BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Heinrich Mann

1871 - 1950

 

Lidice

 

1943

 

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13

 

Alle haben stumm hingehört, was die beiden Studierten sprechen.

Jaroslav Ondracek, für die benachbarte Gruppe: „Mein Junge redet klüger, als er bis jetzt sein kann. Die Prüfung kommt nach dem Lernen.“

Doktor Holar: „Die Prüfungen, die uns heute zugemutet werden, machen aus uns, ich weiß nicht was. Erwachte ich morgen mit einem fremden Gesicht, mich sollte es nicht wundern.“

Jaroslav, erschrickt: „Fremdes Gesicht!“

Pavel: „Aus mir wird nichts, ich habe noch nicht einmal das Staatsexamen.“

Jaroslav: „Nur die Deutschen müssen fort, und du bestehst es.“

Der Barbier: „Wer fort muß, das hab ich in meinem Laden gehört, heute nach dem hohen Besuch. Siebenundzwanzig Kunden sagten mir's siebenundzwanzigmal, genau gezählt.“

Der Schneider: „Schön was von staatsverräterischer Gesinnung wirst du in deinem Laden gehört haben.“

Der Barbier: „Genug für siebenundzwanzig mal siebenundzwanzig Jahre Konzentrationslager und zwangsweise Verschickung nach deutschen Waffenfabriken.“

Mehrere: „Pst!“

Ein Bergarbeiter: „Immer beim Barbier, dort öffnet man das Maul.“

Ein anderer: „Weil sie das Gesicht voll Seife und die Augen geschlossen haben, glauben sie, man hört's nicht.“

Der dritte: „Hier dagegen achtet jeder auf den anderen.“

Der vierte: „Vor allem wir.“

Der fünfte: „Müssen wir nicht? Von uns Bergarbeitern sind viele verschleppt, und Fremde haben wir bekommen, die passen auf.“

Der erste: „Obwohl sie selbst keine echten Deutschen sind.“

Franticek Eger rückt nahe zu ihnen: „Hat heut am Morgen keiner von euch eine Handgranate gehabt?“

Der fünfte Bergarbeiter: „Sieh in meinen Taschen nach!“

Franticek Eger: „Mir hat nur die Handgranate gefehlt. Der Heydrich war mir nicht entkommen, mir nicht.“

Der zweite Bergarbeiter: „Wen meint er?“

Der dritte: „Der Eger hat am lautesten Heil Hitler gerufen.“

Franticek Eger: „Schlau muß man sein.“

Jaroslav Ondracek: „Wenn du schlau bist, Franticek, machst du, daß du nach Haus und ins Bett kommst.“

Franticek Eger, will nichts gehört haben: „Dem alten Protektor Neurath hab ich einen Streich gespielt, wie er durch Lidice gefahren ist. ›Exzellenz!‹ hab ich gerufen. ›Nicht weiter! Straße ist unterminiert, werden Sie in die Luft fliegen.‹“

Doktor Holar: „War denn die Straße unterminiert?“

Franticek Eger: „Keine Spur. War er aber ausgestiegen, hätt ich ihn erwürgt.“

Doktor Holar, für Pavel: „Auch ein interessanter Fall.“ In diesem Augenblick sieht er die Veränderung, die mit Pavel vorgeht.

Pavel bekommt stufenweise ein krankhaft böses Gesicht. Seine Augen werden verkniffen und unheimlich, die Wangen verlängern sich, in die kurze Stirn fällt die Schmachtlocke, die krumme Nase senkt sich über die schlaffen Lippen. Der Hals ist eingezogen, die Haltung der Schultern lauernd und geduckt.

Jaroslav, untröstlich: „Die Fratze!“

Doktor Holar: „Macht er sie nicht das erste Mal?“

Jaroslav: „O nein. Doktor Holar, sagen Sie ihm, was er tut!“

Doktor Holar: „Trösten Sie sich, er weiß es.“

Einige sind erschrocken und zurückgewichen. Andere beobachten gespannt.

Ein Bergarbeiter: „Genau wie heute am Vormittag.“

Ein anderer: „Aber es ist noch besser geworden.“

Der dritte: „Verteufelter Pavel!“

Der vierte: „Ich weiß nicht, wen er vorstellt.“ Er sagt es für Franticek Eger, der auf Pavel starrt.

Der fünfte: „Ein Echo hat auch niemand gehört am Vormittag, nur die Deutschen.“

Pavel, mit der Stimme Heydrichs: „Ihr seid unverbesserliche Staatsfeinde, ich erkenne euch mit traumwandlerischer Sicherheit. Mein Subdirektor Matuschka sitzt im Irrenhaus, weil er euch auf der Spur war, ihr hattet euch verschworen, den Schacht zu ersäufen.“

Ein Bergarbeiter spielt mit, obwohl er sich fürchtet: „Exzellenz, bittschön, von dem Schacht leben unsere Frauen und Kinder.“

Pavel: „Ihr Tschechen haßt fanatisch wie nur Untermenschen. Die Arbeiter der Skodawerke sprengen sich selbst in die Luft.“

Franticek Eger, schreit unbändig: „Recht haben sie!“

Pavel, gegen Franticek Eger: „Niederschlagen! Aufhängen! Ins Lager bringen!“ Er spricht kalt und genußsüchtig.

Der Lehrer ist soeben eingetreten: „Wer ist denn das? Doch nicht der Pavel Ondracek.“

Franticek Eger: „Haben Sie keine Augen, Schulmeister? Das ist der Protektor, daß Sie ihn auch einmal kennen lernen! Heut am Vormittag war's der falsche, da sitzt der echte!“

Er ist zwischen den Schultern und Armen, die ihn zurückhalten wollen, auf den Tisch gesprungen, sogleich wird er über Pavel herfallen.

Der Lehrer, ein kräftiger Sechziger, holt ihn herunter: „Ist das ein Spaß, von wem dann? Den Pavel Ondracek hab ich das Abc gelehrt, Dummheiten verübte er schon damals selten, Verrätereien gar nicht.“

Franticek Eger ringt, aus den Fäusten des Lehrers loszukommen: „Ich soll ein Verräter sein, ich? Ein Deutschböhme bin ich.“

Der Schneider: „Er sagt es selbst.“

Franticek Eger: „Wir Deutschböhmen haben es von dem Feind ganz anders erfahren. Uns betrügt man nicht zum zweiten Mal. Jetzt, da hockt er, wartet nur auf mein langes Messer.“

Er hat einen Arm frei und scheint mit der erhobenen Faust ein eingebildetes Messer zu schwingen.

Der Schreiner: „Wo ist dein langes Messer? Lange Ohren hast du böser Bube, und bist ein Spitzel.“

Der Barbier ruft den Lehrer an: „Nicht loslassen, Herr Mancal! Ihr Bruder der Kaplan möcht um die verlorene Seele beten, aber festhalten tät er ihn.“

Der Lehrer: „Er wird schon matt.“

Einige lachen erleichtert.

Pavel: „Das Verhör ist für heute beendet. Abführen, den Angeklagten!“

Das Gelächter greift um sich.

Pavel, läßt die Maske fallen: „Wenn ihr lacht, war's schlecht. Nicht furchtbar genug.“

Doktor Holar: „Zu furchtbar, Kollege Ondracek. Das glaubt man Ihnen nicht.“

Jaroslav: „Er ist kein Schauspieler.“

Pavel, nachdenklich: „Aber der Heydrich ist ein Schauspieler, deshalb sollte man ihn kopieren können.“

Franticek Eger, setzt sich auf seinen vereinsamten Platz unweit der Tür: „Ich hab es ihm geglaubt. Der Kluge bin ich allein, und der Protektor ist dieser.“ Er hält die Kellnerin am Kleid zurück: „Weißt du schon, Mädchen, der Herr Protektor beehrt uns heute das zweite Mal, er gibt sich für den Pavel Ondracek aus.“

Die Kellnerin: „Schön gibt er sich aus. Du machst uns weis, du wärst der Franticek Eger.“

Franticek Eger: „Dir will ich mich anvertrauen, Schönheit, ich bin ein geheimer Agent, ein ganz geheimer.“

Die Kellnerin: „Der Deutschen.“

Franticek Eger: „Von wem, das sag ich nicht. Wenn du aber hören wirst, den Protektor hat's erwischt, so denk an mich, den heimlosen Knecht, den alle verachten.“

Die Kellnerin: „Mach dich nicht so klein, du bist nicht so groß.“

Sie geht weiter, hinter ihr stiehlt Franticek Eger sich hinaus.