BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Heinrich Mann

1871 - 1950

 

Lidice

 

1943

 

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26

 

Auftritt Pavel. Hinter ihm Hauptmann Krach.

Pavel: „Hier wird schon wieder die bekannte deutsche Menschlichkeit geübt. Schluß damit!“

Geheimrat Rumfutsch: „Melde gehorsamst, Exzellenz, ich nehme ein strenges Verhör vor, mit dem Ziel der exemplarischen Bestrafung.“

Pavel sieht den Alten vom Altgeld: „Wer sind die Leute?“

Der Alte kennt ihn nicht; zuckt die Achseln.

Stimme aus dem Vorzimmer: „Verräter sind wir. Die Geiseln machen wir, derweilen die anderen entwischen.“

Der Sekretär: „Man sabotiert die Untersuchung.“

Geheimrat Rumfutsch: „Ich sabotiere?“ Die Hand auf dem Herzen: „Der Führer hat sechshundert tschechische Tote befohlen.“

Pavel: „Auf meinen begründeten Antrag.“

Geheimrat Rumfutsch, mit leidenschaftlicher Unterwürfigkeit: „Es geht um alles. Ich bin davon durchdrungen –.“

Die Stenotypistin: „Daß er nicht an die russische Front will.“

Pavel: „Die Entscheidung liegt nicht bei sadistischen Jungfrauen. Meine Sache ist sie.“

Geheimrat Rumfutsch, sehr forsch: „Melde mich zum Abgang nach der russischen Front!“

Pavel, streng: „Ich dulde keinen Eingriff in meine Befehlsgewalt. Ich bestimme, wer an die Front geht. Gehängt wird nach dem unfehlbaren Beschluß des Führers, wann ich will, wen ich will und wozu es mir gefällt.“

Der Alte, zwischen Demut und Empörung: „Aber unsereins muß hängen!“

Der Sekretär: „Warum, du Kamel?“

Der Alte: „Weil sonst die tschechische Seele von Zweifeln erschüttert wird.“

Pavel fragt einen SS-Mann: „Wo habt ihr den alten Lumpen getroffen?“

Der SS-Mann: „Im Altgeld, zu Befehl. Mit zehn anderen. Den Rest nahmen wir von der Straße mit.“

Pavel, furchtbarer Blick über die Tschechen hin: „Wen saht ihr im Altgeld bewußtlos auf dem Tisch liegen?“

Schweigen. Hauptmann Krach steht eisern und wendet keinen Blick.

Pavel, furchtbar: „Mich. Aus der Schlacht dorthin getragen vom Hauptmann Krach.“

Die Kellnerin: „Wir leugnen's ja nicht. Aber was ist schon ein Betrunkener unter dem Tisch? Beim Altgeld haben wir dreimal die Woche einen bewußtlosen Protektor.“

Pavel kalt, für Geheimrat Rumfutsch allein: „Das sind Provokateure. Die Kämpfer finden wir anderswo. Diese hartnäckigen Lügner sind zu entlassen in die Stadt und auf das Land. Sie führen uns von selbst nach dem Schlupfwinkel der illegalen tschechischen Armee, die ich heute schlug und in die Flucht jagte.“

Geheimrat Rumfutsch: „Der Führer weiß es. Ich bezeuge es mit meinem deutschen Gewissen.“ Er wendet sich an die Bewachungs­mannschaft: „Alle sind frei!“

Die Tschechen, mit verteilten Rollen: „Das gibt's nicht. Da möcht mancher kommen. Wenn erst die Tschechen frei wären, was würden nachher die Deutschen sagen! Der Protektor ist ein ganz Falscher. Vor dem hütet euch!“

Die SS-Männer treiben alle hinaus.

Pavel, im Hin- und Herschreiten; seine Einfälle drängen sich; er rennt Hauptmann Krach an, aber der steht eisern. Pavel: „Befehl an meine Gestapo! Die soeben Entlassenen sind auf Schritt und Tritt zu verfolgen.“

Geheimrat Rumfutsch, in den Apparat: „Befehl des Protektors! Die Tschechen, die frei von hier gehen –.“

Pavel: „Und wenn die Spur in die Karpaten führt! Hinter den Ural! Meine Geheime Staatspolizei ist für nichts anderes da. Den letzten Mann einsetzen!“

Geheimrat Rumfutsch wiederholt: „Die Nachforschungen können weitläufig sein. Langwierig. Kostspielig. Die Geheime Staatspolizei gegen die Tschechische Geheimarmee! Bis zum Entscheidungskampf! Befehl des Führers!“ Er hängt ein.

Pavel, hält an: „Befehl des Führers. Plötzlich erleuchtet, Rumfutsch!“

Geheimrat Rumfutsch: „Das historische Gespräch Eurer Exzellenz mit dem Führer hat allerdings die Lage erhellt.“

Die Stenotypistin, kleinlaut: „Sie sieht verzweifelt aus. Rumfutsch bleibt im Amt.“

Der Sekretär: „Er steigt zur Allmacht auf.“

Die Stenotypistin: „Wie, wenn wir ihn veranlaßten, deine Frau mit aufzuhängen. Ihm kann es nichts mehr ausmachen.“

Der Sekretär: „Beherrsche deine Zärtlichkeit, Geliebte!“