BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Heinrich Mann

1871 - 1950

 

Lidice

 

1943

 

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In der Garderobe.

Die Garderobiere, aus der verhängten Tür, mit einem Packen Kleider: „Alles, was du brauchst, Pavel. Vom Wokurka, sein Kostüm als Schneider Zwirn.“

Milo Schatzova: „Der Wokurka hat Einfälle. Du gehst als Garderobengehilfe aus dem Theater fort; sollt mich wundern, wenn dich jemand anhält.“

Pavel: „Wer mich anhält, wird nichts zu lachen haben. Ich mache mein Protektorgesicht.“

Milo Schatzova: „Leikova! Wickel ihm seine Protektorensachen sorgsam zusammen in ein schwarzes Bündel, wie es die Schneider tragen.“ Sie winkt ihr, hinter dem Vorhang zu verschwinden.

Pavel, als sie allein sind: „Hab Dank, Milo!“

Milo Schatzova: „Du – willst danken? Was tun aber dann wir? Heute hast du uns die Gestapo vom Halse geschafft. Ein Tag Leben gewonnen durch dich! Pavel, weißt du schon, wie es weitergeht?“

Pavel macht mit den Fingern ein V.

Milo: „Das wissen wir Tschechen! Ein Rätsel ist mir dein Hauptmann Krach.“

Pavel: „Die Deutschen sind Rätsel.“

Milo: „Nach allem, was er gesehen hat, glaubt er an dich? Vom Altmarkt schweig ich. Aber hier bei uns, das ganze Haus hat dich gekannt, die einen gleich, die anderen später. Er allein bleibt standhaft.“

Pavel: „Er glaubt an seinen Protektor, wie er an seinen Führer glaubt. Für das eine ist nicht mehr Ursache als für das andere. Was diese Deutschen wirklich können, ist, im Falschen standhaft sein.“

Milo: „Aber, der – andere Protektor, wenn er nun zurückkommt!“

Pavel: „Auch er wird mir's glauben müssen.“

Milo: „Seit heute trau ich dir vieles zu.“

Pavel: „Nur nicht haltmachen! Ich hab ihn abgesetzt. Er war froh, wenn er mit mir tauschen könnte. Aber wo ich der Protektor bin, ist er noch lange nicht der Ondracek. Zu Rett soll er gehen, wenn ich aufstehe!“

Milo: „Pavel! Ich will dir helfen. Was kann ich tun?“

Der Inspizient, vor der Tür: „Slecna Milo! Es hat angefangen. Drei Minuten, bis Sie auftreten.“

Pavel: „Dann schnell! Ich hab mich gefürchtet, dir's zu sagen. Du mußt morgen zu ihm auf die Burg gehen.“

Milo Schatzova: „Die Anstandsvisite nach den glücklichen Stunden einer Nacht.“

Pavel: „Beiläufig das.“

Milo Schatzova: „Mich öffentlich zeigen als die Geliebte des gnädigen Herrn Deutschen! Jetzt merk ich erst, daß ich entehrt bin. Keine tschechische Frau gibt mir noch die Hand.“

Pavel: „Verlier den Kopf nicht! Unsere Leute werden ohne Erklärung begreifen, daß du ihnen einen Dienst erweist wie –.“

Milo Schatzova: „Judith mit Holofernes, Dalila bei Samson.“

Pavel: „Keine Übertreibung!“

Der Inspizient, vor der Tür: „Slecna Milo! Höchste Zeit!“

Milo Schatzova eilt hinaus.

Pavel ist hinter dem Vorhang verschwunden.