BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Hans Beimler

1895 - 1936

 

Im Mörderlager Dachau

 

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„Herzlich willkommen in Dachau!“

 

Während der Fahrt fiel mir schon auf, daß die „Lebendige Zange“, die mir im Polizeipräsidium den Kopf eingeklemmt hatte, während die anderen auf mich einschlugen, eine Rolle in der Hand hatte, auf welche er die im Transportwagen sitzenden drei Schupobeamten mehrmals aufmerksam machte und die er auch noch in der Hand hatte, als er mich aufforderte, mich an den rechten Flügel zu stellen. Nun sollte ich auch erfahren, was für eine Bewandtnis es mit dieser Rolle hatte, als er diese aufrollte und mir mit dem schon angebrachten Band an die Brust hing. Es war ein Plakat mit der Aufschrift „Herzlich willkommen“. Dann nahm der Kommandant des Lagers (seinen Namen konnte ich leider nicht in Erfahrung bringen 1)), ein typischer Fememörder von der Sorte der Liebknecht- und Luxemburg-Mörder, das Wort und erklärte, auf die am rechten Flügel stehende Gruppe zeigend: „Diese Schweinehunde kommen gleich zum Verschub (gemeint ist Verprügeln); das sind die bezahlten Säue und Verräter; außerdem in ‚drei‘ (womit die Stufe drei gemeint ist). Das da sind, glaube ich, lauter Proleten, die sind von dem da – auf mich zeigend – verführt worden; die tun wir in Stufe zwei; außerdem kann jeder von ihnen von seinem mitgebrachten Geld fünf Mark behalten. Diese anderen Schweine bekommen keinen Pfennig.“

„Links um!“ war das nächste Kommando, und wir marschierten in zwei Gliedern durch das Lager an den Gefangenen vorbei, von denen ein großer Teil mit Straßenbau beschäftigt war. Andere standen auf den Dächern und bestrichen diese mit Teer. Etwa 25 Mann, von denen ich die meisten als ehemalige Funktionäre erkannte, mußten die schwere Straßenwalze ziehen, die in der „Münchener Illustrierten Zeitung“ Nr. 28 vom 16. Juli 1933 abgebildet und von der gekauften Journaille als „Wahrheit über Dachau“, als „Gegenbeweis“ für den in der Hölle von Dachau verübten Mordterror veröffentlicht wurde. Der frühere niederbayrische Reichstagsabgeordnete Michl Höllertseder war mit der Ausmauerung eines Abwasserkanals beschäftigt. Er war sichtlich erschrocken, als er mich mit dem umgehängten Plakat sah. Er hat wohl geahnt, daß man mit mir nichts Gutes vorhatte.

In einer größeren Halle, in der ein paar Regale und einige Tische standen, mußten wir unsere Sachen aus den Taschen nehmen und auf den Tisch legen. Wieder hatte ich dem anwesenden SS-Banditen Steinbrenner – von dem ich immer sage, daß auf ihn der Name Mordbrenner besser zutreffen würde, denn er ist der Mörder und Peiniger aller in Dachau ermordeten Gefangenen 2) – nicht schnell genug meine Sachen auf den Tisch gelegt. Bei Durchsuchung der Taschen hat er dann noch in einer kleinen Seitentasche des Jacketts einen kleinen Bleistift gefunden, und schon fing er zu schreien an: „Herr Kommandant! Herr Kommandant! Der Kerl da hat den Befehl, alles auf den Tisch zu legen, nicht ausgeführt; er wollte schmuggeln.“ Und zeigte dabei den kleinen bei mir gefundenen Bleistift. „14 Tage strengen Arrest!“ war die prompte Antwort des Kommandanten. Das war natürlich der billige Vorwand, denn schon nach einigen Minuten händigte man mir nicht nur diesen Bleistift, sondern auch Federhalter, Briefpapier, Notizblock usw. aus. Man brauchte einen Vorwand, und mochte er an den Haaren herbeigezogen sein, um mich von vornherein von den anderen Genossen im Lager zu isolieren. Das Urteil über mich war schon gefällt, als ich noch gar nicht in Dachau, sondern noch in Polizeihaft war. Für die braunen Henker war schon klar, daß ich, wie sie selbst in den folgenden Tagen dutzendmal ganz offen zu mir sagten, das Lager nicht mehr lebendig verlassen werde. Der Polizeimajor Hunglinger und ich wurden sofort abgeführt. Schon auf dem Wege zur Arrestbaracke schlug mich der Steinbrenner mit dem Ochsenfiesel vor den Augen einiger hundert in der Nähe an einer Gartenanlage arbeitender Gefangener mehrmals über Kopf und Ohren. Dann rief er den Genossen zu: „Da schaut her, euren Beimler haben wir, der euch verführt und verhetzt hat“ und schlug mich wieder über den Kopf. Da die Eingangstür, auf der mit Kreide das Wort „Wache“ geschrieben war, abgesperrt und der Verwalter, der die Schlüssel verwahrte, mit den anderen eingelieferten Gefangenen beschäftigt war, mußten wir noch vor der Baracke warten. Diese Gelegenheit benützte der „Kopfhalter“, der dauernd hinter dem Mordbrenner lief und auf ihn einredete – von wegen „dem Hetzer Beimler“ – und den der Gedanke nicht ruhen ließ, daß ich daran festhielt, als Reichstagsabgeordneter gewählt zu sein, um mich wieder zu fragen, ob ich mir immer noch einbilde, Mitglied des Reichstags zu sein. Ich antwortete ihm, daß Einbildung ein bürgerlicher Begriff ist und für uns Kommunisten nicht existiert. Dann wandte er sich an den neben ihm stehenden Hunglinger:

„Und du, Verräter? du Sau, du Lump, jetzt sind wir dir drauf gekommen, daß du uns bespitzelt hast und von der Polizei dafür bezahlt worden bist. Und wie hast du unsere SA-Männer in der Führerschule geschliffen und schikaniert.“

Er redete sich dabei in Wut und versetzte dem H. ein paar Schläge ins Gesicht. In der Zwischenzeit war der Verwalter mit den Schlüsseln gekommen und sperrte die Tür zur Wache auf. In wenigen Sekunden war ich in der sogenannten Arrestzelle Nummer 3, Hunglinger in Nummer 1.

Kaum hatte ich die Zelle betreten, da mußte ich feststellen, daß ich nicht etwa in einer Gefängniszelle, sondern in einem ehemaligen Abort eingesperrt war. Die beiden offenstehenden Abflußrohre und die noch vorhandenen Wasserleitungsrohre für die Spülung (es war ein Doppelabort) bestätigten das. Später konnte ich mich davon überzeugen, daß sich in der Baracke in einer Front acht solche Zellen aneinander reihten, die während des Krieges 3), als die Pulverfabrik – das jetzige Konzentrationslager – Hochkonjunktur hatte, von den dort beschäftigten Arbeitern und Angestellten als Aborte und Waschräume benutzt worden waren. Der aus den offenen Abflußrohren aufsteigende Dunst lenkte mein Augenmerk auf Lüftungsmöglichkeiten, über die ich mir sofort im klaren war, als ich das kleine und wie in einer Gefängniszelle sehr hochliegende, von außen mit Rundeisenstäben vergitterte „Fenster“ sah. 45 cm im Quadrat wird die richtige Schätzung der Fenstergröße sein.

 

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1) Wäckerle – d. Red. 

2) Steinbrenner wurde nach dem Kriege von einem amerikanischen Militärgericht zum Tode verurteilt – d. Red. 

3) Gemeint ist der erste Weltkrieg – d. Red.