BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Heinrich Mann

1871 - 1950

 

Lidice

 

1943

 

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14

 

Bei den Ondracek und den anliegenden Tischen wird leise verhandelt.

Ein Bergarbeiter: „So gut hab ich lange nicht mehr gelacht.“

Ein anderer: „Ganz bleich sahst du aus.“

Der dritte: „Du nicht?“

Der vierte: „Wir alle, aber es bleibt eine grausige Erheiterung.“

Der fünfte: „Ein Spaß muß recht furchtbar sein, dann wird er erst zum Lachen.“

Der erste: „Solang man uns nicht aufhängt.“

Pavel, aus seinem Gespräch mit Doktor Holar: „Wer wird euch schon aufhängen. Seid vernünftig!“

Viele lachen.

Jaroslav, betrübt: „Sie lachen dich aus, Pavel. Denn vernünftig – du warst es immer, nur gerade hierbei nicht.“

Der Lehrer: „Ihr Sohn, Herr Ondracek, wird sich etwas denken, er hat sich oftmals mehr als die anderen gedacht.“

Pavel: „Ich denke mir gar nichts, wenn das die Sache schlimmer macht.“

Doktor Holar: „Sie üben Ihre Maske ohne Zweck und Vorsatz. Dem Talent, das keinen Ehrgeiz hat, steht nichts im Wege, weder fremder Neid noch eigene Schüchternheit.“

Pavel: „Sie geben mir zu verstehen, daß ich ein Idiot bin.“

Doktor Holar: „Wenn ich Sie sonst nicht kennte. Übrigens liest man von erfinderischen Genies, die, allerdings in jüngeren Jahren als Sie, alle Merkmale der Minderwertigkeit zeigten.“

Pavel: „Herzlichen Dank.“

Doktor Holar: „Ich erlaubte mir einen schlechten Scherz, nach Ihrem vorzüglichen.“

Der Schneider, hat sich mit seinen Freunden besprochen: „Lustig, was kann's kosten. Ich fertige dem jungen Herrn eine schöne schwarze Uniform, soll nichts kosten. Kommt er in dem Kleid daher, wird er alle täuschen.“

Jaroslav: „Das könnte sehr viel kosten.“

Pavel: „Ich, jemanden täuschen?“

Der Lehrer: „Der hat sich nie verstellt. Ein neues Gesicht, wenn er es hätte, macht noch keinen Protektor.“

Doktor Holar: „Wie es bei uns jetzt zugeht, hätte ich selbst mich nicht gewundert, daß ich mit einem neuen Gesicht aufwache.“

Der Schneider, von seinen Freunden ermutigt: „Sagen Sie ja, Pavel! Nur, daß wir unsere Schande rächen mit einem Jux.“

Alle Angeheiterten trinken Pavel zu: „Vergilt ihnen, Pavel, mit einem Jux!“

Jaroslav: „Daraus kann mehr entstehen, als ihr denkt. Nachher sprecht ihr, ›ach, Pavel, hättest du uns nie gerächt!‹“

Pavel: „Ein neues Gesicht – gibt mir niemand. Ihr seht nur überall den Heydrich.“

Der Schreiner: „Franticek Eger glaubt sogar, Pavel und Heydrich wären eins.“

Pavel: „Ihr habt wohl vergessen, daß ich blond bin, und unser neuer Protektor hat dunkle Haare, wie unser Führer Hitler und wie alle Deutschen.“

Der Barbier: „Seit meiner Lehrzeit kann ich Perücken machen. Die letzte war für den Subdirektor Matuschka.“

Ein Bergarbeiter: „Der ist verrückt geworden.“

Pavel: „Sehr richtig, und ich hab ein harmloses Gemüt. Die böse Fratze muß ich ins Komische ziehen, ihr alle habt mich ausgelacht.“

Der Barbier: „Mit meiner Perücke gibt's keinen Spott mehr!“

Jaroslav: „Mein Sohn Pavel ist ein tüchtiger Mediziner. Hab ich recht, Doktor Holar?“

Doktor Holar: „Er ist tüchtig und ist gütig, beides zusammen macht den Arzt.“

Jaroslav: „Aber es macht nicht den Helden.“

Überzeugte Stimmen: „Oh! ja.“

Jaroslav, sehr gedämpft, aus Vertraulichkeit und Scham: „Andere Studenten haben deutsche Soldaten angegriffen, er nicht. Seine Freunde liegen in ihrem Blut, und er sitzt hier.“

Der Lehrer: „Gut, daß wir ihn haben, aber in Sicherheit sind weder er noch wir.“

Allgemeine Zustimmung.

Jaroslav, beschwörend: „Soll er jetzt als Heydrich über die Dorfstraße gehen, bis die Gestapo den armen Jungen abholt?“

Der Schneider, mit ausladenden Gesten, die ihn verständlich machen sollen: „Aber Herr Ondracek, das ist nicht vergleichbar.“

Mehrere, bei den Kleinbürgern und Arbeitern, reden durcheinander.

Die Kellnerin wiederholt klar: „Das können Sie nicht vergleichen, Deutsche angreifen, das erlebt ein jeder noch. Aber einen Protektor machen!“

Der Lehrer: „Was das Mädchen spricht, wahrhaftig hab ich mir's schon gedacht.“

Doktor Holar: „Nur nach dem Sinn frag ich bis jetzt vergebens.“

Jaroslav: „Nicht wahr?“

Doktor Holar: „Pavel allein wird den Sinn kennen, obwohl er schweigt.“

Jaroslav, legt die Hand auf den Arm Pavels. Verhaltener Stolz: „Die Taten müssen gut ausgehen, ihr Sinn stellt sich schon ein.“

Beifall. Ein Bergarbeiter ruft Heil Hitler! Alle stimmen lärmend ein, der Lehrer und Doktor Holar mit verbissenen Gesichtern.

Plötzlich tritt Stille ein. Jaroslav hat den Kopf nach dem Bildnis über ihm erhoben.

Jaroslav: „Mir ist, als hörte er. Wir waren zu laut.“

Der Schreiner: „Er hört uns nicht allein.“ Der Schreiner wendet den Hals nach dem Platz, wo Franticek Eger saß: „Da sind auch Spitzel mit langen Ohren.“

Die Kellnerin: „Der ist lange fort. Wie, Herr Pavel? Wir beide haben achtgegeben, als der Eger sich drückte.“

Pavel: „Freunde! Merkt's euch, unachtsam konspiriert man nicht.“

Doktor Holar, nickt dem Vater Pavels zu: „Sehr merkwürdig, Ihr Sohn ist gleichzeitig abwesend und zugegen. Der verspricht.“

Die Kellnerin war hinausgegangen, sie kehrt mit der Wirtin zurück.

Die Wirtin: „Der Eger schlich auf dem Flur umher, er wollte euch behorchen. So hab ich ihn in die Küche genommen und ihm zu essen gegeben.“

Pavel: „Umsichtig, Frau Klepetar. Es muß wahr sein, wir Tschechen verstehen uns ohne Worte.“

Die Wirtin: „Seid ihr fertig? Dann laß ich ihn laufen.“

Pavel: „Wir sind fertig.“ Er steht auf und veranlaßt auch seinen Vater aufzustehen.

Die Wirtin: „Gleich bring ich selbst euch den Kaffee, auch Nußbeugerln, frisch gebacken.“

Pavel: „Mein Alter und ich, wir müssen leider eilen. Sie verstehen.“

Die Wirtin: „Ob ich verstehe.“ Sie geht hinaus.

Ein Bergarbeiter: „Frau Klepetar ist nicht die einzige.“

Zustimmung.

Pavel: „Seht ihr.“ Er nimmt Jaroslav beim Arm: „Mein Alter war der Gescheite. Ich hätte den armen Narren –.“

Unterbrechungen: „Bösartig! Gefährlich!“

Pavel: „Wie ihr wollt. Ich hätt ihn längst schon fortgeschickt, dann wäre jetzt nichts zu machen mit ihm.“

Die Kellnerin: „Daß du ihn sicher verwahrst, Pavel!“

Der Lehrer: „Die Unschuld hat gesprochen.“

Ein anderer Bergarbeiter: „Wir werden nicht bemerken, daß einer verschwindet.“

Stummes Einverständnis der Versammlung.

Doktor Holar: „Denn geschehen ist ihm bestimmt nichts.“

Pavel und Jaroslav verlassen die Gaststube und das Wirtshaus.