BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Hans Beimler

1895 - 1936

 

Im Mörderlager Dachau

 

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Ochsenziemer.

 

Nachdem seit meiner Verhaftung bereits 14 Tage vergangen waren, dachte ich schon nicht mehr daran, daß ich auch einmal dabei sein könnte, wenn der Gefängnisaufseher unter der Zellentür stand und die Namen derjenigen Gefangenen aufrief, welche abtransportiert wurden. So war ich ganz überrascht, als am 25. April vormittags unter anderen auch mein Name mit der Bemerkung: „Handtuch abgeben, alles mitnehmen“, aufgerufen wurde. Unten im Aufnahmeraum des Gefängnisses wurden uns die bei der Einlieferung abgenommenen Sachen – mit Ausnahme von Messer oder Stock – wieder ausgehändigt, und wir mußten dann hinter einen aus dicken Rundeisen bestehenden Käfig treten.

Nachdem alle abgefertigt waren – es mögen zehn oder zwölf Genossen gewesen sein – erschien ein so genannter Kriminalbeamter mit einem großen Hakenkreuzplatschari am Aufschlag des Jackets. Nach nochmaligem Namensaufruf erklärte er: „Sie kommen jetzt nach Dachau und mache Sie darauf aufmerksam, daß auch nur beim geringsten Fluchtversuch rücksichtslos geschossen wird. Außerdem ist auch im Wagen das Rauchen und das Sprechen mit anderen Gefangenen verboten.“

Inzwischen hatten sich eine ganze Anzahl SS-Leute, mit Karabinern bewaffnet, aufgestellt, durch deren Reihen wir dann zum Auto geführt wurden. Im Wagen saßen bereits eine Anzahl Schutzhäftlinge, die schon längere Zeit im Gefängnis Stadelheim verbracht hatten, darunter eine Anzahl kommunistischer Funktionäre. Außerdem waren da der Major Hunglinger und – wie sich in Dachau dann herausstellte – noch sechs „zweifelhafte“ Gestalten, von denen jeder schon selber eine Banditenuniform getragen hatte. Nach 20 bis 25 Minuten Fahrzeit hatten wir das Lager erreicht, auf das wir schon von weitem durch ein Labyrinth von Stacheldrahtverhau aufmerksam wurden. Vor dem Verwaltungsgebäude stand schon eine ganze Horde SA- und SS-Männer, die zum größten Teil nicht nur ihre Langlaufpistolen, sondern auch, wie der Kommandant des Lagers, 60 bis 70 cm lange Ochsenziemer in ihren mit Arbeiterblut befleckten Händen hielten. Noch nicht die Hälfte hatte das Auto verlassen, da erhob sich schon ein Gebrüll, weil die Leute noch nicht in „Front zu zwei Gliedern“ vor den braunen Söldnern angetreten waren. Ich stand im zweiten Glied in der sechsten Reihe, was dem ebenfalls und nur meinetwegen mitgekommenen SS-„Helden“, der mir im Polizeipräsidium den Kopf unter seinen Arm geklemmt hatte, als ich in der Folterkammer geprügelt wurde, nicht paßte. Er forderte mich auf, mich als rechter Flügelmann aufzustellen. Während dieses Platzwechsels hatte schon der Namensaufruf begonnen. Der Aufruf erfolgte durch den Leiter der Abteilung „Arbeitsverteilung“ von einer Liste, die dem Transportleiter von der politischen Polizei mitgegeben war und neben den Namen auch eine „Charakterisierung“ des Betreffenden, der aufgerufen wurde, enthielt. Jeder Aufgerufene mußte mit „hier“ antworten, wobei er eine „militärische Haltung“ anzunehmen hatte. Den Namen Beimler hat der Kerl mindestens acht- bis zehnmal aufgerufen, weil ich nicht laut genug „hier“ geantwortet habe. Nebenbei machten andere höhnische Bemerkungen: „Dem bringen wir's schon noch bei!“ – „Der bezahlte Agent Moskaus wird's noch lernen“ und andere mehr. Nach Verlesung aller 25 Namen mußten sich außer mir auch noch der Major Hunglinger und die erwähnten sechs „zweifelhaften Gestalten“ in einem Abstand von den übrigen Gefangenen, meistens Kommunisten, aufstellen. „Sind auch Juden dabei? Ebenfalls rechts raus! Auch Juden, die nachträglich getauft sind!“ schrie ein noch ganz jugendlicher „Held“ und musterte die linksstehende Gruppe. Zwei jüngere Leute, anscheinend Studenten oder Kaufleute, meldeten sich und schlossen sich unserer Gruppe an.