es dem Geheimen.Lyda: Pavel, wozu gibst du ihm das Exerzierreglement der tschechischen Armee?“Pavel: Weil es erbaulich ist. Paß auf, er wird es von der Bibel nicht unterscheiden.“Der Geheime, wendet dem Kaplan die Schrift zu: Wie heißen Sie eigentlich?“Der Kaplan: Mancal Venceslav.“Der Geheime: Geschrieben wie Otto Müller. Ich versuche nicht erst zu lesen. Setzen Sie Ihren Namen gleich unter die Worte Heilige Schrift. Schreiben Sie: ich beschwöre alles, was Kommissar Blumentopf mich fragt.“Der Kaplan schreibt.Der Geheime: Wird das so gemacht, beim Schwur auf die Bibel?“Der Kaplan: Nicht ganz. Zuerst nimmt man eine Bibel.“Der Geheime: Die haben Sie.“Der Kaplan: Dann legt man die rechte Hand darauf.“Der Geheime: Wenn's Ihnen Vergnügen macht; jetzt bedenken Sie Ihr Risiko! Wer Pech hat, kommt in die Hölle. Vom Hängen nicht zu reden.“Der Kaplan: Mein Erlöser allein kann mich vor ihr retten.“Der Geheime: Wo waren Sie gestern nachmittag zwischen drei und vier?“Der Kaplan schluckt, er ist verhindert zu sprechen.Der Geheime: Aha, die Bibel wirkt. Der letzte gute Einfall des Seligen.“Der Kaplan: Ich war – nicht in Prag.“Der Geheime: Ich frage, wo Sie waren?“Der Kaplan, erlangt Fassung. Mit seiner klingenden Stimme, die leicht zittert: Hier auf dem Verlobungsfest war ich. Um vier Uhr sprach ich in der Waldkapelle.“Der Geheime: Zu wem? Kein Mensch war da. Niemanden haben Sie gestern verlobt. Das geht ohne Sie.“Der Kaplan: Die Kapelle war voll. Vor der Tür hörte das ganze Dorf mir zu.“Der Geheime: Was hörte es denn?“Der Kaplan: Du sollst nicht falsch Zeugnis ablegen.“Der Geheime: Sonderbarer Glückwunsch für Verlobte!“Der Kaplan: Nur die Wahrheit macht glücklich.“Der Geheime: Gesunde Ansicht! Dann lügen Sie mal nicht mehr!“ Schmeichlerisch: Ehrwürden werden sich verdammt wohlfühlen, wenn Sie Ihr Gewissen erleichtert haben. Wer – war der Protektor?“Der Kaplan: Niemand. Ich spreche die Wahrheit, die mir geboten und auferlegt ist.“ Bebende Brust, erschöpfte Kraft.Der Geheime, als ob er schösse: Padesat!“Der Kaplan, hat die Lider geschlossen.Der Geheime, gibt es auf, beschreibt, die Faust geballt, einen Bogen um den Kaplan. Vor ihn hin: Sie Kuhknecht meinen, mir liegt an Ihnen was? An Ihrer Bibel, Ihrem Schwur, und ob Sie der Protektor sind? Legen Sie ruhig ein Geständnis ab, höchstens darf ich Sie hängen.“Der Kaplan: Das wäre nicht viel.“Der Geheime: Ganz meine Meinung. Die Sache verfolgen, ist mir nicht erlaubt.“Der Kaplan: Sie selbst sind scheinbar in Gewissenszweifeln. Begleiten Sie mich nach der Kapelle!“Der Geheime: Wie Sie sich das denken! Im Augenblick muß ich eine Haussuchung vornehmen. Der Hofhund könnte gestern auf dem Altmarkt gewesen sein. Liegt hier keine Neunundneunzigjährige auf dem Sterbebett? Die war es.“ Er läßt den Kaplan stehen.Der Kaplan wendet sich nach dem Wald. Er geht gebeugt. Seine Arme machen Bewegungen, als spräche er mit sich. |