BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Georg Heym

1887 - 1912

 

Der ewige Tag

 

1911

 

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Flamma

 

Der Tod der Liebenden

 

Durch hohe Tore wird das Meer gezogen

Und goldne Wolkensäulen, wo noch säumt

Der späte Tag am hellen Himmelsbogen

Und fern hinab des Meeres Weite träumt.

 

5

«Vergiß der Traurigkeit, die sich verlor

Ins ferne Spiel der Wasser, und der Zeit

Versunkner Tage. Singt der Wind ins Ohr

Dir seine Schwermut, höre nicht sein Leid.

 

Laß ab von Weinen. Bei den Toten unten

10

Im Schattenlande werden bald wir wohnen

Und ewig schlafen in den Tiefen drunten,

In den verborgenen Städten der Dämonen.

 

Dort wird uns Einsamkeit die Lider schließen.

Wir hören nichts in unserer Hallen Räumen,

15

Die Fische nur, die durch die Fenster schießen,

Und leisen Wind in den Korallenbäumen.

 

Wir werden immer beieinander bleiben

Im schattenhaften Walde auf dem Grunde.

Die gleiche Woge wird uns dunkel treiben,

20

Und gleiche Träume trinkt der Kuß vom Munde.

 

Der Tod ist sanft. Und die uns niemand gab,

Er gibt uns Heimat. Und er trägt uns weich

In seinem Mantel in das dunkle Grab,

Wo viele schlafen schon im stillen Reich.»

 

25

Des Meeres Seele singt am leeren Kahn.

Er treibt davon, ein Spiel den tauben Winden

In Meeres Einsamkeit. Der Ozean

Türmt fern sich auf zu schwarzer Nacht, der Blinden.

 

In hohen Wogen schweift ein Kormoran

30

Mit grünen Fittichs dunkler Träumerei.

Darunter ziehn die Toten ihre Bahn.

Wie blasse Blumen treiben sie vorbei.

 

Sie sinken tief. Das Meer schließt seinen Mund

Und schillert weiß. Der Horizont nur bebt

35

Wie eines Adlers Flug, der von dem Sund

Ins Abendmeer die blaue Schwinge hebt.

 

 

Ophelia

 

I

Im Haar ein Nest von jungen Wasserratten,

Und die beringten Hände auf der Flut

Wie Flossen, also treibt sie durch den Schatten

Des großen Urwalds, der im Wasser ruht.

 

5

Die letzte Sonne, die im Dunkel irrt,

Versenkt sich tief in ihres Hirnes Schrein.

Warum sie starb? Warum sie so allein

Im Wasser treibt, das Farn und Kraut verwirrt?

 

Im dichten Röhricht steht der Wind. Er scheucht

10

Wie eine Hand die Fledermäuse auf.

Mit dunklem Fittich, von dem Wasser feucht

Stehn sie wie Rauch im dunklen Wasserlauf,

 

Wie Nachtgewölk. Ein langer, weißer Aal

Schlüpft über ihre Brust. Ein Glühwurm scheint

15

Auf ihrer Stirn. Und eine Weide weint

Das Laub auf sie und ihre stumme Qual.

 

II

Korn. Saaten. Und des Mittags roter Schweiß.

Der Felder gelbe Winde schlafen still.

Sie kommt, ein Vogel, der entschlafen will.

Der Schwäne Fittich überdacht sie weiß.

 

5

Die blauen Lider schatten sanft herab.

Und bei der Sensen blanken Melodien

Träumt sie von eines Kusses Karmoisin

Den ewigen Traum in ihrem ewigen Grab.

 

Vorbei, vorbei. Wo an das Ufer dröhnt

10

Der Schall der Städte. Wo durch Dämme zwingt

Der weiße Strom. Der Widerhall erklingt

Mit weitem Echo. Wo herunter tönt

 

Hall voller Straßen. Glocken und Geläut.

Maschinenkreischen. Kampf. Wo westlich droht

15

In blinde Scheiben dumpfes Abendrot,

In dem ein Kran mit Riesenarmen dräut,

 

Mit schwarzer Stirn, ein mächtiger Tyrann,

Ein Moloch, drum die schwarzen Knechte knien.

Last schwerer Brücken, die darüber ziehn

20

Wie Ketten auf dem Strom, und harter Bann.

 

Unsichtbar schwimmt sie in der Flut Geleit.

Doch wo sie treibt, jagt weit den Menschenschwarm

Mit großem Fittich auf ein dunkler Harm,

Der schattet über beide Ufer breit.

 

25

Vorbei, vorbei. Da sich dem Dunkel weiht

Der westlich hohe Tag des Sommers spät,

Wo in dem Dunkelgrün der Wiesen steht

Des fernen Abends zarte Müdigkeit.

 

Der Strom trägt weit sie fort, die untertaucht,

30

Durch manchen Winters trauervollen Port.

Die Zeit hinab. Durch Ewigkeiten fort,

Davon der Horizont wie Feuer raucht.