BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Heinrich Mann

1871 - 1950

 

Lidice

 

1943

 

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12

 

Das Wirtshaus im Dorf Lidice.

Es ist noch derselbe Sonntag, am Abend haben besonders viele Einwohner sich versammelt. Die Bergarbeiter und die Kleinbürger sitzen an denselben Tischen beim Bier. Einige haben ihre Frauen oder Bräute mitgebracht, nicht aber Pavel Ondracek.

Die beiden Ondracek Vater und Sohn nehmen den Platz beim Ofen ein, die anderen Tische stoßen im Winkel an den ihren.

Zu beiden Seiten des Ofens hängen Bilder, ein Marienbild und eines, das gegen die Wand gekehrt ist.

Franticek Eger hält die Mitte, zusammen mit dem Gendarmen, der ihn heute morgen hatte auf das Rad steigen lassen. Die beiden sind nicht gerade ausgesondert, aber man behält sie im Auge.

Ein Bergarbeiter: „Der Subdirektor Matuschka ist, hör ich, verrückt geworden.“

Ein anderer: „Heute auf den Schlag Mittag hat er den Verstand verloren.“

Der dritte: „Am Sonntag braucht er keinen Verstand, der Subdirektor. Erst Montag punkt acht Uhr muß er ihn wiederhaben.“

Der vierte: „Das möcht ihm auch nicht helfen, denn sie haben ihn schon abgeliefert.“

Der fünfte: „Dahin kommt es mit einem zornmütigen Subdirektor. Immer hat er getobt und geschrien; ihm war es nie genug, was wir Kohlen förderten.“

Der erste: „Der Matuschka hat aber gesoffen.“

Der fünfte: „Von seiner großen Macht über die Leute war er besoffen.“

Der zweite: „Das ist ungesund.“

Der dritte: „Es muß ein hübsches Gefühl sein, so umherfahren und jedesmal anhalten, wenn mir die Lust kommt, arme Tschechen anzubrüllen und niederzuschlagen.“

Der vierte: „Was sagst du da, in dieser Art hat der Subdirektor es getrieben?“

Der fünfte: „Seht ihr, dafür ist er jetzt zu den Narren abgeliefert.“

Der erste: „Auch ein Subdirektor muß achtgeben auf die Gesundheit.“

Franticek Eger: „Herr Gendarm, entweder sind wir beide blöd, oder hier fallen hochverräterische Anspielungen.“

Der Gendarm: „Ich bitt mir's aus, Sie allein sind blöd.“

Franticek Eger: „Daß ich auch immer falsch versteh! Es ist ein Geburtsfehler.“

Der Gendarm, trinkt aus und steht auf: „Kehrt nur ruhig das Bild wieder auf die richtige Seite, ich seh es ja nicht.“ Er verläßt die Gaststube.

Pavel Ondracek, hebt das Bild ab und dreht es um, das ernste Gesicht des Präsidenten Masaryk blickt auf die Versammlung nieder.

Bei den Kleinbürgern sagt der Kaufmann: „Der ist viel über achtzig gewesen, als wir ihn verloren.“

Der Schneider: „Der Präsident Befreier hat so lang gelebt, wie für unsere Republik noch Hoffnung war.“

Der Schreiner: „Wir haben damals noch nicht bemerkt, daß es schlimm stand.“

Der Schneider: „Er. aber, er hat's vorhergewußt, ist ungern von uns gegangen.“

Der Kaufmann: „Damit einer so weise wird, muß er alle Bücher kennen, muß Doktor und Professor sein.“

Der Schneider: „Und ein Herz muß er haben für alle Armen, Ungelehrten.“

Pavel, macht Platz für den Arzt, der eingetreten ist: „Doktor Holar, ist das Herz noch mehr als eine Pumpe?“

Doktor Holar: „Die Meinung unserer Mitbürger scheint mir zu sein, daß großes Wissen über die Menschen erst das wahre Mitgefühl mit ihnen ergibt.“

Pavel: „Wer aber das Notwendige erkennt und es tut, damit in der Republik weniger Unglück sei, denkt er an die Menschen? Oder will er, daß seiner eigenen Vernunft gedient sei?“

Doktor Holar, hinauf zu dem Bildnis: „Ihn können wir nichts fragen.“