BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Heinrich Mann

1871 - 1950

 

Lidice

 

1943

 

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41

 

Der erste Geheime, für den dritten und vierten zwinkert er ironisch nach dem zweiten: „Ziegensack hat alles herausbekommen. Das Geheimnis von Lidice ist aufgeklärt.“

Der zweite: „Es wird nicht standhalten. Man muß nur wollen.“

Der erste: „Soll das heißen, ich will nicht? Achtung, Ziegensack! Sie haben auch bloß Ihre Knochen.“

Der dritte: „Die Leute mit dem ekligen Getänze sagen übereinstimmend aus, Männer, Weiber, sogar die Kinder.“

Der zweite: „Die zuerst. Die haben in der Schule gelernt, uns anzulügen.“

Der dritte: „Gestern und heute war keine Schule.“

Der zweite: „Wegen der Verlobung. Euch scheint das in der Ordnung.“

Der vierte: „Aber die gräßlich musikalischen Grubenarbeiter sind gestern früh eingefahren. Ich habe nachgefragt, der Direktor bestätigt es.“

Der zweite: „Ein mitverschworener Tscheche.“

Der erste: „Wir haben das Nötige getan, und mehr als das Nötige. Der Zustand dieses verwahrlosten Dorfes sprach gleich dafür, daß alle gestern sich hier betätigt haben, und keiner am Altmarkt bei der tschechischen Geheimarmee.“ Er stöhnt: „Wo ist die jetzt!“

Der zweite: „Wo ist sie überhaupt? Hat sie existiert?“

Der erste: „Mensch, das ist einfach unglaublich.“

Der zweite: „Daß sie existiert.“

Der dritte: „Nein. Daß Sie das eigene Zeugnis des Protektors angreifen.“

Der vierte: „Wie kann man!“

Der zweite: „Das könnte man allerdings nur, wenn der Protektor selbst gewisse Zweifel zuließe.“

Der dritte will antworten. Der vierte verhindert ihn: „Hände weg! Mit dem ist was nicht richtig.“

Der erste Geheime: „Ich fürchte, ich habe schon genug gehört. Als Chef will ich Herrn Ziegensack doch ersuchen, sich weniger zweideutig auszudrücken. Wir sind unter uns.“

Der zweite: „Die Sache ist die, daß wir alle vier bloß so tun, als suchten wir nach den zehntausend Mann der Geheimarmee. Die anderen Kollegen – unser Herr Protektor hat sie sämtlich aus Prag entfernt, sie stellen sich gleichfalls dumm.“

Der dritte, kann nicht an sich halten: „Wir nicht, wir stellen uns nicht dumm.“

Der vierte: „Wir sind dumm.“

Der zweite: „Wir vier allein haben heute schon sieben Ortschaften durchsucht. Kein einziger Mann war gestern in Prag – abgesehen von den bekannten Gästen des berüchtigten Wirtshauses, wo sie sich mit dem Protektor getroffen haben.“

Der erste, kalt: „Sich mit ihm getroffen?“

Der zweite: „Ihn zufällig angetroffen, wenn Sie lieber wollen.“

Der erste: „Nur weiter! Ihnen ist nicht zu helfen.“

Der zweite: „Ich bin ein Wahrheitsfanatiker.“

Der erste: „Anstatt daß Sie ein Gestapobeamter sind.“

Der zweite schweigt.

Der erste: „Sie hielten bei dem Besuch des Protektors im Altgeld.“

Der zweite, vom Teufel besessen: „Des vorgeblichen Protektors. Der echte befand sich in Brünn.“

Der erste: „Es stört Sie nicht, daß er aus der Prager Burg den Führer angerufen hat. Daß der Führer ihn seinen Freund genannt hat. Ihm Macht und Gewalt gab über unser aller Leben. Auch über Ihres.“

Der zweite, hat sich übernommen, sieht jetzt gebrechlich aus. Leise: „Doch. Es stört mich.“ Ein Aufflackern: „Wenn nun heute, heute, während wir reden, noch ein Protektor aus Brünn einträfe?“

Der erste: „Dann wäre derselbe Protektor das zweite Mal eingetroffen. Dies ist nicht mehr Ihre Sorge, Ziegensack. Ich habe das Recht, Sie augenblicklich an die Wand zu stellen.“

Der zweite: „Weil Sie mich fürchten.“

Der erste: „Weil Sie den Führer beleidigen und den Protektor sabotieren. Sie sind der innere Feind. Sie sind ein Agent Roosevelts.“ Für die Geheimen drei und vier: „Handschellen!“

Der zweite Geheime wird gefesselt.

Der erste, zieht ihn von den anderen fort. Flüstert: „Ich werde Sie der Gnade des Protektors empfehlen, unter der Bedingung, daß Sie mir den Verdächtigen nennen. Ein einwandfreier Vertrag, den ich mit Ihnen eingehe.“

Der zweite: „Sehen Sie, daß Sie an einen falschen Protektor glauben.“

Der erste: „Flüstern Sie!“ Zeigt seinen Revolver: „Oder ich mache Sie stumm.“ Er kichert: „Lidice hat es Ihnen angetan. Wohl der Bräutigam?“

Der zweite: „Der ist wirklich dämlich. Andere stellen sich dämlich, er ist es. Außerdem blond, daher ungeeignet, den Protektor vorzutäuschen.“

Der erste: „Gewiß leugnen Sie, daß der Protektor blonde Haare hat.“

Der zweite: „Angesichts des Todes leugne ich es.“

Der erste: „Und der Führer?“

Der zweite: „In den Achseln ist er blond, wie jeder weiß. Heil Hitler!“

Der erste: „Heil Hitler! Wir Deutsche sind blond. Die Tschechen leider auch. Dieses Dorf zeigt ein paar Ausnahmen. Ich hab's! Den Kaplan meinen Sie. Zu albern, wegen der schwarzen Tolle.“

Der zweite: „Die Stimme! Sie fiel mir noch vorher auf. Die metallene Stimme, man kennt sie.“

Der erste: „Den Kaplan nehm ich mir vor! Ihre Voraussetzung ist natürlich unhaltbar, den Schwindler, den Sie meinen, hat es nie gegeben. Aber das Gerücht muß im Keim erstickt werden.“

Der zweite: „Lassen Sie ihn auf die Bibel schwören!“

Der erste: „Den Kaplan? Das ist sein Handwerkszeug. Davon wird er noch lange kein – Wahrheitsfanatiker, der sich um den Kopf redet.“

Der zweite: „Diese Tschechen sind hinter uns Deutschen zurück, sie sind gläubige Christen geblieben. Oder wenn nicht gläubig, dann intellektuell. In beiden Fällen ist man der Gefangene seines Wortes, und hat Gewissen. Uns – hat der Führer erzogen. Wir – sind frei von allem, was wir gesagt und beschworen haben.“

Der erste: „Mich bindet kein Vertrag. Mehr haben Sie mir nicht mitzuteilen, Ziegensack? Dann Schluß!“ Er erschießt ihn.

Der tote Geheime wird von SS-Mannschaften zuerst umstellt und unsichtbar gemacht, dann fortgeschafft.