BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Heinrich Mann

1871 - 1950

 

Lidice

 

1943

 

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27

 

Pavel, groß in Form, stelzt nach dem Vorzimmer. Dort bewegt er sich bei offener Tür, vor den Augen und Ohren der drinnen Zurückgebliebenen: „Hauptmann Krach!“

Hauptmann Krach ist ihm gefolgt; bewacht ihn eisern.

Pavel: „Gehen Sie! Stellen Sie fest, ob meine Befehle im vollen Umfang befolgt sind. Ich will nicht zweifeln, aber im vollen Umfang! Die gesamte verfügbare Polizeimannschaft auf die Spur dieser listigen Verräter gesetzt.“

Hauptmann Krach rührt sich nicht.

Pavel: „Worauf warten Sie?“

Hauptmann Krach: „Ich darf den Protektor keinen Augenblick allein lassen.“

Pavel: „Gehorchen Sie!“

Hauptmann Krach: „Befehl des Führers.“

Pavel: „Ausreden für Ihre Widersetzlichkeit. Ich fange an, Ihnen zu mißtrauen, Hauptmann Krach.“

Geheimrat Rumfutsch, in seinem Zimmer: „Man könnte anfangen.“

Der Sekretär: „Jetzt erst?“

Pavel: „Sie nehmen draußen die Beobachtung auf. Wo nicht, sind Sie kassiert, degradiert, entehrt und erschossen.“

Hauptmann Krach: „Befehlen Sie mir, aus dem Fenster zu springen, ich tu es. Nur für Ihre eigene Sicherheit bin ich einem Größeren verantwortlich.“

Pavel: „Sie haben die Prüfung bestanden. Kommen Sie!“ Er geht hinaus, mit Hauptmann Krach auf den Absätzen.

Der Sekretär: „Seine Exzellenz haben wir gehabt.“

Geheimrat Rumfutsch: „Was heißt das?“

Der Sekretär: „Morgen könnten wir ihn wiedersehen, wenn er aus Brünn zurückkehrt.“

Die Stenotypistin: „Er ist zurückgekehrt –.“ Sie stößt ihn an: „Bleibe fest! Der Preis ist unser Glück.“

Geheimrat Rumfutsch: „Seit zwei Stunden nehmen wir die Befehle des Herrn entgegen, lassen Sie es sich gesagt sein – im eigenen Interesse, wenn nicht im Namen des Führerprinzips. Der Führer nannte diesen und keinen anderen Protektor – seinen Freund.“

Der Sekretär: „Heil Hitler!“

Pavel, betritt mit Hauptmann Krach das Vorzimmer: „Alles in Ordnung. Wo Gesetz und Gehorsam herrschen, ist der Sieg gewiß. Die ganze Burg zieht aus, alles auf der geheimen Verfolgung der feindlichen Geheimarmee.“

Geheimrat Rumfutsch, Regung der Verzweiflung: „Die Staatspolizei verstreut und ohne Telephon, das Militär nach Brünn geschickt – er räumt auf.“

Die Stenotypistin, an den Sekretär gelehnt: „Endlich allein.“

Der Sekretär: „Der Verkehr mit Brünn ist verboten. Oberst Schalk am Apparat verlangen, wäre ein Staatsverbrechen. Nie geb ich mich dazu her.“

Geheimrat Rumfutsch, drohend: „Auf den Gedanken sind Sie allein gekommen.“

Pavel bewegt sich und spricht, als ob er keine Zeugen hätte: „Mein Führer! Ich handele mit der furchtbaren Energie, die aus Ihren großen Worten, Ihrer stimmlichen Gewalt in mich überströmte. Rücksichtslos setze ich die Verhafteten in Freiheit, um beim nächsten Mal gleich dies ganze Volk zu vernichten. Mein Führer hat mich heute gelehrt, der Schlauheit von Unterworfenen beizukommen. Mit Klarheit, mit Treue.“

Er streift ein Fenster, er blickt hinab: „Das nennen sie ihr Goldenes Prag. Nicht einmal Nickel will ich hier im Umlauf lassen. Die Tschechen sollen einer den anderen verkaufen, den Freund – den Freund, die Mutter – das Kind. Sie dürfen nicht mehr zusammenhalten, ich ertrage es nicht! Das macht diese Untermenschen gefährlich, ja überlegen, daß sie einander nie verraten. Wir Deutsche tun es, dank dem Führer; der Geheimrat denunziert den Oberst, und dieser ihn.“

Geheimrat Rumfutsch muß sich setzen.

Der Sekretär und die Stenotypistin tanzen vereint um ihren Schreibtisch.

Pavel: „Wir Deutsche denunzieren unbedacht, in offener, ehrlicher Liebe zu unserem persönlichen Vorteil.“

Geheimrat Rumfutsch, gebrochen, flüstert sich selbst zu: „Er hat die Briefe gefunden, von Schalk und mir.“

Pavel: „Dagegen die Falschheit der tschechischen Unterwelt! Jeder errät, wie der Nächste den geraden deutschen Herrn betrügen wird, schon nimmt er ihm die Lüge aus dem Mund. Haben Geheimnisse. Ob sie die haben! Und alle wissen um das Geheimnis, aber keiner, keiner wird es mir sagen. Mir, der allwissend sein muß, um meines Führers wert zu sein! Daß er mir mitteilte von seiner Allwissenheit!“

Pavel schnallt seinen Degen fester: „Hauptmann Krach!“

Hauptmann Krach: „Zu Befehl. Exzellenz sollten allenfalls vermeiden, mit sich selbst zu reden. Die Wände haben tschechische Ohren.“

Pavel: „Ich will deutsche Luft atmen. Mein Flugzeug! Nach Berlin!“

Hauptmann Krach: „Melde gehorsamst, daß es unstatthaft wäre.“

Pavel: „Sehen Sie sich vor, Herr! Was ahnen Sie von meiner inneren Verbindung mit dem Führer. In dieser selben Minute fällt es ihm ein, mich zu sich zu berufen. Auch ich werde, der inneren Verbindung wegen, künftig Gemüse essen. Ich bin entschlossen, einen Astrologen zu befragen.“

Geheimrat Rumfutsch ist sehr unruhig geworden. Er nähert sich in Schlangenlinie. Was er vorhat, wagt er doch nicht. Pavel ist bei dem Ausgang angelangt.

Geheimrat Rumfutsch: „Die Entfernung Eurer Exzellenz –.“

Pavel: „Geht Sie nichts an.“

Geheimrat Rumfutsch: „Zu Befehl, nichts. Ohne den Schatten eines Zweifels. Davon abgesehen, gebe ich Eurer Exzellenz ergebenst zu erwägen, daß die Burg nunmehr so gut wie ohne Besatzung ist. Die Anwesenheit des Protektors ganz allein hält die feindliche Bevölkerung in Respekt. Sie sichert Prag, sie sichert Böhmen.“

Pavel: „Sie sichert eine Memme. An der russischen Front wäre Ihnen wohler.“

Geheimrat Rumfutsch reckt den Arm zum Hitlergruß: „Glückliche Reise, Exzellenz.“

Hinter ihm erscheinen, bedrückt und bleich, der Sekretär und die Stenotypistin.

Der Sekretär: „Deutsche Luft ließe sich, nach bescheidenem Dafürhalten, Am Graben atmen, im Deutschen Haus.“

Pavel: „Hauptmann Krach!“

Hauptmann Krach: „Zu Befehl.“

Pavel: „Hören Sie deutsch reden? Ich verstehe nicht mehr.“

Die Stenotypistin, mit tiefem Knicks: „Bitte, bitte, Exzellenz, verstehen Sie!“

Pavel seufzt: „Die deutsche Frau lehnt galante Rücksichten auf ihre Schwäche ab. Schwächer als die Männer ist sie auch nicht.“

Für Hauptmann Krach: „Ins Deutsche Haus!“

Halb zurückgewendet: „Der erwartete Befehl des Führers ist mir dort zu übermitteln.“

Er verläßt mit Hauptmann Krach das Zimmer und die Burg.

Geheimrat Rumfutsch, immer noch erschreckt: „Um ein Ja oder Nein war er fort und wir in der Patsche.“

Der Sekretär: „Er ließ sich den Flug nach Berlin zu schnell ausreden.“

Die Stenotypistin: „Nur von mir. Auf meinen Protektor bilde ich mir etwas ein.“

Geheimrat Rumfutsch, wild begeistert: „Zu seinem Freund wollte er! Auf inneren Anruf, wer kann das noch?“ Er umarmt seine Angestellten.