BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Ludwig Uhland

1787 - 1862

 

Gedichte

 

Auswahl

 

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Gedichte 1801 bis 1810

 

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Das wahre Gut

(1801)

 

Purpurfarben wie Auroras Wangen,

Wenn sie frisch am jungen Äther prangen,

Treibe Schamgefühl, unwürd'ger Tor!

Auf dein Angesicht hervor.

 

5

Schande dir verworfnen, du entehrest

Deine Menschenwürde, du begehrest,

Dürstend und entbrannt von wilder Glut,

Nach der Erde schnödem Gut!

 

Kannst du denn mit Gütern glücklich leben,

10

Welche dir das Schicksal heute geben,

Morgen aber wieder nehmen kann? -

Wirf sie weg und sei ein Mann!

 

Folgen denn dem reichen Tugendspötter

Seine eitlen Schätze, seine Götter,

15

Wenn der Richter ihn zur Erde ruft,

In die schwarze Totengruft?

 

Nein! - Dort an des Richters hohem Throne

Hilft dem König weder Gold noch Krone

Dort wird Reichtum in den Staub gedrückt,

20

Dort wird Tugend nur beglückt.

 

Nur in Tugend wirst du Schätze finden

Die nicht mit dem Leben dir entschwinden;

Tugend ist das höchste Gut und bleibt,

Wenn Geschick dein Gold zerstäubt.

 

 

Gang der Welt

(1802)

 

Da zieht in des Triumphes stolzem Glanze,

Umflattert von des Glückes Lorbeerkranze,

Da zieht die freche Bosheit hin.

An ihrem Wagen keucht im Fesselklange

5

Die Tugend, trüben Blicks und blasser Wange,

Die unterdrückte Königin.

 

Da schwelgt der Frevler von der Länder Marke

Und führt von beiden Polen seinem Parke

Gefräß'ge Ungeheuer zu.

10

Indes entpreßt der Mutter in der Hütte

Der Anblick ihres Säuglinges die Bitte:

Den Hungernden, o Gott, erlöse du!

 

Da ruht im Schattenhain, wo Weste kosen,

Der Prasser in der Wollust Arm auf Rosen,

15

Vom Nektar des Pokals betäubt,

Indes, von wilder Mittagsglut gebraten,

Der biedre Fröner sich am Spaten

Die fleiß'gen Hände blutig reibt.

 

Ha! schwelgt, ihr Frevler, fort! mich blendet nimmer

20

Hellstrahlend eures Glückes Sonnenschimmer,

Mein Ohr betäubt nicht der Triumphe Schall;

Ich sehe ferne Wetter sich zusammenziehen,

Der Rache Wetter, sehe Blitze glühen,

Ich höre der Verdammung Donnerhall.

 

25

Ja bebt! denn nicht die Wache eurer Sklaven

Beschirmt euch vor dem Genius der Strafen,

Nicht eurer Burgen Wehr und Macht.

Denn wird er euch nicht stürzen noch im Leben

Und des Gewissens Foltern übergeben,

30

Ihr flieht ihn nicht, selbst in des Grabes Nacht.

 

Denn weilt er auch, er trifft euch dennoch sicher,

Er waffnet sich zur Rache fürchterlicher,

Und über euern Gräbern harret er;

Er harrt, bis des Gerichts Posaune schmettert,

35

Dann geißelt er euch auf, gestürzt, entgöttert

Vor deinen Stuhl, Allrichtender!

 

Und ihr verstrickt euch nicht in bange Zweifel,

Ihr Märtyrer! wenn ein gekrönter Teufel

Von ungerochnem Übermute schwillt!

40

Tragt duldsam eure Last zum Richterthrone!

Dort schimmert euch des Sieges Palmenkrone,

Dort wird das Buch der Vorsicht euch enthüllt.

 

 

Elegidien

(1803)

I.

Ach! daß die Götter mir frühe das Auge mit Nebel umflorten!

Andre schwelgen im Schaun, mein ist nur Ahndung und Traum.

Aber hadere nie, o Mensch, mit den ewigen Göttern

Während die Rechte dir nimmt, teilet die Linke dir zu.

5

Als des Tiresias Auge die Gegenwart sich verhüllte,

Da entfaltete sich sonnig die Zukunft dem Geist.

Götter! ihr lächelt auch mir, ihr schuft mir fühlend die Seele,

Regt  e i n e  Saite sich mir, tönen gleich viele mir ein.

Leiht auch das Auge mir bloß der Schönheit größeren Umriß,

10

Schöner füllet der Geist und idealisch ihn aus.

 

II.

Ha! wie knieest du da im Heiligenschimmer der Anmut,

Beterin! Eines nur fehlt: hebe, du Schöne, den Blick!

Siehe! sie hebet das Aug; ein Blick - o seligste Wonne,

Weilst du den Menschen so kurz? siehe! schon ist sie entschwebt.

5

Fliehende, kehre zurück, und senke die Kniee noch einmal!

Störtest du all mein Gebet, bete statt meiner nun auch!

 

III.

Stumpf für die Gegenwart, von des Altertums Schriften begeistert,

Schwebt ich bei Tag und bei Nacht sonst in dem seligen Land;

Horchend dem Stöhnen des Winds in mondbegoßnen Ruinen,

Oft beschwur ich mir da Geister verdämmerter Zeit,

5

Doch seit Lina mir jüngst mit verheißendem Blicke gelächelt,

Schwelg ich in ewigem Traum goldener Zukunft dahin.

 

IV.

Schläfst du? oder wälzest du dich auf betränetem Lager?

Leidendes Mädchen, die du tief mir die Seele gerührt?

Still und hehr ist die Nacht; die Sternlein zittern am Himmel,

Und wehmütiges Licht streuet der Mond durch die Nacht.

5

Dort auch weilet sein Strahl auf den einsamen Gräbern der Toten,

Wo die Klage verhallt, jegliche Träne versiegt.

Tritt ans Fenster hervor, die sanften Tränen im Auge

Und die gefalteten Händ auf zu den Sternen gestreckt!

Nahen werden sich dir zwo Trösterinnen: die eine

10

Ist der Unschuld Gefühl, heiliges, stolzes Gefühl;

Hoffnung ist die andre; sie wandelt in Kerkergewölben,

Steht über Gräbern und zeigt lächelnd zum Himmel empor.

Tritt, o Mädchen, hervor und wein und bete und hoffe!

Sternlein zittern, der Mond scheint auf die Gräber umher.

 

 

Die Vätergruft

(1804)

 

Vertont von:

Franz (Ferencz) Liszt (1811-1886)

 

Es ging wohl über die Heide

Zur alten Kapell empor

Ein Greis im Waffengeschmeide

Und trat in den dunkeln Chor.

 

5

Die Särge seiner Ahnen

Standen der Hall entlang,

Aus der Tiefe tät ihn mahnen

Ein wunderbarer Gesang.

 

«Wohl hab ich euer Grüßen,

10

Ihr Heldengeister! gehört,

Eure Reihe soll ich schließen:

Heil mir! Ich bin es wert!»

 

Es stand an kühler Stätte

Ein Sarg noch ungefüllt,

15

Den nahm er zum Ruhebette,

Zum Pfühle nahm er den Schild.

 

Die Hände tät er falten

Aufs Schwert und schlummert' ein.

Die Geisterlaute verhallten;

20

Da mocht es gar stille sein.

 

 

Die sterbenden Helden

(1804)

 

Der Dänen Schwerter drängen Schwedens Heer

  Zum wilden Meer.

Die Wagen klirren fern, es blinkt der Stahl

  Im Mondenstrahl.

5

Da liegen sterbend auf dem Leichenfeld

Der schöne Sven und Ulf, der graue Held.

 

  SVEN

O Vater! daß mich in der Jugend Kraft

  Die Norne rafft!

Nun schlichtet nimmer meine Mutter mir

10

  Der Locken Zier.

Vergeblich spähet meine Sängerin

Vom hohen Turm in alle Ferne hin.

 

  ULF

Sie werden jammern, in der Nächte Graun

  Im Traum uns schaun.

15

Doch sei getrost! bald bricht der bittre Schmerz

  Ihr treues Herz.

Dann reicht die Buhle dir bei Odins Mahl,

Die goldgelockte, lächelnd den Pokal.

 

  SVEN

Begonnen hab ich einen Festgesang

20

  Zum Saitenklang

Von Königen und Helden grauer Zeit

  In Lieb und Streit.

Verlassen hängt die Harfe nun, und bang

Erweckt der Winde Wehen ihren Klang.

 

  ULF

25

Es glänzet hoch und hehr im Sonnenstrahl

  Allvaters Saal,

Die Sterne wandeln unter ihm, es ziehn

  Die Stürme hin.

Dort tafeln mit den Vätern wir in Ruh,

30

Erhebe dann dein Lied und end es du!

 

  SVEN

O Vater! daß mich in der Jugend Kraft

  Die Norne rafft!

Noch leuchtet keiner hohen Taten Bild

  Auf meinem Schild.

35

Zwölf Richter thronen hoch und schauerlich,

Die werten nicht des Heldenmahles mich.

 

  ULF

Wohl wieget  e i n e s  viele Taten auf -

  Sie achten drauf -,

Das ist um deines Vaterlandes Not

40

  Der Heldentod.

Sieh hin! die Feinde fliehen; blick hinan!

Der Himmel glänzt, dahin ist unsre Bahn!

 

 

Die Kapelle

(1805)

 

Droben stehet die Kapelle,

Schauet still ins Tal hinab.

Drunten singt bei Wies' und Quelle

Froh und hell der Hirtenknab'.

 

5

Traurig tönt das Glöcklein nieder,

Schauerlich der Leichenchor;

Stille sind die frohen Lieder,

Und der Knabe lauscht empor.

 

Droben bringt man sie zu Grabe,

10

Die sich freuten in dem Tal;

Hirtenknabe, Hirtenknabe!

Dir auch singt man dort einmal.

 

 

Die sanften Tage

(1805)

 

 

 

Ich bin so hold den sanften Tagen,

Wann in der ersten Frühlingszeit

Der Himmel, blaulich aufgeschlagen,

Zur Erde Glanz und Wärme streut;

5

Die Täler noch von Eise grauen,

Der Hügel schon sich sonnig hebt,

Die Mädchen sich ins Freie trauen,

Der Kinder Spiel sich neu belebt.

 

Dann steh' ich auf dem Berge droben

10

Und seh' es alles still erfreut,

Die Brust von leisem Drang gehoben,

Der noch zum Wunsche nicht gedeiht.

Ich bin ein Kind und mit dem Spiele

Der heiteren Natur vergnügt,

15

In ihre ruhigen Gefühle

Ist ganz die Seele eingewiegt.

 

Ich bin so hold den sanften Tagen,

Wann ihrer mild besonnten Flur

Gerührte Greise Abschied sagen;

20

Dann ist die Feier der Natur.

Sie prangt nicht mehr mit Blüt' und Fülle,

All ihre regen Kräfte ruhn,

Sie sammelt sich in süße Stille,

In ihre Tiefen schaut sie nun.

 

25

Die Seele, jüngst so hoch getragen,

Sie senket ihren stolzen Flug,

Sie lernt ein friedliches Entsagen,

Erinnerung ist ihr genug.

Da ist mir wohl im sanften Schweigen,

30

Das die Natur der Seele gab;

Es ist mir so, als dürft' ich steigen

Hinunter in mein stilles Grab.

 

 

Wunder

(1805)

 

Vertont von

Felix Weingartner (1863-1942), op. 15 no. 6 (1891)

 

Sie war ein Kind vor wenig Tagen,

Sie ist es nicht mehr, wahrlich nein!

Bald ist die Blume aufgeschlagen,

Bald hüllt sie halb sich wieder ein.

5

Wen kann ich um das Wunder fragen?

Wie? oder täuscht mich holder Schein?

 

Sie spricht so ganz mit Kindersinne,

So fromm ist ihrer Augen Spiel;

Doch großer Dinge werd' ich inne,

10

Ich schau' in Tiefen ohne Ziel.

Ja! Wunder sind's der süßen Minne,

Die Minne hat der Wunder viel.

 

 

Schäfers Sonntagslied

(1805)

 

Das ist der Tag des Herrn!

Ich bin allein auf weiter Flur;

Noch  e i n e  Morgenglocke nur,

Nun Stille nah und fern.

 

5

Anbetend knie ich hier.

O süßes Graun! geheimes Wehn!

Als knieten viele ungesehn

Und beteten mit mir.

 

Der Himmel nah und fern,

10

Er ist so klar und feierlich,

So ganz, als wollt' er öffnen sich.

Das ist der Tag des Herrn!

 

 

Entschluß

(1805)

 

Vertont von:

Henri Vieuxtemps (1820-1881)

 

Sie kommt in diese stillen Gründe,

Ich wag' es heut mit kühnem Mut.

Was soll ich beben vor dem Kinde,

Das niemand was zuleide tut?

 

5

Es grüßen alle sie so gerne,

Ich geh' vorbei und wag' es nicht;

Und zu dem allerschönsten Sterne

Erheb' ich nie mein Angesicht.

 

Die Blumen, die nach ihr sich beugen,

10

Die Vögel mit dem Lustgesang,

Sie dürfen Liebe ihr bezeugen:

Warum ist mir allein so bang?

 

Dem Himmel hab' ich oft geklaget

In langen Nächten bitterlich;

15

Und habe nie vor ihr gewaget

Das  e i n e  Wort: Ich liebe dich!

 

Ich will mich lagern unterm Baume,

Da wandelt täglich sie vorbei,

Dann will ich reden als im Traume,

20

Wie sie mein süßes Leben sei.

 

Ich will - oh wehe! welches Schrecken!

Sie kommt heran, sie wird mich sehn;

Ich will mich in den Busch verstecken,

Da seh' ich sie vorübergehn.

 

 

Die Nonne

(1805)

 

Vertont von:

Johannes Brahms (1833-1897), op. 44 no. 6 (1859-60?).

Fanny Mendelssohn-Hensel (1805-1847), op. 9 no. 12.

(Joseph) Joachim Raff (1822-1882), op. 98 no. 21 (1855-63), «Sanges-Frühling»

 

Im stillen Klostergarten

Eine bleiche Jungfrau ging;

Der Mond beschien sie trübe,

An ihrer Wimper hing

5

Die Träne zarter Liebe.

 

«O wohl mir, daß gestorben

Der treue Buhle mein!

Ich darf ihn wieder lieben:

Er wird ein Engel sein,

10

Und Engel darf ich lieben.»

 

Sie trat mit zagem Schritte

Wohl zum Mariabild;

Es stand in lichtem Scheine,

Es sah so muttermild

15

Herunter auf die Reine.

 

Sie sank zu seinen Füßen,

Sah auf mit Himmelsruh,

Bis ihre Augenlider

Im Tode fielen zu;

20

Ihr Schleier wallte nieder.

 

 

Das Schloß am Meere

(1805)

 

Hast du das Schloß gesehen,

Das hohe Schloß am Meer?

Golden und rosig wehen

Die Wolken drüber her.

 

5

Es möchte sich niederneigen

In die spiegelklare Flut;

Es möchte streben und steigen

In der Abendwolken Glut.

 

«Wohl hab' ich es gesehen,

10

Das hohe Schloß am Meer,

Und den Mond darüber stehen,

Und Nebel weit umher.»

 

Der Wind und des Meeres Wallen

Gaben sie frischen Klang?

15

Vernahmst du aus hohen Hallen

Saiten und Festgesang?

 

«Die Winde, die Wogen alle

Lagen in tiefer Ruh',

Einem Klagelied aus der Halle

20

Hört' ich mit Tränen zu.»

 

Sahest du oben gehen

Den König und sein Gemahl?

Der roten Mäntel Wehen,

Der goldnen Kronen Strahl?

 

25

Führten sie nicht mit Wonne

Eine schöne Jungfrau dar,

Herrlich wie eine Sonne,

Strahlend im goldnen Haar?

 

«Wohl sah ich die Eltern beide,

30

Ohne der Kronen Licht,

Im schwarzen Trauerkleide;

Die Jungfrau sah ich nicht.»

 

 

In der Ferne

(1806)

Aus dem Zyklus Wanderlieder

 

Vertont von:

Johannes Brahms (1833-1897), op. 19 no. 3 (Oktober 1858).

Leopold Damrosch (1832-1885), op. 10 no. 1.

Conradin Kreutzer (1780-1849), op. 34 no. 3 (1806), Neun Wanderlieder von Uhland.

 

Will ruhen unter den Bäumen hier,

Die Vögelein hör' ich so gerne,

Wie singet ihr so zum Herzen mir?

Von unsrer Liebe was wisset ihr

5

In dieser weiten Ferne?

 

Will ruhen hier an des Baches Rand,

Wo duftige Blümlein sprießen.

Wer hat euch Blümlein hierher gesandt?

Seid ihr ein herzliches Liebespfand

10

Aus der Ferne von meiner Süßen?

 

 

Des Knaben Berglied

(1806)

 

Ich bin vom Berg der Hirtenknab',

Seh' auf die Schlösser all herab;

Die Sonne strahlt am ersten hier,

Am längsten weilet sie bei mir;

5

Ich bin der Knab' vom Berge!

 

Hier ist des Stromes Mutterhaus;

Ich trink' ihn frisch vom Stein heraus;

Er braust vom Fels in wildem Lauf,

Ich fang' ihn mit den Armen auf;

10

Ich bin der Knab' vom Berge!

 

Der Berg, der ist mein Eigentum,

da ziehn die Stürme ringsherum;

Und heulen sie von Nord und Süd,

So überschallt sie doch mein Lied:

15

Ich bin der Knab' vom Berge!

 

Sind Blitz und Donner unter mir,

So steh ich hoch im Blauen hier;

Ich kenne sie und rufe zu:

Laßt meines Vaters Haus in Ruh'!

20

Ich bin der Knab' vom Berge!

 

Und wann die Sturmglock' einst erschallt,

Manch Feuer auf den Bergen wallt,

Dann steig' ich nieder, tret' ins Glied,

Und schwing' mein Schwert, und sing' mein Lied:

25

Ich bin der Knab' vom Berge!

 

 

Lauf der Welt

(1807)

 

Vertont von:

Edvard Grieg (1843-1907), op. 48 no. 3 (1889)

 

An jedem Abend geh' ich aus,

Hinauf den Wiesensteg.

Sie schaut aus ihrem Gartenhaus,

Es stehet hart am Weg.

5

Wir haben uns noch nie bestellt,

Es ist nur so der Lauf der Welt.

 

Ich weiß nicht, wie es so geschah,

Seit lange küß' ich sie.

Ich bitte nicht, sie sagt nicht: Ja!

10

Doch sagt sie: Nein! auch nie.

Wenn Lippe gern auf Lippe ruht,

Wir hindern's nicht, uns dünkt es gut.

 

Das Lüftchen mit der Rose spielt,

Es fragt nicht: Hast mich lieb?

15

Das Röschen sich am Taue kühlt,

Es sagt nicht lange: Gib!

Ich liebe sie, sie liebet mich,

Doch keines sagt: Ich liebe dich!

 

 

Die drei Lieder

(1807)

 

Vertont von:

Johann Karl Gottfried Loewe (1796-1869), op. 3 no. 3 (1825)

 

In der hohen Hall' saß König Sifrid:

«Ihr Harfner! wer weiß mir das schönste Lied?»

Und ein Jüngling trat aus der Schar behende,

Die Harf in der Hand, das Schwert an der Lende:

 

5

«Drei Lieder weiß ich; den ersten Sang,

Den hast du ja wohl vergessen schon lang:

Meinen Bruder hast du meuchlings erstochen!

Und aber: Hast ihn meuchlings erstochen!

 

Das andre Lied, das hab ich erdacht

10

In einer finstern, stürmischen Nacht:

Mußt mit mir fechten auf Leben und Sterben!

Und aber: Mußt fechten auf Leben und Sterben!»

 

Da lehnt' er die Harfe wohl an den Tisch,

Und sie zogen beide die Schwerter frisch

15

Und fochten lange mit wildem Schalle,

Bis der König sank in der hohen Halle.

 

«Nun sing' ich das dritte, das schönste Lied,

Das werd' ich nimmer zu singen müd:

König Sifrid liegt in seinem roten Blute!

20

Und aber: Liegt in seinem roten Blute!»

 

 

Seliger Tod

(1807)

 

Vertont von:

Franz (Ferencz) Liszt (1811-1886)

 

Gestorben war ich

Vor Liebeswonne:

Begraben lag ich

In ihren Armen;

5

Erwecket ward ich

Von ihren Küssen;

Den Himmel sah ich

In ihren Augen.

 

 

Die Abgeschiedenen

(1807)

 

Vertont von:

Johann Karl Gottfried Loewe (1796-1869), op. 9, ii, 3 (1824)

 

So hab' ich endlich dich gerettet

Mir aus der Menge wilden Reih'n!

Du bist in meinen Arm gekettet,

Du bist nun mein, nun einzig mein.

5

Es schlummert alles diese Stunde,

Nur wir noch leben auf der Welt;

Wie in der Wasser stillem Grunde

Der Meergott seine Göttin hält.

 

Verrauscht ist all das rohe Tosen,

10

Das deine Worte mir verschlang,

Dein leises, liebevolles Kosen

Ist nun mein einz'ger, süßer Klang.

Die Erde liegt in Nacht gehüllet,

Kein Licht erglänzt auf Flur und Teich;

15

Nur dieser Lampe Schimmer füllet

Noch unsrer Liebe kleines Reich.

 

 

Bauernregel

(1807)

 

Vertont von:

Johann Karl Gottfried Loewe (1796-1869), «Bauernregel», op. 9, vol V, no. 3

Erik Meyer-Helmund (1861-1932), «Im Sommer such ein Liebchen dir» (1886-88)

Max Reger (1873-1916), «Bauernregel», op. 8 no. 5 (1892)

 

Im Sommer such ein Liebchen dir in Garten und Gefild!

da sind die Tage lang genug, da sind die Nächte mild.

Im Winter muß der süße Bund schon fest geschlossen sein,

so darfst nicht lange stehn im Schnee bei kaltem Mondenschein.

 

 

Lebewohl

(1807)

Aus dem Zyklus Wanderlieder

 

Vertont von:

Johannes Brahms (1833-1897), op. 19 no. 1 (Oktober 1858).

Conradin Kreutzer (1780-1849), op. 34 no. 1 (1811), Neun Wanderlieder von Uhland

 

Lebe wohl, lebe wohl mein Lieb!

Muß noch heute scheiden.

Einen Kuß, einen Kuß mir gib!

Muß dich ewig meiden.

 

5

Eine Blüt', eine Blüht' mir brich

Von dem Baum im Garten!

Keine Frucht, keine Frucht für mich!

Darf sie nicht erwarten.

 

 

Naturfreiheit

(1808)

 

Vertont von:

Hans Erich Pfitzner (1869-1949)

 

Leben, das nur Leben scheinet,

Wo nicht Herz, nicht Auge spricht,

Wo der Mensch zur Form versteinet,

Machst du ganz mein Herz zunicht?

5

Die mich oft mit Trost erfüllet,

O Natur, auch du so leer?

Tief in Schnee und Eis gehüllet,

Blickst du frostig zu mir her.

 

Hör' ich nur ein Waldhorn klingen,

10

Hör' ich einen Feldgesang,

Rühret gleich mein Geist die Schwingen,

Fühlt der Hoffnung frischen Drang.

O Natur, voll Muttergüte,

Gib doch deine Kinder frei,

15

Sonnenstrahl, und Quell und Blüte,

Daß auch ich erlöset sei.

 

Mit den Lüften will ich streifen,

Rauschend durch den grünen Hain,

Mit den Strömen will ich schweifen,

20

Schwimmend in des Himmels Schein;

In der Vögel Morgenlieder

Stimm' ich frei und fröhlich ein:

Alle Menschen sollen Brüder,

Du, Natur, uns Mutter sein!

 

 

Des Dichters

Abendgang

(1808)

 

Vertont von:

Richard Strauss (1864-1949), op. 47 no. 2

 

Ergehst du dich im Abendlicht, -

Das ist die Zeit der Dichterwonne -

So wende stets dein Angesicht

Zum Glanze der gesunknen Sonne!

5

In hoher Feier schwebt dein Geist,

Du schauest in des Tempels Hallen,

Wo alles Heil'ge sich erschleußt

Und himmlische Gebilde wallen.

 

Wann aber um das Heiligtum

10

Die dunkeln Wolken niederrollen:

Dann ist's vollbracht, du kehrest um,

Beseligt von dem Wundervollen.

In stiller Rührung wirst du gehn,

Du trägst in dir des Liedes Segen;

15

Das Lichte, das du dort gesehn,

Umglänzt dich mild auf finstern Wegen.

 

 

Die Zufriedenen

(1808)

 

Vertont von:

Johann Karl Gottfried Loewe (1796-1869), op. 9, v, 4 (1824)

 

Ich saß bei jener Linde

Mit meinem trauten Kinde,

Wir saßen Hand in Hand.

Kein Blättchen rauscht' im Winde,

5

Die Sonne schien gelinde

Herab aufs stille Land.

 

Wir saßen ganz verschwiegen

Mit innigem Vergnügen,

Das Herz kaum merklich schlug.

10

Was sollten wir auch sagen?

Was konnten wir uns fragen?

Wir wußten ja genug.

 

Es mocht' uns nichts mehr fehlen,

Kein Sehnen konnt' uns quälen,

15

Nichts Liebes war uns fern.

Aus liebem Aug' ein Grüßen,

Vom lieben Mund ein Küssen

Gab eins dem andern gern.

 

 

Hohe Liebe

(1808)

 

Vertont von:

Franz (Ferencz) Liszt (1811-1886)

 

In Liebesarmen ruht ihr trunken,

Des Lebens Früchte winken euch;

Ein Blick nur ist auf mich gesunken,

Doch bin ich vor euch allen reich.

 

5

Das Glück der Erde miß ich gerne

Und blick, ein Märtyrer, hinan,

Denn über mir, in goldner Ferne,

Hat sich der Himmel aufgetan.

 

 

Nachts

(1808)

 

Dem stillen Hause blick ich zu,

Gelehnt an einen Baum;

Dort liegt sie wohl in schöner Ruh

Und glüht in süßem Traum.

 

5

Zum Himmel blick ich dann empor,

Er hängt mit Wolken dicht.

Ach! hinter schwarzem Wolkenflor,

Da glänzt des Vollmonds Licht.

 

 

Fräuleins Wache

(1808)

 

Ich geh' all Nacht die Runde

Um Vaters Hof und Hall'.

Es schlafen zu dieser Stunde

Die trägen Wächter all.

5

Ich Fräulein zart muß streifen,

Ohn' Wehr und Waffen schweifen,

Den Feind der Nacht zu greifen.

 

O weh des schlimmen Gesellen!

Nach Argem steht sein Sinn.

10

Würd' ich nicht kühn mich stellen,

Wohl stieg' er über die Zinn'.

Wann ich denselben finde,

Wie er lauert bei der Linde,

Ich widersag' ihm geschwinde.

 

15

Da muß ich mit ihm ringen

Allein die Nacht entlang;

Er will mich stets umschlingen,

Wie eine wilde Schlang';

Er kommt vom Höllengrunde,

20

Wie aus eins Drachen Schlunde,

Gehn Flammen aus seinem Munde.

 

Und hab ich ihn überwunden,

Halt ihn im Arme dicht:

Doch eh' die Sterne geschwunden,

25

Entschlüpft mir stets der Wicht.

Ich kann ihn niemand zeigen,

Muß meinen Sieg verschweigen

Und mich in Trauer neigen.

 

 

Des Hirten Winterlied

(1809)

 

Vertont von:

Felix Mendelssohn-Bartholdy (1809-1847), op. 57 no. 2

 

O Winter, schlimmer Winter!

Wie ist die Welt so klein!

Du drängst uns all in die Täler,

In die engen Hütten hinein.

 

5

Und geh ich auch vorüber

An meiner Liebsten Haus:

Kaum sieht sie mit dem Köpfchen

Zum kleinen Fenster heraus.

 

Und nehm ich's Herz in die Hände

10

Und geh hinauf ins Haus:

Sie sitzt zwischen Vater und Mutter,

Schaut kaum zu den Äuglein heraus.

 

O Sommer, schöner Sommer!

We wird die Welt so weit!

15

Je höher man steigt auf die Berge,

Je weiter sie sich verbreit't.

 

Und stehest du auf dem Felsen,

Traut Liebchen! ich rufe dir zu.

Die Halle sagen es weiter,

20

Doch niemand hört es als du.

 

Und halt ich dich in den Armen

Auf freien Bergeshöh'n:

Wir sehn in die weiten Lande

Und werden doch nicht gesehn.

 

 

Ritter Paris

(1809)

 

Paris ist der schönste Ritter,

Alle Herzen nimmt er hin.

Jede Dame kann's beschwören

An dem Hof der Königin.

5

Was der schönen Siegeszeichen

Warf das Glück in seinen Schoß!

Briefe, die von Küssen rauschen,

Locken, Ringe, zahlenlos.

Allzu leichter Siege Zeichen!

10

Ungebetnes Minneglück!

Bann und Fessel nennt euch Paris,

Stößt sein süßes Los zurück.

Schwingt zu Roß sich, schwer gerüstet,

Glüht von edler Heldenlust,

15

Beut den Frauen all den Rücken,

Beut den Männern keck die Brust.

Doch es will kein Feind sich zeigen,

Frühling waltet im Gefild',

Mit dem Helmbusch spielen Lüftchen,

20

Sonne spiegelt sich im Schild.

Weit schon ist er so geritten,

Siehe! da an Waldes Tor

Hält ein Ritter, hoch zu Rosse,

Strecket ihm die Lanze vor.

25

Ritter Paris fliegt zum Kampfe,

Eilte nie zum Reihn so sehr;

Wirft den Gegner stracks zur Erde,

Blickt als Sieger stolz umher;

Naht sich hülfreich dem Geworfnen,

30

Nimmt ihm ab des Helms Gewicht:

Sieh! da wallen reiche Locken

Um ein zartes Angesicht.

Wie er Schien' und Panzer löset,

Welch ein Busen! welch ein Leib!

35

Hingegossen ohne Leben,

Liegt vor ihm das schönste Weib.

Würden erst die bleichen Wangen

Röten sich von neuer Glut,

Hüben erst sich diese Wimpern,

40

Wie dann, Paris, junges Blut?

Ja! schon holt sie tiefen Atem,

Schlägt die Augen zärtlich auf;

Die als wilder Feind gestorben,

Lebt als milde Freundin auf.

45

Dort, in Stücken, liegt die Hülle,

Die ein starrer Ritter war,

Hier, in Paris' Arm, die Fülle,

Süßer Kern, der Schale bar.

Paris spricht, der schöne Ritter:

50

«Welcher Sieg nun, welcher Ruhm?

Soll mir nie ein Strauß gelingen

In dem ernsten Rittertum?

Wandelt stets, was ich berühre,

Sich in Scherz und Liebe mir?

55

Minneglück, das mich verfolget,

Zürn' ich oder dank' ich dir?»

 

 

Der gute Kamerad

(1809)

 

Ich hatt' einen Kameraden

Einen bessern findst du nit.

Die Trommel schlug zum Streite,

Er ging an meiner Seite

5

In gleichem Schritt und Tritt

 

Eine Kugel kam geflogen,

Gilt´s mir oder gilt es dir?

Ihn hat es weggerissen,

Er liegt mir vor den Füßen,

10

Als wär´s ein Stück von mir.

 

Will mir die Hand noch reichen,

Derweil ich eben lad'.

Kann dir die Hand nicht geben,

Bleib du im ew'gen Leben

15

Mein guter Kamerad!

 

 

Der Schmied

(1809)

 

Vertont von:

Johannes Brahms (1833-1897), 1859

Fanny Mendelssohn-Hensel (1805-1847), op. 9 no. 12.

(Joseph) Joachim Raff (1822-1882), op. 98 no. 21 (1855-63), «Sanges-Frühling»

 

Ich hör' meinen Schatz,

Den Hammer er schwinget,

Das rauschet, das klinget,

Das dringt in die Weite,

5

Wie Glockengeläute,

Durch Gassen und Platz.

 

Am schwarzen Kamin,

Da sitzet mein Lieber,

Doch geh' ich vorüber,

10

Die Bälge dann sausen,

Die Flammen aufbrausen

Und lodern um ihn.

 

 

Der Wirtin Töchterlein

(1809)

 

Vertont von:

(Philipp) Friedrich Silcher (1789-1860)

Johann Karl Gottfried Loewe (1796-1869), op. 1 no. 2

 

Es zogen drei Bursche wohl über den Rhein,

Bei einer Frau Wirtin da kehrten sie ein.

 

«Frau Wirtin! hat sie gut Bier und Wein?

Wo hat sie ihr schönes Töchterlein?»

 

5

«Mein Bier und Wein ist frisch und klar,

Mein Töchterlein liegt auf der Totenbahr'.»

 

Und als sie traten zur Kammer hinein,

Da lag sie in einem schwarzen Schrein.

 

Der erste, der schlug den Schleier zurück

10

Und schaute sie an mit traurigem Blick:

 

«Ach! lebtest du noch, du schöne Maid!

Ich würde dich lieben von dieser Zeit!»

 

Der zweite deckte den Schleier zu

Und kehrte sich ab und weinte dazu:

 

15

«Ach! daß du liegst auf der Totenbahr'!

Ich hab' dich geliebet so manches Jahr.»

 

Der dritte hub ihn wieder sogleich

Und küßte sie an den Mund so bleich:

 

«Dich liebt' ich immer, dich lieb' ich nocht heut,

20

Und werde dich lieben in Ewigkeit!»

 

 

Das Schifflein

(1810)

 

Ein Schifflein ziehet leise

Den Strom hin seine Gleise.

Es schweigen, die drin wandern,

Denn keiner kennt den andern.

 

5

Was zieht hier aus dem Felle

Der braune Weidgeselle?

Ein Horn, das sanft erschallet;

Das Ufer widerhallet.

 

Von seinem Wanderstabe

10

Schraubt jener Stift und Habe,

Und mischt mit Flötentönen

Sich in des Hornes Dröhnen.

 

Das Mädchen saß so blöde,

Als fehlt' ihr gar die Rede,

15

Jetzt stimmt sie mit Gesange

Zu Horn und Flötenklange.

 

Die Rudrer auch sich regen

Mit taktgemäßen Schlägen.

Das Schiff hinunter flieget,

20

Von Melodie gewieget.

 

Hart stößt es auf am Strande,

Man trennt sich in die Lande.

Wann treffen wir uns, Brüder!

Auf einem Schifflein wieder?

 

 

Der nächtliche Ritter

(1810)

 

In der mondlos stillen Nacht

Stand er unter dem Altane,

Sang mit himmlisch süßer Stimme

Minnelieder zur Gitarre.

5

Dann auch mit den Nebenbuhlern

Hat er tapfer sich geschlagen,

Daß die hellen Funken stoben,

Daß die Mauern widerhallten.

Und so übt' er jeden Dienst,

10

Den man weihet edeln Damen,

Daß mein Herz in Lieb' erglühte

Für den teuern Unbekannten.

Als ich drauf am frühen Morgen

Bebend blickte vom Altane:

15

Blieb mir nichts von ihm zu schauen,

Als sein Blut, für mich gelassen.

 

 

Das Ständchen

(1810)

Später im Zyklus Sterbeklänge

 

Vertont von:

Norbert Burgmüller (1810-1836), «Ständchen», op. 10 no. 5 (1827-36?)

Robert Kahn (1865-1951), «Ständchen», op. 16 no. 4 (1892)

Johann Karl Gottfried Loewe (1796-1869), «Das Ständchen», op. 9, ii, 4 (1826)

Ludwig Spohr (1784-1859), «Das Ständchen», op. 105 no. 3 (1838)

 

Was wecken aus dem Schlummer mich

Für süße Klänge doch?

O Mutter, sieh! wer mag es sein,

In später Stunde noch?

 

5

«Ich höre nichts, ich sehe nichts,

O schlummre fort so lind!

Man bringt dir keine Ständchen jetzt,

Du armes krankes Kind.»

 

Es ist nicht irdische Musik,

10

Was mich so freudig macht,

mich rufen Engel mit Gesang,

O Mutter, gute Nacht.

 

 

Graf Eberhards Weißdorn

(1810)

 

Vertont von:

Johann Karl Gottfried Loewe (1796-1869), op. 9 H. IV Nr. 5 (1825)

 

Graf Eberhard im Bart

Vom Würtemberger Land,

Er kam auf frommer Fahrt

Zu Palästinas Strand.

 

5

Daselbst er einstmals ritt

Durch einen frischen Wald;

Ein grünes Reis er schnitt

Von einem Weißdorn bald.

 

Er steckt' es mit Bedacht

10

Auf seinen Eisenhut;

Er trug es in der Schlacht

Und über Meeres Flut.

 

Und als er war daheim,

Er's in die Erde steckt,

15

Wo bald manch neuen Keim

Der milde Frühling weckt.

 

Der Graf, getreu und gut,

Besucht' es jedes Jahr,

Erfreute dran den Mut,

20

Wie es gewachsen war.

 

Der Herr war alt und laß,

das Reislein war ein Baum,

Darunter oftmals saß

Der Greis im tiefem Traum.

 

25

Die Wölbung, hoch und breit,

Mit sanftem Rauschen mahnt

Ihn an die alte Zeit

Und an das ferne Land.

 

 

Graf Richard Ohnefurcht

(1810)

 

1.

 

Graf Richard von der Normandie

Erschrak in seinem Leben nie.

Er schweifte Nacht wie Tag umher,

Manchem Gespenst begegnet' er,

5

Doch hat ihm nie was Graun gemacht

Bei Tage noch um Mitternacht.

Weil er so viel bei Nacht tät reiten,

So ging die Sage bei den Leuten:

Er seh' in tiefer Nacht so licht,

10

Als mancher wohl am Tage nicht.

Er pflegte, wann er schweift' im Land,

Sooft er wo ein Münster fand,

Wenn's offen war, hineinzutreten,

Wo nicht, doch außerhalb zu beten.

15

So traf er in der Nacht einmal

Ein Münster an im öden Tal;

Da ging er fern von seinen Leuten,

Nachdenklich, ließ sie fürbaß reiten,

Sein Pferd er an die Pforte band,

20

Im Innern einen Leichnam fand.

Er ging vorbei hart an der Bahre

Und kniete nieder am Altare,

Warf auf 'nen Stuhl die Handschuh' eilig,

Den Boden küßt' er, der ihm heilig.

25

Noch hatt' er nicht gebetet lange,

Da rührte hinter ihm im Gange

Der Leichnam sich auf dem Gestelle;

Der Graf sah um und rief: «Geselle!

Du seist ein Guter oder Schlimmer,

30

Leg dich aufs Ohr und rühr dich nimmer!»

Dann erst er sein Gebet beschloß,

Weiß nicht, ob's klein war oder groß.

Sprach dann, sich segnend: «Herr! mein Seel'

Zu deinen Händen ich empfehl'.»

35

Sein Schwert er faßt' und wollte gehen,

Da sah er das Gespenst aufstehen,

Sich drohend ihm entgegenrecken,

Die Arme in die Weite strecken,

Als wollt' es mit Gewalt ihn fassen

40

Und nicht mehr aus der Kirche lassen.

Richard besann sich kurze Weile,

Er schlug das Haupt ihm in zwei Teile;

Ich weiß nicht, ob es wehgeschrien,

Doch mußt's den Grafen lassen ziehn.

45

Er fand sein Pferd am rechten Orte;

Schon ist er aus des Kirchhofs Pforte,

Als er der Handschuh' erst gedenkt.

Er läßt sie nicht, zurück er lenkt,

Hat sie vom Stuhle weggenommen;

50

Wohl mancher wär' nicht wieder kommen.

 

2.

 

In der Abtei von Sankt Ouen

War dazumal ein Sakristan;

Er war als frommer Mönch genannt,

Ihm gutes Zeugnis zuerkannt.

55

Allein je mehr die Seele wert,

Je mehr der Teufel ihr begehrt.

Einst ging der Mönch, von dem ich sprach,

Im Münster seinem Amte nach,

Da mußt' er eine Dame sehen,

60

Er liebt sie, kann nicht widerstehen,

Er stirbt, wird sie ihm Gunst versagen,

Er will an sie sein Alles wagen.

Wie er nun bat, wie er verhieß,

Die Dame sich bereden ließ,

65

Sie zeigte Zeit und Ort ihm an,

Wo er zunacht sie treffen kann.

Als nun die Nacht gedunkelt tief

Und alles in dem Kloster schlief,

Begann der Bruder seinen Gang,

70

Er suchte nicht Gesellschaft lang.

Zum Haus der Dame war kein Weg,

Als über einen schmalen Steg,

Darüber wollt' er eilig gehen;

Nun weiß ich nicht, wie ihm geschehen,

75

Ob er sich stieß, sich übertrat,

Ob einen falschen Tritt er tat:

Er fiel ins Wasser und versank,

Ohn' alle Rettung er ertrank.

Ein Teufel gleich die Seele nahm,

80

So warm sie aus dem Leibe kam;

Er wollte sie zur Hölle ziehn,

Da trat ein Engel vor ihn hin.

Sie täten um die Seele streiten,

Mit Gründen wechselnd sich bedeuten.

85

Der Teufel sprach: «Es ziemt dir schlecht,

Zu greifen in mein bestes Recht.

Du weißt, die Seel' ist mir gebunden,

Die ich ob bösen Werken funden.

Ich traf den Mönch ob bösen Werken,

90

Wie an dem Wege leicht zu merken,

Der Weg hat ihm den Stab gebrochen.

Du weißt, es hat der Herr gesprochen:

Wo ich dich find, will ich dich richten.»

Der Engel sprach darauf: «Mitnichten!

95

Der Bruder lebte wandelfrei,

Solang er war in der Abtei.

Nun hat die Schrift uns klar bedeutet:

Dem Guten ist sein Lohn bereitet.

Dem Unsern muß der Lohn nun werden

100

Des Guten, das er tat auf Erden.

Die Sünde war noch nicht erfüllt,

Darum du schon ihn richten willt.

Er ist aus der Abtei getreten,

Er hat die Planke zwar betreten,

105

Allein er konnte noch zurücke,

Wär' er gestürzt nicht von der Brücke.

Des Bösen, das er nicht getan,

Darf er die Strafe nicht empfahn,

Und um ein wenig Wollen, nein!

110

Kann er nicht ein Verdammter sein.

Doch klage keiner übern andern,

Laß uns zum Grafen Richard wandern!

Von ihm sei unser Span geschlichtet!

Er hat noch immer gut gerichtet.»

115

Der Teufel sprach: «Ich bin's zufrieden,

Von ihm sei zwischen uns entschieden!»

Sie eilten ins Gemach des Grafen,

Er lag im Bett und hatt' geschlafen,

Doch war er jetzo eben wach

120

Und dachte manchen Dingen nach.

Sie meldeten ihm alles klar,

Wie's mit der Seel' ergangen war.

Sie bäten ihn nun, zu entscheiden,

Wem sie gehören sollt' von beiden.

125

Herr Richard hielt nicht lange Rat,

Er kürzlich diesen Ausspruch tat:

«Die Seele gebt dem Leib zurücke

Und stellt das Pfäfflein auf die Brücke,

Dahin gerade, wo es fiel!

130

Dann mische keiner sich ins Spiel!

Und rennt es in gestrecktem Lauf

Voran, und schaut nicht um, noch auf,

So fall' es in des Bösen Schlinge

Ohn' Widerspruch und lang Gedinge!

135

Doch wenn es anders sich entschieden

Und sich zurückzieht, hab' es Frieden!»

Der Rechtsspruch, den der Graf getan,

Stund einem wie dem andern an,

Die Seele sie dem Leib einbliesen,

140

Dem Mönch die alte Stelle wiesen.

Als sich der Bruder wieder fand

Und frisch auf beiden Beinen stand,

Zog schneller er zurück den Schritt,

Als wer auf eine Schlange tritt.

145

Kaum hatten sie ihn losgelassen,

Tät er mit Abschied kurz sich fassen,

Er floh in größter Hast nach Haus,

Verkroch sich, wand die Kleider aus.

Noch immer er zu sterben bebte,

150

Er war im Zweifel, ob er lebte.

Als nun der Morgen brach heran,

Da ging der Graf nach Sankt Ouen,

Berief die Brüderschaft zuhand,

Den Mönch in nassen Kleidern fand.

155

Richard ihn zu sich kommen ließ

Und vor den Abt ihn treten hieß:

«Herr Bruder! wie ist's Euch ergangen,

Was habt Ihr Schlimmes angefangen?

Ein andermal habt besser acht

160

Beim Plankengehen in der Nacht!

Erzählt dem Abte frei und offen,

Was Euch in dieser Nacht betroffen!»

Der Bruder schämte sich zu Tod',

Er ward bis über die Ohren rot,

165

Vor Abt und Grafen so zu stehen,

Doch tät er alles frei gestehen.

Der Graf bestärkte den Bericht,

So kam die Wahrheit an das Licht,

Und in der Normandie noch lange

170

War dieses Stichelwort im Schwange:

«Mein frommer Bruder, wandelt sacht

Und nehmt auf Stegen Euch in acht!»