BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Novalis

1772 - 1801

 

Philosophische, philologische

und naturwissenschaftliche Studien

Das Allgemeine Brouillon

 

Zweite Gruppe: Nr. 445 - 692

Oktober/November 1798

(Auswahl)

 

______________________________________________________________________________

 

 

 

II

Zweite Gruppe (445 - 692)

 

 

454

PSYCH[OLOGIE]. Wer alles räumlich, figurirt und plastisch sieht, dessen Seele ist musicalisch – Formen erscheinen durch unbewußte Schwingungen. – Wer Töne, Bewegungen etc. in sich sieht, dessen Seele ist plastisch – denn Mannichfaltigkeit der Töne und Bewegungen entsteht nur durch Figuration.

(Seltenheit des großen Mechanikers.)

Wird aber der Musikalische Mensch guter Maler und Sculptor, so wie umgek[ehrt] der plastische Mensch guter Musikus etc. werden können – da alle Einseitigkeit sich selbst Schaden thut?

Oder besteht eben das Genie in der Vereinigung – und die Bildung des Genies in Construktion dieser Vereinigung – Ausbildung des schwächern Vereinigungskerns. Jeder Mensch hätte genialischen Keim – nur in verschiednen Graden der Ausbildung und Energie.

 

 

455

ENC[YKLOPAEDISTIK] PAED[AGOGIK]. Vorstehender Satz ist auf alle wissenschaftliche und technische Köpfe analogisch anwendbar. – und die Verwandtschaften der W[issenschaften] haben hier ihren vorzüglichsten Grund.

Ein Genie muß durch genialische Berührungen der mannichfaltigsten Art versucht und erregt und gebildet werden – daher jeder Mensch – in Ermangelung lebendiger Genies mit genialischen Produkten. (Jedes Prod[uct] eines Genies ist selbst Genie.)

 

 

469

Gebildete, regelmäßig ausgeführte Bildersprache.

 

 

470

ARS LITTERARIA. Alles was ein Gelehrter thut, sagt, spricht, leidet, hört etc. muß ein artistisches, Technisches wissenschaftliches Produkt oder eine solche Operation seyn. Er spricht in Epigrammen, er agirt in einem Schauspiel, er ist Dialogist, er trägt Abh[andlungen] und Wissenschaften vor – er erzählt Anecdoten, Geschichte, Märchen, Romane, er empfindet poëtisch; wenn er zeichnet, so zeichnet er, als Künstler, so, als Musiker; Sein Leben ist ein Roman – so sieht und hört er auch alles – so ließt er.

Kurz der ächte Gelehrte ist der vollständig gebildete Mensch – der allem, was er berührt und thut eine wissenschaftliche, idealische, synkritistische Form giebt.

 

 

471

ITEM. Sonderbar, daß man noch keine logische Pflichtenlehre des Lesers und Rechtlehre Autors hat. Ideal eines Lesers.

 

 

484

PSYCH[OLOGIE]. Es giebt verschiedene Grade des eindringlichen Sprechens und Schreibens. Entscheidend sprechen und schreiben – befehlend kategorisch – das ist der höchste Grad. Die Abstimmungen
d[es] Grads nach den Menschen, die man vor sich hat – können nun bestimmt werden.

 

 

496

PSYCH[OLOGIE]. Hoffnung ist eine entfernte (Zeitentfernung) Freude. Ahndung ist entfernte Vorstellung. Furcht ist ein entferntes Weh. Errinnerung des Angenehmen – Errinnerung des Unangenehmen – Rückwärts entfernte Lust oder Unlust. Was die Lust in der Errinnerung verliert, das gewinnt die Unlust in der Errinnerung, und umgek[ehrt]. Sie gehn in einander über – so Furcht und Hoffnung. Je näher, desto unterschiedner. Anwendung der Perspectiv auf diese Dinge. (Die Fantasie ist die phänomenologische Kraft.)

 

 

498

PSYCH[OLOGIE]. Zorn ist ein heftiger Unwillen. Enthusiasmus – ein heftiger Willen. PHYSIOL[OGIE]. (Schmerz vielleicht ein heftiger Umtrieb oder Gegentrieb – Wollust ein heftiger Trieb.) Alle Unlust entsteht von Mangel – (Mangel an Trieb – Kraft – Mangel an Reitz – Stoff.) In jeder wahren Kr[anckheit] ist ein Mangel – und daraus entsteht die Unlust jeder Kranckheit. Daher sagt man auch – Was fehlt dir?

Sthenie und Asthenie sind verkehrte Synonymen. (Die Vermehrung von Kr[anckheiten] – Zeichen der höheren Kultur.) In der Sth[enie] nimmt die Capacität zu und die Erregbarkeit ab – auf dem Puncte, wo die allzugroße Abnahme der Erregbarkeit die Zunahme der Capacit[aet] vermindert fängt die indirecte Asth[enie] an. In der Asth[enie] ist es umgekehrt.

In der mittleren Sfäre herrscht Gemeinschaft – wechselseitige Erhöhung d[er] Capac[ität] und Erregbarkeit. In der Benachbarten – entgegengesezter Wechsel – Verminderung der Einen mit Zunahme der Andern – in der dritten gegenseitige Vernichtung beyder. Sie machen die Elemente eines Grades aus – die vereinigt – polarisirt – oder gebunden seyn können.

 

 

[499]

PHYSIOL[OGISCHE] STYLISTIK. Man kann am Styl bemerken, ob und wieweit der Gegenst[and] den Verfasser reizt oder Nichtreizt – und daraus Folgerungen auf seine Constitution machen – auf seine zufällige Stimmung etc.

Voller Styl – magrer Styl. Bleicher Styl – farbiger Styl. Mannichfaltiger – monotoner Styl. Kranckhafter, gesunder – schwächlicher und energischer Styl.

Heilmethoden – Erziehungsmethoden d[es] Styls.

(In Göthens Styl – ist d[ie] Monotonie und Simplicitaet der großen Welt – nothwendige aber äußerst einfache Etiquette.) (Die große Welt ist bloß gebildete Sensibilitaet – asthenische Constitution – als Ideal. Aus der Polarisirung der Stände mußte am Ende eine Große Welt entstehn – so wie ein Pöbel. Der Haß des Gemeinen führt zum Vornehmen – denn nur dies ist dem Gemeinen entgegengesezt. Verbindung des Vornehmen und Gemeinen – Man muß, als gebildeter Mensch beydes seyn können, wenn und wie man will. So muß man, als gebildeter
M[ensch] überhaupt Körper und Seele – reizbar und Sensibel nach Belieben seyn können.

 

 

501

ENC[YKLOPAEDISTIK]. Der Dichter ist der Erfinder der Symptome a priori. Wenn der Phil[osoph] im gew[issen] Sinn gleichsam der chymische Analytiker im mathem[atischen] Sinn ist – so ist der Dichter der Oryktognostische Analyst im mathem[atischen] Sinn – der das Unbekannte aus dem Bekannten findet.

(Da Worte zu d[en] Sympt[omen] gehören, so ist d[ie] Sprache eine poëtische Erfindung – so sind auch alle Offenbarungen und Phaenomène, als Symptomat[ische] Système – poëtischen Ursprungs – Poëtik der Natur. Der
Phil[osoph] wär am Ende auch nur d[er] innre Dichter – und so alles Wirckliche durchaus poëtisch. Synth[etische] Poësie – Analytik des Äußern und Innern zugleich.)

 

 

[512]

PSYCH[OLOGIE]. Der Glauben hat auch Grade. Er disponirt. Aus Kraft d[es] Glaubens ist die ganze Welt entstanden – er ist d[as]
synth[etische] Princip. – Sinn und Begriff sind Eins – Ein Sinn ist ein
allg[emeiner] Begriff – i. e. ein individueller Begriff – nicht allg[emein] im gewöhnlichen Sinn – wo es polarisch ist. Der Begr[iff] entsteht durch Wahl – Annahme – Setzung – so auch der Sinn. Im Willen ist der Grund der Schöpfung. Glauben ist Wirckung des Willens auf die Intelligenz – Obj[ective] und Subj[ective] Intelligenz. Die Wirckung der obj[ectiven] Intell[igenz] wird ein Obj[ect] , ein Naturwesen – die Wirck[ung] der subj[ectiven] Intelligenz – ein Subj[ect], ein Begriff – ein Verstandeswesen seyn. Glaubenskr[aft] ist also Willen – Aus d[er] Anwendung derselben entsteht allmälich die Welt etc.

Grade des Willens.

 

 

[516]

PSYCH[OLOGIE]. Aehnlichkeit des Denkens und Sehens. Die Ahndungs und Erinnerungskraft haben Beziehung auf die Fernsichtigkeit.

(Alles geht in uns viel eher vor, als es geschieht. Profeten.)

(Zeitliche und räumliche Distanz gehn in einander über.)

Durch Übung kann man auch die Distanzen, wie das Auge, schätzen lernen. Man bildet das Auge und die Denkkr[aft] mathematisch – der Geist rechnet aus den d[urch] d[as] Auge ihm kritisch gegebnen Datis – nach Regeln d[er] Redukt[ion] der perspectivischen Ansicht – die wahre Größe, Gestalt, Kraft etc. und Entfernung des Gegenstandes. (perspec-
t[ivische] Reductions Farbenlehre – persp[ectivische] Red[uctions] Kraft und Wirck[ungs] Lehre.) – wie persp[ectivische] Red[uctions] Gr[ößen] und GestaltenL[ehre].)

 

 

517

ENC[YCLOPAEDISTIK]. Wie Copernikus machens alle gute Forscher – Aerzte, und Beobachter und Denker – Sie drehn die Data und d[ie] Methode um, um zu sehn, obs da nicht besser geht.

 

 

[519]

Die Träume sind für den Psych[ologen] höchstwichtig – auch für den Historiker der Menschheiten. Die Träume haben sehr viel zur Kultur und Bild[ung] der Menschheit beygetragen – daher, mit Recht, das ehmalige, große Ansehn der Träume.

 

 

523

<Schrancken der menschl[ichen] Erkenntniß. – Konstitution der Intelligenz. Graderhöhung der Constitution.>

 

 

535

PHYS[IOLOGIE]. Hypochondrie ist pathologisirende Fantasie – mit Glauben an die Realit[aet] ihrer Produktionen – Fantasmen verbunden.

 

 

536

DITO. Alle sensible Personen müssen wenig – und sehr verdünnte geistige (narcotische) Mittel erhalten. – Sie haben dessen schon zu viel. Grobe Kost – Körperl[iche ]Bewegung – regelmäßiges, mäßiges Denken – Unterhaltung und Betrachtung der Sinnenwelt, welches für grobe Kost zu achten – dies sind die Grundzüge ihrer Heilformel.

 

 

[542]

<Je höher etwas ist, desto weniger stößt es um – sondern befaßt und verbessert vielmehr.>

 

 

546

Manche Leute hängen wohl darum so an der Natur, weil sie als verzogne Kinder, sich vor dem Vater fürchten und zu der Mutter ihre Zuflucht nehmen.

 

 

547

MUS[IKALISCHE] MATHEM[ATIK]. Hat die Musik nicht etwas von der Combinatorischen Analysis und umgekehrt. Zahlen Harmonieen – Zahlen acustik – gehört zur Comb[inatorischen]
A[nalysis].

Die Zähler sind die mathematischen Vokale – alle Zahlen sind Zähler.

Die Comb[inatorische] Analys[is] führt auf das ZahlenFantasiren – und lehrt die Zahlen compositionskunst – den mathemat[ischen] Generalbaß. (Pythagoras, Leibnitz.) Die Sprache ist ein musicalisches Ideen Instrument. Der Dichter, Rhetor und Philosoph spielen und componiren grammatisch. Eine Fuge ist durchaus logisch oder wissenschaftlich. – Sie kann auch poëtisch behandelt werden.

Der Generalbaß enthält die musicalische Algéber und Analysis. Die Combinat[orische] Anal[ysis] ist die kritische Alg[eber] und An[alysis] – und d[ie] musicalische Compositionslehre verhält sich zum Generalbaß wie die Comb[inatorische] An[alysis] zur einfachenAnalysis.

Manche mathem[atische] Aufgabe läßt sich nicht einzeln, sondern nur in Verbindung mit andern – aus einem höhern Gesichtspuncte – durch eine combinatorische Operation blos auflösen.

 

 

548

<Psychol[ogisch] nothw[endige], instinktartige Entstehung des Trauerspiels.>

 

 

557

Mein Buch soll eine scientifische Bibel werden – ein reales, und ideales Muster – und Keim aller Bücher.

 

 

572

Erfordernisse des Autors – Künstlers.

 

 

574

Metrische Zeichen – Interpunctions- und Accentuationszeichen – Nebenzeichen in der Musik. Die allen diesen entsprechenden Bewegungen.

(Sonderbar, daß die Hebraeer ihre Vocale nicht bezeichneten.) Die Conson[anten]Formen entstanden vielleicht aus den Figuren der sie hervorbringenden Organe.

Takte – Rythmus – mehrere gleichförmige – und in sich veränderte Bewegungen –

 

 

575

Mannichfaltig combinirte Autorbewegungen oder Operationen – Lesen – Beobachten – alles in Beziehung auf Selbstdenken – und Schreiben.

 

 

581

Ein akademischer Lehrvortrag ist ein mündliches Buch[,] er muß alle Bestandth[eile] des Buchs haben. Ein Compendium ist der weitläuftige Plan – oder der Umriß des Ganzen[,] die Abbreviatur des Vortrags. Die Rhetorik gehört zur psychologischen Stimmungskunde. Sophistik ist rhetor[ische] Philoso[phie,] wenigstens ein Theil von ihr. Vorlesungen sind statt der Bücher. Zugleich lehrt der Docent ipso facto die Kunst des Lesens und Benutzens – durch Repetition, Extraction, Scientifische Experimente mit dem Vorgetragenen, oder Anw[endungen] und Beyspielen,

(Beyspiel – Muster – Thatsachensammlung.)

Accentuation des Wichtigen etc.

Recension ist Complement des Buchs. Manche Bücher bedürfen keiner Recension – nur einer Ankündigung. – Sie enthalten schon die Recension mit. – die Noten sind Demonstrationen im andern Sinn oder Ostensionen, – Sie enthalten die Experimente und andre Dinge, die zur Erläuterung des Textes gehören z. B. die Litteratur. – Der Text tönt. – Die Note enthält die Figur dazu.

 

 

589

PHILOL[OGIE]. Nebeninschriften alter Bücher – <Ihr Register.>

 

 

591

PSYCH[OLOGIE]. Die Seele ist ein consonirter Körper. Vocale heißen bey den Hebraeern Buchstabenseelen.

 

 

599

PHILOL[OGIE]. Die Einleit[ung] ist die Encyklopaedistik des Buchs – vielleicht der phil[osophische] Text zum Plan.

 

 

[600]

Alle W[issenschaften], die von Thatsachen etc. ausgehn, gehören zu den Gemischten Wissenschaften – den individuellen W[issenschaften]. Jede Thatsache ist synthetisch – Substantiell.

 

 

601

PHIL[OSOPHIE]. Es ist dogmatisch – wenn ich sage – es giebt keinen Gott, es giebt kein N[icht]I[ch] – es giebt kein Ding an sich – ich kann kritisch nur sagen – Jezt giebt es für mich kein solches, Wesen – außer einem Erdichteten. Alle Illusion ist zur Wahrheit so wesentlich, wie der Körper der Seele – Irrthum ist das nothw[endige] Instrument
d[er] Wahrheit – Mit dem Irrthum mach ich Wahrheit – vollständiger Gebrauch des Irrth[ums] – vollst[ändiger] Besitz der Wahrheit.

Alle Synth[ese] – alle Progression – oder Übergang fängt mit Illusion an – ich sehe außer mir, was in mir ist – ich glaube es sey geschehn, was ich eben thue und sofort. Irrthum d[er] Zeit und d[es] Raums.

Glauben ist die Operation des Illudirens – die Basis der Illusion – Alles Wissen in d[er] Entfernung ist Glauben – der Begr[iff] außer mir ist Ding. Alles Wissen endigt und fängt im Glauben [an]. Vor und Rückerweiterung d[es] Wissens ist Hinausschiebung – Erweiterung des Glaubensgebiets. Das Ich glaubt ein fremdes Wesen zu sehn – durch Approximation desselben entsteht ein andres Mittelwesen – das Produkt – was dem Ich zugehört, und was zugl[eich] dem Ich nicht zuzugehören scheint – Die Mittelresultate des Processes sind die Hauptsache – das zufällig gewordene – oder gemachte Ding – ist das Verkehrt Beabsichtigte.

 

 

610

PHILOL[OGIE]. Recapitulation gehört auch wohl zu den Buchgliedern.

 

 

614

PSYCH[OLOGIE]. Die Furcht kann auch Symptom eines angenehmen Gegenstandes seyn – z. B. Ehrfurcht.

Logische Verzweiflung.

 

 

[616]

ENC[YCLOPAEDISTIK]. Meine W[issenschafts]Kunde wird eine Art v[on] wiss[enschaftlicher] Grammatik – oder Logik – oder Generalbaß – oder Compositionslehre – mit Beyspielen. (Syntaxis.)

(Nat[ur]Gesch[ichte] d[er] W[issenschaften])

 

 

619

<Über die Dichterwelt und den Dichter – Fantasie – Künstler – Welt etc.>

 

 

621

<Romant[ische] poët[ische] Ansicht d[er] W[issenschaften]>

 

 

629

PHILOL[OGIE]. Der amplificirte Gegenstand des Titels, oder der amplificirte Titel ist das Buch. Der Text des Buchs fängt mit der Erklärung des Titel an und so fort.

 

 

635

<Kritick d[er] Sprache – Vorarbeit d[es] W[issenschafts]Lehrers.>

 

 

643

MATH[EMTIK] UND GRAMM[ATIK]. Über die Logarythmen – die eigentliche Sprache ist ein Logarythmen System. Sollten die Töne nicht gewissermaaßen Logarythmisch fortschreiten.

Die Harmonische Reihe ist die Logarythmenreihe einer dazugehörigen Arythmetischen.

 

 

647

Ein gutes physicalisches Experiment kann zum Muster eines innern Experiments dienen und ist selbst ein gutes innres subj[ectives] Experiment mit. (vid. Ritters Experimente.)

 

 

672

Untersuchung der Aufmercksamkeit – Zerstreuung – Theilung – Stätigkeit – Einprägende Kraft, Energie – Dauer – Umfang und Dichtigkeit – Bildsamkeit überhaupt – synthetische Aufmercksamkeit – Harmonische Aufmerksamkeit.

 

 

684

Jede W[issenschaft] wird Poësie – nachdem sie Phil[osophie] geworden ist.

 

 

[685]

Über den Anzug – als Symbol.

Die Scherpe d[es] Kindes ist das zusammengefaltete und festgebundne Segel, das der Jüngling aufspannt – wo es zum flatternden Mantel wird – der auch heraufgebunden seyn kann, wie in der Abbildung d[er] Fortuna. Die Haare trägt das Kind lang und schlicht, weil es noch keinen Feind fürchtet – der Jüngling lockig – daß desto mehr Blumen darinn hängen bleiben können – der Mann kurz, daß er nicht gepackt werden kann – der Greis wieder schlicht, wie das Kind – denn er ist heilig wie d[as] Kind. – Die ganz offne Brust des Knaben und d[ie] leicht verhüllte des Jünglings bedürfen keiner Erklärung – Einfachheit und Leichtigkeit[,] Helligkeit und Bequemlichkeit ist der Caracter des Kinderanzugs – Leichtigkeit und Mannichfaltigkeit und Geschicklichk[eit] statt d[er] Bequemlichkeit – der der Jünglingskleidung. Zweckmäßigkeit d[er] Karacter d[er] männlichen
Kl[eidung] – Bequemlichk[eit], Einfachheit und Dunkelheit der des Greises.

Helle Blumen dem Kinde – Zweige dem Jüngling – dem Manne der Stab – und dunkle Blumen d[em] Greise. Schuhe das Kind – Schuhe
d[er] Greis – Halbstiefeln d[er] Jüngling – Stiefel der Mann –

D[as] Kind und d[er] Greis Mützen – Jüngling und Mann keine
gew[öhnlichen] Kopfbedeckungen. Ungewöhnliche – das Kind ein Kranz – und d[er] Greis – der Jüngling – eine Zierliche – der Mann eine Zweckmäßige.

Nur Jünglinge tragen Bärte zur Zierde. Die Kleidungen der Alten etc. Kleidung = Symbol des Geistes d[er] Zeiten.

Das Vorhergehende gehört in die Symbolistik – die einen Theil der Tropik ausmacht. Jedes Symbol kann durch sein Symbolisirtes wieder Symbolisirt werden – Gegensymbole. Es giebt aber auch Symbole der Symbole – Untersymbole.

Auf Verwechselung des Symbols mit dem Symbolisirten – auf ihre Identisirung – auf den Glauben an wahrhafte, vollst[ändige] Repraesentation – und Relation des Bildes und des Originals – der Erscheinung und der Substanz – auf der Folgerung von äußerer Aehnlichkeit auf durchgängige innre Übereinstimmung und Zusammenhang – kurz auf Verwechselungen von Subj[ect] und Obj[ect] beruht der ganze Aberglaube und Irrthum aller Zeiten und Völker und Individuen.

(Erhebung des Zufälligen zum Wesentlichen – d[es] Willkührlichen zum Fato z. B. in der Astrologie – die Folgerungen aus den
willk[ührlichen] Namen d[er] Planeten und Sternbilder.)

Symbolistik d[es] mensch[lichen] Körpers – der Thierwelt – der Pflanzenw[elt] –

(Alles kann Symbol des Andern seyn – Symbolische Function.) der Natur – der Mineralien – der Atmosphaerilien – der Meteore – der Gestirne – der Empfindungen – Gedanken – der Seele – der Geschichte – der Mathematik.

 

 

691

Die Lehre v[on] d[en] Verhältnissen gehört in die Algeber – oder die Naturgeschichte der Größen.

(Die Verba sind die eigentlichen Wortkräfte – die sog[enannten] Substantiva sind aus Verben entstanden – und die Verba aus Substantiven entstand[en]. Bewegung und Ruhe – Veränderliche – constante x. Alle Ruhe ist Figur.)