BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Heinrich Mann

1871 - 1950

 

Lidice

 

1943

 

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Die Dorfbewohner haben nichts verloren von allem, was die Gestapobeamten taten, und so wenig wie möglich von ihren Gesprächen. Aber keiner der Tschechen hat es sich ansehen lassen. Sie scheinen unbefangen mit sich selbst beschäftigt. Der Hausherr Jaroslav wird für seine ausgiebige Gastlichkeit beglückwünscht. Das Brautpaar wird gehänselt, weil es vor Seligkeit schon ganz verblödet sei.

Der Gemeindevorsteher: „Der Pavel, ungeschickter Mensch, verträgt das Verloben nur höchstens den ersten Tag. Heute hätt er dem Bergmann das Bein abgeschnitten.“

Pavel: „Lebt der Bergmann noch? Ich muß doch nachsehen, was ich gestern mit ihm angestellt hab. Um ein Uhr herum, hör ich.“

Doktor Holar: „12 Uhr 50, Kollege!“

Pavel: „Was heißt da, bittschön, Kollege? Hier gibt's keinen zweiten Trottel wie mich. Haben Sie schon mal einer Braut so viele Süßigkeiten geflüstert, bis sie ganz dahin ist? Betrachtet dieses stattliche Mädchen, es ist schade um sie. Daß sie lieber getänzelt hätte, wie die anderen, in dem Verkauften Bräutchen!“

Die Tanzgruppen, die Kinder voran, sind zwischen den SS-Männern, die sie zurückdrängen, allmählich durchgesickert bis nach der Gegend der Wiese, wo die Tische stehen.

Die Kinder: „12 Uhr 50. Padesat! Padesat!“

Ein SS-Mann dem anderen: „Padesat? Das bedeutet etwas, wir müssen Meldung erstatten.“

Lyda, für die Kinder: „Nicht Padesat! Sagt fünfzig! Die Deutschen werden glauben –.“

Pavel: „Daß wir eine Geheimsprache reden. Aber weit gefehlt!“

Der Kaplan: „Uns tut die Offenheit und Wahrheit zu sehr not.“

Hier fällt der Schuß, der den zweiten Geheimen tötet.

Die Kinder laufen, mit dem Schreckensruf: „Padesat!“, nach dem Tanzplatz zurück. Am Tisch bleiben alle sitzen, die Gesichter erstarrt. Der Kaplan steht allein daneben.

Geflüster, bei unbewegter Haltung.

Jaroslav: „Das bleibt nie aus. Warum nur gerade den armen Herrn?“

Die Frau, deren Schwester von Pavel behandelt wurde: „Sie hätten ihm besser den Magen ausgepumpt, er war kränklich.“

Pavel: „Frau, das verstehen Sie nicht. Die Deutschen sind wissenschaftlich unübertroffen. Sie heilen ihre Schwerkranken so gründlich, daß ihnen nichts mehr wehtut.“

Lyda: „Pavel, wir müssen Mitleid haben mit den Deutschen.“

Der Kaplan, für sich: „Sie sterben für nichts. Wir – werden sogar Lügner, um unseres Volkes willen.“

Doktor Holar: „Der Tote nimmt mein Ordinationsbuch mit!“

Der Gemeindevorsteher: „Sollen sie es mit ihm verbrennen! Die gestrigen Angaben sind nicht in derselben Schrift.“

Doktor Holar: „Und der Tote hatte es bemerkt.“