Georg Heym
1887 - 1912
Der ewige Tag
1911
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Hortus
April
Das erste Grün der Saat, von Regen feucht,Zieht weit sich hin an niedrer Hügel Flucht.Zwei große Krähen flattern aufgescheuchtZu braunem Dorngebüsch in grüner Schlucht.
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5 | Wie auf der stillen See ein Wölkchen steht,So ruhn die Berge hinten in dem Blau,Auf die ein feiner Regen niedergeht,Wie Silberschleier, dünn und zitternd grau.
Sonnwendtag
Es war am Sommersonnwendtag,Dein braunes Haar im Nacken lagWie Gold und schwere Seiden.
Da nahmst du mir die feine Hand. |
5 | Und hinter dir stob auf der SandDes Feldwegs an den Weiden.
Von allen Bäumen floß der Glanz.Dein Ritt war lauter ElfentanzHin über rote Heiden.
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10 | Und um mich duftete der Hag,Wie nur am Sommersonnwendtag,Ein Dank und Sichbescheiden.
Die Ruhigen
Ernst Balcke gewidmet
Ein altes Boot, das in dem stillen HafenAm Nachmittag an seiner Kette wiegt.Die Liebenden, die nach den Küssen schlafen.Ein Stein, der tief im grünen Brunnen liegt.
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5 | Der Pythia Ruhen, das dem Schlummer gleichtDer hohen Götter nach dem langen Mahl.Die weiße Kerze, die den Toten bleicht.Der Wolken Löwenhäupter um ein Tal.
Das Stein gewordene Lächeln eines Blöden. |
10 | Verstaubte Krüge, drin noch wohnt der Duft.Zerbrochne Geigen in dem Kram der Böden.Vor dem Gewittersturm die träge Luft.
Ein Segel, das vom Horizonte glänzt.Der Duft der Heiden, der die Bienen führt. |
15 | Des Herbstes Gold, das Laub und Stamm bekränzt.Der Dichter, der des Toren Bosheit spürt.
Columbus
12. Oktober 1492
Nicht mehr die Salzluft, nicht die öden Meere,Drauf Winde stürmen hin mit schwarzem Schall.Nicht mehr der großen Horizonte Leere,Draus langsam kroch des runden Mondes Ball.
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5 | Schon fliegen große Vögel auf den WassernMit wunderbarem Fittich blau beschwingt.Und weiße Riesenschwäne mit dem blassernGefieder sanft, das süß wie Harfen klingt.
Schon tauchen andre Sterne auf in Chören, |
10 | Die stumm wie Fische an dem Himmel ziehn.Die müden Schiffer schlafen, die betörenDie Winde, schwer von brennendem Jasmin.
Am Bugspriet vorne träumt der GenueserIn Nacht hinaus, wo ihm zu Füßen blähn |
15 | Im grünen Wasser Blumen, dünn wie Gläser,Und tief im Grund die weißen Orchideen.
Im Nachtgewölke spiegeln große Städte,Fern, weit, in goldnen Himmeln wolkenlos,Und wie ein Traum versunkner Abendröte |
20 | Die goldnen Tempeldächer Mexikos.
Das Wolkenspiel versinkt im Meer. Doch ferneZittert ein Licht im Wasser weiß empor.Ein kleines Feuer, zart gleich einem Sterne.Dort schlummert noch in Frieden Salvador.
Gegen Norden
Die braunen Segel blähen an den Trossen,Die Kähne furchen silbergrau das Meer.Der Borde schwarze Netze hangen schwerVon Schuppenleibern und von roten Flossen.
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5 | Sie kehren heim zum Kai, wo raucht die StadtIn trübem Dunst und naher Finsternis.Der Häuser Lichter schwimmen ungewißWie rote Flecken, breit, im dunklen Watt.
Fern ruht des Meeres Platte wie ein Stein |
10 | Im blauen Ost. Von Tages Stirne sinktDer Kranz des roten Laubes, da er trinkt,Zur Flut gekniet, von ihrem weißen Schein.
Es zittert Goldgewölke in den WeitenVom Glanz der Bernsteinwaldung, die enttaucht, |
15 | Verlorner Tiefe, wenn die Dämmerung raucht,In die sich gelb die langen Äste breiten.
Versunkne Schiffer hängen in den Zweigen.Ihr langes Haar schwimmt auf der See wie Tang.Die Sterne, die dem Grün der Nacht entsteigen, |
20 | Beginnen frierend ihren Wandergang.
Der Winter
Der blaue Schnee liegt auf dem ebenen Land,Das Winter dehnt. Und die Wegweiser zeigenEinander mit der ausgestreckten HandDer Horizonte violettes Schweigen.
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5 | Hier treffen sich auf ihrem Weg ins LeereVier Straßen an. Die niedren Bäume stehenWie Bettler kahl. Das Rot der VogelbeereGlänzt wie ihr Auge trübe. Die Chausseen
Verweilen kurz und sprechen aus den Ästen. |
10 | Dann ziehn sie weiter in die EinsamkeitGen Nord und Süden und nach Ost und Westen,Wo bleicht der niedere Tag der Winterzeit.
Ein hoher Korb mit rissigem GeflechtBlieb von der Ernte noch im Ackerfeld. |
15 | Weißbärtig, ein Soldat, der nach GefechtUnd heißem Tag der Toten Wache hält.
Der Schnee wird bleicher, und der Tag vergeht.Der Sonne Atem dampft am Firmament,Davon das Eis, das in den Lachen steht |
20 | Hinab die Straße rot wie Feuer brennt.
Der Abend
Versunken ist der Tag in Purpurrot,Der Strom schwimmt weiß in ungeheurer Glätte.Ein Segel kommt. Es hebt sich aus dem BootAm Steuer groß des Schiffers Silhouette.
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5 | Auf allen Inseln steigt des Herbstes WaldMit roten Häuptern in den Raum, den klaren.Und aus der Schluchten dunkler Tiefe halltDer Waldung Ton, wie Rauschen der Kitharen.
Das Dunkel ist im Osten ausgegossen, |
10 | Wie blauer Wein kommt aus gestürzter Urne.Und ferne steht, vom Mantel schwarz umflossen,Die hohe Nacht auf schattigem Kothurne.
Herbst
Die Faune treten aus den Wäldern alle,Des Herbstes Chor. Ein ungeheurer Kranz.Die Hände haltend, springen sie zum SchalleDer Widderhörner froh zu Tal im Tanz.
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5 | Der Lenden Felle schüttern von dem Sturze,Die weiß und schwarz wie Ziegenvlies gefleckt.Der starke Nacken stößt empor das kurzeGehörn, das sich aus rotem Weinlaub streckt.
Die Hufe schallen, die vom Horne starken. |
10 | Den Thyrsus haun sie auf die Felsen laut.Der Paian tönt in die besonnten Marken,Der Brustkorb bläht mit zottig schwarzer Haut.
Des Waldes Tiere fliehen vor dem LärmeIn Scharen flüchtig her und langem Sprung. |
15 | Um ihre Stirne fliegen Falterschwärme,Berauscht von ihrer Kränze Duft und Trunk.
Sie nahn dem Bache, der von Schilf umzogenDurch Wiesen rauscht. Das Röhricht läßt sie ein.Sie springen mit den Hufen in die Wogen |
20 | Und baden sich vom Schlamm der Wälder rein.
Das Schilfrohr tönt vom Munde der Dryaden,Die auf den Weiden wohnen im Geäst.Sie schaun herauf. Ihr Rücken glänzt vom BadenWie Leder braun und wie von Öl genäßt.
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25 | Sie brüllen wild und langen nach den Zweigen.Ihr Glied treibt auf, von ihrer Gier geschwellt.Die Elfen fliegen fort, wo noch das SchweigenDes Mittagstraums auf goldnen Höhen hält.
Fronleichnamsprozession
O weites Land des Sommers und der Winde,Der reinen Wolken, die dem Wind sich bieten.Wo goldener Weizen reift und die GebindeDes gelben Roggens trocknen in den Mieten.
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5 | Die Erde dämmert von den Düften allen,Von grünen Winden und des Mohnes Farben,Des schwere Köpfe auf den Stielen fallenUnd weithin brennen aus den hohen Garben.
Des Feldwegs Brücke steigt im halben Bogen, |
10 | Wo helle Wellen weiße Kiesel feuchten.Die Wassergräser werden fortgezogen,Die in der Sonne aus dem Bache leuchten.
Die Brücke schwankt herauf die erste Fahne.Sie flammt von Gold und Rot. Die Seidenquasten |
15 | Zu beiden Seiten halten KastellaneIm alten Chorrock, dem von Staub verblaßten.
Man hört Gesang. Die jungen Priester kommen.Barhäuptig gehen sie vor den Prälaten.Zu Flöten schallt der Meßgesang. Die frommen |
20 | Und alten Lieder wandern durch die Saaten.
In weißen Kleidchen kommen Kinder singend.Sie tragen kleine Kränze in den Haaren.Und Knaben, runde Weihrauchkessel schwingend,Im Spitzenrock und roten Festtalaren.
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25 | Die Kirchenbilder kommen auf Altären.Mariens Wunden brennen hell im Licht.Und Christus naht, von Blumen bunt, die wehrenDie Sonne von dem gelben Holzgesicht.
Im Baldachine glänzt des Bischofs Krone. |
30 | Er schreitet singend mit dem heiligen Schrein.Der hohe Stimmenschall der DiakoneFliegt weit hinaus durch Land und Felderreihn.
Der Truhen Glanz weht um die alte Tracht.Die Kessel dampfen, drin die Kräuter kohlen. |
35 | Sie ziehen durch der weiten Felder Pracht,Und matter glänzen die vergilbten Stolen.
Der Zug wird kleiner. Der Gesang verhallt.Sie ziehn dahin, dem grünen Wald entgegen.Er tut sich auf. Der Glanz verzieht im Wald, |
40 | Wo goldne Stille träumt auf dunklen Wegen.
Der Mittag kommt. Es schläft das weite Land,Die tiefen Wege, wo die Schwalbe schweift,Und eine Mühle steht am Himmelsrand,Die ewig nach den weißen Wolken greift.
Der Tag
Palmyras Tempelstaub bläst auf der Wind,Der durch die Hallen säuselt in der ZeitDes leeren Mittags, wo die Sonne weitIm Blauen rast. Der goldene Atem spinnt,
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5 | Der goldene Staub des Mittags sich wie RauchIm Glanz der Wüste, wie ein seidenes ZeltDer ungeheuren Fläche. Dach der Welt.Wie ferne Flöten tönt des Zephirs Hauch,
Und leise singt der Sand. Doch unverweilt |
10 | Jagt hoch das Licht. Damaskus' RosenduftSchlägt auf wie eine Woge in die Luft,Wie eine Flamme, die den Äther teilt.
Der weißen Stiere roter Blutsaft schäumtAuf Tempelhöfen, wo das Volk im Kranz |
15 | Des Blutes Regen fühlt, und seinen Glanz,Der mit Rubinen ihre Togen säumt.
Ein Tänzer tanzt im blauen MittagsrotAuf weißer Platte, der vom Strahle trank.-Das Licht entflieht. Der Libanon versank, |
20 | Der Zedern Haus, das sich dem Gotte bot.
Und westwärts eilt der Tag. Mit tiefem GoldIst weit des Westens Wölbung angefüllt:Des Gottes Rundschild, der die Schultern hülltDes Flüchtigen. Sein blauer Helmbusch rollt
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25 | Darob im Sturme weit am Horizont,Am Meer, und seiner Inseln Perlenseil.Er eilt dahin, wo schon der Ida steilMit Eichen tost und dröhnt der Hellespont.
Das Stromland fort, dem grünen Abend zu. |
30 | Wie der Drommete Ton erschallt sein GangAn Ossas Echo. Troas Schilf entlang,In rote Wälder tritt sein Purpurschuh,
In Sammetwiesen weich. Dem Feuer nach,Das einst gen Argos flog, tritt machtvoll er |
35 | Auf Chalkis hin. Darunter rauscht das MeerHervor aus grüner Grotten Steingemach.
Sein Arm, den er auf Meer und Lande streckt,Ragt dunkel auf wie eine Feuersbrunst.Sein Atem füllt das Meer mit schwarzem Dunst, |
40 | Des weißes Maul die roten Sohlen leckt.
Auf Marathon schleppt seines Mantels Saum,Ein violetter Streif, wo schon das HornDer Muschel stimmt am Strand der Toten vornDer Sturmgott laut aus weißer Brandung Schaum.
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45 | Des Rohres rote Fahnen rührt der WindVon seines Fußes Fittich um am StrandDer fernen Elis, da der Nacht Trabant,Schildknappe Mond, den dunklen Pfad beginnt. |