<<< Übersicht  <<< rückwärts  vorwärts >>>



B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A

 

 

 

 
Carl von Savigny
Beitrag zur Rechtsgeschichte des Adels

 


 






 




12:18
   Zweiter Abschnitt.

12:19
   Die Zeit der Völkergesetze.



12:20
   In dem folgenden Zeitraum werden die Nachrichten
12:21
besonders darin bestimmter, daß sie sich auf
13:1
einzelne Völkerstämme beziehen. Unter diesen aber
13:2
ist vorzüglich der Unterschied zu beachten, ob wir sie
13:3
zur Zeit jener Nachrichten noch in ihren Deutschen
13:4
Wohnsitzen finden, oder vielmehr in Römischen Ländern,
13:5
worin sie sich als Eroberer angesiedelt haben.

13:6
   Dieses letzte Ereigniß hat aus zwei Gründen den
13:7
größten Einfluß auf die Standesverhältnisse gehabt,
13:8
erstlich durch die in den eroberten Ländern sehr erweiterte
13:9
königliche Macht, zweitens durch den überwiegenden
13:10
Einfluß der Gefolgschaften auf die Eroberung,
13:11
woraus nothwendig folgte, daß in dem
13:12
neuen Verhältniß diese eine, mehr zufällige, Seite
13:13
des Adelstandes sichtbarer hervortrat, als die rein
13:14
nationale Seite desselben. Beides zusammengefaßt
13:15
aber führte auf das ganz neue Verhältniß, in welchem
13:16
der Adel mit seinen Gefolgen in die allgemeine
13:17
und bleibende Gefolgschaft des Königs kam, - ein
13:18
Verhältniß, das der ursprünglichen Verfassung (so
13:19
weit wir sie aus geschichtlichen Zeugnissen kennen)
13:20
fremd war, bald aber alle anderen Verhältnisse überwog.
13:21
wog.

13:22
   Zur ersten Classe der Völkerstämme gehören die
14:1
Sachsen, Friesen, Thüringer, Alemannen, Bayern;
14:2
zur zweiten Classe die Burgunder, Franken, Longobarden.

14:4
   I. Sachsen.

14:5
   Bei den Sachsen haben wir den Vortheil, alte
14:6
und bestimmte historische Nachrichten mit dem Inhalt
14:7
der Gesetze verbinden zu können.

14:8
Nithard, dessen Werk um die Mitte des
14:9
neunten Jahrhunderts geschrieben ist, giebt als Bestandtheile
14:10
der Sächsischen Nation drei Stände an:
14:11
Edhilingi, Frilingi, Lazzi. Die Rechte derselben
14:12
bestimmt er nicht. Bemerkenswerth aber ist
14:13
hier das älteste unzweifelhafte Vorkommen der
14:14
Namen Edelinge und Frilinge, wodurch die
14:15
Meinung widerlegt wird, nach welcher der Name
14:16
der Freien erst weit später und nur in Folge der
14:17
verfallenden Verfassung als Standesname gebraucht
14:18
worden seyn soll.

15:1
   Dieselben Stände, mit denselben Namen, finden
15:2
sich in dem Leben des H. Lebuinus, geschrieben
15:3
um die Mitte des zehnten Jahrhunderts. Zwei
15:4
Zusätze aber machen dieses Zeugniß merkwürdig:
15:5
erstlich, daß die Sachsen niemals ein Königthum
15:6
hatten, zweitens, daß jeder Gau einen Princeps hat.
15:7
Dieses ist nun offenbar die auch bei Tacitus erwähnte
15:8
richterliche Obrigkeit, nur daß ihr hier der
15:9
Name Princeps bestimmt als Amtstitel beigelegt
15:10
wird, was bei Tacitus nicht angenommen werden
15:11
darf.

15:12
   Dagegen zählt Ruodolfus, dessen kleines Werk
15:13
bald nach der Mitte des neunten Jahrhunderts, also
15:14
gleichzeitig mit Nithard, geschrieben ist, vier
15:15
Stände, indem er, ganz wie Tacitus, die Freigelassenen
15:16
als einen besonderen Stand einschiebt. Die
15:17
Deutschen Namen der Stände hat er nicht. Allein
15:18
er ergänzt die eben angeführten Schriftsteller durch
16:1
die höchst wichtige Nachricht, daß die Ehe nur unter
16:2
Personen eines gleichen Standes erlaubt gewesen,
16:3
und daß die Uebertretung dieses Gesetzes mit dem
16:4
Tode bestraft worden sey.

16:5
Adam von Bremen (aus dem elften Jahrhundert)
16:6
wiederholt ganz wörtlich die Nachricht des
16:7
eben angeführten Schriftstellers, so daß er denselben
16:8
vor Augen gehabt haben muß. Auch er fügt die
16:9
Nachricht von der Todesstrafe für die Uebertreter
16:10
jenes Gesetzes hinzu.

16:11
   Die Lex Saxonum, gesammelt im J. 802, aber
16:12
aus älteren Materialien, bestimmt das Wehrgeld
16:13
für den Todtschlag in folgender Abstufung nach
16:14
dem Stand des Getödteten; für den Nobilis 1440
16:15
Solidi, für den Freien 240, den Litus 120,
17:1
also im Verhältniß von 12., 2., 1. Dagegen
17:2
kommen mehrere Strafen vor, die nach dem Stande
17:3
des Uebertreters abgestuft sind: Für unterlassene
17:4
Kindtaufe 120, 60, 30 Solidi, für verbotene Ehe,
17:5
heidnische Superstition, jedesmal 60, 30, 15 Solidi,
17:6
für versäumtes Placitum 4, 2, 1 Solidi. Hier
17:7
erscheint überall das Verhältniß von 4, 2, 1. Offenbar
17:8
wollte man also den Adel dadurch begünstigen,
17:9
daß man ihn von den niederen Ständen stärker
17:10
unterschied, wenn er eine Strafe zu empfangen, als,
17:11
wenn er eine solche zu zahlen hatte. - In keinem
17:12
dieser Gesetze werden die Freigelassenen als abgesonderter
17:13
Stand erwähnt, so daß also hierin die
17:14
Angabe mehrerer Geschichtschreiber durch die Gesetze
17:15
keine Bestätigung erhält. Nach dem Ausdruck der
17:16
angeführten Kapitularien, die stets von ingenuis
17:17
reden, möchte man die Freigelassenen noch zu den
17:18
Liten rechnen; dagegen wird in der Lex dem Nobilis
18:1
der liber homo entgegen gestellt, und unter diesen
18:2
Ausdruck paßt auch der Freigelassene. - Einmal
18:3
kommen neben einander Servi und Liti als verschiedene
18:4
Personen vor.

18:5
   Eines der hier angeführten Gesetze belegt die
18:6
verbotene Ehe mit einer mäßigen Geldstrafe. Das
18:7
kann allerdings allgemein, unter andern auch von
18:8
dem Fall der nahen Verwandtschaft, verstanden
18:9
werden. Da aber dabei gerade die drei Stände
18:10
genannt werden, zwischen welchen nach dem angeführten
18:11
geschichtlichen Zeugniß die Ehe verboten war,
18:12
so liegt es weit näher, eben auf dieses Verbot jene
18:13
Strafe zu beziehen. Dann läge darin eine wichtige
18:14
Bestätigung jener Nachricht der Geschichtschreiber;
18:15
nur müßte die von denselben behauptete Todesstrafe,
18:16
wenn sie nicht überhaupt auf einem Mißverständniß
18:17
beruht, auf viel ältere Zeiten bezogen werden, auf
19:1
Zeiten also, von welchen jene Schriftsteller um so
19:2
weniger sichere Nachrichten haben konnten.

19:3
   II. Friesen.

19:4
   Das Gesetz der Friesen, dessen Abfassung mit
19:5
der des Sächsischen gleichzeitig ist, bestimmt die
19:6
Strafe des Todtschlags nach dem Stande des Erschlagenen;
19:7
das Wehrgeld beträgt für den Nobilis
19:8
80 Solidi, den Liber 53 1/3, den Litus 35 5/9 (nämlich
19:9
26 2/3 für den Herrn, 8 8/9 für die Verwandten). Mit
19:10
überflüssiger Umständlichkeit wird für jeden dieser
19:11
drei Fälle bestimmt, daß diese Strafe bezahlt werden
19:12
solle, wenn der Thäter dem ersten Stande, aber auch,
19:13
wenn er dem zweiten, und eben so, wenn er dem
19:14
dritten Stande angehöre. Dabei liegt zum Grunde
19:15
das Verhältniß von 9, 6, 4, und hatte man
19:16
einmal dieses Grundverhältniß angenommen, und
20:1
zugleich für den Adel das Wehrgeld auf 80 bestimmt,
20:2
so erklären sich daraus leicht die Summen
20:3
für die anderen Stände, deren Bestimmnng in gebrochenen
20:4
Zahlen auf den ersten Blick kleinlich und
20:5
zwecklos erscheint. In einigen Gegenden jedoch galt
20:6
das Verhältniß von 4, 2, 1, wobei das Wehrgeld
20:7
der Freien wenig oder gar nicht verändert, wohl
20:8
aber das des Adels erhöht, so wie das der Liten
20:9
vermindert erscheint. - Diese drei Stände waren
20:10
die Bestandtheile der Nation, und jedes Mitglied
20:11
derselben war durch ein eigenes Wehrgeld geschützt.
20:12
Daneben aber kommen noch Sclaven vor, die nicht
20:13
der Nation angehören, sondern, so wie andere Sachen,
20:14
im Eigenthum des Herrn sind. Wurde ein Sclave
20:15
getödtet, so hatte der Thäter dem Herrn den Werth
20:16
zu bezahlen, und es kommt nur der untergeordnete
20:17
Unterschied vor, daß in einigen Gegenden der Werth
20:18
des Sclaven besonders taxirt, in anderen zur Hälfte
20:19
des gesetzlichen Wehrgeldes eines LiTus angeschlagen
20:20
wurde.

20:21
   In späterer Zeit sind mehrere Friesische Rechtsbücher
21:1
in der Landessprache abgefaßt worden. Ein
21:2
solches, das Asega=Buch aus dem dreizehnten Jahrhundert,
21:3
ist gedruckt. Von einem Wehrgeld ist
21:4
hier nicht mehr die Rede, aber bei den Eideshelfern
21:5
wird einmal gesagt, daß Vier aus jedem der drei
21:6
Stände schwören sollen. Die Namen dieser Stände
21:7
heißen hier Frilinge, Ethelinge, Lethslachthe.
21:8
Dabei ist merkwürdig theils die völlige Uebereinstimmung
21:9
mit den Sächsischen Benennungen, theils die
21:10
späte Erhaltung der drei Nationalstände mit ihren
21:11
alten Namen.

21:12
   III. Thüringer.

21:13
   Im Gesetz der Thüringer kommen drei Stände
21:14
vor: Adalingi, Liberi, Servi. Diese letzten stehen
21:15
in dem Wehrgeld für den Todtschlag weit geringer,
21:16
als anderwärts die Liten; sie sind also Unfreie geringerer
21:17
Art, und nicht, wie die Liten, als eine Abtheilung
21:18
der Nation zu betrachten. Das Wehrgeld
21:19
beträgt nämlich für die drei Stände 600, 200, 30
21:20
Solidi. Daneben wird noch ein besonderes Wehrgeld
22:1
für den erschlagenen Freigelassenen, zu 80 Solidi,
22:2
angegeben; jedoch ist diese Stelle von zweifelhafter
22:3
Aechtheit.

22:4
   Für geringere Verletzungen wird überall nur
22:5
das Wehrgeld der zwei höheren Stände angegeben,
22:6
und zwar stets in dem Verhältniß von drei zu
22:7
eins. Auch darin bestätigt es sich, daß die Unfreien
22:8
höherer Art hier gar nicht vorkommen.
22:9
In der Longobardischen Geschichte wird ein edles
22:10
Thüringisches Geschlecht, mit Namen Anavat, erwähnt,
22:11
aus welchem der Longobardische König Agiliup
22:12
oder Agilulf entsprossen war, was also
22:13
allein schon hinreichen würde, das Daseyn eines
22:14
alt=Thüringischen Adels zu erweisen.

22:15
   IV. Alemannen.

22:16
   Bei den Alemannen kommen wieder drei Nationalstände
22:17
mit verschiedenem Wehrgeld vor. In
22:18
dem ursprünglichen Gesetz zwar finden sich nur zwei
22:19
Stände: der liber mit 160 Solidi Wehrgeld, der
23:1
medius mit 200; daneben noch die Bestimmung,
23:2
daß das Verbrechen gegen eine Frau doppeltes Wehrgeld
23:3
zur Folge hat. Allein in den Additionen
23:4
zu diesem Gesetz stehen die drei Stände vollständig
23:5
mit folgender Abstufung des Wehrgeldes: Der
23:6
Minoflidus 170, Medianus 200, Primus 240. In
23:7
denselben Fällen die Frau 320, 400, 480. Hier
23:8
ist nun vor Allem klar, daß 170 ein bloßer Schreibfehler
23:9
ist, und in 160 verbessert werden muß.

23:10
   Dann steht das Verhältniß der Stände, wie 6, 5, 4.
23:11
Ferner heißt hier der unterste Stand bald Liber,
23:12
bald Minoflidus, der zweite bald Medius, bald Medianus;
23:13
der erste heißt hier Primus, in andern Stellen
23:14
Meliorissimus.

24:1
   Da nun hier der Ausdruck Nobilis nicht vorkommt,
24:2
so könnte man glauben, die Alemannen hätten
24:3
überhaupt keinen Adel gekannt sondern nur eine
24:4
höhere Classe der Freien. Aber was ist überhaupt
24:5
der Adel Anders, als eine höhere Classe der
24:6
Freien? Vielmehr glaube ich, daß wir durch die bloße
24:7
Analogie berechtigt sind anzunehmen, die Primi, Mediani
24:8
und Minoflidi der Alemannen seyen Dasselbe,
24:9
wie die Nobiles, Liberi und Liti der Friesen. Nichts
24:10
beweis't gegen diese Annahme eine andere Stelle der
24:11
Additionen, worin namentlich Liti nnd neben diesen
24:12
Servi und Ingenui erwähnt werden. Denn diese
24:13
Stelle gehört offenbar einer anderen Zeit und Terminologie
24:14
an. Die Ingenui und Liti dieser Stelle
24:15
entsprechen den Mediani und Minoflidi der oben angeführten
24:16
Stellen, und neben den Liti haben ja
24:17
überall noch eigentliche Servi Raum, Unfreie geringerer
24:18
Art, die gar nicht zu den Ständen oder Bestandtheilen
25:1
der Nation gehören, und daher in den
25:2
meisten Gesetzen über das Wehrgeld gar nicht mit
25:3
in der Reihe genannt werden.

25:4
   V. Baiern.

25:5
   In den Bairischen Gesetzen finden sich drei Stände,
25:6
Nobiles, Liberi, Servi. Das Wehrgeld der Freien
25:7
beträgt 160 Solidi. Das der Edlen ist doppelt
25:8
so groß, aso 320, das der Sclaven nur 20 Solidi,
25:9
die ganz der Herr bekommt. In den Gesetzen
25:10
also erscheint, so wie bei den Thüringern, nur
25:11
die strengere Unfreiheit, nicht die mildere, wie die der
25:12
Liti bei anderen Stämmen. Dennoch war außerdem
25:13
den Baiern dieses letzte Verhältniß nicht unbekannt;
25:14
denn in alten Urkunden kommen Aldiones vor,
25:15
welches bei den Longobarden der Name der milderen
26:1
Unfreiheit ist, und ein Ueberrest dieses Sprachgebrauchs
26:2
hat sich noch heutzutage in der Bairischen
26:3
Volkssprache erhalten, worin die ländlichen Dienstboten
26:4
Halden oder Ehehalden genannt werden.

26:5
Ganz eigenthümlich dem Bairischen Gesetz ist das
26:6
sechsfache Wehrgeld des Herzogs (960 Solidi), und
26:7
das vierfache des herzoglichen Geschlechts, oder der
26:8
Agilolfinger (640). Dafür findet sich in allen
26:9
übrigen Völkergesetzen keine Analogie. Ferner ist
26:10
hier eigenthümlich, daß das Gesetz den Adel nicht
26:11
so, wie bei anderen Stämmen, blos im Allgemeinen
26:12
bezeichnet, sondern mit Benennung aller einzelnen
26:13
edlen Geschlechter, die hier nur Fünf an der Zahl
26:14
aufgezählt werden.

27:1
   VI. Burgunder.

27:2
   Es folgen nunmehr die Völkerstämme der zweiten
27:3
Classe, in deren Gesetzen die Eroberung Römischer
27:4
Länder und die Beherrschung Römischer Unterthanen
27:5
sichtbar hervortritt.

27:6
   Dahin gehören zuerst die Burgunder. Für den
27:7
absichtlichen Todtschlag von regelmäßiger, vollständiger
27:8
Zurechnung lassen ihre Gesetze kein Wehrgeld
27:9
mehr zu, sondern verordnen allgemein die Todesstrafe,
27:10
ohne Unterschied der Stände. Allein für den Fall,
27:11
worin der Todtschläger zu der That durch empfangene
27:12
Schläge oder Wunden gereitzt war, soll die
27:13
Hälfte des früheren Wehrgeldes bezahlt werden, so
27:14
daß darin dieses selbst indirect sichtbar wird. Hier
27:15
werden drei Stände unterschieden, deren einem der
27:16
Erschlagene angehört haben kann: Optimates nobiles,
27:17
Mediocres, Minores personae; darnach beträgt
27:18
das halbe Wehrgeld 150, 100, 75 Solidi, also im
27:19
Verhältniß von 6, 4, 3. Die Bedeutung der
27:20
zwei ersten Stände ist durch die Namen klar, so daß
27:21
an dem Daseyn eines eigentlichen Adels unter den
27:22
Burgundern kaum gezweifelt werden kann; unter dem
27:23
dritten Stande dürfen wir nach der Analogie der
27:24
anderen Stämme dieselben Personen denken, welche
28:1
bei diesen mit dem Namen Liti bezeichnet werden,
28:2
das heißt, Unfreie der milderen Art, wie aus ihrem
28:3
verhältnißmäßig hohen Wehrgeld zu schließen ist.

28:4
   VII. Franken.

28:5
   Bei den Franken finden sich über das Wehrgeld,
28:6
je nach den verschiedenen Ständen, folgende Bestimmungen;
28:7
in diesen Bestimmungen ist das Ripuarische
28:8
Gesetz mit dem Salischen übereinstimmend, nur weit
28:9
unvollständiger, und es wird daher zweckmäßig seyn,
28:10
beide Gesetze in Verbindung darzustellen.
28:11
Das Wehrgeld für den Todtschlag an einem
28:12
Franken ist bei dem Antrustio 600 Solidi, bei dem
28:13
freigebornen Franken 200, bei dem Litus 100.
28:14
Bei einem erschlagenen Römer gilt unter anderen
28:15
Namen dieselbe Abstufung nach drei Ständen, nur
28:16
beträgt das Wehrgeld regelmäßig halb so viel, als
28:17
bei dem erschlagenen Franken derselben Classe, also
28:18
bei dem Romanus conviva regis 300, bei dem
29:1
Romanus possessor 100, bei dem Romanus tributarius
29:2
45; dieses letzte hätte 50 heißen müssen,
29:3
ist also entweder Schreibfehler, oder eine nicht zu
29:4
erklärende Abweichung von dem sonst herrschenden
29:5
Grundverhältniß von 6, 2, 1.

29:6
   Außerdem aber war für jeden Erschlagenen eine
29:7
Erhöhung seines Wehrgeldes auf das Dreifache vorgeschrieben,
29:8
wenn derselbe gerade im Felde stand
29:9
(in hoste, also nicht in patria).

29:10
   Daraus ergiebt sich folgende regelmäßige Scala
29:11
für den während des Feldzugs verübten Todtschlag:
29:12
1) Antrustio 1800., 2) der freie Franke 600.,
29:13
3) Litus 300., 4) der Römische conviva 900.,
29:14
5) Possessor 300., 6) Tributarius 135., welcher
29:15
letzte Fall aber in den Gesetzen gar nicht erwähnt
29:16
wird, weshalb man vielleicht annehmen könnte, daß
29:17
diese nie im Felde erschienen.

29:18
   Unrichtig haben sich Dieses Manche so gedacht,
29:19
als ob durch diese verschiedenen Strafsätze eben so
29:20
viele Classen oder Stände bestimmt würden, nach
30:1
welcher Annahme man, um consequent zu bleiben,
30:2
eigentlich 12 Stände annehmen müßte. Es sind
30:3
aber in der That nur drei Stände, deren jeder ein
30:4
ganzes oder halbes Wehrgeld hat, je nachdem er
30:5
unter Franken oder Römern vorkommt. Daraus
30:6
ergeben sich Sechs Classen als feste, dauernde Verhältnisse.
30:7
Daneben kann aber stets noch der augenblickliche
30:8
Kriegsdienst als ein zufälliges, vorübergehendes
30:9
Verhältniß hinzukommen, wodurch das
30:10
Wehrgeld eines jeden Getödteten dreimal so groß
30:11
wird, als es nach seinem gewöhnlichen Stande
30:12
gewesen wäre.

30:13
   Wer sind nun aber die Antrustionen, die hier
30:14
als erster Stand der Franken angegeben werden?
30:15
Im Allgemeinen konnte niemals bezweifelt werden,
30:16
daß darunter Diejenigen zu verstehen seyen, welche
30:17
sich dem König unmittelbar und persönlich zum Dienst
30:18
verpflichtet hatten. Da nun in den Gesetzen Edelinge
30:19
oder Nobiles gar nicht erwähnt werden, so nahm
30:20
man sehr gewöhnlich an, die Franken hätten einen
31:1
Nationaladel entweder niemals gehabt, oder frühe
31:2
untergehen lassen, und es sey dagegen von ihnen die
31:3
Stelle eines ersten Standes, die in andern Volksstämmen
31:4
der Adel einnahm, jenem neuen und willkürlich
31:5
gebildeten Verhältniß eingeräumt worden.

31:6
   Diese Ansicht aber widerstreitet nicht nur der Analogie
31:7
der übrigen Germanischen Völker, sondern vorzüglich
31:8
auch dem einzigen und sehr merkwürdigen Zeugniß
31:9
des Marculf über die Art der Aufnahme eines
31:10
Antrustio. Nach Marculf gehört allerdings zu
31:11
dieser Aufnahme der Eid der Treue in die Hand
31:12
des Königs; aber Dieses allein ist nicht genug. Er
31:13
muß vor dem König erscheinen mit einer Arimannie,
31:14
das heißt, mit einem Gefolge freier Franken, die
31:15
in seinem Dienste stehen, und die er also noch außer
31:16
seiner eigenen Person dem besonderen Dienste des
32:1
Königs zuführt, und zur besonderen Treue gegen
32:2
den König verpflichtet. Erwägt man nun, daß
32:3
schon Tacitus das Gefolge freier Germanen im
32:4
Dienst erwählter Principes als eines der wichtigsten
32:5
Verhältnisse der gesammten Nation, und zugleich
32:6
als einen Vorzug des Adels, beschreibt, so ist hier
32:7
die merkwürdigste Uebereinstimmung, ungeachtet der
32:8
dazwischen liegenden Jahrhunderte, ganz unverkennbar.

32:9
   In den Antrustionen erscheint nun der ganze alte
32:10
Nationaladel mit seinen Gefolgen, und es ist nur
32:11
der wichtige Unterschied eingetreten, daß der König,
32:12
der durch die Eroberung von Gallien eine ganz
32:13
andere Macht, als früher, erlangt hatte, gleichsam
32:14
als oberster Princeps an die Spitze getreten war,
32:15
um welche die früherhin beinahe unabhängigen
32:16
Principes einen großen Comitatus bildeten. Das
32:17
früher einfache Comitatsverhältniß war also jetzt
32:18
ein künstlich zusammengesetztes und abgestuftes geworden.
32:19
Wenn nun bei Marculf der König dem,
32:20
der den Eid geleistet hat, die Rechte eines Antrustio
32:21
ertheilt, so ist das nicht als eine willkürliche Gnade
32:22
zu betrachten, die Jedem zu Theil werden konnte,
32:23
sondern als die Anerkennung des allgemeinen Adelsrechts
32:24
in einer bestimmten Person. Daß die
33:1
Ausübung des Adelsrechts an diese Anerkennung,
33:2
also auch an den vorhergehenden Eid der Treue,
33:3
als an eine nothwendige Bedingung geknüpft war,
33:4
darin lag allerdings etwas Neues, eine große Erhöhung
33:5
der königlichen Gewalt, und dieses Neue
33:6
eben wird durch den Namen der Antrustionen, der
33:7
jetzt den Adel bezeichnet, sehr bestimmt ausgedrückt.
33:8
Wenn übrigens hier behauptet worden ist, die
33:9
Fränkischen Antrustionen seyen eigentlich der alte
33:10
Nationaladel, jedoch in einer besonderen Beziehung
33:11
auf den König, so darf Dieses doch nur von dem
33:12
Stand im Ganzen, und ohne Zweifel auch von der
33:13
überwiegenden Mehrzahl der einzelnen Geschlechter,
33:14
verstanden werden. Es ist aber mit dieser Annahme
33:15
wohl vereinbar, daß manche Familie des alten Adels
33:16
durch Verarmung in den zweiten Stand herabgesunken
33:17
seyn wird, so wie auf der anderen Seite
33:18
nicht wenige Familien des zweiten Standes durch
33:19
Kriegsglück oder Gunst dem Adel einverleibt worden
33:20
seyn mögen. Eine Bestätigung dieser letzten Annahme
33:21
kann man in dem Wehrgeld der Grafen und
33:22
der Sachibaronen finden, welches zwar in der Regel
34:1
600 Solidi beträgt, ohne Zweifel sowohl, weil
34:2
diese obrigkeitlichen Personen kraft ihres Amtes in
34:3
des Königs trustis standen, als weil sie in der Regel
34:4
aus dem Adel gewählt wurden. Wurden sie aber
34:5
ausnahmsweise aus den Hörigen des Königs genommen,
34:6
so betrug ihr Wehrgeld nur 300. Es
34:7
liegt nun ganz in der Analogie, daß der König,
34:8
wie er einem einzelnen Hörigen ein hohes Amt
34:9
geben konnte, so auch zur Erhebung einer ganzen
34:10
Familie freier Franken in den Adel befugt war;
34:11
denn Beides war eine einzelne Abänderung der gewöhnlichen
34:12
über die Standesverhältnisse geltenden
34:13
Regeln.

34:14
   Eine ähnliche Bewandtniß, wie mit den Fränkischen
34:15
Antrustionen, hatte es auch mit den Römischen
34:16
convivae regis. Während der Römischen Herrschaft
34:17
nämlich hatte sich stets der alte Gallische Adel factisch
34:18
erhalten, obgleich eine eigenthümliche Stelle für denselben
34:19
in der Römischen Provinzial=Verfassnng nicht
34:20
vorhanden war; das fortwährende Daseyn solcher
34:21
Gallischen Senatores unter den Römern hat keinen
34:22
Zweifel. Aus diesen nun wurde der erste Stand
34:23
der Römischen Unterthanen gebildet, und es ist kein
35:1
Zweifel, daß auch jeder Einzelne unter ihnen nur
35:2
dadurch die Vorzüge dieses Standes erlangen konnte,
35:3
daß ihn der König besonders darin aufnahm, nachdem
35:4
er selbst sich zu besonderer Treue verpflichtet
35:5
hatte. Schon der Name dieses Standes deutet unverkennbar
35:6
auf ein näheres Verhältniß zum König.

35:7
   Neben den hier aufgestellten Regeln aber ist noch
35:8
folgende Modification derselben merkwürdig. Für
35:9
Den, der in den Krieg zog, war ein zwiefaches Verhältniß
35:10
denkbar: er konnte fechten entweder unter
35:11
dem besondern Banner des Königs, oder in dem allgemeinen
35:12
Heerbann. Zwar bei den Antrustionen
35:13
und den convivae regis war gewiß nur das erste
35:14
Verhältniß möglich, aber bei den übrigen Ständen
35:15
war die erwähnte Verschiedenheit wohl zu beachten.

35:16
   Wenn nun ein freier Franke unter des Königs Banner
35:17
auszog, so gehörte er für diesen Feldzug zu des
35:18
Königs trustis, und bekam dadurch das Wehrgeld
35:19
der Antrustionen im Kriege, 1800 Solidi; aber
36:1
Das war nur vorübergehend, er bekam dadurch nicht
36:2
den Adel, und im Frieden sank sein Wehrgeld wieder
36:3
auf 200. - Ganz ähnlich nun verhielt es sich,
36:4
wenn der im Feld Getödtete ein Römischer possessor
36:5
war. Diente dieser im Heerbann, so war das
36:6
Wehrgeld 300; diente er in des Königs Banner, so
36:7
war es 900; nach dem Feldzug aber trat er in sein
36:8
altes Verhältniß zurück, und wurde nicht etwa ein
36:9
conviva regis. Eben so, wenn der Getödtete ein
36:10
Fränkischer Litus war, betrug sein Wehrgeld 300
36:11
oder 900, je nachdem er im Heerbann oder in des
36:12
Königs Banner diente. In diesem letzten Fall
37:1
ist es nun besonders einleuchtend, daß nach dem
37:2
Feldzug der Litus weder Antrustio, noch Ingenuus
37:3
werden konnte, sondern wieder sein altes Wehrgeld
37:4
von 100 bekam; denn 300 hätten ja zu keinem der
37:5
beiden höheren Stände der Franken gepaßt.
37:6
Diese Modificationen aber für die im Feld unter
37:7
des Königs Banner Erschlagenen waren gewiß nicht
37:8
wegen einer fein ausgesonnenen Consequenz angenommen
37:9
worden, sondern in einer ganz praktischen
37:10
Absicht. Ohne Zweifel hatte des Königs Gefolge
37:11
durch seine ganze Organisation weit mehr militärische
37:12
Brauchbarkeit, als die alte Nationalmiliz, deren Einrichtung
37:13
vielleicht schon etwas unbehülflich geworden
37:14
war. Dann war es das Interesse des Königs, aus
37:15
dem Heerbann, so viel möglich, Freiwillige in sein
37:16
Gefolge herüber zu ziehen. Dazu aber war gewiß
38:1
das Versprechen eines dreifachen Wehrgeldes ein
38:2
wirksames Mittel.

38:3
   VIII. Longobarden.

38:4
   Von den drei Ständen, welche bisher bei den
38:5
übrigen Völkern nachgewiesen worden sind, finden sich
38:6
zwei ganz sicher auch bei den Longobarden: die Freien,
38:7
welche hier Arimanni heißen, und die Aldiones.
38:8
Diese letzten sind ganz zu vergleichen mit den Fränkischen
38:9
Liti, wie ein einzelnes Gesetz ausdrücklich
38:10
sagt; auch wird Dieses dadurch bestätigt, daß ihr
38:11
Wehrgeld zweimal so groß ist, als das der Servi.

38:12
   Daß die Longobarden auch einen wahren Erbadel
38:13
hatten, erhellt unzweifelhaft aus der Vorrede
38:14
der Gesetze des Königs Rothar, welcher darin ein
38:15
Verzeichniß aller Könige seines Volks aufstellt.
38:16
Unter diesen werden Fünf mit dem Namen des
38:17
edlen Longobardischen Geschlechts bezeichnet, in welchem
38:18
sie geboren sind: Agimundus ex genere Cugingi.
39:1
Adoinus ex genere Gausis. Cleph ex genere
39:2
Beleos. Arioald ex genere Caupi. Rothar
39:3
ex genere Arodos. Ein sechster ist aus dem Thüringischen
39:4
Geschlecht Anavat. - Dieselbe Thatsache
39:5
erhellt eben so sicher aus einer übrigens sehr
39:6
schwierigen Stelle des Paulus Diaconus I. 21. Dieser
39:7
handelt Anfangs von dem ersten König Agimundus
39:8
ex prosapia Gungincorum (c. 14), dann von
39:9
dem zweiten, Lamissio, welcher der uneheliche Sohn
39:10
eines unzüchtigen Weibes war. Dann folgt eine
39:11
Reihe von Königen, alle aus einem und demselben
39:12
Stamm, an deren Schluß es heißt: Hi omnes Lithingi
39:13
fuerunt: sic enim apud eos quaedam nobilis
39:14
prosapia vocabatur. Bei Lithingi kommen in
39:15
Handschriften mehrere Varianten vor: Adalingi, Adelingi,
39:16
Latingi, Latini. Lies't man Lithingi oder
39:17
Latingi, so ist es unzweifelhaft der eigene Name
39:18
des eben abgehandelten Königsgeschlechts. Bei der
39:19
anderen Leseart ist eine zwiefache Erklärung möglich.

39:20
   Nach der ersten wäre Adelingi gleichfalls der
39:21
eigene Name eines edlen Longobardischen Geschlechts;
40:1
es ist aber schwierig, anzunehmen, daß die bei den
40:2
Sachsen, Friesen und Thüringern übliche allgemeine
40:3
Bezeichnung des Adels hier der eigene Name eines
40:4
einzelnen Geschlechts gewesen seyn sollte. Nach der
40:5
zweiten Erklärung wäre hier gar kein eigener Name
40:6
genannt, sondern die Stelle hätte diesen Sinn: "alle
40:7
hier genannten Könige waren Edelinge, dieses ist nämlich
40:8
bei den Longobarden die allgemeine Bezeichnung
40:9
für ein jedes edles Geschlecht." Dann enthielte die
40:10
Stelle das Zeugniß, daß die Longobarden den Adel
40:11
eben so bezeichnet hätten, wie die Sachsen und Thüringer,
40:12
und diese Erklärung mit der ihr zum Grunde
40:13
liegenden Leseart wäre unbedenklich vorzuziehen, wenn
40:14
sie uns nicht nöthigte, dem Schriftsteller einen unlateinischen
40:15
Sprachgebrauch zuzuschreiben, indem
40:16
quaedam nur von einem einzelnen Geschlecht, nicht
40:17
von einem jeden Geschlecht überhaupt, richtig gebraucht
40:18
sein kann. Allein, welche unter diesen Erklärungen
40:19
auch die richtige seyn möge, so ist so viel
40:20
unzweifelhaft, daß der Schriftsteller seiner Nation
40:21
edle Geschlechter (nobilis prosapia), oder einen Erbadel,
40:22
zuschreibt, zu welchem die von ihm eben abgehandelten
40:23
Könige gehört haben sollen.

40:24
   Dagegen werden entschieden in den Longobardischen
40:25
Gesetzen weder Edelingi noch Nobiles genannt,
40:26
und daher nimmt man gewöhnlich an, jene edlen
41:1
Geschlechter seyen zur Zeit der Gesetze bereits erloschen
41:2
gewesen. Diese Annahme wird schon dadurch
41:3
bedenklich, daß doch wenigstens das Geschlecht
41:4
Arodos, zu welchem König Rothar gehörte, zur
41:5
Zeit der zahlreichen Gesetze dieses Königs noch bestanden
41:6
haben müßte. Aber es läßt sich auch ohne
41:7
Zwang erklären, warum in diesen Gesetzen der Adel
41:8
weniger, als in anderen, erwähnt wird. In allen
41:9
andern Gesetzen ist es das abgestufte Wehrgeld, welches
41:10
zu dieser Erwähnung Gelegenheit giebt. Nun
41:11
ist in den Longobardischen Gesetzen das Wehrgeld
41:12
überhaupt, und gerade für den wichtigsten Fall, den
41:13
einfachen, absichtlichen Todtschlag, früher, als bei
41:14
anderen Völkern, willkürlich modificirt worden, und
41:15
dadurch hat sich das Bedürfniß einer regelmäßigen
41:16
Aufzählung der drei Stände vermindert. Und dennoch
41:17
hat sich auch in den Gesetzen noch eine Spur
41:18
des Adels erhalten. Zwar nicht in einem Gesetz des
41:19
Rothar, worin der Baro nicht ein Edler, sondern
42:1
ein Mann ist; wohl aber in einem Gesetz von
42:2
Liutprand, welches über den Todtschlag folgende Bestimmungen
42:3
enthält: "Bei dem gewöhnlichen, absichtlichen
42:4
Todtschlag besteht die Strafe, so wie es
42:5
schon ein früheres Gesetz bestimmt, in der Einziehung
42:6
des ganzen Vermögens (und deshalb kommt
42:7
dabei kein Unterschied der Stände mehr vor). Tritt
42:8
aber dabei der mildernde Umstand ein, daß der Thäter
42:9
in der Vertheidigung begriffen war, so ist
42:10
nach dem Stande des Erschlagenen ein verschiedenes
42:11
Wehrgeld zu zahlen: für den Primus 300 Solidi,
42:12
für die minima persona oder den exercitalis homo
42:13
150. Gehört aber der Erschlagene zu des Königs
43:1
Gesinde, so steigt das Wehrgeld des Primus je nach
43:2
dem Dienstrang, doch höchstens bis auf 600; das
43:3
Wehrgeld des Exercitalis steigt ohne Unterschied
43:4
auf 200."

43:5
   Ganz unrichtig haben Manche das Verhältniß
43:6
dieses Gesetzes zu dem vorher angeführten Gesetz
43:7
des Rothar so bestimmt, Rothar habe den gewöhnlichen
43:8
Todtschlag mit 900 bestraft, Liutprand
43:9
mit 150. Von dem gewöhnlichen, regelmäßigen
43:10
Todtschlag sprechen beide Gesetzgeber nicht; Rothar
43:11
spricht von dem schwereren Verbrechen des Meuchelmordes,
43:12
Liutprand umgekehrt von dem mildernden
43:13
Umstand der Selbstvertheidigung. Beide
43:14
sprechen also von verschiedenen Fällen, und eine
43:15
Herabsetzung der Strafe ist in denselben nicht wahr-
43:16
zunehmen.

43:17
   Die Hauptfrage bei dem Gesetz von Liutprand
43:18
ist die, wer unter dem Primus verstanden werden
43:19
soll. Gewöhnlich erklärt man diesen von einer
43:20
höheren Stufe der Freien, also einem Vornehmen
43:21
überhaupt. Allein dieser unbestimmte Begriff
43:22
paßt erstlich nicht zu der scharfen Gränze von 150
44:1
und 300 als Wehrgeld. Zweitens fehlt es an einem
44:2
sicheren Kennzeichen des höheren Ranges; denn das
44:3
Einzige, welches dafür gelten könnte (des Königs
44:4
Dienst), kommt nachher als etwas davon Verschiedenes
44:5
und nur damit Vereinbares vor. Um beiden Einwürfen
44:6
zu entgehen, giebt es kein anderes Mittel,
44:7
als, die Primi für einen geschlossenen, erblichen
44:8
Stand zu nehmen; aber ein erblicher Stand vornehmerer
44:9
Freien ist ja eben nichts Anderes, als der
44:10
Adel. Dazu kommt noch als Bestätigung, daß nach
44:11
anderen Stellen Exercitalis genau so viel heißt, als
44:12
Arimannus, der freie Longobarde überhaupt;
44:13
diesem Stand aber kann nur noch der Adel, als
44:14
ein höherer Stand, gegenüber stehen. - Bei der
44:15
Erhöhung des Wehrgeldes durch das Verhältniß
44:16
der Gasindii ist merkwürdig theils die Aehnlichkeit,
44:17
theils die Unähnlichkeit mit dem höheren Wehrgeld
44:18
der Fränkischen Antrustionen. In diesem letzten
44:19
erscheint der Vorzug des Adelstandes, und der des
44:20
Königsdienstes, als völlig verschmolzen; bei den
44:21
Longobarden sind beide Vorzüge getrennt, und der
44:22
des Dienstes ist stets mit dem Stand des bloßen
44:23
Freien vereinbar, welches bei den Franken nur im
44:24
Kriege zulässig ist, nicht im Friedenszustand. -

45:1
   Ganz unerwartet findet sich endlich noch ein
45:2
ganz spätes Zeugniß für das Daseyn und die stete
45:3
Erhaltung eines Longobardischen Uradels. An dem
45:4
nordöstlichen Ende des Königreichs, in Friaul,
45:5
kommen Arimanni bis in das fünfzehente Jahrhundert
45:6
in Urkunden namentlich vor. Von einer
45:7
dieser Urkunden aber, vom J. 1280, hat sich nur
45:8
die Ueberschrift erhalten, welche so lautet:"Terminatio
45:9
quod Glemonenses vocati Arimanni, seu
45:10
Edelingi non graventur ultra quam pro cl. libris
45:11
facta in 1280. 4. Julii." Mag sich nun damals,
45:12
worauf diese Ueberschrift zu deuten scheint, das
45:13
Rechtsverhältniß der mit diesem Namen bezeichneten
45:14
Personen in jener Gegend noch so sehr verändert
45:15
haben, so beweist doch jener Name, in Verbindung
45:16
mit dem alten sehr verbreiteten Namen der Arimannen,
45:17
nicht nur das uralte Daseyn eines solchen Standes
45:18
unter den Longobarden, sondern auch die mit der
45:19
Sächsischen, Friesischen und Thüringischen völlig
45:20
übereinstimmende Bezeichnung dieses Standes; denn
45:21
daß diese Benennung erst in späterer Zeit aus dem
45:22
Nordwesten von Deutschland über die Julischen
45:23
Alpen gebracht worden seyn sollte, wird wohl
46:1
Niemand behaupten. Gerade diese geschichtliche
46:2
Uebereinstimmung aber schließt zugleich jeden Gedanken
46:3
an eine nicht nationale und ursprüngliche,
46:4
sondern erst durch die zufälligen Umstände der Eroberung
46:5
und durch die Einrichtungen des Heeres
46:6
herbeigeführte, Entstehung eines solchen Standes
46:7
völlig aus.

46:8
   Endlich findet sich noch eine viel allgemeinere
46:9
Bestätigung für die Annahme eines stets erhaltenen
46:10
Longobardischen Uradels in den späteren Capitanei,
46:11
und in deren Verwandtschaft mit den Fränkischen
46:12
Antrustionen. Diese jedoch kann erst weiter unten
46:13
deutlich gemacht werden.

46:14
   Nachdem jetzt der Inhalt der einzelnen Völkergesetze
46:15
in Beziehung auf den Adel dargestellt worden
46:16
ist, wird eine kurze Vergleichung derselben zeigen,
46:17
was darin als gemeinsam oder verschieden angenommen
46:18
werden kann.

46:19
   Gemeinsam ist ihnen das Daseyn der drei Stände,
46:20
hauptsächlich mit dem Unterschied, daß der letzte
46:21
derselben, der Stand der Unfreien, nicht überall als
46:22
wirklicher Bestandtheil der Nation erscheint, und
46:23
daß überhaupt die Unfreiheit in verschiedenen Stufen
47:1
vorkommt. Die Verschiedenheit jener Nationalstände
47:2
zeigt sich scharf und bestimmt in dem Wehrgeld,
47:3
welches überall, je nach dem Stande, höher oder
47:4
niedriger angesetzt ist. Weiter aber dürfen wir in
47:5
der Annahme dieses Gemeinsamen nicht gehen.
47:6
Schon das Zahlenverhältniß im Wehrgelde ist bei
47:7
verschiedenen Völkern ungleich. Noch ungleicher aber
47:8
sind die einzelnen Summen des Wehrgeldes selbst,
47:9
indem z.B. der Edle bei den Sachsen 1440 Solidi
47:10
hat, bei den Friesen 80. Auch halte ich es für
47:11
ganz vergeblich, wenn manche neuere Schriftsteller
47:12
hierin eine ursprüngliche Gleichheit herausfinden
47:13
wollen, und die Ursachen der Abweichung anzugeben
47:14
versuchen. Dieses Bestreben halte ich schon deswegen
47:15
für fruchtlos, weil eine genaue Münzgeschichte jener
47:16
Zeiten ganz unmöglich ist, so daß wir nie mit
47:17
Sicherheit angeben können, welcher eigentliche Geldwerth
47:18
in jedem Gesetz unter dem Namen Solidus
47:19
oder Denarius zu verstehen ist. Diese Verschiedenheit
47:20
geht so weit, daß Denarius zuweilen den dritten,
47:21
zuweilen den vierzigsten Theil des Solidus bedeutet.

47:22
   Bedenklicher ist das Gemeinsame bei einem
47:23
anderen Rechtsunterschied der Stände. Bei den
47:24
Sachsen war für die drei Nationalstände die Zulässigkeit
48:1
der Ehe an die Standesgränzen gebunden, und
48:2
auch bei ihnen sagen Dieses ganz sicher nur zwei
48:3
Geschichtschreiber; ob man es in den Gesetzen
48:4
wiederfinden will, hängt von zweifelhafter Auslegung
48:5
ab. Alle übrigen Völkergesetze enthalten über die
48:6
Ebenbürtigkeit zwischen Edlen und Freien gewiß
48:7
Nichts. Dagegen ist auch in ihnen die Unzulässigkeit
48:8
der Ehe zwischen Freien und Unfreien unzweifelhaft.
48:9
Und so möchte man geneigt seyn, zu
48:10
glauben, die Beschränkung des Connubium sey in
48:11
jener weiteren Ausdehnung (nämlich auf den Adel
48:12
im Gegensatz der Freien) eine Eigenthümlichkeit der
48:13
Sachsen allein gewesen. Daß dennoch der Grundsatz
48:14
ein ursprünglicher und gemeinsamer war, kann
48:15
erst unten durch einen Rückschluß aus dem Zustand
48:16
der neueren Zeit dargethan werden.

48:17
   Wie verhält sich aber dieser ganze in den Völkergesetzen
48:18
dargestellte Zustand zu dem früheren des
48:19
Tacitus? Denkbar wäre es allerdings, daß die
48:20
Stände des Tacitus spurlos untergegangen, später
48:21
aber ganz neue Stände erfunden worden wären.
48:22
Dieses wäre denkbar, wenn von einem einzelnen
48:23
Staate die Rede wäre, in welchem einige große
48:24
Revolutionen die durchgreifendsten Veränderungen
49:1
des Zustandes erklären könnten. Es ist jedoch
49:2
undenkbar bei so vielen nur stammverwandten
49:3
Völkern, welche durch die verschiedensten Schicksale
49:4
hindurchgegangen sind. Ich glaube daher, daß die
49:5
Nobiles der Völkergesetze mit den Nobiles des Tacitus
49:6
identisch sind, und ich behaupte diese Identität
49:7
sowohl für den Stand im Ganzen, als für die
49:8
einzelnen darin enthaltenen Geschlechter. Diese Identität
49:9
wird als erwiesen gelten können, wenn sich
49:10
derselbe Grundcharakter in beiden Zeitaltern nachweisen
49:11
läßt. Zuvor aber muß sie noch in angemessene
49:12
Gränzen eingeschränkt werden.

49:13
   Wenn nämlich behauptet wird, der Stand im
49:14
Ganzen habe mit seinen eigenthümlichen Vorzügen
49:15
fortgedauert, so sollen damit nicht ausgeschlossen
49:16
seyn die großen Modificationen, die durch die Schicksale
49:17
der Zwischenzeit herbeigeführt werden mußten.

49:18
   Dahin gehört vorzüglich die Entwickelung einer
49:19
starken monarchischen Gewalt, zuerst in den erobernden
49:20
Völkern, dann allgemein durch die ausgedehnte
49:21
Herrschaft der Fränkischen Könige. Dadurch mußte
49:22
die ganze Stellung des Adels wesentlich verändert
49:23
werden. - Wenn ferner behauptet wird, die einzelnen
49:24
Adelsgeschlechter hätten fortgedauert, so gilt
49:25
Dieses mit der Einschränkung, die schon oben in
49:26
besonderer Anwendung auf die Franken eingeräumt
50:1
worden ist. Manche Geschlechter mögen ausgestorben
50:2
oder herabgesunken seyn, nicht wenige mögen sich
50:3
in den Adel hinaufgeschwungen haben; aber die
50:4
überwiegende Mehrzahl bestand ohne Zweifel aus
50:5
den fortdauernden Geschlechtern des alten Nationaladels,
50:6
an welche sich der neue Zuwachs als an
50:7
einen bleibenden Kern ansetzte.

50:8
   Den übereinstimmenden Grundcharakter aber
50:9
finde ich zuvörderst darin, daß der Stand der Freien
50:10
das eigentliche Wesen der Nation ausmacht, von
50:11
welchem sich die zwei anderen Stände nur als
50:12
Modificationen oder Ausnahmen unterscheiden, die
50:13
eine etwas über der Regel stehend, die andere unter
50:14
derselben. Dieses ist unverkennbar bei Tacitus,
50:15
bei welchem die Gesammtheit der Freien über alle
50:16
wichtigen Fragen entscheidet, also im Besitz der
50:17
wahren Souveränität ist. Es ist aber eben so
50:18
gewiß in den Völkergesetzen, worin zuweilen das
50:19
Wehrgeld des Freien als Simplum bezeichnet ist,
50:20
nach welchem das der anderen Stände durch Rechnung
50:21
gefunden wird. Ganz vorzüglich aber geht
50:22
es daraus hervor, daß zur Zeit der Völkergesetze
50:23
und noch lange nachher die ganze gerichtliche Gewalt
51:1
in dem Stande der Freien beruht, nicht, als ob der
51:2
Adel davon ausgeschlossen wäre, sondern, indem er
51:3
als zum Stande der Freien gehörend, und nur als
51:4
höhere Stufe desselben, angesehen wird.

51:5
   Eben so finde ich einen übereinstimmenden Grundcharakter
51:6
in dem Verhältniß des Adels zu den Gefolgen
51:7
. Es ist oben aus Tacitus bemerkt worden,
51:8
wie dieses Verhältniß stets zwischen einem edlen
51:9
Häuptling und dessen freien Kampfgenossen durch
51:10
willkürliche persönliche Wahl gegründet wurde. Auch
51:11
geht aus der ganzen Schilderung des Tacitus
51:12
hervor, daß dieses Institut die größte Ausdehnung
51:13
hatte, ja daß sich in demselben alles unternehmende
51:14
Leben der Germanischen Volksstämme darstellte. Nun
51:15
ist wesentlich dieselbe Einrichtung oben in den Fränkischen
51:16
Antrustionen mit ihren freien Arimannien
51:17
nachgewiesen worden. Ja man kann bestimmt noch
51:18
weiter gehen und behaupten, daß die großen Eroberungen
51:19
der Germanen in Römischen Ländern
51:20
lediglich durch das System der Gefolge möglich
51:21
wurden. Denn so wirksam der Heerbann als
51:22
Form des Nationalkriegs zur Vertheidigung, auch
51:23
wohl zur Erweiterung der Gränzen, seyn mochte,
51:24
so war er doch völlig ungeschickt zur erobernden
52:1
Gründung neuer Reiche. Diese trägt die Gestalt
52:2
des Abenteuers an sich, und dazu waren die
52:3
Gefolgschaften wie erfunden. Ja man kann sagen,
52:4
daß das ganze ungeheure Weltereigniß, welches wir
52:5
die Völkerwanderung zu nennen gewohnt sind, eine
52:6
großartige Entwickelung der Keime war, die uns
52:7
Tacitus so lebendig schildert.

52:8
   Zwei große Modificationen aber hatte die Zeit
52:9
in dem System der Gefolge herbeigeführt. Erstlich
52:10
stand nunmehr der König als gemeinsames Haupt
52:11
an der Spitze, dessen Macht dadurch den höchsten
52:12
Zuwachs erhielt. Ob ein ähnliches Verhältniß schon
52:13
früher in den von Königen regierten Staaten vorkam,
52:14
sagt Tacitus nicht. Vielleicht war daselbst der
52:15
König nur der angesehenste Princeps, der das zahlreichste
52:16
Gefolge hatte, und in demselben oft wieder
52:17
andere Principes mit ihrem Gefolge, ohne daß
52:18
Dieses zu einer allgemeinen und gleichförmigen Einrichtung
52:19
wurde. In jedem Fall aber mußte des
52:20
Königs Gefolgsherrschaft in den neuen Eroberungen
52:21
eine ganz andere werden, als in dem ursprünglichen
52:22
Vaterlande. Der Adel erscheint also nun in zwei
52:23
entgegengesetzten Beziehungen: als Haupt seiner
52:24
Gefolge, und selbst als Gefolge des Königs. Das
52:25
Eine war die Fortdauer der alten Zeit, das Andere
52:26
hatte die neue Zeit entweder zuerst hinzugefügt, oder
53:1
doch allgemeiner und wichtiger gemacht. - Zweitens
53:2
hatte sich seit der Einrichtung in den eroberten
53:3
Römischen Ländern das ganze, ursprünglich freie
53:4
und persönliche Verhältniß mehr an den Landbesitz
53:5
angeknüpft, und war so die Grundlage des späteren
53:6
Lehenwesens geworden. Die unmittelbare Folge
53:7
war die, daß der Adel nunmehr einen mannichfaltigeren
53:8
und ausgedehnteren Einfluß erlangte; denn
53:9
zu dem Gefolge der Freien, das ihm, so wie in
53:10
alter Zeit, diente, kamen noch die Unfreien, denen
53:11
er auf seinen Gütern Schutz gewährte; diese standen
53:12
ausschließend unter seiner Herrschaft, und wurden
53:13
unabhängig von der alten Nationalobrigkeit. Mag
53:14
Dieses nun auch schon im alten Vaterlande so gewesen
53:15
seyn, ja mögen überhaupt die bloßen Freien
53:16
stets ein ähnliches Schutzrecht auf ihrem Grundeigenthum
53:17
ausgeübt haben, so wurde doch dieses
53:18
Verhältniß factisch wichtiger in den eroberten Ländern,
53:19
und besonders bei dem Adel, wegen des viel ausgedehnteren
53:20
Grundbesitzes, der diesem hier zufiel.

53:21
   Was also der König auf der einen Seite als Oberhaupt
53:22
aller Gefolge an Macht gewann, das verlor
53:23
er auf der andern Seite als Haupt der Nation un
53:24
ihrer Obrigkeiten.

54:1
   Fragt man endlich nach der ersten Entstehung
54:2
des hier dargestellten Adels, so ist darauf am wenigsten
54:3
eine bestimmte Antwort möglich. Ob er
54:4
aus vorgeschichtlichen Eroberungen herkam, oder aus
54:5
der Einwanderung minder zahlreicher, aber höher
54:6
gebildeter Stämme, Das vermögen wir nicht zu
54:7
bestimmen. In beiden Fällen war sein Daseyn
54:8
mit einer ursprünglichen Stammverschiedenheit verbunden,
54:9
und diese ist überhaupt sehr wahrscheinlich,
54:10
theils, weil gerade in der älteren Zeit der Adel
54:11
noch schärfer, als später, geschieden erscheint, theils
54:12
wegen des eingeschränkten Connubium, wovon noch
54:13
ferner die Rede seyn wird. Daß er mit seinen
54:14
politischen Vorzügen auch einen priesterlichen Charakter
54:15
verband, ist sehr wahrscheinlich, und daraus
54:16
erklärt sich am natürlichsten die freie, neidlose Anerkennung
54:17
seiner Vorzüge und die feste Begründung
54:18
desselben in der Meinung der Nation, ohne welche
54:19
die stete Fortdauer durch so viele Jahrhunderte
54:20
unmöglich gewesen wäre. Nur zu der negativen
54:21
Behauptung sind wir berechtigt, daß die Entstehung
54:22
des Adels nicht als bloßes Werk des Zufalls und
55:1
der Willkür gedacht werden darf, auch nicht als
55:2
etwas so Unbestimmtes und Vorübergehendes, wie
55:3
in jedem Zustand der Gesellschaft einzelne Personen
55:4
durch höheres Ansehen vor anderen ausgezeichnet
55:5
erscheinen können, was dann überall einen Gegensatz
55:6
von Vornehmen und Geringen bilden wird, nur
55:7
ohne feste Gränze und Dauer.

55:8
   Am Schluß dieser übersichtlichen Betrachtung
55:9
sind noch einige fremde Ansichten über das Wesen
55:10
und die Entstehung des Germanischen Adels zu erwähnen
55:11
, welchen entweder gar keine Wahrheit, oder
55:12
doch nur eine sehr mit Irrthum gemischte, zugeschrieben
55:13
werden kann.

55:14
   So haben Manche aus unseren neueren Verhältnissen
55:15
in den Germanischen Uradel den Begriff
55:16
einer Regentenwürde, das heißt, einer monarchischen
55:17
Gewalt, oder auch den einer gänzlichen Unabhängigkeit,
55:18
hineintragen wollen. Beides wird durch Tacitus
55:19
und durch die Völkergesetze völlig widerlegt.
55:20
Denn die Principes, aus welchen die Nationalobrigkeit
55:21
vom Volke gewählt wird, können nicht schon
55:22
selbst Regenten seyn. Und unabhängig konnten die
55:23
Edlen eben so wenig seyn, da ihnen namentlich für
55:24
bestimmte Fälle Geldstrafen angedroht wurden, die
56:1
doch nur von einem über ihnen stehenden Gericht
56:2
ausgesprochen werden konnten.

56:3
   Ferner ist neuerlich die Meinung aufgestellt
56:4
worden, der Germanische Adel sey lediglich dadurch
56:5
entstanden, daß er sich einem Häuptling, Fürsten
56:6
oder König zu Diensten verpflichtete, also durch
56:7
die passive Gefolgschaft, wie man es nennen könnte.
56:8
Daß die Fränkischen Antrustionen wirklich in des
56:9
Königs Dienst standen, wird Niemand leugnen; aber
56:10
das war eine spätere Umbildung des ursprünglichen
56:11
Adelsrechts. Soll ein Adel ursprünglich durch Dienst
56:12
entstehen, so setzt Dieses einen Dienstherrn von sehr
56:13
hohem Ansehen und fest begründeter Macht voraus.
56:14
In dem Urzustand von Deutschland, wie ihn Tacitus
56:15
schildert, war eine solche Macht in keinem
56:16
Einzelnen vorhanden, auch nicht in dem König, und
56:17
selbst einen solchen beschränkten König hatte nicht
56:18
jeder Staat, da doch der Adel als eine allgemeine
56:19
National=Einrichtung dargestellt wird. Waren nun
56:20
etwa alle Comites, wie sie Tacitus schildert, durch
56:21
ihren bloßen Dienst, Edle, - was waren denn ihre
56:22
Häupter, die Principes? Und da Jeder sich willkürlich
57:1
in ein Gefolge begeben konnte, das Gefolge
57:2
aber ein sehr beliebtes Verhältniß war, so mußte
57:3
in kurzer Zeit die ganze Nation den Adel erworben
57:4
haben; ein solcher Adel aber ist gar keiner. Endlich
57:5
sagt auch Tacitus in einer oben erklärten Stelle
57:6
ganz bestimmt das Gegentheil, indem er die edlen
57:7
Jünglinge, die ihre Laufbahn im Dienst eines Andern
57:8
anfingen, gegen den denkbaren Vorwurf vertheidigt,
57:9
als hätten sie dadurch ihrem Stand Eintrag gethan,
57:10
und nun noch die Worte hinzufügt: Gradus quin
57:11
etiam et ipse comitatus habet judicio ejus quem
57:12
sectantur. Konnte man also im Comitat hoch oder
57:13
niedrig stehen, so gab nicht schon er selbst einen
57:14
Stand, und zwar den ersten Stand der Nation.

57:15
   Endlich ist noch die weit frühere Meinung von
57:16
Möser zu erwähnen, nach welcher der Adel entstanden
57:17
seyn soll aus den erblich gewordenen Officier=Stellen
57:18
im Heerbann, durch welche persönliche
57:19
Standeserhöhung zugleich auch die von ihnen besessenen
57:20
Höfe ein erhöhetes Ansehen erhalten haben
57:21
sollen. Es ist aber eben so wenig eine Ursache
58:1
dieser Erblichkeit einzusehen, als wie daraus ein fest
58:2
begründeter und begränzter Stand entsprungen seyn
58:3
sollte, und zwar in einer so frühen Zeit, wie sie
58:4
nach Tacitus angenommen werden müßte, und zugleich
58:5
mit einer so unvergänglichen Dauer, wie sie
58:6
durch die ganze spätere Geschichte bezeugt ist, - nicht
58:7
zu gedenken, daß dadurch dem sehr provinziell beschränkten
58:8
Institut der Oberhöfe ganz ohne Grund
58:9
ein allgemein Germanisches Daseyn beigelegt wird.
 
 
 
<<< Übersicht  <<< rückwärts  vorwärts >>>