BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Heinrich Mann

1871 - 1950

 

Lidice

 

1943

 

____________________________________________________________

 

 

 

31

 

Vor der Garderobe widersteht Hauptmann Krach der Versuchung, durch das Schlüsselloch zu sehen. In Zweifeln und Unruhe macht er drei Schritte hin und her. Arbeiter und Mitglieder der Bühne umgeben ihn im weiten Halbkreis.

Hauptmann Krach überwindet sich, holt mit eisernem Arm den Inspizienten aus der Menge: „Ihr Fall ist klar, wenn dem Protektor da drinnen etwas zustößt. Gleich an diesem Träger, mein Teurer, werden Sie hängen.“

Der Inspizient: „Und herunterpurzeln. Das Gestell ist wacklig. Die Tugend der Schatzova wackelt auch schon.“

Die Garderobiere und der Komiker Wokurka kommen die äußere Seite der Garderoben entlang.

Die Garderobiere: „Um der himmlischen Barmherzigkeit willen, Herr Hauptmann, hören Sie die Schatzova stöhnen? Die ist hin. Sie fällt dem gnädigen Herrn Protektor zum Opfer. Die Vorstellung wird müssen abgebrochen werden.“

Der Komiker Wokurka: „So ein fades Geschwätz! Als ob deswegen schon mal eine Vorstellung abgebrochen wäre. Gar nicht ignorieren, Herr Hauptmann!“

Die Stimme der Milo Schatzova, von innen: „Hilfe! Man tut mir Gewalt an.“

Hauptmann Krach zieht sich diskret von der Tür zurück; die anderen ahmen sein Zartgefühl nach.

Die Stimme des Protektors, unverkennbar trotz der geschlossenen Tür: „Was ich will, das will ich. Sabotage wird mit dem Tode gesühnt.“

Die Stimme der Schatzova: „Ich beiß dich. Ach, was hilft es, du Scheusal hast mich verführt.“

Die weiblichen Mitglieder, abwechselnd: „Einmal etwas anderes, ein Protektor. Grausig, aber schön. Weinen möcht man wie ein kleines Kind.“

Der Inspizient: „Anstatt daß ihr euch ordentlich umkleidet für den letzten Akt.“ Er treibt die Versammlung auseinander.

Die Garderobiere wischt sich die Augen: „Gerade die Milo hat er sich müssen vornehmen. Sind da nicht Flitscherln genug? Ein so anständiges Mädchen, hat vor Anstand nicht wohin gewußt.“

Der Komiker Wokurka: „Was halten der Herr Hauptmann vom Verführen im allgemeinen? Haben Sie schon eine verführt? Ich nicht. Was sich einstmals mit mir zugetragen hat im Extrazug von Wien nach Czernowitz. Meine Kollegin Greislerova fuhr in einem geschenkten Abteil, ich im nächsten, aber das meine macht mir ganz den Eindruck, daß es kleiner ist. Einen Künstler wie mich muß das kränken. Es verdroß mich so stark, daß ich meinen Stock nahm.“

Die Garderobiere: „Vergreifen wollt er sich an der Greislerova!“

Der Komiker Wokurka: „Ich? Sie, bitte, an mir! Ich geh ganz treuherzig mit meinem Stöckchen ihr Abteil abmessen, ob's wirklich größer ist –.“

Hauptmann Krach, unterbricht: „Herr Wokurka, Ihre Geschichten wären unter anderen Umständen vielleicht gut.“

Der Komiker Wokurka: „Beherzigenswert, Herr!“

Hauptmann Krach: „Jetzt aber handelt es sich darum, wie ich meinen Protektor aus der Falle bekomme und ihn glücklich heimbringe.“ Zur Tür. Er klopft entschlossen.

Die Stimme des Protektors: „Hauptmann Krach!“

Hauptmann Krach: „Zu Befehl, Exzellenz.“

Die Stimme des Protektors: „Ich bleibe hier, sehen Sie sich den letzten Akt an!“

Hauptmann Krach: „Melde gehorsamst, das ganze Theater weiß schon von der Sache. Es ist, melde gehorsamst, fürchterlich.“

Die Stimme des Protektors: „Gefühle sind abzustellen! Passen Sie auf! Ich soupiere in der Goldenen Gans und nirgends sonst.“

Die Stimme der Schatzova: „Bei mir zu Haus soupierst du. Mein Held! Dein Leben für mich wagen, dich der Rachsucht deiner Feinde aussetzen, die Goldene Gans geht mir gerade ab!“

Die Stimme des Protektors: „Sie hören, was ich beschlossen habe, Hauptmann Krach.“

Hauptmann Krach: „Bei der Dame hol ich Exzellenz motorisiert wieder ab.“

Die Stimme des Protektors: „Hüten Sie sich! Ganz ohne Aufsehen. Früh um sechs. Meine strengen Pflichten verbieten mir den Morgenschlummer.“

Hauptmann Krach: „Befehl, Exzellenz.“ – Er macht rechtsum. Stramm verläßt er die Bühne.