Carl von Savigny
1779 - 1861
Beitrag zur Rechtsgeschichte desAdels im neueren Europa
Erster Abschnitt
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5:12 |
Erster Abschnitt.
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5:13 | Die Urzeit.
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5:14 | Für die Urzeit sind wir auf die Angaben des |
5:15 | Tacitus beschränkt. Dieser ist nun von allen |
5:16 | neueren Schriftstellern so allgemein benutzt worden, |
6:1 | daß man an der Möglichkeit verzweifeln möchte, |
6:2 | ihm noch eine neue Seite abzugewinnen. Dennoch |
6:3 | ist schon der Umstand von großem Einfluß, welche |
6:4 | unter seinen Angaben als Grundlage der übrigen |
6:5 | behandelt werden sollen. |
6:6 | In den Deutschen Völkerstämmen nimmt er vier |
6:7 | Stände an: Nobiles, Ingenui, Libertini, Servi. Dieses |
6:8 | sagt er zuerst bei den Deutschen überhaupt, |
6:9 | dann noch besonders bei den Suionen. Nun bilden |
6:10 | offenbar die Libertini keinen bleibenden Stand, |
6:11 | sondern nur den Uebergang aus dem untersten Stand |
6:12 | zu den Freien, indem die Nachkommen des Libertinus |
6:13 | (so wie in Rom) Ingenui wurden. Also sind nur |
6:14 | drei bleibende Stände übrig, Adel, Freie, Unfreie; |
6:15 | und da die zwei letzten entschieden geschlossene, forterbende |
6:16 | Stände waren, so ist auch unter dem Adel |
6:17 | etwas diesen Gleichartiges zu denken, also ein forterbender |
6:18 | Stand in bestimmten Gränzen, nicht blos |
6:19 | das unbestimmte Wesen der Vornehmeren oder Angeseheneren |
6:20 | unter den Freien. Könnte man hieran |
7:1 | noch zweifeln, so würde eine andere Stelle desselben |
7:2 | Schriftstellers jeden Zweifel entfernen. Unter der |
7:3 | Regierung des Kaisers Claudius kamen Cheruskische |
7:4 | Gesandte nach Rom, um den Italicus (Bruderssohn |
7:5 | des Arminius), der in Rom lebte, zum König |
7:6 | ihres Volkes zu begehren. Die Veranlassung |
7:7 | dieses Entschlusses lag darin, daß er allein aus dem |
7:8 | Königsstamm übrig, der Adel des Volkes aber in |
7:9 | den inneren Kriegen umgekommen war. Diese |
7:10 | letzte Thatsache jedoch ist nicht nothwendig von gänzlicher |
7:11 | Ausrottung, sondern auch schon von großer |
7:12 | Verminderung zu erklären. – Von den Servi übrigens |
7:13 | hat Tacitus einen sehr bestimmten Begriff. |
7:14 | Er beschreibt sie, so wie sie in der Regel vorkommen, |
7:15 | als einen Stand höriger Bauern, die von |
7:16 | ihrem Hofe dem Grundherrn Getreide, Vieh, oder |
7:17 | Kleidung als Abgabe entrichten (Cap. 25.). Ausnahmsweise |
7:18 | kommen auch Sclaven vor, die für Geld |
7:19 | verkauft werden; Das giebt er nur an bei Freien, |
7:20 | die erst ihr Vermögen, dann ihre Freiheit, im Spiel |
7:21 | verlieren (Cap. 24.). Ohne Zweifel gehörten dahin |
7:22 | aber auch die Kriegsgefangenen, insofern sie nicht auf |
7:23 | einem Hofe angesiedelt wurden. Er kennt also schon |
8:1 | verschiedene Stufen der Unfreiheit, so wie sie in der |
8:2 | späteren Zeit stets vorkommen. |
8:3 | Als bestimmter Vorzug des Adels wird wörtlich |
8:4 | nur Dieses erwähnt, daß in den von Königen |
8:5 | beherrschten Staaten die Könige, aber nicht die Heerführer, |
8:6 | aus dem Adel genommen werden. Das |
8:7 | kann einen doppelten Sinn haben; entweder waren |
8:8 | es Wahlreiche, mit ausschließender Wählbarkeit des |
8:9 | Adels, oder das Wort sumunt ist in einem allgemeineren |
8:10 | Sinne zu nehmen, so daß nur der Gegensatz |
8:11 | von Erbrecht und Wahl gemeint wäre, und daß |
8:12 | die ganze Stelle diesen Sinn hätte: Die Königswürde |
8:13 | wird erlangt durch Erbrecht, also durch die Geburt |
8:14 | aus dem edlen Königsstamm, die Feldherrenwürde |
9:1 | durch Wahl, welche nicht auf Geburt, sondern nur |
9:2 | auf Tapferkeit Rücksicht nimmt. |
9:3 | Weit ausführlicher spricht Tacitus von der |
9:4 | Einrichtung der Gefolge. An einen Princeps oder |
9:5 | Häuptling schließen sich ganz freiwillig comites an; |
9:6 | im Kriege bilden sie ein Heer, im Frieden seine glänzende |
9:7 | Umgebung; dafür giebt er ihnen Pferd und |
9:8 | Waffen und Platz an seiner Tafel (Cap. 14.). |
9:9 | Dieses Band ist fest durch Ehre und Kriegslust, |
9:10 | sonst beruht es auf freiem Willen, auch der Austritt |
9:11 | scheint frei, und am wenigsten ist es ein erblicher |
9:12 | Dienst. Die Principes haben große politische |
9:13 | Vorrechte; die kleineren Geschäfte der Nation |
9:14 | werden von ihnen allein besorgt, größere von ihnen |
9:15 | für die Versammlung der Nation vorbereitet; in |
9:16 | dieser hält bald der König, bald ein Princeps |
9:17 | den Vortrag (Cap. 11.). In derselben Versammlung |
9:18 | werden auch die richterlichen Obrigkeiten |
9:19 | erwählt, und zwar lediglich aus der Zahl der |
9:20 | Principes. |
10:1 | Wer sind nun aber diese Principes? Und wie |
10:2 | verhalten sie sich zu dem Adel? Wir finden hier auf |
10:3 | der einen Seite drei Stände angegeben, deren erster |
10:4 | der Adel ist, auf der andern Seite in der Verfassung |
10:5 | eine Aristokratie mit großen Vorrechten. Es |
10:6 | ist aber undenkbar, daß der Adel dieser Aristokratie |
10:7 | ganz fremd gewesen wäre, indem die Theilnahme |
10:8 | an derselben blos von einem an sich zufälligen und |
10:9 | veränderlichen Umstand (der Bildung eines Gefolges) |
10:10 | abgehangen hätte. Dieser Widerspruch verschwindet, |
10:11 | wenn man annimmt, es sey eben das Vorrecht des |
10:12 | Adels gewesen, ein Gefolge von Freien zu halten, |
10:13 | und es habe jeder Edle seinen Einfluß in der Verfassung |
10:14 | nur insofern geltend machen können, als er |
10:15 | jenes Vorrecht benutzt und auch wirklich ein Gefolge |
10:16 | gebildet hätte. Dann wäre da, wo Tacitus die |
10:17 | Verfassung der Staaten beschreibt, unter den Principes |
10:18 | eben nur der Adel zu denken, und es wäre |
11:1 | so der vollständigste Zusammenhang unter den verschiedenen |
11:2 | Angaben hergestellt. |
11:3 | Aber nicht blos die Nothwendigkeit des innern |
11:4 | Zusammenhangs spricht für diese Erklärung, sondern |
11:5 | es fehlt dafür auch nicht an einzelnen bestätigenden |
11:6 | Stellen. So werden einmal geradezu die Principes |
11:7 | als der junge Adel bezeichnet. Ferner heißt es |
11:8 | in einer oben angeführten Stelle (aus Cap. 12.), |
11:9 | daß jedem zum Richteramt erwählten Princeps Hundert |
11:10 | Männer ex plebe beigegeben würden. Der |
11:11 | Ausdruck plebs bildet einen befriedigenden Gegensatz |
11:12 | nur, wenn man in dem Princeps, dessen Begleiter |
11:13 | sie sein sollen, die nobilitas stillschweigend voraussetzt. |
11:14 | Eben so wird auch anderwärts die plebs den |
11:15 | Principes entgegengesetzt. Zweideutiger ist eine |
11:16 | andere Stelle, die jedoch durch meine Voraussetzung |
11:17 | den befriedigendsten Sinn erhält. Mit der ersten, |
12:1 | halb unreifen Jugend (sagt er) ist die Würde eines |
12:2 | Princeps nur ausnahmsweise vereinbar, wenn entweder |
12:3 | der besondere Glanz des Geschlechts (insignis |
12:4 | nobilitas), oder das ausgezeichnete Verdienst des |
12:5 | Vaters, diese Ausnahme rechtfertigen; in der Regel |
12:6 | aber fängt auch der junge Adel damit an, in dem |
12:7 | Comitat eines Andern, schon Reiferen zu dienen, auch |
12:8 | gilt dieser freigewählte Dienst nicht als Herabwürdigung |
12:9 | des Standes. |
12:10 | Faßt man diese Angaben zusammen, so erscheint |
12:11 | darin der Adel als ein erblicher Stand von zwiefachem |
12:12 | Einfluß: durch das Gefolge, welches ihm eigenthümlich |
12:13 | und gewöhnlich war, und durch bedeutende |
12:14 | Vorrechte in der Verfassung. Innere Wahrscheinlichkeit |
12:15 | spricht dafür, daß auch priesterliche Vorrechte |
12:16 | mit dem Adel verbunden waren, aber Tacitus |
12:17 | sagt davon Nichts. |