BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Rudolf Diesel

1858 - 1913

 

Solidarismus:

Natürliche wirtschaftliche

Erlösung des Menschen

 

Erstes Buch.

Wesen, Organisation und Wirkungen

des Solidarismus.

 

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Kapitel 3.

Organisation der Bienenstöcke. Arbeitsvertrag.

 

Die Grundbegriffe der Bienenstöcke wurden in Kapitel 1 aus den natürlichen Bedingungen gemeinsamer Produktion abgeleitet. Zum vollen Verständnis derselben ist eine nähere Erläuterung ihrer Organisation erforderlich.

 

 

Grundlagen und Zweck der Bienenstöcke.

 

Die Errichtung eines Bienenstocks durch die Volkskasse nach Maßgabe des Volksvertrags erfolgt, wie schon am Schlusse des vorigen Kapitels erwähnt, auf Grund von Bestimmungen, welche für alle Bienenstöcke dieselben sind und auf welche sowohl die Vorstände als sämtliche Bienen verpflichtet werden; dieselben enthalten die Bedingungen, unter welchen das gemeinsame Arbeiten in dem Bienenstock stattfindet, und die Beziehungen der Bienenstöcke zur Volkskasse und unter sich; die Gesamtheit dieser Bestimmungen bildet einen Vertrag, geschlossen zwischen den jeweiligen Mitgliedern des Bienenstocks als Nutznießer und der Volkskasse als Eigentümerin desselben. Dieser Vertrag heißt „Arbeitsvertrag der Bienenstöcke“.

Er enthält zunächst dieselbe Definition des Bienenstocks, welche auch im Volksvertrag enthalten ist (siehe Kapitel 2) und deshalb hier nicht wiederholt wird. Es geht daraus hervor, daß der Bienenstock die natürliche Vereinigung eines Produktionszentrums für einzelne Waren mit einem Konsumzentrum für alle Arten von Waren ist und gleichzeitig ein Zentrum vollständiger wirtschaftlicher Versorgung seiner Bienen und deren Angehörigen von der Geburt an bis zum Tode und in allen Lebenslagen. Der Bienenstock erfüllt diese Aufgabe mit ganz einfachen, natürlichen Mitteln und im wesentlichen selbständig. Die Intervention der [14] Volkskasse findet nur in wenigen Dingen statt, und nur in solchen, welche die gemeinsamen Interessen aller Bienenstöcke betreffen. Das Arbeitsprodukt des Bienenstocks ist das Resultat einer dreifachen Tätigkeit: dem Beschaffen der Materialien, dem Verarbeiten derselben und der Verteilung der fertigen Ware; das Erträgnis dieses Arbeitsprodukts ist Eigentum aller derjenigen, welche in einer der genannten drei Richtungen daran arbeiteten, gleichgültig in welcher Eigenschaft. Der Arbeitsvertrag der Bienenstöcke enthält alle Bestimmungen über die Organisation einer solchen Gemeinschaft.

 

 

Verwaltung und Leitung der Bienenstöcke.

 

Der Bienenstock ist ein Selbstbetrieb; die Bienen teilen sich in die Arbeit und in die Erträgnisse; sie sind alle Teilhaber des Geschäftes; sie haben die uneingeschränkte Nutznießung und Verwaltung desselben; sie leiten ihr Geschäft selbst durch eine Anzahl von Vertrauensleuten, welche sie aus ihrer Mitte unter den Beamten, Meistern und Arbeitern erwählen, und welche zusammen mit den von der Volkskasse ernannten Vorständen und mit dem Bienenstockarzt den Vorstandsausschuß des Bienenstocks bilden, welcher seine Sitzungen nach Bedarf abhält; der Delegierte der Volkskasse wohnt dessen Sitzungen beratend bei.

Dieser Ausschuß verfaßt die Arbeitsordnung des Bienenstocks, stellt die Bienen an, schließt mit ihnen die Dienstverträge, entscheidet über alle Geschäfts- und Verwaltungsangelegenheiten des Bienenstocks und kontrolliert die Ausführung seiner Beschlüsse. Der Vorstandsausschuß hat auch nach den Bestimmungen des Arbeitsvertrags bei Streitigkeiten Vermittlungsversuche zu machen, bzw. seinen Schiedsspruch abzugeben. Die gewählten Mitglieder des Vorstandsausschusses beziehen für ihre Tätigkeit ein um 10% erhöhtes Normaleinkommen. Der Vorstand ist der Vollstrecker der Beschlüsse des Ausschusses und der Vertreter der Bienenstöcke nach außen im Sinne des Handelsgesetzes.

In einer jährlichen Versammlung aller Bienen des Stockes gibt der Ausschuß Rechenschaft über seine Tätigkeit; jede Biene hat dort das Recht der freien Diskussion aller Geschäftsvorgänge und das Recht, durch die Wahl der Ausschußmitglieder ihrer Ansicht Geltung zu verschaffen; auch das Recht, in den Ausschuß gewählt zu werden, wenn sie das Vertrauen der übrigen Bienen genießt. Bei außergewöhnlichen Ereignissen können auch außerordentliche Versammlungen einberufen werden.

 

 

Finanzen der Bienenstöcke.

 

Ferner behandelt der Arbeitsvertrag die Finanzen der Bienenstöcke.

Das Anlage- und Betriebskapital derselben wird beschafft durch Aufnahme einer verzinslichen, in 50 Jahresraten aus den Einnahmen rückzahlbaren Anleihe, für deren Kapital und Zinsen die Volkskasse unter allen Umständen haftet.

Die Abrechnung des Geschäftsjahres des Bienenstocks geschieht nach denselben Grundsätzen wie in einem Geschäfte, in welchem eine Anzahl[15] Teilhaber, ohne fremde Hilfe beizuziehen, sich in die Arbeit teilen. Die Teilhaber ziehen von ihren Bruttoeinnahmen zunächst die Geschäftsunkosten aller Art ab, zu welchen selbstverständlich vorläufige Akonto Entnahmen zur Bestreitung ihrer laufenden Lebensbedürfnisse nicht gehören; sie bringen ferner in Abzug etwaige Rückzahlungen, welche sie laut eingegangener Schuldverpflichtungen für entliehenes Kapital zu leisten haben, sowie die vereinbarten Zinsen für solche Anleihen; endlich bringen sie in Abzug Sicherstellungen für zweifelhafte Debitoren, Abschreibungen und gewisse Reserven für alle Fälle der Zukunft, Neuanschaffungen u. dgl. Der Rest ist das Erträgnis des Geschäftes, welches unter die Teilhaber nach den unter ihnen bestehenden Vereinbarungen verteilt wird, selbstverständlich unter Abzug der im Laufe des Jahres von jedem einzelnen für seine laufenden Bedürfnisse im voraus entnommenen Beträge.

Derselbe Rechnungsmodus wird im Arbeitsvertrag auch für den Bienenstock festgelegt, welcher sich von dem eben beschriebenen Geschäft nur dadurch unterscheidet, daß die Teilhaber zahlreicher sind.

Nach Abzug der laufenden Geschäftsunkosten und der Beträge für Zinsen und zurückzuzahlende Kapitalien sowie nach vorsichtigen Sicherstellungen für zweifelhafte Debitoren, Abschreibungen und Rücklagen sowie einen Abzug für Dotierung eines Stipendienfonds für allgemeine Zwecke gehört das gesamte Erträgnis den Bienen als Gegenwert ihrer Arbeit. Auch sie entnehmen hiervon schon im Laufe des Jahres entsprechende Beträge voraus, welche der Ordnung halber von vornherein vereinbart sind und Normaleinkommen heißen, weil sie zur Bestreitung ihrer laufenden, normalen Lebensbedürfnisse dienen; im Laufe des Jahres werden auch die vereinbarten Zuschüsse für Krankheiten und Unfälle entnommen.

Der nunmehr verbleibende Rest, das Resterträgnis, gelangt unter den Bienen zur Verteilung. Aber ebenso wie die Bienen als vorsichtige Geschäftsleute ihren Betrieb durch genügende Rücklagen gegen Überraschungen und unvorhergesehene Schicksalsschläge schützen, werden sie auch als sparsame und vorsorgliche Privatleute durch entsprechende Rücklagen für ihr Alter, etwaige Invalidität sowie für ihre eventuellen Witwen und Waisen sorgen. Deshalb bestimmt der Arbeitsvertrag der Bienenstöcke, daß die Hälfte des Resterträgnisses für diese Fälle zurückzulegen und bei der Volkskasse in einen allen Bienenstöcken gemeinsamen Anteilfonds zur Verwahrung und Anlage zu hinterlegen ist. Die Volkskasse zahlt dann daraus die Senioren-, Invaliden-, Witwen- und Waisenanteile aus, wenn die Zeit dazu gekommen ist. Die zweite Hälfte des Resterträgnisses wird an die Bienen als Ergänzungseinkommen ausbezahlt und kann getrost und mit gutem Gewissen von denselben zur Verbesserung ihres materiellen Daseins und ihrer Lebensannehmlichkeit verwendet werden.

Die Verteilung des Ergänzungseinkommens findet genau in dem Verhältnis der Normaleinkommen statt; denn letztere werden zwischen dem Vorstandsausschuß und den Bienen nach ihren Fähigkeiten, ihrem Verhalten und ihren Leistungen frei vereinbart und bilden den Maßstab[16] für den Nutzen, den sie dem Bienenstock leisten. Ihrer Leistung entsprechend sind die Bienen am Gesamterträgnis beteiligt; dieser proportional ist nicht nur das Normal- und Ergänzungseinkommen, sondern auch der Senioren-, Invaliditäts-, Witwen- und Waisenanteil und jedes Einkommen überhaupt aus dem Bienenstock, welchen Namen es haben möge.

Für den Fall, daß die Erträgnisse des Bienenstocks zur Verteilung von Ergänzungseinkommen nicht ausreichen, entfallen dieselben selbstverständlich; sollten dieselben jedoch auch zur Auszahlung der vereinbarten Normaleinkommen sowie der Krankheits- und Unfallszuschüsse nicht ausreichen, so leistet die Volkskasse unter allen Umständen, ausgenommen bei Arbeitseinstellungen infolge von Kriegen, Revolutionen und Streiks, die Differenz, sowie sie ja auch für Kapital und Zins der Anleihe unbedingt haftet, falls der beinahe undenkbare Fall eintreten sollte, daß die Bruttoeinnahmen auch hierfür nicht ausreichen.

Trotzdem die Volkskasse Eigentümerin des Bienenstocks ist, verlangt dieselbe aus ihm keinen Gewinn und kann auch keinen erhalten, da das Gesamterträgnis den Bienen gehört. Da die Volkskasse aber grundsätzlich ihren Stammfonds nicht durch Spesen angreifen darf, so muß sie die mit ihrer Mühewaltung verbundenen Kosten decken und zwar in Form einer kleinen Prämie, welche sich nach der Höhe des Anleihekapitals des Bienenstocks richtet und zu den laufenden Geschäftsunkosten des letzteren rechnet.

Auf diesen Grundlagen stellt der Vorstandsausschuß des Bienenstocks alljährlich die Jahresabrechnung fest und rechnet mit den Bienen und der Volkskasse darüber ab.

 

 

Die sozialen Einrichtungen der Bienenstöcke.

 

Die sozialen Einrichtungen sind nicht freiwillig, sondern für jeden Bienenstock obligatorisch, und zwar in dem Umfange, wie sie von den Bienen und Brüdern beansprucht werden; deshalb enthält der Arbeitsvertrag der Bienenstöcke hierüber bestimmte Vorschriften.

Diese Einrichtungen unterscheiden sich in solche für das körperliche Wohl und solche für das geistig-sittliche Wohl; zu letzteren gehören auch diejenigen für Geselligkeit und Erholung.

 

Einrichtungen für das körperliche Wohl.

 

Jeder Bienenstock hat eine besteingerichtete Speisehalle zu errichten und den Benutzern darin gut zubereitete, nahrhafte und wohlschmeckende Kost zu Bienenpreisen sowie gutes Trinkwasser, Tee und Kaffee unentgeltlich zu verabreichen.

Der Bienenstock hat ferner für gute und hygienische Wohnungen für seine Bienen zu sorgen und denselben zu Bienenpreisen mietweise zu überlassen. Diese Wohnungen dürfen niemals an die Bienen verkauft werden, um ein A[b]hängigkeitsverhältnis derselben vom Bienenstock zu ver[17]meiden. Auch zur Beschaffung behaglicher Wohnungseinrichtungen zu Bienenpreisen hat der Bienenstock behilflich zu sein. Für ledige Bienen, Männer und Frauen, sind Logierhäuser und Heime anzulegen, die ebenfalls zu Bienenpreisen benutzbar sind.

Jeder Bienenstock hat ferner ein seinem Umfang entsprechendes, mit allen Hilfsmitteln versehenes, vorzüglich eingerichtetes Krankenhaus zu errichten. Dasselbe soll eine getrennte Abteilung für Wöchnerinnen in Verbindung mit einem Säuglingsheim haben, in welche die Aufnahme ohne Unterscheidung der Ehelichkeit oder Unehelichkeit stattfindet. Diese Anstalten stehen unter der Leitung eines oder mehrerer festangestellter Bienenstockärzte; letztere haben überdies die laufende Aufsicht über die hygienischen Verhältnisse sowohl des Betriebes als der Wohnungen, der Schulen und Erziehungsanstalten; sie halten für die Bienen Sprechstunde am Sitze des Bienenstocks ab und pflegen kranke Bienen im Krankenhaus oder zu Hause. Keine Kategorie von Krankheiten ist hiervon ausgeschlossen.

Ferner hat jeder Bienenstock die vollkommensten Einrichtungen zur Verhütung von Unfällen und Betriebskrankheiten zu treffen und gesonderte Umkleide- und Waschräume, Douchen-, Wannen- und Schwimmbäder sowie Spiel- und Turnplätze anzulegen.

Ferner haben die Bienenstöcke Genesungsheime für Rekonvaleszenten einzurichten und alljährlich eine möglichst große Anzahl von Kindern in Ferienkolonien zu schicken.

Die Benutzung sämtlicher Krankheits- und Hygieneeinrichtungen, die ärztliche Pflege und die Lieferung von Arzneien und Krankengeräten sind kostenlos.

 

Einrichtungen für das geistig-sittliche Wohl, für Geselligkeit und Erholung.

 

Jeder Bienenstock hat zur kostenlosen Benutzung zu halten:

1. Kinderhorte und Kleinkinderschulen;

2. Elementarschulen, da, wo die vorhandenen Schulen nicht ausreichen oder zu weit entfernt sind;

3. Lehrlingswerkstätten in Verbindung mit Fortbildungsschulen, deren Kurse nur in den Tagesstunden stattfinden;

4. Haushaltungsschulen für Mädchen in Verbindung mit den Heimen für ledige weibliche Bienen;

5. Schulen für weibliche Erwerbsarbeiten für nicht mehr schulpflichtige Mädchen;

6. Vortragszyklen für Erwachsene;

7. eine Bibliothek guter Bücher;

8. einen Gesellschaftssaal für zwanglose Zusammenkünfte und gesellige Veranstaltungen aller Art, wie Musik, Gesang, Vorträge, Spiele usw.

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Alle diese Einrichtungen stehen den Bienen und ihren Familienangehörigen kostenlos zur Verfügung; selbstverständlich sind dieselben frei, davon Gebrauch zu machen oder nicht.

Von besonderer Wichtigkeit ist aber die im Arbeitsvertrag festgesetzte Verpflichtung der Bienenstöcke, ihre gesamten sozialen Einrichtungen auch den Brüdern, also den bloßen Mitgliedern der Volkskasse, gegen Legitimation durch ihren Brüderschein zur Benutzung zu überlassen, und zwar unter denselben Bedingungen wie den Bienen selbst.

 

 

Grundlagen und Zweck der Bienenstöcke.

 

Pflichten der Bienenstöcke zur Volkskasse und unter sich.

Der Arbeitsvertrag bestimmt, daß jeder Bienenstock ein Lager seiner eigenen Produkte und der laufenden Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände aus andern Bienenstöcken zu halten und den Brüdern zu Bienenpreisen abzugeben hat. Durch diese Lager tauschen die Bienenstöcke ihre Arbeitsprodukte gegenseitig gegen Verrechnung zu Bienenpreisen aus: sie heißen daher Tauschlager. Für solche Waren, welche nicht unmittelbar zu liefern sind, ist statt des Tauschlagers ein Musterlager zu halten, nach dessen Mustern bestellt wird.

Jeder Bienenstock hat somit den andern Bienenstöcken als kostenlose Absatzstelle ihrer Waren zu dienen, und diese Gegenseitigkeit der Leistungen und Unterstützungen findet überhaupt im weitesten Sinne für Vertretungen, Auskünfte, Geldoperationen usw. statt, so daß jeder Bienenstock als Filiale der andern fungiert, selbstverständlich gegen Ersatz der Spesen.

Diese Verpflichtung hat der Bienenstock auch der Volkskasse gegenüber; er hat insbesondere dem Delegierten der Volkskasse die erforderlichen Räume, Beamten und sonstigen Hilfsmittel unentgeltlich zur Verfügung zu stellen. Wenn mehrere Bienenstöcke einen gemeinsamen Delegierten haben, so teilen sie sich in diese Kosten.

Selbstverständlich ist die Bestimmung, daß ein Bienenstock Waren und Arbeiten nur an Bienenstöcke und Brüder liefern oder nur von solchen beziehen darf, und daß in Bienenstöcken nur Bienen beschäftigt werden dürfen unter Ausschluß der Heimarbeit.

 

 

Pflichten und Rechte der Bienen.

 

Ebenso wichtig wie im Volksvertrag, ist auch im Arbeitsvertrag derjenige Teil, welcher die Pflichten und Rechte der Bienen behandelt.

Die Leistungen der Brüder in die Volkskasse ermöglichen die Errichtung von Bienenstöcken und damit die Sicherung der gesamten Existenzbedingungen der Bienen und ihrer Angehörigen; es ist daher natürlich, daß die Pflichten der Bienen gegen die Volkskasse nicht nur bestehen bleiben, sondern noch weit höhere sind als früher, da sie nur Brüder waren. Insbesondere ist deren vornehmste Pflicht, das Wirken des einzelnen für die Gesamtheit, eine viel umfassendere geworden; die Beiträge der Bienen zum Stammfonds der Volkskasse sind höher und den Einnahmen proportional; ferner haben die Bienen den Brüdern und[19] andern Bienenstöcken ihre Produkte zu Bienenpreisen (das sind grundsätzlich Selbstkosten) zu überlassen und alle sozialen Einrichtungen ihres Bienenstocks, als da sind: ärztliche Behandlung, Krankenhäuser, Speisehallen, Wohnungen, Schulen, Bibliotheken, Erholungsanstalten usw. den Brüdern zu genau denselben bevorzugten Bedingungen zugänglich zu machen, welche für sie selbst gelten.

Neben diesen erhöhten allgemeinen Pflichten gegenüber der Gesamtheit der Brüder haben die Bienen noch einige besondere Pflichten, welche in ihrem Verhältnis zum Bienenstock begründet sind, insbesondere die Anerkennung und treue Befolgung des Arbeitsvertrags und der Arbeitsordnung ihres Bienenstocks sowie Befolgung der im Interesse des Gesamtwohls von dessen Vorstandsausschuß getroffenen Anordnungen und Disziplinarvorschriften, endlich das Einsetzen ihres ganzen Könnens und ihrer ganzen Kraft für die größte und beste Leistung des Bienenstocks bei geringstem Aufwande.

Was die Höhe der Beiträge der Bienen zur Volkskasse anlangt, so sind dieselben auf 1% aller Einkommen aus dem Bienenstock festgesetzt; dieser Betrag wird bei jeder Auszahlung seitens des Bienenstocks zurückbehalten und an die Volkskasse abgeführt; es bedarf demnach hier des Markensystems nicht mehr. Die bloße Zugehörigkeit zum Bienenstock ist ohne weiteres und ohne jede Formalität und Kontrolle der Beweis der Pflichterfüllung als Biene; die Eigenschaft als solche wird durch eine von dem Bienenstock ausgestellte Karte, Bienenschein genannt, bestätigt, welche als Legitimation bei Ausübung aller Bienenrechte dient.

Der Bienenstock legt für jede seiner Bienen einen Bienenakt an, in welchem die Personalien, alle geleisteten Beiträge und erworbenen Rechte sowie die Unterbrechungen der Beitragsleistungen und etwaige Einziehungen des Bienenscheins und deren Gründe eingetragen werden; Bemerkungen über das politische und religiöse Bekenntnis der Bienen dürfen diese Akten nicht enthalten. Auf Grund dieser Bienenakten wird jeder Biene beim Austritt aus dem Bienenstock ein neuer Brüderschein ausgestellt, welcher ihr als Legitimation gegenüber der Volkskasse und andern Bienenstöcken dient; wechselt eine Biene ihren Bienenstock, so wird deren Bienenakt dem neuen Bienenstock übergeben. Diese Akten bilden wiederum für die Volkskasse die Grundlage ihrer Statistik und geben ihr einen vollkommenen Überblick über die gesamten wirtschaftlichen Verhältnisse des Landes.

Nach Feststellung der Pflichten zählt der Arbeitsvertrag der Bienenstöcke auch die Rechte der Bienen auf. Diese bleiben der Volkskasse gegenüber dieselben wie die der Brüder, sind aber, wie die Pflichten, infolge des Verhältnisses zum Bienenstock wesentlich erweitert.

Das vornehmste Recht der Bienen, das Eintreten der Gesamtheit für jeden einzelnen, ist dermaßen erweitert, daß es sich auf deren gesamtes Leben und das ihrer Angehörigen ausdehnt. Das Normaleinkommen ist garantiert und darf mit zunehmenden Dienstjahren nicht abnehmen, wird auch während der vereinbarten jährlichen Urlaube, auf welche jede Biene das Recht hat, ungeschmälert[20] ausbezahlt. Nur im Falle von Kriegen, Revolutionen und Streiks darf das Normaleinkommen durch Beschluß des Volksrates vermindert oder aufgehoben werden, um eine Gefährdung der Volkskasse durch solche unberechenbare Ereignisse zu vermeiden. Das von den Bienen erworbene Ergänzungseinkommen wird denselben unverkürzt ausbezahlt. Im Falle von militärischen Übungen in Friedenszeiten, sowie Krankheiten, Folgen von Unfällen und Wochenbetten, ist den Bienen unter allen Umständen ein Zuschuß in Höhe der Hälfte ihrer Normaleinkommen gesichert sowie jederzeit freie ärztliche Behandlung und Krankenpflege. Eine einmal angestellte Biene kann nur infolge grober Pflichtverletzung, d. h. Einziehen ihres Bienenscheins entlassen werden, nicht aber wegen Krankheit oder aus allgemeinen Gründen wie Schwankungen der Konjunktur, Überproduktion u. dgl., da solche Verhältnisse dadurch ausgeglichen werden, daß die Arbeitszeit aller beteiligten Bienen gleichmäßig herauf- oder herabgesetzt wird unter Aufrechterhaltung der Normaleinkommen, so daß derartige ungünstige Verhältnisse von allen Schultern gemeinsam getragen werden. Betriebsunterbrechungen durch höhere Gewalten werden durch zeitweises Versetzen der Bienen in andere Bienenstöcke ausgeglichen.

Im Falle der Invalidität und bei Erreichung des Seniorenalters hat jede Biene Anspruch auf jährliche Invaliden- bezw. Seniorenanteile, deren Höhe abhängt von der Gesamtzahl ihrer aktiven Dienstjahre als Biene in irgend welchen Bienenstöcken; die Höhe dieser Anteile beginnt mit 0,4 des Normaleinkommens zwischen dem 1. und 5. Dienstjahr und steigt nach und nach auf das volle Normaleinkommen, welches mit dem 44. Dienstjahr erreicht wird. Der Seniorenanteil beginnt mit dem vollendeten 65. Jahre auf alle Fälle und endet mit dem Tode. Der Invalidenanteil beginnt mit Feststellung der Invalidität und dauert so lange wie diese.

Witwen von Bienen erhalten, soferne sie Mitglieder der Volkskasse sind, 0,4 des Normaleinkommens der Ehemänner im Augenblicke ihres Todes, und jedes Kind ¼ des Anteils der Witwe. Doppelwaisen werden auf Kosten des Bienenstocks bis zur Erwerbsfähigkeit oder Großjährigkeit erzogen. Bei Todesfällen findet Bestattung auf Kosten des Bienenstocks statt, und zwar für alle Bienen in gleichen Formen.

Eines der wichtigen Rechte der Bienen ist auch das, nicht nur die Volksräte zu wählen, sondern vom 30. Jahre ab zu Volksräten gewählt werden zu können und während ihrer Tätigkeit als solche im vollen Bezug der Einkommen und Rechte aus ihrem Bienenstock zu bleiben; ferner das Recht, in ihrem eigenen Bienenstock die Mitglieder des Vorstandsausschusses zu wählen bzw. dazu gewählt zu werden.

Daß die Volkskasse, d. i. die Gesamtheit der Brüder, die Bienen in den Besitz solch umfassender Rechte erst setzen darf, wenn sie fest auf dieselben zählen kann, ist billig; deshalb können Brüder zu Bienen erst ernannt werden, wenn sie durch fünfjährige Zugehörigkeit zur Volkskasse und unentwegte Vertragstreue zu derselben sowie durch eine halbjährige Probezeit in einem Bienenstocke sich dieser Rechte würdig gezeigt haben; [21] in den Übergangszeiten, d. h. wenn Bienenstöcke errichtet werden, ehe es schon fünfjährige Brüder gibt, ist hiervon abzuweichen; hierfür enthält der Arbeitsvertrag spezielle Übergangsbestimmungen. Auch kann die Eigenschaft als Biene nur volljährigen Brüdern zuerkannt werden, weil nur solche imstande sind, vollwertige Mitglieder ihres Bienenstocks zu sein; die Männer müssen ihre Hauptmilitärzeit erledigt haben.

Die Zugehörigkeit zum Arbeitsvertrag der Bienenstöcke ist eine freiwillige. Die Nichterfüllung der darin übernommenen Pflichten bedeutet demnach freiwilligen Austritt aus demselben und Verzicht auf die Bienenrechte. In diesem Falle erfolgt das Einziehen des Bienenscheins, worüber der Arbeitsvertrag präzise Bestimmungen enthält, namentlich dahin zielend, Irrungen und Benachteiligungen der Bienen zu verhüten und Rekurse derselben zu ermöglichen. Rechte, welche bis zum Tage der Einziehung erworben waren, z. B. fällige Einkommen, Krankheitszuschüsse oder schon erworbene Senioren-, Invaliditäts- oder Witwenanteile u. dgl., können unter keinen Umständen entzogen werden. Zweifelhafte Fälle sind stets zugunsten der betreffenden Biene auszulegen. Die Bienenrechte können auch jederzeit wieder erworben werden, wenn die Vorschriften des Arbeitsvertrags hierfür erfüllt werden, also durch 60 Monate langes Einzahlen eines Brüderbeitrags zur Volkskasse ohne neuerliches Einziehen des Brüderscheins: der Vorstandsausschuß hat das Recht, diese Frist auf 40 und 20 Monate herabzusetzen.

Ein Strafrecht des Bienenstocks gegenüber seinen Bienen existiert nicht; man gehört zum Bienenstock, wenn man seine Pflicht erfüllt und gehört zu ihm nicht, wenn man sie nicht erfüllt. Das Einziehen des Bienenscheins ist keine Strafe, sondern lediglich das äußere Zeichen für die Auflösung des Vertragsverhältnisses.