Georg Heym
1887 - 1912
Der ewige Tag
1911
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Ara mortis
Styx
IDie Nebel graun, die keinem Winde weichen.Die giftigen Dünste schwängern weit das Tal.Ein blasses Licht scheint in der Toten Reichen,Wie eines Totenkopfes Auge fahl.
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5 | Entsetzlich wälzt sich hin der Phlegeton.Wie tausend Niagaras hallt sein Brüllen.Die Klüfte wanken von den Schreien schon,Die im Orkan die Feuerfluten füllen.
Sie glühn von Qualen weiß. Wie Steine rollen |
10 | Den Fluß herab sie in der trüben Glut,Wie des geborstenen Eises RiesenschollenSo schmettert ihre Leiber hin die Flut.
Sie reiten aufeinander nackt und wild,Von Zorn und Wollust aufgebläht wie Schwämme. |
15 | Ein höllischer Choral im Takte schwilltVom Grunde auf bis zu dem Kamm der Dämme.
Auf einem fetten Greise rittlings reitetEin nacktes Weib mit schwarzem Flatterhaar.Und ihren Schoß und ihre Brüste breitet |
20 | Sie lüstern aus vor der Verdammten Schar.
Da brüllt der Chor in aufgepeitschter Lust.Das Echo rollt im roten Katarakt.Ein riesiger Neger steigt herauf und packtDen weißen Leib an seine schwarze Brust.
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25 | Unzählige Augen sehn den Kampf und trinkenDen Rausch der Gier. Er braust durch das Gewühl,Da in dem Strom die Liebenden versinken,Den Göttern gleich im heißen Purpurpfühl.
IIDes Himmels Schläfrigkeit entflohn,Den Spinneweben, die der CherubimErhobene Nasen schon wie Efeu decken,Dem milden Frieden, der wie Öl so fett, |
5 | Ein Bettler, lungert in den Ecken faul,Dem Tabaksdunst aus den Pastorenpfeifen,Der Trinität, die bei den LobgesängenVon alten Tanten auf dem Sofa schläft,Dem ganzen großen Armenhospital, |
10 | - Verdammten selbst wir uns und kamen herAuf dieser Insel weite Ödigkeit,Die wie ein Bootskiel in den Wellen steht,Um bis zum Ende aller EwigkeitDem ungeheuren Strome zuzuschaun.
Wolken
Der Toten Geister seid ihr, die zum Flusse,Zum überladnen Kahn der WesenlosenDer Bote führt. Euer Rufen hallt im TosenDes Sturms und in des Regens wildem Gusse.
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5 | Des Todes Banner wird im Zug getragen.Des Heers carroccio führt die Wappentiere.Und graunhaft weiß erglänzen die Paniere,Die mit dem Saum die Horizonte schlagen.
Es nahen Mönche, die in Händen bergen |
10 | Die Totenlichter in den Prozessionen.Auf Toter Schultern morsche Särge thronen.Und Tote sitzen aufrecht in den Särgen.
Ertrunkene kommen. Ungeborner Leichen.Gehenkte blaugeschnürt. Die Hungers starben |
15 | Auf Meeres fernen Inseln. Denen NarbenDes schwarzen Todes umkränzen rings die Weichen.
Es kommen Kinder in dem Zug der Toten,Die eilend fliehn. Gelähmte vorwärts hasten.Der Blinden Stäbe nach dem Pfade tasten. |
20 | Die Schatten folgen schreiend dem stummen Boten.
Wie sich in Windes Maul des Laubes TanzHindreht, wie Eulen auf dem schwarzen Flug,So wälzt sich schnell der ungeheure Zug,Rot überstrahlt von großer Fackeln Glanz.
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25 | Auf Schädeln trommeln laut die Musikanten,Und wie die weißen Segel blähn und knattern,So blähn der Spieler Hemden sich und flattern.Es fallen ein im Chore die Verbannten.
Das Lied braust machtvoll hin in seiner Qual, |
30 | Vor der die Herzen durch die Rippen glimmen.Da kommt ein Haufe mit verwesten Stimmen,Draus ragt ein hohes Kreuz zum Himmel fahl.
Der Kruzifixus ward einhergetragen.Da hob der Sturm sich in der Toten Volke. |
35 | Vom Meere scholl und aus dem Schoß der WolkeEin nimmer endend grauenvolles Klagen.
Es wurde dunkel in den grauen Lüften.Es kam der Tod mit ungeheuren Schwingen.Es wurde Nacht, da noch die Wolken gingen |
40 | Dem Orkus zu, den ungeheuren Grüften.
Gruft (I)
Die in der großen Gruft des Todes ruhen,Wie schlafen sie so stumm im hohlen Sarg.Des Todes Auge schaut auf stumme TruhenAus schwarzem Marmorhaupte hohl und karg.
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5 | Sein dunkler Mantel starrt von Staub und Spinnen.Vor alters schlossen sie der Toten Gruft.Vergessen wohnen sie. Die Jahre rinnenEin unbewegter Strom in dumpfer Luft.
Nach Weihrauch duftet es und morschen Kränzen, |
10 | Von trocknen Salben ist die Luft beschwert.Und in geborstnen Särgen schwimmt das GlänzenDer Totenkleider, dran Verwesung zehrt.
Aus einer Fuge hängt die schmale HandVon einem Kind, wie Wachs so weiß und kalt, |
15 | Die, balsamiert, sich um das SammetbandDer schon in Staub zerfallnen Blumen krallt.
Durch kleine Fenster hoch im Dunkel obenVerirrt sich gelb des Winterabends Schein.Sein schmales Band, mit blassem Staub verwoben, |
20 | Ruht auf der Sarkophage grauem Stein.
Der Wind zerschlägt ein Fenster. Aus den HändenNimmt er der Toten dürre Kränze fortUnd treibt sie vor sich hin an hohen Wänden,In ewigen Schatten weit und dunklen Ort.
Die Heimat der Toten
IDer Wintermorgen dämmert spät herauf.Sein gelber Turban hebt sich auf den RandDurch dünne Pappeln, die im schnellen LaufVor seinem Haupte ziehn ein schwarzes Band.
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5 | Das Rohr der Seen saust. Der Winde PfadDurchwühlt es mit dem ersten Lichte grell.Der Nordsturm steht im Feld wie ein SoldatUnd wirbelt laut auf seinem Trommelfell.
Ein Knochenarm schwingt eine Glocke laut. |
10 | Die Straße kommt der Tod, der Schifferknecht.Um seine gelben Pferdezähne stautDes weißen Bartes spärliches Geflecht.
Ein altes totes Weib mit starkem Bauch,Das einen kleinen Kinderleichnam trägt. |
15 | Er zieht die Brust wie einen Gummischlauch,Die ohne Milch und welk herunterschlägt.
Ein paar Geköpfte, die vom kalten SteinIm Dunkel er aus ihren Ketten las.Den Kopf im Arm. Im Eis den Morgenschein, |
20 | Das ihren Hals befror mit rotem Glas.
Durch klaren Morgen und den WintertagMit seiner Bläue, wo wie RosenduftVon gelben Rosen, über Feld und HagDie Sonne wiegt in träumerischer Luft.
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25 | Des goldenen Tages Brücke spannt sich weitUnd tönt wie einer großen Leier Ton,Die Pappeln rauschen mit dem TrauerkleidDie Straße fort, wo weit der Abend schon
Mit Silberbächen überschwemmt das Land, |
30 | Und grenzenlos die ferne Weite brennt.Die Dämmerung steigt wie ein dunkler BrandDen Zug entlang, der in die Himmel rennt.
Ein Totenhain, und Lorbeer, Baum an Baum,Wie grüne Flammen, die der Wind bewegt. |
35 | Sie flackern riesig in den Himmelsraum,Wo schon ein blasser Stern die Flügel schlägt.
Wie große Gänse auf dem SäulenschaftSitzt der Vampire Volk und friert im Frost.Sie prüfen ihrer Eisenkrallen Kraft |
40 | Und ihre Schnäbel an der Kreuze Rost.
Der Efeu grüßt die Toten an dem Tor,Die bunten Kränze winken von der Wand.Der Tod schließt auf. Sie treten schüchtern vor,Verlegen drehend die Köpfe in der Hand.
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45 | Der Tod tritt an ein Grab und bläst hinein.Da fliegen Schädel aus der Erde SchoßWie große Wolken aus dem Leichenschrein,Die Bärte tragen rund von grünem Moos.
Ein alter Schädel flattert aus der Gruft, |
50 | Mit einem feuerroten Haar beschwingt,Das um sein Kinn, hoch oben in der Luft,Der Wind zu feuriger Krawatte schlingt.
Die leere Grube lacht aus schwarzem MundSie freundlich an. Die Leichen fallen um |
55 | Und stürzen in den aufgerissenen Schlund.Des Grabes Platte überschließt sie stumm.
IIDie Lider übereist, das Ohr verstopftVom Staub der Jahre, ruht ihr eure Zeit.Nur manchmal ruft euch noch ein Traum, der klopftVon fern an eure tote Ewigkeit,
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5 | In einem Himmel, der wie Schnee so fahlUnd von dem Zug der Jahre schon versteint.Auf eurem eingefallenen TotenmalWird eine Lilie stehn, die euch beweint.
Der Märznacht Sturm wird euren Schlaf betaun. |
10 | Der große Mond, der in dem Osten dampft,Wird tief in eure leeren Augen schaun,Darin ein großer, weißer Wurm sich krampft.
So schlaft ihr fort, vom Flötenspiel gewiegtDer Einsamkeit, im späten Weltentod, |
15 | Da über euch ein großer Vogel fliegtMit schwarzem Flug ins gelbe Abendrot.
Der fliegende Holländer
IWie Feuerregen füllt den OzeanDer schwarze Gram. Die großen Wogen türmtDer Südwind auf, der in die Segel stürmt,Die schwarz und riesig flattern im Orkan.
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5 | Ein Vogel fliegt voraus. Sein langes HaarSträubt von den Winden um das Haupt ihm groß.Der Wasser Dunkelheit, die meilenlos,Umarmt er riesig mit dem Schwingenpaar.
Vorbei an China, wo das gelbe Meer |
10 | Die Drachendschunken vor den Städten wiegt,Wo Feuerwerk die Himmel überfliegtUnd Trommeln schlagen um die Tempel her.
Der Regen jagt, der spärlich niedertropftAuf seinen Mantel, der im Sturme bläht. |
15 | Im Mast, der hinter seinem Rücken steht,Hört er die Totenuhr, die ruhlos klopft.
Die Larve einer toten EwigkeitHat sein Gesicht mit Leere übereist.Dürr, wie ein Wald, durch den ein Feuer reist. |
20 | Wie trüber Staub umflackert es die Zeit.
Die Jahre graben sich der Stirne ein,Die wie ein alter Baum die Borke trägt.Sein weißes Haar, das Wintersturmwind fegt,Steht wie ein Feuer um der Schläfen Stein.
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25 | Die Schiffer an den Rudern sind verdorrt,Als Mumien schlafen sie auf ihrer Bank.Und ihre Hände sind wie Wurzeln langHereingewachsen in den morschen Bord.
Ihr Schifferzopf wand sich wie ein Barett |
30 | Um ihren Kopf herum, der schwankt im Wind.Und auf den Hälsen, die wie Röhren sind,Hängt jedem noch ein großes Amulett.
Er ruft sie an, sie hören nimmermehr.Der Herbst hat Moos in ihrem Ohr gepflanzt, |
35 | Das grünlich hängt und in dem Winde tanztUm ihre welken Backen hin und her.
IIDich grüßt der Dichter, düsteres Phantom,Den durch die Nacht der Liebe Schatten führt,Im unterirdisch ungeheuern Dom,Wo schwarzer Sturm die Kirchenlampe schürt,
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5 | Die lautlos flackert, ein zerstörtes Herz,Von Qual durchlöchert, und die Trauer kranktIm Tode noch in seinem schwarzen Erz.An langen Ketten zittert es und schwankt.
Sein roter Schein flammt über Gräber hin. |
10 | An dem Altare kniet ein Ministrant,Zwei Dolche in der offnen Brust. DarinNoch schwelt und steigt trostloser Liebe Brand.
Durch schwarze Stollen flattert das Gespenst.Er folgt ihm blind, wo schwarze Schatten fliehn, |
15 | Den Mond an seiner Stirn, der trübe glänzt,Und Stimmen hört er, die vorüberziehn
Im hohlen Grund, der von den Qualen schwillt,Mit dumpfem Laut. Ein ferner WasserfallPocht an der Wand, und bittre Trauer füllt |
20 | Wie ein Orkan der langen Treppen Fall.
Fern kommt ein Zug von Fackeln durch ein Tor,Ein Sarg, der auf der Träger Schultern bebtUnd langsam durch den langen KorridorIn trauriger Musik vorüberschwebt.
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25 | Wer ruht darin? Wer starb? Der matte TonDer Flöten wandert durch die Gänge fort.Ein dunkles Echo ruft er noch, wo schonDie Stille hockt an dem versunknen Ort.
Das Grau der Mitternacht wird kaum bedeckt |
30 | Von einer gelben Kerze, und es saustDer Wind die Gänge fort, der bellend schrecktDen Staub der Grüfte auf, der unten haust.
Maßlose Traurigkeit. In Nacht alleinVerirrt der Wandrer durch den hohen Flur, |
35 | Wo oben in der dunklen Wölbung SteinGestirne fliehn in magischer Figur. |