BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Heinrich Mann

1871 - 1950

 

Lidice

 

1943

 

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35

 

In der Tür des Hauses erscheint Jaroslav Ondracek. Er ruft: „He! Pavel!“

Lyda verscheucht die Gänse von der Wiese und treibt die Kühe in den Stall.

Pavel: „Guten Morgen, Vater.“

Jaroslav: „Sohn! Du kommst spät aus den Federn. Begreiflich, nach der Feier gestern.“

Pavel: „Ihr habt gefeiert?“

Jaroslav: „Am meisten du. Deine Verlobung mit der Lyda!“

Pavel: „Jetzt fällt mir's ein.“

Jaroslav: „Hattest etwas über den Durst getrunken. Solch einen Tag vergißt man darum nicht.“

Pavel: „Wie könnte man! Den ganzen Tag hier gefeiert? Jede Stunde, von Mittag an?“

Jaroslav: „Bis in die Nacht. Niemand vergißt das Fest so bald. Werden alle heut wiederkommen, der Herr Kaplan, der Herr Doktor, die Kumpels vom Bergwerk –“ Er zwinkert: „Dir danken. Dich beglückwünschen.“

Pavel: „Schon bald, scheint mir?“

Jaroslav: „Nicht ausstehen können sie's, bis sie da sind.“

Pavel: „Es wird Zeit, daß die Lyda das Vieh wegbringt! Wenn das ganze Dorf auf der Wiese zu tafeln gedenkt.“

Jaroslav: „Wie schon gestern.“

Pavel: „Wie schon gestern.“

Jaroslav: „Dein Sonntagsgewand hat gestern häßliche Flecken bekommen.“ Er zupft an dem verknoteten Bündel. „Einen Riß sogar? Trag es nicht zum Schneider Kniege! Der war der betrunkenste.“

Pavel: „Verwahren wir es denn im Hause! Aber wo?“

Jaroslav: „Im Turm.“

Pavel: „Droben, beim Eger?“ Leise: „Der könnt es mißbrauchen.“

Jaroslav: „Ja, wenn er noch der Franticek Eger von früher wäre! Du denkst, seinen alten Menschen ablegen und eine täuschende Maske annehmen – kann nur einer.“

Pavel: „Eine Maske, darin irrst du, Vater. Je länger man sie trägt, um so weniger ist noch Kunst dabei. Bald fürchtet man sich, wie echt man ist.“

Jaroslav: „Genau so ergeht es dem Eger. Sohn! Komm den verwunschenen Polizeispion ansehen.“

Sie betreten das Innere des verfallenen Turmes. Die Plattform droben klafft, zur Hälfte weggerissen. Pavel wirft seinen Packen hinauf und verfehlt den Boden. Beim zweiten Versuch fangen ein Paar Hände das Bündel auf.

Franticek Eger: „Ich sag's doch, da haben wir ihn. Sein Kleid, bis er selbst kommt. Und er kommt, sonst wär ich nicht der Franticek.“

Jaroslav: „Der bist du ja nicht. Du bist ein Gestapoagent, heißtest wahrscheinlich Katlapat und kommst vom Nordpol, um uns zu verderben.“

Franticek Eger, kniet auf dem ausgezackten Rande des oberen Fußbodens: „Führe uns nicht in Versuchung, Pan Ondracek! So weit her, kann ich mich nicht rühmen. Genügt schon, daß ich ein gottverlassener Sudetendeutscher bin, von der Art, die's nicht hält, sie müssen ihre biederen tschechischen Landsleute angeben. Laßt mich nur nicht herunter von dem Turm, ich möcht am Ende wieder anfangen.“

Pavel: „Er macht den bußfertigen Sünder.“

Jaroslav: „Du wirst weiter hören.“

Franticek Eger: „Hier im Turm aber bin ich meiner gewiß und bin ein gewaltiger Patriot, besonders bei der Nacht. Hab ihn diese Nacht vor meinem Messer gehabt, wo er doch in Brünn die guten Leute erschießt und hängt sie in Prag. Das Messer wollt um alles nicht aufgehen, sonst war er hin.“

Pavel: „Wer war er?“

Franticek Eger: „Du!“ Er wirft sein Messer nach Pavel.

Pavel ist beiseite gesprungen: „Nicht übel als erstes!“ Für Jaroslav, oder für sich selbst: „Wär es so einfach! Er hat etwas läuten gehört. An die Stelle des anderen hab – ich mich gesetzt. Wer mich umbrächte, hätt es schon geschafft, denkt er.“

Jaroslav: „Weil er aus heftiger Reue übergeschnappt ist.“

Pavel: „Mir selbst hätt es einfallen können.“

Jaroslav: „Von uns Ondraceks ist noch keiner verrückt geworden.“

Pavel: „Ruhig, Vater! Ich weiß, was ich treibe.“ Er wirft sein Messer dem Eger in die Hand: „Behalt es, Franticek, für den letzten Besuch, den ich dir einstmals machen soll. Du haßt mich sehr?“

Franticek Eger: „Henker du! Nach deinem Blut bin ich wild.“

Jaroslav: „Ein fataler Kerl!“

Pavel: „Ein schöner Mörder, nicht jedem liegt das.“ Spricht nach oben: „Die Uniform wirst du mir wieder leihen müssen, zum Nutzen meiner Schandtaten. Klopfe sie sorgfältig!“

Jaroslav, nach oben: „Daß du dich nicht bemerkbar machst, wenn später die Gäste kommen, zum Beispiel ungebetene. Sollte der Turm durchsucht werden –.“

Franticek Eger: „Ich laß ein Stück vom Fußboden den Schwarzen auf die Köpfe fallen. Die sollen genug haben!“