Heinrich Mann
1871 - 1950
Lidice
1943
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Finale des Aktes. Bevor der Vorhang fällt, verschwindet Pavel durch die Tür, die von seiner Loge auf die Bühne führt. Der Vorhangzieher, unabkömmlich, ruft andere zu Hilfe: Jan! Karel! Seht! da kommt er.“Die Arbeiter bestaunen Pavel: Das ist gut!“Der Inspizient: Die Herren Direktoren haben uns schon gewarnt.“ Versuch, ironisch zu sein: Laßt es euch nur nicht grausen, sagten die Herren, waren aber selbst noch angegriffen.“Pavel faßt ihn ins Auge. Nicht lange, der Inspizient ist bezwungen, er nimmt Reißaus.Der Feuerwehrmann in der zweiten Kulisse macht Front vor Pavel, salutiert, sieht unbeirrt geradeaus. Draußen das Rauschen des Beifalls.Pavel: Was rufen die Leute?“Der Feuerwehrmann: Den Herrn Protektor rufen sie.“Pavel: Ich, mich vor einem tschechischen Publikum verbeugen? Die vergessen, wer ich bin.“Stimme des Komikers Wokurka: Tschechisches Schutzvolk! Dein geliebter Protektor dankt gerührt für deinen Beifall. Heut sind wir unter uns, da sag ich's kühn, den Protektor wünsch ich mir für täglich, mit Mostrich, Rettich und Tusch.“Das Orchester spielt einen Tusch, der Vorhang fällt zum letzten Mal.Aus den Kulissen drängen Komparserie und Solisten. Beim Anblick Pavels kreischen sie auf. Manche bekommen Gesichter, die ihn ernsthaft prüfen. Zwei Tänzerinnen wagen sich bis in Atemnähe: sie schließen die Augen und küssen ihn, jede auf eine Wange. Gleich nachher erschrecken sie und flüchten.Pavel folgt in Richtung der Damengarderoben. Auf der letzten Tür liest er Milo Schatzova“. Ohne anzuklopfen, tritt er ein. Er dreht den Schlüssel um.In dem Spiegel, vor dem sie sitzt, beobachtet die Schauspielerin ihn. Ihre Miene wird kalt und böse, wie seine. Sie befiehlt ihrer Garderobiere: Wirf den Herrn hinaus!“Die Garderobiere, entsetzt: Milo! beherrsche dich. Das ist der Protektor.“Milo Schatzova: Wenn's der Herr Protektor wäre, führt er sich anständig auf. Schlechte Witze mag ich nicht.“Pavel: Deshalb bist du zum Rococo gegangen. Milo! Als du noch eine Anatomiestudentin warst, die Leichen hatten mehr Humor als ihr hier.“Milo Schatzova: Sei doch komisch, wenn in der Loge, direkt auf der Bühne ein Gespenst zusieht!“Pavel: Wir arbeiteten zusammen angenehm in der Anatomie. Aber der Protektor, mein Vorgänger, hat die tschechische Universität geschlossen. Da mußtest du zum Theater gehen.“Milo Schatzova: Und du dein hohes Amt antreten.“Pavel: Beide haben wir's schnell zu etwas Rechtem gebracht.“Die Garderobiere beginnt zu vermuten: Wär's gar wirklich –“ In ihre hohle Hand: Der Ondracek?“Milo Schatzova: Geh, Leikova, paß draußen auf!“Die Garderobiere: Zuerst muß ich's erleben, wie er sich abschminkt.“ Flüstert ängstlich: Wird das auch gehen?“Pavel tritt hinter einen Vorhang.Die Garderobiere: Milo, hüte dich. Er betrügt uns.“Milo Schatzova: Möglich ist alles bei den Deutschen.“Pavel kehrt als Pavel zurück, in Hemd, Höschen und langen Strümpfen. Er schmunzelt gutmütig: So schön bin ich ja nicht mehr.“Milo Schatzova und die Garderobiere fallen einander um den Hals.Milo Schatzova: Endlich ein Sensationserfolg in dem Theater!“Die Garderobiere, mäßigt ihre Begeisterung, da Pavel ihr winkt.Pavel: Hauptmann Krach wird mittlerweile den Weg entdeckt haben.“Milo Schatzova: Dein berühmter Hauptmann Krach.“ An die Garderobiere gewendet: Leikova, lauf hinten herum, wenn du Hauptmann Krach begegnest, sag ihm, ich werde verführt, er darf nicht stören.“Pavel: Den Auftrag hätt ich Ihnen auch gegeben, Leikova. Aber ich steh mit Milo kameradschaftlich. Unzartheiten fallen nicht in mein Ressort.“ Er folgt der Garderobiere bis an den Vorhang der Tür: Nachher werd ich einen Zivilanzug nötig haben.“Die Garderobiere verschwindet hinten durch die verhängte Tür.Am Eingang wird geklopft, zuerst energisch, dann vorsichtiger.Pavel hat sich mit einem Frisiermantel bedeckt. Er sitzt im entferntesten Winkel und stöhnt leidenschaftlich.Milo Schatzova wirft ein Kleid über. Gebückt und das Gesicht mit dem durchsichtigen Stoff bedeckt, stöhnt sie erstickt in die Falten. |