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- 58:10
- Dritter Abschnitt.
- 58:11
- Die neuere Zeit.
- 58:12
- Die Formen, welche das Adelsrecht seit dem Erlöschen
- 58:13
- des Carolingischen Fürstenhauses nach und
- 58:14
- nach angenommen hat, sind so mannichfaltig und
- 58:15
- verwickelt, daß eine vollständige Darstellung derselben
- 58:16
- die Gränzen dieser Abhandlung weit überschreiten
- 58:17
- würde. Auch ist es meine Absicht, nur diejenigen
- 58:18
- Stücke herauszuheben, worin sich die neuere Zeit an
- 58:19
- die frühere anschließt, und wodurch also zugleich
- 58:20
- unsere Kenntniß des früheren Zustandes ergänzt werden
- 58:21
- kann.
- 58:22
- Zwei Institute sind es, die von jener Zeit an
- 58:23
- der ganzen Europäischen Welt eine neue Gestalt
- 58:24
- geben, - das Lehenwesen und das Ritterthum.
- 59:1
- Das Lehenwesen gehört zur Entwicklung des
- 59:2
- uralten Systems der Gefolge, die eben so, wie jenes,
- 59:3
- außer und neben dem eigentlichen Staate bestanden.
- 59:4
- Sein unterscheidender Charakter besteht erstlich in
- 59:5
- der Verbindung des freien Dienstes mit Grundbesitz,
- 59:6
- und in der dadurch herbeigeführten festeren Dauer,
- 59:7
- die bald zur Erblichkeit wurde; zweitens in der oft
- 59:8
- sehr weit gehenden Abstufung, worin der Vasall
- 59:9
- wieder als Lehenherr erscheint. Zu beiden Eigenthümlichkeiten
- 59:10
- ist der Anfang schon oben in der früheren
- 59:11
- Fränkischen Zeit nachgewiesen worden; aber es
- 59:12
- bedurfte einer langen Zeit, ehe dieser Anfang zur
- 59:13
- vollen Ausbildung gelangte.
- 59:14
- Das Ritterthum hat mit der alten Zeit gemein
- 59:15
- die Kriegslust in der Gestalt des freien Abenteuers,
- 59:16
- also ohne nothwendige Verbindung mit dem Staatsverhältniß,
- 59:17
- zugleich auch dieses Kriegshandwerk als
- 59:18
- bleibenden ausschließenden Lebenslauf, im Gegensatz
- 59:19
- friedlicher Gewerbe. Sein unterscheidender Charakter
- 59:20
- besteht theils in einer besonderen Art der Waffenführung,
- 59:21
- theils in der kunstmäßigen Behandlung
- 59:22
- derselben, wodurch wiederum das Ritterthum zu einer
- 59:23
- geschlossenen und gegliederten Zunft wurde.
- 59:24
- Lehenwesen und Ritterthum waren ihrem Begriff
- 59:25
- nach verschieden, auch im Einzelnen kamen Lehen
- 59:26
- außer dem Ritterstand vor, und Ritter ohne Lehenbesitz.
- 60:1
- Allein die Verbindung beider Verhältnisse
- 60:2
- machte die überwiegende Regel aus, und gerade
- 60:3
- diese Verbindung war es, wodurch beide so wichtig
- 60:4
- wurden.
- 60:5
- In welchem Verhältniß stehen nun die drei alten
- 60:6
- Nationalstände zu diesen neuen Formen des Germanischen
- 60:7
- Lebens? Bei der Beantwortung dieser Frage
- 60:8
- ist zunächst eine bestimmtere Beschränkung auf Deutschland,
- 60:9
- als bei der bisherigen Untersuchung, nöthig,
- 60:10
- weil sich in jedem der großen Germanischen Reiche
- 60:11
- die Standesverhältnisse auf eigenthümliche Weise
- 60:12
- entwickelt haben.
- 60:13
- Der Adel erscheint jetzt als Herrenstand, theils
- 60:14
- in den erblichen Besitzern der alten Reichsämter,
- 60:15
- theils in den freien Herren, die zum Besitz solcher
- 60:16
- Aemter nicht gekommen sind. Bei beiden ist der
- 60:17
- Grund ihres Standesrechts die Abstammung von
- 60:18
- einem Geschlecht des Uradels, das allgemeinste und
- 60:19
- sicherste Kennzeichen desselben die erworbene Landeshoheit.
- 60:20
- Die Benennung Nobilis und Edler findet
- 60:21
- sich stets bei den Mitgliedern dieses Standes, und
- 60:22
- lange Zeit ausschließend bei ihnen. In dem Lehensystem
- 60:23
- erscheint dieser Stand regelmäßig als Vasall
- 60:24
- des Reichs, und als Lehenherr von Mitgliedern
- 61:1
- des Ritterstandes, also in ähnlicher Weise, wie der
- 61:2
- Fränkische Antrustio in des Königs Dienst trat,
- 61:3
- aber nicht allein, sondern begleitet von seiner Arimannie.
- 61:4
- Gegen das Ritterthum bildet dieser Stand
- 61:5
- so wenig einen Gegensatz, daß die Mitglieder des
- 61:6
- Adels stets in dasselbe eintreten; ja sogar jeder
- 61:7
- König eines Germanischen Reichs wird als Genosse
- 61:8
- dieser Zunft angesehen, und gilt als solcher für das
- 61:9
- natürliche Haupt der gesammten Ritterschaft seines
- 61:10
- Landes; er verschmäht es nicht, noch als König den
- 61:11
- Ritterschlag zu empfangen, wenn er ihn nicht schon
- 61:12
- vor der Königswürde erhalten hatte.
- 61:13
- Die Freien der alten Verfassung haben sehr
- 61:14
- verschiedene Schicksale gehabt, und weit mehr Einzelne
- 61:15
- aus diesem Stande sind im Lauf der Zeit von ihrer
- 61:16
- ursprünglichen Stellung in der Nation herabgesetzt
- 61:17
- worden, als dieses bei Mitgliedern des Adels geschehen
- 61:18
- ist. Für unseren Zweck wichtig ist der zahlreiche
- 61:19
- Theil der Freien, welcher sich ganz dem Ritterleben
- 61:20
- hingab, und welcher vorzugsweise als Ritterstand
- 61:21
- erscheint, indem er den Kern desselben bildete.
- 61:22
- Die Lehengüter, welche die Mitglieder dieser Ritterschaft
- 61:23
- als Vasallen besitzen, und durch ihre unfreien
- 62:1
- Hintersassen benutzen, machen es ihnen möglich, jenem
- 62:2
- Berufe ausschließend zu leben. Ihre eigentliche Benennung
- 62:3
- ist Miles oder Ritter; allmälig aber wird
- 62:4
- auch von ihnen der Ausdruck Nobilis oder Edler
- 62:5
- gebraucht. An diesen Namen knüpft sich dann
- 62:6
- in neuerer Zeit die Ansicht, nach welcher dieser Stand
- 62:7
- als dem Uradel gleichartig betrachtet wird, so daß
- 62:8
- nun Adel als Bezeichnung einer Gattung angesehen
- 62:9
- wird, deren beide Arten in dem hohen Adel (Herrenstand)
- 62:10
- und niederen Adel (Ritterstand) enthalten seyn
- 62:11
- sollen.
- 62:12
- Die Unfreien endlich dauern in sehr verschiedenen
- 62:13
- Arten und Stufen der Unfreiheit fort. Noch
- 62:14
- weit mehr, als in früherer Zeit, sind sie ein blos
- 62:15
- negativer Bestandtheil des ganzen Rechtszustandes
- 62:16
- der Nation. Aber so sonderbar haben sich jetzt die
- 62:17
- Rechtsbegriffe verwickelt, daß es eine Art der Unfreien
- 62:18
- giebt (die Ministerialen), die dem Ritterstande
- 62:19
- angehören, während sie das Recht der gemeinen Freiheit
- 62:20
- entbehren; allmälig mußte freilich dieser Widerspruch
- 62:21
- des Rechtssatzes gegen das im wirklichen
- 62:22
- Leben herrschende Standesgefühl verschwinden.
- 62:23
- Die drei alten Stände waren in der früheren
- 63:1
- Zeit sichtbar geschieden durch die Höhe des Wehrgeldes,
- 63:2
- und (wenigstens in dem Sächsischen Volksstamm)
- 63:3
- durch die Forderung der Ebenbürtigkeit zu
- 63:4
- der Ehe. Das Wehrgeld verschwand sehr frühe;
- 63:5
- dagegen erscheint in dieser neueren Zeit der Grundsatz
- 63:6
- der Ebenbürtigkeit in großer Ausdehnung.
- 63:7
- Wir betrachten hier zuerst den Stand der Unfreien.
- 63:8
- Bei diesen hat sich die alte Ausschließung
- 63:9
- von der Ehe mit höheren Ständen in der größten
- 63:10
- Ausdehnung lange erhalten. Eine Folge davon ist,
- 63:11
- daß bei einer ungleichen Ehe dieser Art das Kind
- 63:12
- der ärgeren Hand folgt, also stets unfrei wird, es
- 63:13
- mag blos der Vater oder blos die Mutter unfrei
- 63:14
- seyn. Ferner wird die Ebenbürtigkeit zwar durch
- 63:15
- manche Formen der Freilassung erworben; der in
- 63:16
- anderen Formen Freigelassene dagegen (obgleich nicht
- 63:17
- mehr unfrei) erwirbt sie für sich selbst noch nicht,
- 63:18
- sondern erst für Diejenigen unter seinen Nachkommen,
- 63:19
- welche vier freie Ahnen nachweisen können. Endlich
- 63:20
- entbehrten die Fähigkeit zur Ehe mit Freien auch
- 63:21
- die Ministerialen (ungeachtet ihrer Rittermäßigkeit),
- 63:22
- so lange sie überhaupt noch als Unfreie betrachtet
- 63:23
- werden konnten.
- 64:1
- Bei dem Adel, der nunmehr als Herrenstand
- 64:2
- bezeichnet wird, erscheint der Grundsatz der Ebenbürtigkeit
- 64:3
- auf die merkwürdigste Weise. Die Ebenbürtigkeit
- 64:4
- besteht allgemein innerhalb der Gränzen dieses
- 64:5
- Standes, ohne Unterschied der großen in ihm
- 64:6
- wahrnehmbaren Verschiedenheit des Ranges, also
- 64:7
- von den ersten Fürsten an bis zu den freien Herren
- 64:8
- von geringem Umfang der Macht und des Ansehens.
- 64:9
- Sie besteht aber nicht zwischen dem Adel und anderen
- 64:10
- Ständen, namentlich auch dem bloßen Ritterstande.
- 64:11
- Manche haben diesen wichtigen, noch heutzutage
- 64:12
- gültigen Grundsatz als eine neuere Erfindung
- 64:13
- zu politischen Zwecken ansehen wollen. Er ist aber
- 64:14
- in der That nur eine Erhaltung des uralten Unterschieds
- 64:15
- der Stände in den Germanischen Volksstämmen,
- 64:16
- und daß er diese Natur hat, folgt theils aus
- 64:17
- der eben bemerkten scharfen, und (abgesehen von
- 64:18
- dieser historischen Begründung) willkürlich erscheinenden
- 64:19
- Begränzung, theils aus der Vergleichung mit
- 64:20
- der ganz verwandten Ebenbürtigkeit, wodurch die
- 64:21
- Unfreien von der Ehe mit höheren Ständen ausgeschlossen
- 64:22
- wurden, und bei welcher noch weit weniger
- 64:23
- die ununterbrochene Herkunft aus dem ältesten Rechtszustand
- 64:24
- bezweifelt werden kann.
- 65:1
- Bei den Freien im Allgemeinen konnte der
- 65:2
- Grundsatz der Ebenbürtigkeit weniger sichtbar werden,
- 65:3
- weil ihre umfassende Standesgemeinschaft durch
- 65:4
- die höchst verschiedenen Schicksale ihrer einzelnen Bestandtheile
- 65:5
- frühe in Vergessenheit gerieth. Dagegen
- 65:6
- zeigte sich nun in dem aus den Freien hervorgegangenen
- 65:7
- Ritterstand das Bestreben, sich als ein besonderer
- 65:8
- Stand abzuschließen, indem sowohl für die persönliche
- 65:9
- Aufnahme in die Ritterschaft, als für den
- 65:10
- ritterlichen Grundbesitz, eine besondere Herkunft gefordert
- 65:11
- wurde. Anfangs zwar begnügte man sich
- 65:12
- mit dem Nachweis von vier freien Ahnen, welche
- 65:13
- auch sonst schon als Kennzeichen einer unzweifelhaft
- 65:14
- freien Abstammung angesehen worden war. Allmälig
- 65:15
- aber ging man hierin weiter, und forderte auch
- 65:16
- schon in diesen Ahnen den ritterlichen Stand. Dadurch
- 65:17
- wurde der Grundsatz der Ebenbürtigkeit (unter
- 65:18
- dem Namen der Ritterbürtigkeit) auf die Ritterschaft
- 65:19
- anwendbar, und diese wurde dadurch in der That
- 65:20
- ein eigener, nach unten hin geschlossener, Stand, so
- 65:21
- wie es in dem Sinne der uralten Verfassung nur
- 65:22
- von dem Adel und den Freien behauptet werden
- 65:23
- konnte. Eine noch schärfere und wichtigere Anwendung
- 66:1
- wurde diesem Grundsatz gegeben in dem particulären
- 66:2
- Recht vieler einzelnen Corporationen, besonders
- 66:3
- der Domkapitel, worin eine größere Zahl
- 66:4
- von Ahnen (am häufigsten Sechzehn) als Bedingung
- 66:5
- des Zutritts gefordert wurde. Diese Anwendung
- 66:6
- war dadurch besonders wichtig, daß sie dem Ritterstande
- 66:7
- (freilich, ohne den Herrenstand auszuschließen)
- 66:8
- den Besitz fürstlicher Gewalt in einem großen Theile
- 66:9
- von Deutschland sicherte. Allein auch nur in diesen
- 66:10
- particulären Anwendungen hat sich das Recht der
- 66:11
- Ritterschaft als eines geschlossenen Standes bis auf
- 66:12
- ganz neue Zeiten erhalten können; im Allgemeinen
- 66:13
- aber mußte es schon längst aufgegeben werden.
- 66:14
- Dazu wirkten mehrere Umstände zusammen; ganz entscheidend
- 66:15
- aber war die gänzliche Umwandelung des
- 66:16
- Kriegswesens. Denn von jeher war der Lehenbesitz
- 66:17
- nur die materielle Basis des Ritterstandes, die
- 66:18
- Bedingung der Möglichkeit seines Bestehens. Das
- 66:19
- eigentliche Wesen desselben bestand aber lediglich in
- 66:20
- dem ritterlichen Leben, also in der ausschließenden
- 66:21
- Beschäftigung mit dem ritterlichen Kriegshandwerk.
- 66:22
- Sobald nun durch die Umwandelung des Kriegswesens
- 66:23
- der Ritterdienst zuerst seine Wichtigkeit, dann
- 66:24
- sein Daseyn verlor, war auch dem Ritterstand selbst
- 66:25
- sein eigentliches Element entzogen. Auch ist in ihm
- 66:26
- von dieser Zeit an der allgemeine Anspruch auf
- 67:1
- Ebenbürtigkeit (also abgesehen von den erwähnten
- 67:2
- particulären Rechtsbestimmungen) immer mehr verschwunden.
- 67:3
- Die Erinnerung des alten Zustandes
- 67:4
- aber lebt fort in der überwiegenden Hinneigung des
- 67:5
- Ritteradels zum Kriegsdienst.
- 67:6
- Zwei Folgerungen sollen an diese historische
- 67:7
- Zusammenstellung angeknüpft werden. Zuerst ist der
- 67:8
- Grundsatz der Ebenbürtigkeit in dem Herrenstande
- 67:9
- (oder dem Uradel) und dem Stande der Unfreien
- 67:10
- im ununterbrochenen Zusammenhang mit dem Urzustande
- 67:11
- der Germanischen Völker (bei dem Adel
- 67:12
- wenigstens für den Sächsischen Stamm, bei den
- 67:13
- Unfreien allgemein) nachgewiesen worden, verschieden
- 67:14
- von der gleichnamigen, aber zufälligen, neueren, und
- 67:15
- vorübergehenden Ebenbürtigkeit des Ritterstandes.
- 67:16
- Nun ist unser Herrenstand vom Mittelalter her in
- 67:17
- ganz Deutschland mit überall gleichen Rechten zu
- 67:18
- finden, und auch der persönlichen Abstammung nach
- 67:19
- gehört er zuverlässig sehr verschiedenen Germanischen
- 67:20
- Volksstämmen an. Dadurch sind wir berechtigt, den
- 67:21
- Grundsatz der Ebenbürtigkeit auch in der älteren
- 67:22
- Zeit als einen allgemeinen Grundsatz der Germanischen
- 67:23
- Völker anzusehen. Es ist also ganz zufällig, daß
- 67:24
- wir darüber gerade nur bei den Sachsen ein altes
- 67:25
- Zeugniß aufweisen können, und auch dieses Zeugniß
- 67:26
- findet sich ja selbst bei den Sachsen nur bei
- 68:1
- Geschichtschreibern, nicht in den Gesetzen. - Zweitens
- 68:2
- ergiebt sich aus dieser Zusammenstellung die Unhaltbarkeit
- 68:3
- der Ansicht, welche in der Benennung des
- 68:4
- hohen und niederen Adels ausgedrückt ist, und
- 68:5
- nach welcher beide Classen als verschiedene Stufen
- 68:6
- eines und desselben Hauptstandes angesehen werden.
- 68:7
- Beide haben allerdings mit einander gemein das
- 68:8
- allgemeine und unbestimmte Merkmal einer mit Vorzügen
- 68:9
- versehenen Classe; ferner das Kriegshandwerk
- 68:10
- als Lebensberuf, welches in dem (beide Stände
- 68:11
- umfassenden) Ritterthum eine feste Gestalt angenommen
- 68:12
- hatte. An diesen gemeinsamen Beruf
- 68:13
- knüpfte sich natürlich Gemeinschaft der Sitten, des
- 68:14
- Lebens, des Umgangs. Endlich war auch die Art
- 68:15
- des Landbesitzes bei ihnen zwar nicht gleich, aber
- 68:16
- doch ähnlich. Dagegen waren sie von Grund aus
- 68:17
- verschieden in der Entstehung, sowohl dieser Stände
- 68:18
- im Allgemeinen, als des Standesrechts für jedes
- 68:19
- einzelne Geschlecht; ferner in der gegen andere Classen
- 68:20
- abgeschlossenen Natur, die dem alten Nationaladel
- 68:21
- von jeher eigen war, von dem Ritteradel aber zwar
- 68:22
- gesucht, jedoch niemals dauernd erreicht worden ist.
- 68:23
- Was am meisten dazu beigetragen haben mag, sie
- 68:24
- als verwandt und gleichartig anzusehen, war wohl
- 68:25
- der gemeinschaftliche Genuß so wichtiger Vorrechte,
- 68:26
- wie des Eintritts in die Domstifter. Da jedoch seit
- 69:1
- sehr langer Zeit der Name des Adels bei dem
- 69:2
- Ritterstande nicht nur allgemein, sondern sogar fast
- 69:3
- ausschließend üblich ist, so wäre es wünschenswerth,
- 69:4
- daß wenigstens in wissenschaftlichen Untersuchungen
- 69:5
- der Ausdruck Ritteradel gebraucht würde, der
- 69:6
- gegen jedes historische Mißverständnis sichert.
- 69:7
- Die Annahme dieser zwei neben einander stehenden
- 69:8
- ganz ungleichartigen Stände läßt sich noch durch
- 69:9
- eine Parallele aus dem Römischen Alterthum erläutern.
- 69:10
- Die Patricier waren ursprünglich kein
- 69:11
- Adel, sondern die Bügerschaft des ältesten Staats.
- 69:12
- Als dieser Staat Eroberungen machte, hatte jene
- 69:13
- Bürgerschaft Unterthanen ohne politische Rechte unter
- 69:14
- dem Namen Plebejer. Die Plebejer wurden zahlreicher
- 69:15
- und mächtiger; bald beruhte auf ihnen die
- 69:16
- Hauptkraft des Staates, und so bekamen sie großen
- 69:17
- Antheil an den politischen Rechten. Jetzt bildeten
- 69:18
- ihnen gegenüber die Partricier in der erweiterten
- 69:19
- Gemeinschaft einen Adel, und zwar einen fest geschlossenen
- 69:20
- Erbadel. Bald verlor dieser Erbadel
- 69:21
- fast alle politischen Vorrechte, ganz neue Gegensätze
- 69:22
- und Interessen erzeugten sich, und so bildete sich
- 69:23
- eine große aristokratische Körperschaft, die Optimaten,
- 70:1
- deren Mittelpunkt der Senat war, welche man nun
- 70:2
- als den herrschenden Adel betrachten konnte, und in
- 70:3
- welchen unter andern auch die meisten patricischen
- 70:4
- Geschlechter enthalten waren. Diese Optimaten bildeten
- 70:5
- auf keine Weise einen geschlossenen Stand,
- 70:6
- und der Begriff derselben stand gewissermaaßen in
- 70:7
- der Mitte zwischen einem Stande und einer politischen
- 70:8
- Partei in dem Sinne, wie sie in England
- 70:9
- vorkommen. Wollte man nun die Patricier und
- 70:10
- die Optimaten als zwei coordinirte Classen des Adels
- 70:11
- betrachten, so wäre Dieses eben so unrichtig, als es
- 70:12
- oben von unserm hohen und niedern Adel bemerkt
- 70:13
- worden ist.
- 70:14
- Zum Schluß soll noch eine Vergleichung der
- 70:15
- deutschen Standesverhältnisse, wie sie sich im zwölften
- 70:16
- und dreizehnten Jahrhundert zeigen, mit den gleichzeitigen
- 70:17
- Verhältnissen von Italien angestellt werden.
- 70:18
- In Italien finden sich genau dieselben Abstufungen,
- 70:19
- wie in Deutschland: Fürsten, die ein Reichsamt vom
- 70:20
- König zu Lehen tragen, Capitanei als Lehenträger
- 70:21
- der Fürsten, Valvassores in zwei Abstufungen, als
- 71:1
- Lehenträger der Capitanei. Die Fürsten der
- 71:2
- älteren Zeit sind dort frühe verschwunden. Die
- 71:3
- Capitanei und Valvassores sind durch die übermächtigen
- 71:4
- Städte gezwungen worden, in ihnen das
- 71:5
- Bürgerrecht anzunehmen, wo sie nun an die Spitze
- 71:6
- der Geschäfte traten. Das sie hier als zwei scharf
- 71:7
- getrennte Classen erscheinen, und zwar oft, lange
- 71:8
- Zeit hindurch, und gleichmäßig in vielen Städten,
- 71:9
- so wie in dem geschriebenen Lehenrecht, so nehme
- 71:10
- ich keinen Anstand, die Capitanei für die freien
- 71:11
- Herren zu halten, in welchen (neben den Fürsten)
- 71:12
- der alte Uradel fortlebte, die Valvassores aber für
- 71:13
- den in Italien, wie im übrigen Europa, neu entstandenen
- 71:14
- Ritteradel. Eine unbefangene Vergleichung
- 71:15
- der Heerschilde in den Deutschen Rechtsbüchern mit
- 71:16
- jenen Classen des Longobardischen Königreichs
- 71:17
- scheint mir Dieses außer Zweifel zu setzen; in beiden
- 71:18
- Ländern freilich erscheinen diese Classen zunächst nur
- 71:19
- als Glieder des großen Feudalgebäudes, welches
- 71:20
- damals alle öffentlichen Verhältnisse in sich schloß.
- 71:21
- Eben so ist unverkennbar die Aehnlichkeit der Capitanei
- 71:22
- mit den Fränkischen Antrustionen; die Aehnlichkeit
- 71:23
- liegt darin, daß beide ein Gefolge von freien
- 71:24
- Leuten führen, die Verschiedenheit darin, daß die
- 72:1
- Antrustionen unmittelbar unter dem König stehen,
- 72:2
- die Capitanei nur mittelbar. - Nach dieser Annahme
- 72:3
- sind die Capitanei die alten Edelinge, oder
- 72:4
- die Primi in dem Gesetz von Liutprand, und es
- 72:5
- liegt dann in ihrem Daseyn eine späte Bestätigung
- 72:6
- für die Annahme eines fortdauernden Germanischen
- 72:7
- Uradels auch unter den Longobarden.
- 72:8
- Freilich die ferneren Schicksale dieser Stände
- 72:9
- waren in beiden Ländern höchst verschieden. In
- 72:10
- Deutschland bildete schon damals der Herrenstand
- 72:11
- seine Landeshoheit aus. In Italien verschwinden
- 72:12
- die erblichen Reichsbeamten, und der Herrenstand
- 72:13
- zieht nebst dem Ritteradel in die Städte. Nachdem
- 72:14
- er hier eine Zeit lang geherrscht hatte, wird er
- 72:15
- unterdrückt und verfolgt. Die monarchischen Gewalten,
- 72:16
- die sich nun in vielen Städten bilden, haben
- 72:17
- keine Aehnlichkeit mit der Deutschen Landeshoheit,
- 72:18
- indem sie nur aus einer unbändigen Demokratie
- 72:19
- hervorgehen. Zugleich bilden sich zwei große Factionen,
- 72:20
- die ganz Italien durchdringen und verwirren,
- 72:21
- und in welchen die alten Gränzen der Stände
- 72:22
- gänzlich zurücktreten.
- 72:23
- Eine gleiche Analogie und Verschiedenheit in der
- 72:24
- Entwickelung der Standesverhältnisse würde sich
- 73:1
- vielleicht auch in Frankreich nachweisen lassen. Allein
- 73:2
- hier haben bis jetzt die späteren Schicksale der
- 73:3
- Monarchie, neu erwachsen aus dem allmäligen Untergang
- 73:4
- der Herzogthümer und großen Grafschaften,
- 73:5
- Alles verdeckt, und eine kritische Geschichte der einzelnen
- 73:6
- edlen und ritterlichen Geschlechter müßte erst
- 73:7
- eine ganz neue Grundlage der Untersuchung bilden.
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