BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Heinrich Mann

1871 - 1950

 

Lidice

 

1943

 

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34

 

Das Gehöft des Bauern Ondracek. Die Sonne geht hinter dem Wald auf. Vorn nähert Pavel sich über die weiten Wiesen, wo Kühe weiden und Gänse schnattern. „Was sag ich ihnen jetzt?“ spricht er vor sich hin. „Schöne Sachen hab ich da gemacht! Wer wird das alles am Ende bezahlen müssen? Die hier. Meine Leute. Unser Dorf. Lidice.“

Er macht halb kehrt nach dem Wald zu.

Pavel: „Ich trau mich nicht ins Haus.“

Lyda, tritt zwischen den Bäumen hervor: „Guten Morgen, Pavel. Auch schon so früh auf?“

Pavel: „Du, Lyda, siehst ein wenig aus, als habest du nicht geschlafen. Aber hübsch bist du.“

Lyda: „Gefall ich dir immer noch?“

Pavel: „Seit gestern ist nichts anders, Lyda.“

Lyda: „Du bist der Pavel geblieben. Warst alle die Zeit der Pavel.“

Pavel: „Was hilft es, wenn ich dich belöge.“

Lyda: „Nein, das hülfe nicht. Sonst aber wirst du überall lügen müssen, heut und immer.“

Pavel: „Du hast recht, Lyda.“

Lyda: „Ich tadele dich nicht, Pavel! Alle freuen sich, alle sind stolz auf dich.“

Pavel: „Nur du nicht.“

Lyda: „Ich noch mehr als sie. Die Braut des Helden! Auch Kummer macht es, den haben die anderen nicht.“

Pavel: „Noch nicht. Waren im Dorf keine Schwarzen?“

Lyda: „Werden nicht ausbleiben. Du selbst hast sie über das Land hinschwärmen lassen.“

Pavel: „Mich finden sie nicht.“

Lyda, berührt sein Bündel: „Und das da?“

Pavel zuckt die Achseln.

Lyda: „Wir verbrennen es, eh daß der Vater es sieht!“

Pavel: „Warte noch! Gib dem Schicksal etwas Spielraum!“

Lyda: „Dich hat das Schicksal gerade noch mit heiler Haut aus seinem Spiel entlassen. Pavel! Du gehst nicht noch einmal. Was du unbekannt in dir trugst, ist nun gebüßt. Sollen andere das Ihre tun!“

Pavel: „Eigentlich wahr. Er hat jetzt eine tschechische Geliebte.“

Lyda: „Wer? Wie denn? Rede!“

Pavel: „Das könnt ihr hier noch nicht wissen. Es soll erst heute geschehen. Aber er bekommt sie.“

Lyda: „Wer?“

Pavel, leise: „Der Protektor.“

Lyda: „Der bist du! Oder warst es, und hast eine Geliebte! Natürlich, der gnädige Herr hat nur befehlen müssen, an jeder Hand eine.“

Pavel: „Kennst du die tschechischen Mädchen? Sieh dich selbst an! Wollt ich dich zu ihm schicken, du brächtest ihn gewiß in den Ruf, daß er mit dir seine deutsche Herrenrasse verrät. Weiter hätt er nichts.“

Lyda, an seiner Brust: „Weil alles dein, nur dein ist.“ Sie löst sich aus der Umarmung: „Ich bin nicht eifersüchtig, Pavel! Wie steht es um dein Gewissen?“ Da er nicht begreift: „Du hast getötet.“

Pavel: „Getötet? Ich?“

Lyda: „Einen deutschen Offizier. Am Altmarkt.“

Pavel: „Das erzählen sie? Es ist merkwürdig, damit die Leute einen bewundern können, muß er getötet haben.“

Lyda: „Wie war's aber?“

Pavel: „Eine Schlägerei zwischen zwei Deutschen. Gefallen ist keiner.“

Lyda: „Kein richtiger Toter?“

Pavel: „Den Sieger macht ich zum Hauptmann.“

Lyda: „Dein Hauptmann Krach ist auch kein richtiger Hauptmann!“

Pavel: „War ich vielleicht ein richtiger Protektor?“

Sie lachen.