BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Heinrich Mann

1871 - 1950

 

Lidice

 

1943

 

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37

 

Die Gläser stehen noch immer bis an den Rand gefüllt. Die Gesellschaft hat gegessen, aber nur Wasser getrunken. Das Musikkorps der Bergarbeiter stellt sich auf und spielt Tänze aus der „Verkauften Braut“. Die Kinder vorn, die Mädchen und Burschen hinter ihnen, führen artige Figuren auf. Pünktlich setzt auch ihr Chorgesang ein.

Die älteren Leute haben sich an einem Tisch um das Brautpaar gruppiert. Pavel, Lyda und die anderen verhalten sich, als ob sie ein Bild stellten.

Doktor Holar: „Beim Theater, sagt meine Tochter, trinken sie auch nicht wirklich, wenn Verlobung ist, und die Verlobung ist sowieso falsch.“

Pavel: „Unsere ist echt, bitte.“

Der Amtsvorsteher: „Alles goldecht. Wie, Doktor Holar? Sind wir biedere Tschechen? Sind das unsere nationalen Tänze aus der ›Verkauften Braut‹?“

Jaroslav: „Betrinken werden wir uns, damit einer sich verplappert!“

Lyda: „Pavel! Wir sollten doch lieber tanzen. In Reih und Glied verschwindet man.“

Pavel: „Die tanzen uns zu Ehren, wir müssen zuschauen.“

Der Kaplan: „Es wäre nicht richtig, zu verschwinden.“ Er stellt sich sichtbar auf.

Der Knabe mit dem unschuldigen Gesicht verläßt das Gebüsch, das ihn gegen die Straße gedeckt hatte: „Sie kommen!“

Der Amtsvorsteher: „Sind es viele?“

Der Knabe: „Ein Regiment –“ Er wartet die Spannung ab: „ist es nicht. Blöd sehen sie aus.“

Der Amtsvorsteher, für die Musikanten:

„Lustig sind wir! Lauter! Schneller!“

Jaroslav nach den Tänzern hin: „Hopsassa!“

Die Figuren der „Verkauften Braut“ entarten zu Sprüngen und Geschrei, auch die Musikanten werfen die Beine. Die Zuschauer klatschen nach dem Takt in die Hände, nur der Kaplan nicht.

Auf der Straße hält ein großes Transportauto. Am Saum der Wiese erscheint die Geheime Staatspolizei, vier Zivilisten, eingerahmt von SS-Männern, die ihre Vorgesetzten um einen Kopf überragen.